Covid-19-Management: Geisterbahnfahrt ohne Kreativität und Utopie

ID 107277
  Extern gespeichert!
AnhörenDownload
Wenn man eines aus den Erfahrungen mit der Pandemie hätte lernen können, so wäre es die Maxime „Handle rasch und entschlossen, sonst wirst Du lange bestraft!“. Nun ist es wieder so weit, dass uns das Virus herausfordert. Die Infektionszahlen machen eine Kehrtwende, offenbar weil die neuen Mutationen dabei sind, die Regie zu übernehmen. Aber Deutschland steckt in der Öffnungsdiskussion, da müssen die Fallzahlen mal wieder draußen bleiben. Sorry liebes Virus. Allenfalls könnten wir mal wieder darüber diskutieren, ob wir nicht wieder einmal den Armin Laschet machen und nicht immer nur auf die Fallzahlen schauen. Wie wäre es mit der Parole „Deutschland hat noch Betten frei – auf der Intensivstation“. Dabei ist natürlich ein wenig zu verdrängen, dass 30 % der Covid-19-Patientinnen auf den Intensivstationen sterben und dass alle weiteren Indikatoren natürlich an das Infektionsgeschehen gekoppelt sind, halt eben mit einer gewissen Verzögerung und Verzögerung ist genau der Faktor mit dem es schief geht.



Die Politiker*innen im Land sind bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Verkünden guter Botschaften. Erinnert sich noch jemand daran was Gesundheitsminister Jens Spahn im September gesagt hat? Es wird keinen zweiten Lockdown geben, das Schließen der Geschäfte war ein Fehler.



Wenn es Maßnahmen zur Virusbekämpfung oder Folgenabmilderungen gibt, dann werden sie gerne als Wohltaten verpackt. Wenn nur das mit der Wohltat stimmt, ist die Effektivität zweitrangig. Tests für alle Bundesbürger*innen tönt es da. Mal abgesehen davon, dass das Wort Einwohner*innen in den Satz gehört - das Virus schaut ja nicht im Pass nach - ist es vor allem das Signal, dass uns Herr Spahn ein Geschenk vor die Türe legt. Wie das logistisch funktionieren soll, ist dem Autor nicht ganz so klar. Aber mal abgesehen davon, werden Kapazitäten mal wieder in einer großen Massenaktion verpufft. Statt alle mal irgendwann zu testen, wäre es besser, regelmäßig an Schulen und in Kindergärten zu testen. Regelmäßige Tests bei den, mangels lautstarker Lobby, Vergessenen der Pandemie, den Beschäftigten von Lebensmittelgeschäften und Apotheken, sowie Busfahrer*innen wäre sicher ebenfalls eine gute Idee. Sofern nicht nicht bereits geimpft, würde man sich sicher auch medizinisches Personal und Pflegepersonal in der ersten Reihe sinnvoll eingegrenzter Massentests wünschen. Aber natürlich, das wären nicht genug Wähler*innen.



In Österreich probieren sie nun sogar eine Kombination aus massenhaften Tests und Öffnung. Ob das gut geht, weiß man nicht. Auch hätte man das eine Weile vorbereiten müssen. Aber wenigstens steckt da eine Idee drin, die über nette Geschenke mit Schleifchen hinausgeht. So etwas wie eine Kombination von Öffnung und gut vorbereiteter Testung hätte man ja auch in Deutschland mal regional ausprobieren können. Wo bleibt der viel gerühmte Föderalismus?



Wo man hinschaut wird die Krise mal passiv mal reaktiv verwaltet oder es werden unter dem Vorwand der Krisenbewältigung Geschenke mit Schleifchen unters Volk geworfen. Bisher wohl teuerstes Beispiel, die Mehrwertsteuersenkung. Leute, die ihre beiden Urlaubsreisen gestrichen haben, weder in die Kneipe noch ins Bordell gehen können, haben nicht notwendig gerade zu wenig Geld für Anschaffungen. Sicher gibt es auch Leute, die empfindliche Einkommenseinbußen haben, für die ist die Ersparnis bei der Mehrwertsteuer aber ein Klax. Auch der Elektrohändler um die Ecke, der seinen Laden schließen musste, hat nix davon. Mit den 20 Mrd. Euro hätte man theoretisch auch etwas sinnvolles machen können. In die derzeit gültige Währung umgerechnet wären das 1,25 Milliarden Impfdosen von Biontech und umgerechnet in AstraZeneca-Dosen würde es schon bald für die ganze Weltbevölkerung reichen.



