das schrumpfen der zwerge

ID 105056
 
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interview mit Dr. habil. Martin Schädler
UFZ-Department Biozönoseforschung / iDiv
anmod.:
das umwelt forschungs zentrum (ufz) leipzig hat einen versuch zur auswirkung des klimawandels auf die bodenorganismen und damit auf die bodenqualität gemacht. was genau verändert sich bei höheren temperaturen und starker ackerbewirtschaftung?
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Upload vom 30.10.2020 / 08:13

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: aktuell
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 30.10.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
PRESSEMITTEILUNG | 28. JULI 2020

DAS SCHRUMPFEN DER ZWERGE

DURCH DEN KLIMAWANDEL WERDEN BODENTIERE KLEINER, DURCH EINE INTENSIVE
LANDNUTZUNG WENIGER

Das Leben im Erdreich hat heutzutage gleich mit mehreren Problemen zu
kämpfen. Die Biomasse der kleinen Tiere, die dort Pflanzen zersetzen
und damit die Fruchtbarkeit des Bodens erhalten, nimmt sowohl durch den
Klimawandel als auch durch eine zu intensive Bewirtschaftung ab. Zu
ihrer Überraschung haben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für
Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen Zentrums für integrative
Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig allerdings
festgestellt, dass dieser Effekt auf zwei unterschiedlichen Wegen
zustande kommt: Während das veränderte Klima die Körpergröße der
Organismen reduziert, verringert die Bewirtschaftung ihre Häufigkeit.
Selbst mit Biolandwirtschaft lassen sich demnach nicht alle negativen
Folgen des Klimawandels abpuffern, warnen die Forscher im Fachjournal
eLIFE.
Weitgehend unbeachtet und im Verborgenen arbeitet unter unseren Füßen
ein Heer von winzigen Dienstleistern. Unzählige kleine Insekten,
Spinnentiere und andere Bodenbewohner sind unermüdlich damit
beschäftigt, abgestorbene Pflanzen und anderes organisches Material zu
zersetzen und die darin enthaltenen Nährstoffe zu recyceln. Schon lange
aber befürchten Fachleute, dass diese für die Bodenfruchtbarkeit und
die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme so wichtigen Organismen
zunehmend unter Stress geraten.

Denn zum einen sind sie mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert,
der ihnen hohe Temperaturen und ungewohnte Niederschlagsverhältnisse
mit häufigeren Dürren beschert. Zum anderen leiden sie auch unter
einer zu intensiven Landnutzung. Wenn beispielsweise eine Wiese in einen
Acker umgewandelt wird, finden die Bodentierchen dort weniger
Lebensräume und Nahrungsquellen. Und auch intensives Pflügen, Mähen
oder Beweiden sowie der Einsatz von Pestiziden und großen Mengen
Dünger wirken sich negativ aus. Was aber passiert, wenn das Bodenleben
gleichzeitig mit beiden Herausforderungen konfrontiert ist? "Darüber
wusste man bisher so gut wie nichts", sagt Dr. Martin Schädler vom UFZ.
Er und seine Kollegen von UFZ und iDiv aber haben sehr gute
Möglichkeiten, solchen komplexen Fragen nachzugehen. Denn der Ökologe
koordiniert die Freiland-Versuchsanlage "Global Change Experimental
Facility" (GCEF) in Bad Lauchstädt bei Halle. Dort können die Forscher
auf unterschiedlich intensiv genutzten Acker- und Grünland-Parzellen
das Klima der Zukunft simulieren. In großen Stahlkonstruktionen, die an
Gewächshäuser ohne Dach und Wände erinnern, schaffen sie dazu ein
Szenario, wie es in den Jahren 2070 bis 2100 für die Region typisch
sein könnte: Es ist etwa 0,6 Grad wärmer als heute, im Frühjahr und
Herbst fallen je zehn Prozent mehr Niederschlag und die Sommer sind etwa
20 Prozent trockener. Ein Team um Martin Schädler und den Doktoranden
Rui Yin hat nun untersucht, wie sich diese Verhältnisse auf Milben und
die zu den Insekten gehörenden Springschwänze auswirken. Beide Gruppen
haben viele Zersetzer in ihren Reihen, die für die
Nährstoffkreisläufe im Boden eine wichtige Rolle spielen.

