Kunst und Politik - Leonore Mau

ID 11539
 
Anläßlich der Ausstellung 'Hubert Fichte und Leonore Mau. Der Schriftsteller und die Fotografin' ein Gespräch mit Leonore Mau (geb. 1916).
Audio
01:57:45 h, 27 MB, mp3
mp3, 32 kbit/s, Mono (24000 kHz)
Upload vom 15.02.2006 / 02:01

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Politik/Info
Serie: Kunst und Politik
Entstehung

AutorInnen: Ole Frahm
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 15.02.2006
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Text der Rezension, der die Sendung er�ffnet:

Wilfried F. Schoeller: Hubert Fichte und Leonore Mau. Der Schriftsteller und die Fotografin. Eine Lebensreise. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2005

Selten war ein Titel so irref�hrend: Der Herausgeber des Bandes 'Hubert Fichte und Leonore Mau. Der Schriftsteller und die Fotografin. Eine Lebensreise' Wilfried F. Schoeller hat kein Gef�hl f�r Fotografie, keinen Blick f�r Bilder und � schlimmer noch � kein ausgesprochenes Interesse. So wie der Fernsehjournalist wiederholt betont, dass sich Leonore Mau in ihren Fotos ausdr�ckt und nicht schreibt, so wird ihr Beitrag ganz auf die wieder abgedruckten Fotos reduziert, die offenbar nicht weiter kommentiert, charakterisiert, diskutiert werden m�ssen. Bilder, das lehrt das Vorurteil, brauchen bekanntlich keine Erl�uterungen. Fotos schon gar nicht. Wir sehen schlie�lich, was darauf abgebildet ist.
Dagegen erfahren wir um so mehr von der Arbeit des Schriftstellers. Alles, was wir aus dem Verh�ltnis der beiden K�nstlerinnen erfahren, wird uns durch Fichtes Werk mitgeteilt. Das Buch (der Katalog) ist umfnagreich, nicht zuletzt, weil es ausf�hrlich, zum Teil �ber mehrere Seiten aus den autobiographischen Schriften zitiert. Anders als bei Ausgaben des Marbacher Archivs (an die die Ausgabe in ihrer Ausstattung angelehnt ist) gl�nzt aber der Text nicht durch das viele unbekannte Material aus den Archiven, das neue Aufschl�sse verspricht. Der Herausgeber war augenscheinlich nicht allzu lange im Archiv und �berhaupt scheint Philologie im strengen Sinne seine Sache nicht zu sein � es ist Material zug�nglich, es gibt in Hamburg sogar eine eigene Arbeitsstelle f�r Hubert Fichtes Werk � da erstaunt es schon, dass immer wieder auf Die Geschichte der Pubert�t, sicher ein toller Roman und ein bedeutendes Werk des Autors, zur�ckgegriffen werden mu�, um uns dessen Leben und das Leben von Leonore Mau zu erz�hlen.
Und warum uns alle Cover von Fichtes B�chern in dem Katalog wie in der Ausstellung gezeigt werden, Maus zahlreichen Zeitschriftenver�ffentlichungen aber mit nur zwei Arbeiten vertreten sind, bleibt unverst�ndlich � wenn der Leser oder die Leserin sich nichts b�sartiges denken wollen.
Schon die ersten Seiten sind sinnbildlich f�r das ganze Buch: Es beginnt mit einer Fotostrecke. Zuerst ein wunderbares Foto von Hubert Fichte hinter einer afrika-ni-schen Maske. Er schaut durch ein Auge der Maske, mit dem anderen Auge an der Maske vorbei. Das Foto zeigt so zwei Gesichter: Das der Maske und das von Fichte. Sie �berschneiden sich, sie werden sich durch die starken Schwarz-wei�-Kontraste fast �hnlich. Fichtes Blick ist � durch die Unterbrechung der Maske � verst�rend. Er schaut direkt in das Objektiv, aber ebenso direkt schaut uns die Maske an. Das Bild ist von Leonore Mau und zeigt ihre Qualit�ten als Fotografin. Die n�chste Doppelseite zeigt Fichte links und Mau rechts, Fichte in einem Fotostudioartigen Portrait, die Haare nicht wie auf dem Bild davor wild, sondern sehr glatt, der Bart ist gestutzt, er erinnert eher an den guten Schwiegersohn als an den selbstinszenierten Aussenseiter. Mau fotografiert sich in einer sehr klugen Variation des klassischen Selbstportraits der Fotografin: mit der Kamera in einem Spiegel. Doch das Objektiv der Leica verschwindet fast ganz im Schwarz � es ist das eigentliche Parallelportrait zu Fichte mit der Maske. Was Fichte die Maske ist (ein drittes Auge), ist ihr die Fotografie: ein Fremdk�rper, mit dem sich Fremdes verstehen l��t. Anders als Fichte schaut sie uns nicht an, sondern auf das Objektiv. Ein fast skeptischer Blick, der daran zu zweifeln scheint, was der Apparat der Fotografie vermag. Auch die n�chste Doppelseite zeigt links Fichte, rechts Mau in einer absurden Umkehrung: Es sind Fotos eines Schnellfotografen, das Paar verl��t ein Flugzeug, Mau geht vor, die Fotos sind kurz nacheinander gemacht, aber statt diese Reihenfolge zu lassen, mu� der gro�e Dichter eben zuerst kommen und die sprachlose Fotografin als zweites.
