Kommentar: Im Seuchenregime kann eine Linke nicht nur Anti sein

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…und auch zu anderen Zeiten nicht. Eine Replik auf den bei RDL veröffentlichten Kommentar „Freiheit stirbt im Seuchenregime“. Einen weiteren Kommentar auf RDL zu diesem Thema findet ihr unter den Titel "Apropos Grundrechte".
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10:34 min, 25 MB, oga
vorbis, 330 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.11.2020 / 20:34

Dateizugriffe: 87

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Yoshi
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 24.11.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das Seuchenregime, das ist die weitreichendste Einschränkung fundamentaler Bürger*innenrechte seit Bestehen der Bundesrepublik. Ein Regime der Exekutive, welche, seit die Pandemie aufgekommen ist, weitestgehend an den demokratischen Institutionen vorbeiregiert, vor allem den Parlamenten, und manche Regelung nur langsam durch Gerichte wieder eingeschränkt wird. Die nun bald ein Jahr dauernde Krise hat auch neue Befugnisse geschaffen, neuestens durch die Erweiterung des Bundesseuchengesetzes, und das föderale Selbstverständnis der Republik weiter in Richtung Zentralismus ausgehöhlt. Das alles ist weitestgehend unbestritten und wird die politische Situation in der BRD noch länger stark beeinflussen.

Im besagten Kommentar wird festgestellt, das aus einer linken, emanzipatorischen Richtung gegen das alles kein Widerspruch kommt. Widerspruch, der sich gegen die Maßnahmen richtet, welche zu großen Teilen nicht auf empirischer Evidenz beruhen. Stattdessen gäbe es auf einer gesellschaftlich relevanten Ebene nur Gegenprotest von rechts und ein generelles schweigen von einer linken, welche ihre Tätigkeit in ein virtuelles Nirvana verlagert habe und keine selbstorganisierte Alternative zum Seuchenregime sichtbar macht. Diese Situation sei besonders deswegen so schwierig, weil gerade solch eine Krise eine Chance für die radikale linke wäre zu wachsen.

Das ist eine Analyse, die so nicht unkommentiert stehen bleiben sollte. Auch, wenn die Sorge um die Ausrichtung und Aktivität einer linken in einer Pandemie, durchaus ernstzunehmen und wichtig ist. Doch der Kommentar ignoriert wichtige Aspekte und bleibt den Hörer*innen doch einiges an Begründungen schuldig. So gleich zum Anfang mit der These das viele Maßnahmen in den verschiedenen Verordnungen nicht mit empirischen befunden der Wissenschaft begründbar seien. Wenn manche Maßnahmen nicht auf empirischer Evidenz beruhen, dann sollten diese auch Konkret benannt werden. Gerade hier ist einer der wichtigen Unterschiede zu was sich gerade als rechter Protest formiert – nicht pauschal das Virus zu bagatellisieren, sondern tatsächlich die wissenschaftliche Basis zu überprüfen. Ein Vorgehen, welches zum Beispiel das Tragen von Masken und halten von Abstand als unbedingt notwendig offenbart und gleichzeitig das derzeitige zwanghafte offen halten der Schulen massiv in Frage stellen müsste. Natürlich finden wir schnell Maßnahmen, welche auch sinnlos sind, denn auch wenn es langsam sehr Kalt ist, gibt es kein Grund eine nach Hygienevorschriften betriebene Gastronomie unter freien Himmel komplett zu verbieten.

Es gibt natürlich einen guten Grund, warum die genau Benennung der Maßnahmen die zu kritisieren wären wichtig ist: Einer emanzipatorischen linken kann es bei einer Pandemie nicht nur darum gehen das Bürger*innenrechte eingeschränkt werden. Die Notwendigkeit des Schutzes von Menschenleben vor einem Virus mit heftigen Langzeitfolgen, und einer nicht unbeträchtlichen Sterblichkeit, ist logischerweise für eine Lebensbejahende emanzipatorische Bewegung wichtig, und für Faschist*innen nebensächlich. Es kann und will sich kaum jemand über Verhaltensregeln hinwegsetzen, die unsere Genoss*innen, Mitstreiter und Freunde schützen. Es geht also nicht darum zu vermitteln, dass der Staat mal wieder Scheiße ist (auch wenn er das ist), sondern in der eigenen Kritik, die feine Linie zwischen sinnvollen Vorsichtsmaßnahmen, die wir selber auch Treffen würden, und überbordender Staatsgewalt aufzuzeigen. Die krassen Ausgangssperren in Frankreich und Spanien sind da viel leichter zu kritisieren, ohne vorschnell die reale Gefahr zu verharmlosen. Und dann ist es wie immer, differenzierte Auseinandersetzungen greifen in unserer derzeitigen Gesellschaft schlechter als vereinfachte, angstgetriebene Erklärungen mit einfachen Lösungen. Deswegen ist es aber nicht weniger richtig, die differenzierte Auseinandersetzung zu suchen und sich nicht auf populistische Narrative in der Gesellschaft des Spektakels einzulassen. Den der*die Querdenkerin ist eben kein*e besorgte*r Bürger*in mit legitimen Anliegen, und noch erkennt das die Mehrheit im Land auch.