Die Ergebnisse zeigen, dass diese Bodentiere durch den Klimawandel noch
weiter schrumpfen dürften. "Vermutlich werden sich nicht nur kleinere
Arten durchsetzen, sondern auch kleinere Individuen innerhalb derselben
Art", sagt Martin Schädler. Jedenfalls waren die untersuchten Exemplare
auf den Flächen mit höheren Temperaturen und veränderten
Niederschlägen im Durchschnitt um etwa zehn Prozent kleiner als auf den
Vergleichsflächen mit heutigem Klima. Solche Zusammenhänge zwischen
Körpergröße und Klima kennen Biologen bisher vor allem bei größeren
Tieren. So sind zum Beispiel die Bärenarten in den warmen Regionen der
Erde deutlich kleiner als der Eisbär in der Arktis. Das liegt daran,
dass ein kleiner Körper eine vergleichsweise große Oberfläche hat,
über die er Wärme abgeben kann - was in den Tropen ein Vorteil ist, in
den Polarregionen aber leicht zum Auskühlen führt. Bei wechselwarmen
Tieren wie Insekten kurbeln hohe Temperaturen zudem den Stoffwechsel und
die Entwicklungsgeschwindigkeit an. "Dadurch entstehen schneller neue
Generationen, die dann aber kleiner bleiben", erklärt Martin Schädler.
Legt man die Milben und Springschwänze aus den Parzellen mit
verändertem Klima auf die Waage, kommt man daher auf weniger
Gesamtgewicht als bei den unbeeinflussten Flächen. Das aber ist keine
gute Nachricht. Denn von dieser Biomasse hängt auch die
Zersetzungsleistung der Tierchen ab. Weniger Gesamtgewicht bedeutet also
auch ein gebremstes Nährstoffrecycling. Einen ganz ähnlichen Effekt
kann dem Experiment zufolge auch eine zu intensive Landnutzung
auslösen. Denn auch dadurch geht die Biomasse im Boden zurück.
"Interessanterweise steckt dahinter aber ein anderer Vorgang", fasst
Martin Schädler das wichtigste Ergebnis der Studie zusammen. "Anders
als das Klima verringert die Nutzung nicht die Größe der Tiere,
sondern ihre Dichte." So lebten auf den GCEF-Flächen mit
konventioneller Landwirtschaft rund 47 Prozent weniger Milben und
Springschwänze als auf der extensiv genutzten Wiese.

"Das Spannende und Ernüchternde daran ist, dass sich die Effekte von
Klima und Nutzung kaum gegenseitig beeinflussen", sagt der Ökologe.
Bisher hatten viele Experten nämlich gehofft, dass eine
naturverträgliche Landwirtschaft eine Art Versicherung gegen die
negativen Folgen des Klimawandels bieten könnte. Schließlich führt
Biolandbau in der Regel zu einer vielfältigeren Lebensgemeinschaft auf
Äckern und Grünland. Das aber mache solche Ökosysteme weniger
anfällig für klimatische Störungen als konventionell genutzte
Flächen, so die Überlegung.

Wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit der Bodentiere zu erhalten,
scheint diese Strategie allerdings nicht aufzugehen: Die veränderten
Temperaturen und Niederschläge reduzieren deren Biomasse unabhängig
von der Bewirtschaftung. "Nicht alles, was durch die Erwärmung
kaputtzugehen droht, lässt sich also durch eine umweltverträgliche
Landnutzung retten", resümiert Martin Schädler. Um die Folgen des
Klimawandels abzumildern, müsse man daher direkt bei den Treibhausgasen
ansetzen - und zwar so schnell wie möglich. "Wir können uns nicht
darauf verlassen, dass uns schon noch etwas anderes einfallen wird."

Publikation:
Rui Yin, Julia Siebert, Nico Eisenhauer, Martin Schädler: Climate
change and intensive land use reduce soil animal biomass via dissimilar
pathways. eLife, http://dx.doi.org/10.7554/eLife.54749

Klimawandel und Landnutzung reduzieren die Biomasse der Bodentiere über
unterschiedliche Pfade: Das veränderte Klima reduziert die
Körpergröße und die Bewirtschaftung die Häufigkeit.

Kommentare
30.10.2020 / 12:45 AndreasB,
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