Das setzt den hegemonialen Diskurs �ber Schrift und Bild, aktiv und passiv usw. fort, der doch in den Arbeiten von Mau und Fichte eher verunklart wird. Die Ausstellung funktioniert eher umgekehrt: Die Fotografien von Leonore Mau sind sehr dominant, �ber die Zusammenarbeit mit Fichte oder den Entstehungs-zusammenhang der Bilder ist wenig zu erfahren. Sie sollen eben als Kunst in den Deichtorhallen geadelt werden. Aber wie oft in solchen Institutionen hapert es, wenn K�nstler einen Kunstbegriff haben, der sich dem althergebrachten Kunstbegriff entzieht. Maus 'Kunst' ist f�r Magazine entstanden und selten f�r die Wand. Einige Bilder sind in den Abz�gen unscharf, vertragen das gro�e, nicht reproduzierte Format nicht. In einem Raum sind sogar die Negativstreifen zu sehen und die Fotos sind eher nachl�ssig in die Rahmen gelegt � eine Geste, die eher unverst�ndlich bleibt, denn sie hilft den Bildern wenig.
Am �berzeugensten sind meiner Meinung nach ihre Bilder in Reihen � wie sie in Magazinen ver�ffentlicht werden, oder wie sie in drei Fernseharbeiten des Paares auch verwendet wurden: Maus Fotos werden nacheinander schlicht abgefilmt, w�hrend jemand oder sogar Fichte selbst den Text des Schriftstellers liest. Das sind unglaubliche Dokumente, von denen ich nicht glauben mochte, das sie im �ffentlich rechtlichen Fernsehen gezeigt wurden. Eine handelt von dem Tag eines unst�ndigen Hafenarbeiters. Text und Bild haben einen journalistischen, fast reportagehaften Ansatz und erzeugen aber im Zusammenspiel einen �berschu�, etwas, das sich nicht leicht fassen l��t, die Produktion einer Erfahrung, die wirklich spannend ist.
Dier Film �ber Agadir ist strenger, weniger narrativ: Im Wechsel sind Fotos der nach einem Erdbeben wieder aufgebauten Stadt mit Fotos der Elendsviertel dieser Stadt montiert. Es wirkt wie zwei Diaabende ineinander verblendet. Die S�tze sind gleichlang, jedes Bild hat nahezu einen Satz, manchmal weicht es ab, es ist nicht zu streng, nicht so streng wie die modernen Geb�ude. Winfried F. Schoeller kommentiert das so:
"Von den vier Fotofilmen, die Fichte und Leonore Mau erarbeitet haben, ist dies der lebloseste. Die meschanische Ordnung des Ganzen und die Beziehungslosigkeit zwischen Bild und Text lassen dieses Projekt scheitern." � So urteilt der Ahnungslose. Die B�sartigkeit der modernistischen Strenge angesichts des modernistischen Bauprojekts, sogar ihre Notwendigkeit bleibt dem Urteil des Literaturkritikers verborgen. Er sucht Leben, wo es um die Erstarrung des Lebens durch Stadtplanung geht. Der Vorteil der Ausstellung ist selbstverst�ndlich die Pr�sentation dieses Materials, drei der vier Filme sind dort auf Monitoren zu sehen. Sie sind fast beil�ufig pr�sentiert, dabei sind sie das unzug�nglichste Zeugnis der Zusammenarbeit � die gemeinsamen B�cher Xango, Petersilie und Psyche sind zwar teuer, aber in Bibliotheken einzusehen. Diese Beil�ufigkeit hat sicher damit zu tun, dass die Kuratoren mit der Fernsehform wenig anfangen konnten. Gleiches zeigt sich f�r Fichtes Radiofeatures. Es gibt H�rstationen, unter die sich die Besucher stellen k�nnen, als w�rden die meisten Menschen im Stehen Radio h�ren. Statt eine Sendereihe mit Fichtes Features auszustrahlen (daf�r gibt es nat�rlich bei den �ffentlich-rechtlichen Sendern keine Sendezeiten mehr), wird so eine Rezeptionssituation geschaffen, die es unm�glich macht, l�nger als f�nf Minuten zuzuh�ren. Radio zum Wegh�ren, Ignoranz gegen�ber der Form. Am peinlichsten sind in diesem Zusammenhang die runden 70er-Jahre Teppiche in orange � es sieht aus, als w�re es die Station zum Beamen auf Raumschiff Enterprise.
Trotz aller dieser Einw�nde lohnt die Auseinandersetzung mit dem Werk von Fichte und Mau auf jeden Fall � und nat�rlich k�nnen Ausstellung und Katalog den Werkfremden einen ersten, wenn auch unzureichenden Zugang verschaffen. Es wird doch besser sein, sich direkter mit den Arbeiten der beiden zu besch�ftigen, mit dem seltsamen, aufregenden und noch immer niemals ganz gekl�rten Verh�ltnis zwischen Schrift und Bild.

Kommentare
06.03.2006 / 18:57 wolli, Radio Unerhört Marburg (RUM)
gesendet
am sa., 25.03.06 12:00-14:00