Es ist ein Mangel an Kreativität und Utopie womit wir durch die Krise schlittern wie durch eine nicht enden wollende Geisterbahn. Wobei die Opposition auch nicht von anderen Ideen glänzt. Sicher gibt es auch einen Mangel an Ehrlichkeit, aber die ist in der Politik ohnehin ein rares Gut. Irgendwie muss ich bei diesem Satz gerade an die AfD denken.



Es geht jetzt nicht nur darum, einfach die Daumenschrauben irgendwie anzuzurren. So à la Merkel: bei einer Inzidenz von 45,5 dürfen noch 5 Menschen aus drei Haushalten ab dann nur noch 4 aus 2 Haushalten etc. und am Ende beklagt man sich wiedereinmal auf der Pressekonferenz, dass die Ministerpräsident*innenrunde das schöne Konzept zerpflückt hat. Das ist ja auch nicht besonders schwer, wenn solche Konzepte vor der Runde mit den Ministerpräsident*innen irgendwo zwischen Tür und Angel zusammengepusselt werden. Wo es keine wirkliche Linie gibt, ist es dann auch leicht, nachträglich noch hie und da davon abzuweichen. Merkel hat dann regelmäßig am Ende ein bisschen Recht und wir etwas später dann doch den längeren Lockdown.



Statt sich am Hin und Her von Öffnung kontra Restriktionen abzuarbeiten, könnte man ja auch einmal ein wenig flexibel reagieren. Zum Beispiel so: Okay wir öffnen nun die Kitas, Grundschulen und Abschlussklassen, aber nur dort wo die Inzidenz niedrig ist und gleichzeitig tun wir an anderer Stelle etwas, damit die Fallzahlen nicht wieder überschießen, z. B. indem wir wieder eine nächtliche Ausgangssperre verhängen. Diese wirkt zwar eher als eine Art Besuchseinschränkung, was so niemand sagt, aber die Entwicklung der Zahlen in verschiedenen Bundesländern spricht für die Wirksamkeit.



Auch andere kreative Schritte wären möglich. Zum Beispiel gibt es mittlerweile belastbare Daten, die zeigen, dass auch bei dem hierzulande hauptsächlich verwendeten Impfstoff von Biontech/Pfizer der Impfschutz durch die erste Dosis nicht viel geringer ist, als der durch beide Dosen. Man kann also mit zwei Dosen entweder eine Person zu 95 % schützen oder zwei zu jeweils 85 %. Bei knappem Impfstoff erreicht man rasch mehr Wirkung, wenn man den Abstand zwischen erster und zweiter Impfung erhöht. In Großbritannien wird das seit längerem schon so gemacht. Vor kurzem hat es der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach auch nochmal so vorgeschlagen. Aus dem Gesundheitsministerium kam erstmal Schweigen, vermutlich weil man solche Entscheidungen nach Brüssel delegiert hat. Nun ist halt eine andere Behörde zuständig, haben wir nix mit zu tun. Klopfen Sie bitte nebenan, wir legen ihnen dafür demnächst wieder irgendetwas mit Schleifchen vor die Türe. Entweder wir tun das oder ein anderes Ministerium.



Es geht nicht nur um einen Mangel an Kreativität, es geht auch um einen Mangel an Utopie. Die Utopie kann in diesem Fall zwar nicht die wirklich bessere Gesellschaft sein, aber etwas mehr greifbares und begreifbares als das Ergebnis eines Bund-Ländergipfels mit diesem und jenem Kompromis und bestenfalls einer Zahl als Ziel sollte es schon sein.



Es gehört zu den Vorteilen von Nocovid und Zerocovid, dass da ein Ziel sichtbar wird, ein Ziel, das man mit gewissen gemeinsamen Anstrengungen erreichen kann. Das wäre etwas anderes als mit einem Bündel repressiver Maßnahmen jedes mal wieder der längst verpassten Kurve bei den Fallzahlen hinterher zu laufen. Doch während das Virus mutiert, erweist sich die deutsche politische Szene als hochgradig lernunfähig.
Audio
08:13 min, 11 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.02.2021 / 16:00

Dateizugriffe: 118

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 24.02.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Kein Skript vorhanden.

Kommentare
24.02.2021 / 18:04 gesendet in sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
ab 17 Uhr
danke