Das social Distel-Ding – Schlupflöcher offen halten und von schwarzen Schafen sprechen

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Teil 67 der Kolumne aus dem social distancing - Diesmal mit dem Korruptionsskandal der Union
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Upload vom 11.03.2021 / 19:58

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 11.03.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das social Distel-Ding 67

Jeder tut was er kann und versorgt auch seinen Nebenmann.
Nein, das social Distel-Ding hat nicht aufgehört zu Gendern, sondern beschreibt hier nur die offensichtlichste Einstellung vieler in der Union. Nachdem nun passend zum Start des Superwahljahres 2021, das mitten im Pandemiejahr 2 liegt, die letzten Selbstbereicherungsversuche von zwei Unions-Politikern bekannt wurden, zeigt sich dieses Motto einmal mehr bewahrheitet.
Denn auch wenn gerade von schwarzen Schafen gesprochen wird, die die gesamtgesellschaftliche Krise genutzt hätten um sich selbst über Provisionen zu bereichern, zeigt das nur einen Teil der Tatsachenbetrachtung.
In diesem Skandal sind viele Ebenen vorhanden, die gemeinsam das vielschichtige politische Parkett einer seit vier Legislaturperioden regierenden Volkspartei zusammensetzen.
Die Ebene die gerade gerne in den Vordergrund gerückt wird, ist die persönliche. Löbel und Nüßlein, die verdorbenen Charaktere, die mit ihrem Verhalten all die aufopferungsvoll für die Gesellschaft arbeitenden Unions-Abgeordneten in ein falsches Licht rücken. Wer sich an Maskengeschäften selbst bereichert, der habe in der Unions-Fraktion keinen Platz mehr und solle sich bei ihm melden, sagte Armin „Influenzer-Vater und van Laak Maskenkäufer“ Laschet. Die schwarzen Schafe sollen also aussortiert werden.
Danach sollen sie dann auf einer anderen Eben durch bessere Mandatsträger*innen ausgetauscht werden. Von den Unions-Delegierten in den Wahlkreisen und Ländern. Also von denjenigen, die zuvor die schwarzen Schafe für das Amt aufgestellt haben. Dass die Basis in den Wahlkreisen und Ländern aber scheinbar kein Problem mit zweifelhaften Geschäften neben dem Mandat hat, zeigt da relativ eindeutig der Fall Amthor in Mecklenburg-Vorpommern.
Diese neuen Mandatsträger*innen, unter denen sicherlich keine schwarzen Schafe mehr sind, sollen dann auf der Ebene der Unionsfraktion wieder nach bestem Wissen und Gewissen dem Fraktionszwang folgen und dann angeblich nicht mehr das machen, was die Union mindestens in den letzten 10 Jahren ausgemacht hat:
Den engen Austausch zwischen Wirtschaftsvertreter*innen und Politiker*innen aufrechterhalten und vor störenden Einflüssen wie einem funktionstüchtigen Lobbyregister mit legislativem Fußabdruck aller am Gesetz beteiligten Lobbyverbände zu bewahren. Sie sollen scheinbar nicht mehr dafür Sorge tragen, dass der ziemlich direkte Übergang von Mandatsträger*innen in die Vorstandsetagen der Großkonzerne nicht verbaut wird. Sie sollen scheinbar nicht mehr das Recht verteidigen auch weiterhin gutdotierten Nebentätigkeiten nachgehen zu können. Sie sollen sich also scheinbar nicht mehr gegen die Gesetzesentwürfe der Opposition und teils sogar der Koalitionspartner*innen stellen, die seit einem Jahrzehnt versuchen diesen Praktiken einen Riegel vorzuschieben.
Denn nur so würde verhindert, dass die Hinterzimmerpolitik funktioniert, die seit Jahrzehnten die eigene Wirtschaftselite höher stellt als die direkten Belange und den Schutz der Bevölkerung. Egal ob Dieselskandal, Lieferkettengesetz, Tierschutzbestimmungen, Luftverschmutzung oder auch nur die Lebensmittelampel, immer wieder ist die Handschrift der Lobbyvertreter*innen zwar zu lesen, aber nicht direkt nachweisbar.
Und dafür sorgten all die guten Abgeordneten, die jetzt mit dem Finger auf die schwarzen Schafe zeigen, weil diese die von ihnen allen bewusst offen gelassenen Schlupflöcher zur eigenen Bereicherung ausnutzten. Oder besser gesagt, weil sie sich in einem Superwahljahr dabei haben erwischen lassen.
Jetzt ist also wieder die Rede davon, dass es Selbstverpflichtungen braucht, dass es nicht zu Verallgemeinerungen kommen darf, weil ja nur eine Minderheit es ausgenutzt hat.
