"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - People of Colour

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Ich kann in meinem Kopf kehren, wie ich will, ich finde keine schäbige Denkfaser, welche mir die Gleichzeitigkeit des Erlasses von immer strikteren Sanktionen gegen Russland und des Protestes gegen die mögliche Einschränkung von Gaslieferungen durch dasselbe Russland auf eine Reihe bringt. Am Schönsten zeigt sich der Nonsense bei der famosen Siemens-Gasturbine, die zur Revision in, ich glaube Kanada war, die notwendig ist, um russisches Gas nach Europa zu leiten, die man aber wegen der Sanktionen nicht liefern darf.
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11:53 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 28.07.2022 / 12:01

Dateizugriffe: 80

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 28.07.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich kann in meinem Kopf kehren, wie ich will, ich finde keine schäbige Denkfaser, welche mir die Gleichzeitigkeit des Erlasses von immer strikteren Sanktionen gegen Russland und des Protestes gegen die mögliche Einschränkung von Gaslieferungen durch dasselbe Russland auf eine Reihe bringt. Am Schönsten zeigt sich der Nonsense bei der famosen Siemens-Gasturbine, die zur Revision in, ich glaube Kanada war, die notwendig ist, um russisches Gas nach Europa zu leiten, die man aber wegen der Sanktionen nicht liefern darf.
Scharfer Protest gegen Russland. Das ist doch einfach unmöglich!, respektive, das, was von den Medien als Öffentlichkeit bedient wird, muss mit einem Bewusstsein ausgestattet sein, das in der menschlichen Entwicklung ungefähr mit zwei Jahren erreicht wird. Ich trete dir ans Schienbein und jammere anschließend, dass ich von dir keine Schokolade kriege. Achso, der Tritt gegen das Schienbein war eine Vergeltung dafür, dass du meine Schwester geschlagen hast. Na, das erklärt dann alles.
Und noch gute Nachricht: Der älteste in Gefangenschaft lebende Riesenpandabär An An ist im Alter von 36 Jahren gestorben. Weshalb das eine gute Nachricht ist: Damit ist die Pandamie endlich zu Ende!

Aber zurück. Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er sich aufregt, wo nicht empört, hat schon Friedrich Schiller geschrieben, und insofern bin ich ganz Mensch, übrigens nicht nur in diesen schwierigen Zeiten, sondern immer, und die Zeiten sind sowieso immer schwierig. Das Verhältnis zwischen Medien und öffentlichem Bewusstsein ist ein zuverlässiger Grund zur Aufregung, mal wegen des öffentlichen Bewusstseins, mal wegen der Medien, die zu allem Übel laufend und lautstark für sich in Anspruch nehmen, die vierte Gewalt im Staate zu sein und eine ungemein wichtige Aufgabe bei der Vermittlung kritischer, objektiver und neutraler Informationen auszuführen. Nun – es geht so. Hin und wieder zitiere ich an dieser Stelle ein paar Beispiele aus meinem engeren Konsuma­tions­bereich, aus der jüngsten Vergangenheit fällt mir gerade eine Umfrage ein zum Thema, ob die Schweiz der Nato beitreten beziehungsweise ihre Neutralität aufgeben solle. Die Umfrage richtete sich übrigens an Bewohner:innen der Schweiz, nicht an Finninnen oder Türkinnen. Jedenfalls gab es so ein Zufallsprodukt, wie es in den Umfragen immer wieder entsteht, und der entsprechende Artikel aus dem Tintenfass meiner Tageszeitung lautete: Die Schweizer:innen plädieren für einen Beitritt zur Nato. Grundfalsch, meine Damen und Herren; eine Umfrage und ihre Ergebnisse haben mit einem Plädoyer nicht die Bohne zu tun, nur schon da die Bevölkerung oder Teile von ihr schon gar nicht in der Lage sind zu plädieren.

Wie ebenfalls schon verschiedentlich gesagt, ist dies kein Grund, den sozialdemokratischen Me­dien­konsens als Systemmedien zu verschreien, es steht neben viel Bruchsal auch einiges an Information zur Verfügung, und zwischendurch bringen anständige Recherchen und Enthüllungen verschiedene Dinge an den Tag, die man schon längstens gewusst hatte, aber nicht belegen konnte. Dochdoch, das leisten die Medien zwischendurch auch, mindestens jene, für die ich bezahle. Und sie halten mich im Rahmen ihrer redaktionellen Raster auch über die Entwicklungen auf dem Laufenden in einigen Bereichen, die ich für relevant halte und in die ich mich nicht jedesmal von Grund auf einarbeiten und einlesen mag. Umfassend sind sie jedoch nicht; zum Beispiel die Berichterstattung über Turkmenistan lässt im sozialdemokratischen Medienkonsens zu wünschen übrig, weshalb ich mich notgedrungen an die staatliche Nachrichtenagentur TDH halte. Dieser entnehme ich, dass der turkmenische Präsident am 9. Juli per Dekret Annamyradow Dowletgeldi Meretgeldiyewitsch zum Gouverneur des Distrikts Boldumsaz in der nördlichen Provinz Dahoguz ernannt hat; laut Google Maps liegt die Stadt Boldumsaz etwa zehn Kilometer südlich der Grenze zu Usbekistan und nennt sich eigentlich Zahmetkesch. Sehr erstaunlich. Gleichzeitig wurde der stellvertretende Gouverneur Bayramdurdjew Gurbandurdy entlassen. Über Annamyradow Dowletgeldi Meretgeldiyewitsch finde ich leider auf dem Internet keine weiterführenden Informationen, es wäre verdienstvoll, wenn der Zürcher Tages-Anzeiger dem einmal nachgehen täte. –

