Albert Jörimann - Argentinien-Kredit des IWF

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Ich lese vom neuen Abkommen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und Argentinien, mit dem die Zahlungsunfähigkeit des Landes wieder einmal abgewendet wurde. Der 45-Milliarden-Dollar-Kredit aus dem Jahr 2018 wird umgeschuldet, und zwar so, dass Argentinien in den nächsten zehn Jahren keine Zinsen dafür bezahlen muss; die Zinsen werden stattdessen auf den Kredit aufgerechnet, was bei einem Satz von sagen wir mal 2 Prozent pro Jahr eine Aufstockung um gut eine Milliarde bedeuten würde, will sagen, im Jahr 2032 ist Argentinien gegenüber dem IWF mit 55 Milliarden in der Kreide.
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10:58 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.02.2022 / 11:53

Dateizugriffe: 72

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 01.02.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich lese vom neuen Abkommen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und Argentinien, mit dem die Zahlungsunfähigkeit des Landes wieder einmal abgewendet wurde. Der 45-Milliarden-Dollar-Kredit aus dem Jahr 2018 wird umgeschuldet, und zwar so, dass Argentinien in den nächsten zehn Jahren keine Zinsen dafür bezahlen muss; die Zinsen werden stattdessen auf den Kredit aufgerechnet, was bei einem Satz von sagen wir mal 2 Prozent pro Jahr eine Aufstockung um gut eine Milliarde bedeuten würde, will sagen, im Jahr 2032 ist Argentinien gegenüber dem IWF mit 55 Milliarden in der Kreide.

Soweit wird es aber nicht kommen; ich prophezeie, dass Argentinien schon im nächsten Jahr den Kredit neu verhandeln will, und der Internationale Währungsfonds wird darauf einsteigen, weil er kein Interesse daran hat, Argentiniens andere Kreditoren im Regen stehen zu lassen einerseits und das Land selber absaufen zu lassen; zwar beläuft sich das Bruttoinlandprodukt nur auf ungefähr 1 Billion US-Dollar im Vergleich zu den 15 Billionen in Brasilien, das allerdings auch 220 Millionen Bewohner:innen zählt gegenüber 46 Millionen in Argentinien, aber trotzdem. Das ebenfalls benachbarte Bolivien erwirtschaftet mit seinen 12 Millionen Bewohner:innen 41 Milliarden Dollar, allerdings mit einer gründlich anderen Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur; nur schon in Sachen Bildungsstand gilt Argentinien als eines der fortgeschrittensten Länder auf dem latein­ameri­kanischen Kontinent. Das ist vermutlich auch gerade der Grund dafür, dass die Argentinier:innen in regelmäßigen Abständen den Staat in Grund und Boden regieren; sie haben die Mechanismen der modernen Staatsfinanzen begriffen und ziehen die Lehren daraus für ein Land, das auf absehbare Zeit keine Chance hat, ein ordentlicher Player auf dem Markt der Nationen zu werden.

Ich lese, dass die argentinische Zentralbank mit dem neuen Abkommen in diesem Jahr die Geldmenge nur noch um 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts ausweiten darf statt wie im letzten Jahr um 3.7 Prozent; damit wurde selbstverständlich das Staatsdefizit mindestens teilfinanziert. Im Jahr 2024 soll dann gänzlich Schluss sein mit der Ausweitung der Geldmenge zuhanden des staatlichen Haushaltes. Selbstverständlich, selbstverständlich, wie gesagt, nächstes Jahr wird wieder neu verhandelt. All dies geschieht ziemlich transparent hinter nicht vorhandenen Kulissen des argentinischen Polittheaters, wo Vizepräsidentin Cristina Fernandez de Kirchner die Fäden zieht, nicht zur Begeisterung von Präsident Alberto Fernandez, der mit Cristina meines Wissens nicht verwandt ist. Cristina Fernandez de Kirchner ist die Frau von Nestor Kirchner, der das Land von 2003 bis 2007 regiert hatte; als er sich zurückzog, kandidierte sie als seine Nachfolgerin und wurde mit einem guten Ergebnis gewählt und im Jahr 2011 im Amt bestätigt; 2015 unterlag sie Mauricio Macri, der vier Jahre lang eine angeblich liberalkonservative Politik betrieb und in dessen Amtszeit denn auch die Vergabe des wunderbaren 45-Milliarden-Kredites durch den IWF fiel. 2019 ging die Macht dann zurück an den Fernandez-Kirchner-Clan, wobei Cristina sich nicht mehr direkt zur Wahl stellte, sondern als Vizepräsidentin unter Alberto Fernandez antrat. In der Frage des IWF-Kredites sind Alberto und Cristina nicht gleicher Meinung; Cristina wettert dagegen, weil sie darin eine Art von Schmiergeldzahlung an den Präsidentschafts-Nachfolger Mauricio Macri sieht, was übrigens auch vom IWF selber unterdessen bestätigt wurde, aber das tut nichts zur Sache. Alberto ist dafür, und dieser Streit wird wie gesagt zu Neuverhandlungen im nächsten Jahr führen.