Aber sind wir mal ehrlich: Wenn es in einem anderen Zusammenhang in der Bundesrepublik zu einer Selbstbedienungsmentalität der einfachen Bürger*innen kommt, ist die Union diejenige die mit am lautesten nach Gesetzesverschärfungen schreit.
Wehe den Hartz IV-Beziehenden, die es wagen sich an dem System zu bereichern, die ein schönes Leben auf Mallorca führen und nicht arbeiten wollen. Wenn solch ein Fall bekannt wird, dann müssen alle Hartz IV Beziehenden entmenschlichende Kontrollen, Misstrauen und unzählige Beantragungschritte mit kurzen Fristen über sich ergehen lassen.
Wehe den einfachen Menschen, deren Regelübertretung in die Öffentlichkeit gezerrt werden kann und deren Bestrafung gefeiert wird. Wehe den Asylbewerber*innen, wenn einzelne in den überfüllten und menschenunwürdigen ANKER-Zentren ausrasten. Wehe allen, die unten sind, die keinen Zugang zu den Hinterzimmern haben, auf die herabgeblickt wird.
Und es passt ins Bild. Das System der Bundesrepublik ist über weite Teile so aufgebaut, dass es auf dem Papier gerecht ist, aber diejenigen, die schon oben sind, es sich eben noch etwas gerechter gestalten können. Wer sich keine Steuerberatung leisten kann, bekommt weniger Rückzahlung. Wer wenig Geld hat, bekommt keine Zinsen, während an den Aktienmärkten eine fehlende funktionstüchtige Transaktionssteuer auch weiterhin unglaubliche Vermögenssteigerungen möglich macht. Wer zur Miete lebt, darf um seine Bleibe bibbern, während alleine die Androhung eines Mietendeckels als Enteignung gelten soll. Wer eine kleine Firma hat und kein Konto in einer Steueroase fühlt sich ausgenommen. Wer eine große Firma hat, führt die Gewinne einfach außer Landes und zahlt nichts für die genutzte Infrastruktur.
Was bleibt ist ein Ergebnis, das in einer Demokratie Anlass zur Sorge gibt:
Wer versucht nach bestem Wissen und Gewissen Steuern zu zahlen und das Gemeinwohl im Blick zu behalten, fühlt sich verarscht. Die Ellenbogenmentalität, oder besser, das Nach-unten-treten, ist Staatsräson, Politiker*innen die nicht für sich einen Vorstandsposten aushandeln selber schuld, die Wirtschaft das Ziel, die Gesellschaft und das Allgemeinwohl der Wurmvorsatz, der Schmerzen verursacht und eingehegt werden muss.
Und ja, es mag sein, dass all diese Verhaltensweisen zutiefst menschlich sind. Nachvollziehbar, weil Einzelne sich eben wichtig fühlen wollen, sich auf einer Stufe mit den reichen und angesehenen Wirtschaftsbossen sehen und sich an deren Regeln orientieren. Und es ist auch so, dass dieses Verhalten nicht ein rein Unions-spezifisches Problem ist, sondern überall dort vorkommt wo eine Partei zu lange an der Macht ist und die Verbindungen zu eng geworden sind. Bei der SPD merken wir das beispielsweise bei Fragen zum Klimawandel und RWE oder VW.
Aber es bleibt uns social Distel-Dingern eben auch in Erinnerung, dass von uns verlangt wird jede neue Regelung einzuhalten, unsere eigenen menschlichen Bedürfnisse zurückzunehmen und denjenigen zu vertrauen, die angeblich nur unser aller Bestes im Sinn haben. Zum Glück ist aber Wahljahr und dieser Skandal vielleicht die Chance endlich diejenigen ins Amt zu bringen, die bereit sind, auch Regelungen einzuführen, die sie selbst einschränken. Dafür benötigen wir aber eine allgemeine Bewusstseinsänderung:
Politik an sich ist kein schmutziges Geschäft, es ist nur dann schmutzig, wenn niemand hinschaut und die Öffentlichkeit außen vor gehalten wird.
Es ist nichts Anrüchiges daran im Superwahljahr Wahlkampf für Kandidat*innen zu machen, wenn diejenigen die man selbst unterstützt wirklich glaubhaft Probleme lösen wollen. Und es ist auch nichts anrüchig daran, sich selbst in einer Partei zu engagieren und für die Partei einzusetzen.
Nicht alle Politiker*innen sind korrupt, aber diejenigen, die die Korruption nicht proaktiv durch Gesetze und Regelungen behindern wollen, sind mitverantwortlich. Sie aus den Parlamenten zu entfernen ist theoretisch Aufgabe der Parteispitze, aber vor allem liegt es in der Verantwortung der Parteibasis diese Leute abzustrafen.
Und natürlich stehen am Ende die Wählerinnen und Wähler, die es in der Hand haben, diejenigen in Amt und Würden zu bringen, denen sie am wenigsten misstrauen. Denn das Vertrauen ist verspielt!

Kommentare
12.03.2021 / 18:06 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 12.3.. Vielen Dank!