Das bedeutete natürlich auch, das die Szene, oder das Milieu, der radikalen linken im Frühjahr vor einer besonderen Herausforderung stand. Diese bestand daraus, die eigene Organisation anzupassen an die Bedingungen des Seuchenregimes, sowohl in Hinsicht auf potenzielle Repression als auch mit dem Bedürfnis weiterhin die Inklusion stärker gefährdeter Menschen zu gewährleisten. Gerade in diesem Zuge verschoben sich einige Treffen in den virtuellen Raum, oder in teils virtuelle, teils physische Lösungen, Veranstaltungen wurden teilweise ausgesetzt und unter neuen Bedingungen wieder aufgezogen. An dieser Stelle ist ein Widerspruch gegen die im ursprünglichen Kommentar vertretene These des virtuellen Nirvanas auch essenziell. Nur weil Debatten digitalisiert stattfinden, und Arbeitsprozesse in das globale Kommunikationsnetz gelegt werden, heißt das nicht, dass sie nicht existieren. Es ist großen Teilen der Bewegung gelungen, die meisten Menschen in den Strukturen eingebunden zu behalten, die alltägliche politische Arbeit aufrecht zu halten und sogar einzelne Themen gesamtgesellschaftlich zu platzieren. Unter anderem eben wegen der Verschiebung zu mehr digitaler Kommunikation. Natürlich ersetzt das nicht die Vernetzung die beim sozialen drumherum von Treffen noch zusätzlich entstanden ist, doch dieser aufwendige Prozess der Anpassung war notwendig um die bestehende Politik der revolutionären Bewegung in der den Staat dominierenden Logik des Seuchenregimes (und auch weiter gegen die Logik des Kapitals) fortzuführen. Die teilweise Reduktion von Aktivitäten über Teile des Jahres sind dabei logischerweise Folgen, aber kein Anzeichen für das Verschwinden oder kompletten Versagen der linken Bewegung, wie auch die unzähligen politischen Protestaktionen, Outdoor-Veranstaltungen und unter Vorsichtsmaßnahmen durchgeführten Veranstaltungen in geschlossenen Räumen diesen Sommer in Freiburg gezeigt haben. Nicht zuletzt beinhaltet diese Umgestaltung auch die Sorge um das Wohlergehen der eigenen Leute unter Bedingungen verstärkter Isolation. So lächerlich ein Online-Yoga-Kurs klingen mag, sind es solche neuen Projekte, welche langfristig uns erstaunlich viel weiter helfen, und wenn sie lediglich die sozialen Ansprüche des Mensch Seins befriedigen. Auch ein Livestream eines Konzerts ist besser als nichts, wenn das letzte Konzert mittlerweile neun Monate zurückliegt (mit der Ausnahme weniger Konzerte auf politischen Versammlungen).

Doch der eigentliche Kern des ursprünglichen Kommentars ist der Vorwurf, die Rechten würden den Gegenprotest dominieren, weil die Linke diesen nicht besetzt hat. Wieso ein emanzipatorischer Protest anders und schwieriger ist, ist mittlerweile klar. Doch darüber hinaus, gibt es auch kein Automatismus, das von Linken bearbeitete Themen nicht von Rechten übernommen werden oder anders rum. So ist die linke Bewegung an einigen Stellen im Widerstand gegen diverse politische Folgen der Pandemie involviert, gerade was Wohnungsnot, Arbeitskämpfe und der Umgang bzw. eben Nichtumgang mit Geflüchteten angeht. Was die antifaschistische Bewegung tatsächlich versäumt hat, ist schnell genug die besondere Mischung an Personen und Positionen der selbsternannten und sogenannten Querdenker*innen richtig einzuschätzen und mit passenden Strategien zu begegnen. Selbst wenn zuerst eine Kritik von links gekommen wäre, bzw. kam (schließlich gab es diese durchaus), ist es ein leichtes für eine postfaktische Rechte sich solch einen Protest anzuschließen – umso mehr Grund warum bei Protesten der konsequente antifaschistische Ausschluss rechter Kräfte schon während der Entstehung wichtig ist. Bei Querdenken gab es natürlich nie eine solche Situation, doch die Debatte ist eh akademisch, denn derzeit stellt sich die Frage: wie weiter?