Die Inflationsrate schwankt in Argentinien in der Regel zwischen 7 und 70 Prozent; im Moment, das heißt im letzten Jahr stand sie bei 51%, das ist der zweithöchste Wert der letzten 30 Jahre.

Was soll's! Die multilateralen Geldgeberinnen tragen mehr oder weniger jedes Risiko, vor allem dann, wenn ein Präsident ihre ideologische Flöte spielt, wie im Fall von Mauricio Macri; bei Cristina Fernandez de Kirchner liegt der Fall etwas anders, aber so richtig fallen lassen werden die Weltbank und der IWF auch sie nicht, auch wenn sie weiterhin eine sogenannt peronistische Politik betreibt, also eine Art rechtslastige Sozialdemokratie mit vielen Verstaatlichungen und der Ausschüttung von Sozialleistungen durchaus auch an die Bedürftigen im existentiellen Sinne und nicht an die Bedürftigen im Kapitalsinne, wobei es eben im Wesen der Sozialdemokratie liegt, egal, ob links oder rechts, dass sie die Bedürftigen in allen Lagern berücksichtigt. Auf der rhetorischen Ebene anders gewickelt ist im Vergleich dazu Gabriel Boric, der neue Präsident Chiles. Chile weist bei einer Bevölkerung von 18 Millionen Menschen ein Bruttoinlandprodukt von 285 Milliarden Dollar aus, etwa 25'000 Dollar pro Kopf, marginal höher als Argentinien; Chile nimmt seine staatlichen Institutionen deutlich ernster als Argentinien, und somit kann man hier mit einer linken Ausgabe einer sozialdemokratischen Regierung rechnen. Die Kraft des Faktischen wird auch den Linken Boric dazu bringen, die Besitzerinnen der Produktionsverhältnisse in der einen oder anderen Form zufrieden zu stellen; aber selbstverständlich hat er Spielraum genug, um den nicht privilegierten Bevölkerungsschichten höhere Lebensstandards und vor allem einen besseren Zugang zur Bildung und zu weiteren Infrastrukturen zu verschaffen, und daran wird man seine Regierung sehr schnell einmal messen.

Am letzten Donnerstag hat's wieder mal gekracht an der Grenze zwischen Kirgisien und Tadschi­kistan. Zivilisten hatten eine Verbindungsstrasse blockiert, und bei der darauf folgenden Räu­mungs­aktion gaben Truppendetachemente auf beiden Seiten Schüsse ab. Verschiedene Verletzte und ein Todesopfer wurden gemeldet; dann sorgte Stanislav Zas, der Generalsekretär der Organisation für einen gemeinsamen Sicherheitsvertrag, mit ein paar Telefongesprächen wieder für Ruhe im Kar­tong. Im April des vergangenen Jahres hatte es bei einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Ländern 50 Todesopfer gegeben. Die Grenze zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken sei auch heute noch nicht überall genau festgelegt, meldet dazu die Nachrich­ten­agentur Euractiv.