Wie auch immer: Am 20. Juli eröffnete Präsident Serdar Berdimuhammedow feierlich ein Service- und Reparaturzentrum für Kraftwerkeinrichtungen; bei diesem Anlass ergriff auch der stell­ver­tre­tende Europachef für Gaskraftwerke von General Electric,ein Herr Brice Raisin das Wort. GE hat dieses Zentrum offenbar auch zertifiziert. Dann war die Reihe an Harald Apel vom Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnologie in Kassel, den ich allerdings beim besagten Institut nicht finde, dafür gibt es einen Betriebswirtschaftler dieses Namens an der Hochschule Magdeburg Stendal. Danach verlieh der Leiter der Abteilung Energie des deutschen TÜV in der Republik Österreich, ein gewisser Herr Anton Lepikson, dem Zentrum das High-Quality-Zertifikat des TÜV Österreich. Diesen Herrn Lepikson finde ich in einem Eintrag für Malta, auch in Großbritannien soll er ein Mandat haben, aber ich müsste für den Auszug aus diesem internationalen Rechercheregister 20 Euro bezahlen, und das will ich nicht. Jedenfalls auf der Webseite des TÜV Österreich taucht er nicht auf.

Professor Bernd Reinhold, nicht Raisin, sondern Rosin von der Universität Duisburg-Essen, der größten Universität Deutschlands, überreichte sodann ein Zertifikat, welches besagt, dass das Service- und Reparaturzentrum für Gaskraftwerke ökologisch sauber sei und der Umwelt in keiner Art und Weise Schaden zufüge. Auf der Webseite der Universität Duisburg-Essen hat man allerdings Professor Rosin komplett vergessen. Nichtsdestotrotz schritt man nach der erfolgreichen Übergabe des Zertifikats zu einem Rundgang im Zentrum, das übrigens vom türkischen Unter­neh­men Çalik Enerji Sanayi ve Ticaret A.Ş. erstellt worden ist. Dann verabschiedete sich Präsident Serdar Berdimuhammedow und begab sich zum Konsultativtreffen der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan in Kirgisien, das mit bilateralen Gesprächen mit dem gastgebenden kirgisischen Präsidenten Sadir Tschaparow begann. Da an diesem Treffen aber keine hochrangigen Wissenschaftler europäischer Universitäten vom Kaliber der Herren Apel, Lepikson und Rosin teilnahmen, verlasse ich es auch gleich wieder, um mich anderen Dingen zuzuwenden. Zum Beispiel der Sprache.

Dass man den Begriff Neger aus dem Verkehr gezogen hat, ist logisch. Darin sind alle abschätzigen Gefühle und Werte, welche die Weißen der schwarzen Rasse gegenüber pflegten, in ziemlich reiner Form ins Wort gefasst. Es verdiente der genaueren Untersuchung, wie die Ausmusterung konkret von sich ging; man kann es sich so vorstellen, wie es immer abläuft, an den Stammtischen und seit fuffzehn Jahren im Internetstammtisch heißt es noch eine Weile, ich sage Neger, wann es mir passt, und dann ist irgendwann mal Ruhe, und auch am Stammtisch spricht man über Schwarze. Sollte ich jetzt noch anfügen: auch an den Stammtischen in Dresden? – Nein, das wäre unfair gegenüber der Allianz für Deutschland, deren rechter Flügel ja in Thüringen flattert. – Dass umgekehrt die Schwar­zen mindestens in den USA mindestens zu Teilen darauf beharren, sich untereinander als Nigga zu bezeichnen, muss man als Laune des Weltgeistes hinnehmen; wir nennen uns unter­ein­ander ja auch Digga oder Alter. Alles im Lot insofern; aber der Weltgeist macht nicht Halt, sondern fordert uns unterdessen mit dem Ausdruck «People of Colour» heraus. Das scheint einer der sieben Achttausender-Gipfel der Political Correctness zu sein, was ich aber stark in Zweifel ziehe, denn mit diesem Ausdruck wird aus einer normalen Bezeichnung für die Hautfarbe, also für jenes Rassen-Merkmal, das auch beziehungsweise vor allem den dümmsten Kartoffeln ins Auge springt, plötzlich wieder ein rassistischer Begriff, indem er die weiße Rasse abtrennt von allen farbigen. In Südafrika hieß das dunnemals unter der Apartheid noch «Non-Whites». Ich weiß nicht, wer sich diese wunderbare Bezeichnung in welchem gedanklichen antirassistischen Höhenflug aus den Fingern gesaugt hat, ich tippe vorsichtshalber auf irgendeine Emanzipationsbewegung in den Vereinigten Staaten, aber diese Schöpfung ist gründlich misslungen.