Wer mal sich zu den spärlichen Gegenprotest dazu gesellt, geht nicht nur selber ein Infektionsrisiko ein um gegen eine Handvoll irregeführte zu protestieren, welche denken Stechmücken würden Impfstoffe verbreiten (schön wärs!), oder ein dünner Stoff vor dem Mund wäre Gesundheitsgefährdend. Nein, schnell stellt Mensch fest: Versuche Ihnen mit Argumenten beizukommen scheitern kläglichst an den Windungen der meist antisemitischen Verschwörungstheorien. Humor wirkt nicht, ist jede Absurdität doch Nährboden für die nächste phantasierte Bedrohung. Die rechte Dominanz des Protestes anzuprangern missglückt an dem Selbstverständnis der üblichen „Ich bin kein Nazi, aber…“ Phrasendrecherei. Lediglich die Kritik, mit Nazis keinen Schulterschluss und die korrekte Bezeichnung der Forderung nach Liebe und Freiheit der Maskenmuffel als jenen puren Egoismus, der er ist, zeigt einen Weg vorwärts bei dieser Auseinandersetzung.

Damit zurück zur Ausgangsaussage. Eine linke Bewegung kann im Seuchenregime nicht einfach nur dagegen sein. Wir wollen nicht, das sich Covid-19 ausbreitet und unzählige unnötige Opfer fordert. Gleichzeitig ist es ein großer Fehler den Staat im Notstand einfach agieren zu lassen. Wie schnell Sonderbefugnisse ausgeweitet und für politische Zwecke genutzt werden wussten wir schon vorher, der Missbrauch von Kontaktlisten in der Gastronomie für andere polizeilichen Ermittlungen hat das nur nochmal deutlich gemacht. Die Kritik an Gesetzen und Verhalten der Exekutive im Seuchenregime lässt sich auch nahtlos in die antinationale Ausrichtung der emanzipatorischen Linken einreihen, genau so wie es auch bei Protesten gegen das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg auch geschehen ist. Gleichzeitig ist natürlich Covid-19 nicht die einzige Krise. So bleibt es wichtig trotz der Pandemie weiterhin für Klimagerechtigkeit einzustehen, an Alternativen zum bestehenden zu arbeiten und den Abbau eines sozialen, gesellschaftlichen Verständnis gerade im Bereich der Gesundheit sich zu widersetzen.

Es ist wichtig anzuerkennen wie und wo Kämpfe stattfinden. Dies Bedingt eine gewisse Virtualisierung der eigenen Strukturen, und wieso auch nicht? Schließlich hieß es vor Corona oft: Das Treffen hätte auch eine E-Mail sein können. Nun muss mit Sichtbarkeit und dem richtigen Maß an realen Veranstaltungen und Treffen gekämpft werden, aber von einem verschwinden der Bewegung kann auf keinen Fall die Rede sein. Wenn wir ehrlich zurückblicken auf viel zu viele Monate Pandemie, dann gibt es unzählige solidarische Reaktionen und Projekte, welche neue Perspektiven und Möglichkeiten einer kooperativen, solidarischen Gesellschaft aufzeigen. Eben nicht nur dagegen, sondern auch für eine Alternative die um uns, unseren Strukturen und unseren Orten, sowohl physisch als auch virtuell, entsteht und existiert.

Für die Freiheit im Seuchenregime zu kämpfen, bedeutet also den Maskenverweigerern, Antisemit*innen und Faschist*innen entgegenzutreten, sich aber auch dem kompletten, undifferenzierten Shutdown aller gesellschaftlichen Bereiche jenseits der Arbeit entgegenstemmen. Das alles auf eine Art und Weise die einen Massenauflauf in Berlin nun mal nicht beinhaltet. Es bedeutet, Einschränkungen der persönlichen Freiheit kritisch zu begegnen, subversive zu unterlaufen was autoritärer Übergriff ist, sich selbst anzueignen was unserer gemeinsamen Freiheit zuträglich ist. Eine Gegenbewegung der antiautoritären Linken zum Seuchenregime kann also gar nicht wahrnehmbar sein, ist sie doch nicht gegen die Bekämpfung der Pandemie an und für sich. Das kann nur die Wissenschaft.

ah

Kommentare
18.12.2020 / 20:55 niki müller,
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Heute bei uns gesendet. Vielen Dank!