Diese Nachrichtenagentur, welche mir täglich die wichtigsten politischen Schlagzeilen aus allen EU-Mitgliedländern serviert, bittet übrigens auch um Spendengelder der Leser:innen, ähnlich wie zum Beispiel der englische Guardian oder auf weltweiter Ebene der unabhängige Almanach Wikipedia, mein immer wieder gern zitiertes schlaues Buch des Fähnlein Fieselschweif. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Euractiv und Wikipedia: Euractiv hat schon vor zwei Jahren die Unterstützung durch Facebook bekannt gegeben, ich erinnere mich an den bezahlten Artikel über die Lieferung von Spitalbetten oder vielleicht auch nur von Spitaldaten nach Spanien durch Facebook, ich meine, diesen Artikel auch an dieser Stelle zitiert zu haben, weil mir der Zusam­men­hang zwischen Facebook und dem spanischen Gesundheitssystem einfach nicht einleuchten wollte. Heute ist Euractiv einen Schritt weiter; auf der Titelseite heißt es, dass Goldman Sachs als Sponsor für diese Redaktion figuriert. Auch hier scheinen spontan ganze Reihen von Fragen auf, zuvorderst natürlich diejenige, ob Goldman Sachs innerhalb von zehn Jahren vom globalen Schurken zum globalen Heilsbringer geworden ist, ich erinnere aus aktuellem Anlass an den Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi, der in Italien gegenwärtig die einzige Person oder Gestalt oder Figur nicht nur zu sein scheint, sondern auch tatsächlich ist, die eine gewisse Garantie dafür bietet, dass die EU-Knete nicht gleich am Tag ihres Eintreffens für die vollumfängliche Handlungsunfähigkeit der Regierung sorgt. Das ist sowieso ein historisch einmaliges Ereignis: dass man diesem weitgehend zerrütteten Organismus derartige Geldsummen in den Rachen wirft, eben, ohne andere Sicherheiten als einen gestandenen Goldman-Sachs-Banker. Mit Beppe Grillo wäre so etwas undenkbar; wieso eigentlich? – Aber ich schweife ab, obwohl ich gerne noch weiter geschweift wäre und Italien dabei gerne mit Argentinien verglichen hätte, als dessen wichtiger Bevölkerungslieferant ja das Ursprungsland Italien gilt – allerdings sind solche Vergleiche nicht viel mehr als vergnüglich, in Tat und Wahrheit mag Italien zwar das Lateinamerika Europas spielen, aber es weist doch ganz anständige Makrodaten auf mit einem Bruttoinlandprodukt von 2 Billionen Dollar bzw. 42'000 Dollar pro Kopf bei einer Bevölkerung von 62 Millionen. Wie auch immer: Die Frage lautet, ob Goldman Sachs vielleicht unterdessen mutiert ist zur einzigen verbliebenen handlungsfähigen Institution der modernen europäischen Gesellschaft? Sind wir tatsächlich so weit gesunken, nachdem wir wie gesagt vor zehn Jahren noch die verschiedenen G7- und G8-Gipfel und ihre Auftraggeber, eben die internationalen Finanzeliten mit ihren Finanzinstituten, allen voran Goldman Sachs, lauthals kritisiert und bekämpft haben und dagegen auf die Straßen gegangen sind? – Vermutlich nicht; aber die finanzielle Unterstützung von Medien wie Euractiv bestätigt auf eindrückliche Weise die Substanz des sozialdemokratischen Medienkonsens: Goldman Sachs hat selbstverständlich alles Interesse an einem stabilen Investitionsumfeld, und zwar nicht in erster Linie zu Spekulationszwecken, sondern eben für das normale Geschäft, von welchem die Spekulation wohl auch ein Teil ist, aber gerade in den letzten zehn Jahren ein eher kleinerer Teil. Sagen wir: mindestens für PR-Zwecke ein eher kleinerer Teil. Für PR-Zwecke greift man eben unabhängigen Medien wie Euractiv unter die Arme, wobei Euractiv sowieso von allen Fraktionen im EU-Parlament und allen wichtigen europäischen Organisationen unterstützt wird, ich nehme mal vorsichtshalber an: mit Ausnahme der rechten und rechtsextremen Parteienbündnisse.

Eigentlich kommt mir angesichts dieser umfassenden Kollektion von Trägerorganisationen die Anfrage nach einem Spendenbeitrag von meiner privaten Seite ziemlich frech vor.

Trotzdem und nochmals: Ist Goldman Sachs innerhalb von 10 Jahren die Wandlung vom globalen Bösewicht zum globalen Wohltäter gelungen? Wohl kaum. Nach wie vor ist dieses Institut an sämtlichen größeren Kreditvorhaben auf der ganzen Welt beteiligt, wobei sich der Druck der öffentlichen Meinung durchaus auf die Prioritäten bei den Projekten ausgewirkt haben mag. Mehr Umwelt, mehr Klima, auch mehr Frauenprojekte, das liegt im Zeitgeist. Ähnlich beobachtet man dies auch bei Vertretern des gigantischen Vermögensverwalters Blackrock, und hier darf ich selbstverständlich den neuen CDU-Parteichef Friedrich Merz ausschließen: die entsprechenden Entwicklungen haben eindeutig nach seinem Abgang stattgefunden. Aber sie haben stattgefunden respektive sie finden statt, und die Leute, die sich dagegen zur Wehr setzten, werden jetzt in die Politik abgeschoben, könnte man folgern. Das dürfte auch wieder nicht die ganze Wahrheit sein, und wo man diese findet, also die wirklich ganze und volle Wahrheit, das weiß ich bekanntlich auch nicht, ich bin bloß unabhängig, objektiv und völlig neutral.

Kommentare
02.02.2022 / 08:41 sabine und flo, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet im Mi-Mora
dankeschön !