Sprechen wir von etwas anderem. Eine Bekannte von mir kaufte anfangs Monat ein Bahnbillett nach Berlin, also nicht so ein 9-Euro-Ticket, sondern ein ganz normales Billett, Hin- und Rückfahrt in einem Intercity. Letzte Woche erhielt sie von der Deutschen Bahn eine Mail mit der Mitteilung, dass das Ticket annulliert werden müsse, weil, ich weiß nicht weshalb, jedenfalls müsse es annulliert werden. Unten auf der E-Mail-Mitteilung befand sich ein Knopf, mit dem man alternative Reiseangebote suchen und buchen konnte. Die Bekannte drückte diesen Knopf und fand unter den alternativen Reiseangeboten den gleichen Zug, den sie zuvor gebucht hatte, bloß jetzt 40 Euro teurer. Sie versuchte trotzdem diese alternative Buchung, die also die selbe war wie zuvor, bloß 40 Euro teurer, und siehe da, es klappte. Jetzt hat sie für diesen Zug zwei Buchungen und weiß nicht, ob sich die Deutsche Bahn je entschließen wird, ihr eines der Tickets zurückzuerstatten. Was ich damit sagen will: Hier liegt nicht eine Überlastung des Netzes vor, sondern ein erhebliches Chaos auf administrativer Ebene. Es ist das Verdienst der 9-Euro-Ticket-Initiative, gezeigt zu haben, welch eine große Nachfrage für dieses Verkehrsmittel bestehen täte, wenn man es denn nutzen könnte. Dass man nun aber nicht nur betrieblich, sondern auch im Informatik-Bereich den Absturz pro­du­ziert, zeigt einen Handlungsbedarf, der wirklich Notfallausmasse hat. Euer neuer Verkehrsminister muss kurzfristig um die 10'000 Personen auf allen Ebenen einstellen und daneben Planungs- und Bauarbeiten in einem Ausmaß in die Wege leiten, welche alle anderen Planungsvor­haben der Bundesregierung in den Schatten stellen. Rechnung, über den Daumen gepeilt: mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr. Nur so kann es gelingen, jenen Schaden einigermaßen in Grenzen zu halten, welchen die Verkehrsminister seit der Annexion der DDR angerichtet haben. Ich zähle sie auf: Günter Krause, CDU, 1991–1993, Matthias Wissmann, CDU, 1993 bis 1998, Franz Müntefering,SPD, 1998 bis 1999, Reinhard Klimmt, SPD, 1999 bis 2000, Kurt Bodewig, SPD, 2002–2005, Wolfgang Tiefensee, SPD, 2005–2009, Peter Ramsauer, CSU, 2009–2013, Alexander Dobrindt, CSU, 2013–2016, Christian Schmidt, CSU, Oktober 2017 bis März 2018 und Andreas Scheuer, 2018 bis 2021. Nicht zu ihrer Entschuldigung, aber zur Erklärung des Ganzen, also vor allem der Zertrümmerung des Schienennetzes in den neuen Bundesländern, muss man sich in Erinnerung rufen, welchen gewaltigen Absatzmarkt die deutsche Automobilindustrie in diesen Ländern witterte. Das wäre es ja noch gewesen, wenn die Ossis tatsächlich weiterhin mit Zug und Bus gefahren wären, statt sich die Statussymbole des Westens anzueignen. Gleichzeitig mit dem Statussymbol versprach der Westen natürlich auch Arbeit und Arbeitsplätze, und die gab es ja auch tatsächlich, wenn auch nur in homöopathischen Dosen; wir sehen ein Überbleibsel davon in Eisenach. Das war ein echt schlechter Deal, geschätzte Hörerinnen und Hörer. Jetzt solltet ihr die Ärmel hochkrempeln und Eure Infrastrukturen umwelttauglich machen – in West und Ost, versteht sich. Mit einiger Wahrscheinlichkeit entstehen dabei heute mehr Arbeitsplätze als irgendwo sonst in der Wirtschaft.

Kommentare
28.07.2022 / 16:53 Jan, Radio Dreyeckland, Freiburg
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Wenn Du schon über etwas schreibst, um eine Wertung "aus neutraler Sicht" abzugeben, dann solltest Du Dich z. B. über die Turbine "glaub ich war in Kanada" ihr Schicksal und was welche Seite dazu gesagt hat, halt schon vorher informieren. Urteilen kannst Du dann noch immer. Vielleicht ist Dir auch aufgefallen, dass gerade die zweite Turbine ausgefallen ist, während man jahrelang von großen Lieferengpässen wg. Turbinen nix gehört hat.