Psychedelika in der Psychotherapie

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Psychedelika, wie zum Beispiel LSD, hatten in letzter Zeit eine Renaissance und zwar nicht nur in der Partyszene. Besonders in den vergangenen Jahren hat die Wissensschaft einige sehr interessante Erkenntnisse gewonnen. Es gibt nämlich Hinweise darauf, dass Substanzen wie LSD bei psychischen Erkrankungen Abhilfe schaffen könnten. In diesem Beitrag soll es um den aktuellen Forschungsstand von Psychedelika und dem Einsatz von psychoaktiven Substanzen in der Psychotherapie gehen. Außerdem wird auch in die Zukunft geblickt: Wie schaut es bei der Legalisierung aus? Ab wann können wir damit rechnen, dass Psychedelika als Medikamente auch außerhalb von Studien Verwendung finden?
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18:51 min, 24 MB, mp3
mp3, 178 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.02.2023 / 11:14

Dateizugriffe: 1075

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Kultur
Serie: CX- Corax - Wissenschaft - science
Entstehung

AutorInnen: Tagesaktuelle Redaktion
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 20.02.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
(Psychedelische Musik spielt) Wenn man an Psychedelika, wie LSD oder sogenannte 'Magic Mushrooms' denkt, haben viele vermutlich dieses Bild im Kopf: Hippies auf dem Woodstockfestival, die in Trance tanzen und wilde Halluzinationen, die einem entweder vorgaukeln in einer Traumwelt zu leben oder einem die schlimmsten Ängste wortwörtlich vor Augen führen. Wenige Menschen wissen wirklich über die Wirkweise dieser Substanzen bescheid. Dabei hat die Forschung der letzten Jahre gezeigt, was für ein Potenzial psychoaktive Substanzen haben könnten.

1. "Es kommt natürlich auf die Substanz an, es gibt sehr sehr viele Substanzen mit verschiedenen Qualitäten. Ich fange jetzt mal mit den klassischen Psychedelika an. Das ist LSD, Psylocibin, DMT und Meskalin." (Jon) (16 sek)

Jon Keller Munoz ist Psychologiestudent an der Universität Groningen in den Niederlanden. Er beschäftigt sich schon seit einigen Jahren wissenschaftlich im Bereich der Psychedelika, hat aber auch schon persönliche Nutzerfahrungen gesammelt. Jon hat die 'Psychedelic Society Groningen' gegründet, die Aufklärung und Workshops rund um das Thema Psychoaktive Substanzen betreibt. Wir können nach seiner Erklärung den Begriff 'klassische Psychedelika' auf vier Substanzen eingrenzen: LSD, Psylocibin, dem Wirkstoff von 'Magic Mushrooms', DMT und Meskalin. Dieser Beitrag soll sich vermehrt um LSD und Psylocibin drehen. Besonders an diesen beiden Substanzen wurde in den letzten Jahren wieder vermehrt geforscht. Es gab auch schon seit der Entdeckung von LSD, 1943, bis in die 60er Jahre intensive Forschungsbemühungen.

2. "Zum Beispiel Psylocibin und LSD sind sehr ählich wie sie wirken. Man kann sich vorstellen, dass der Filter in unserem Gehirn, der normalerweise unsere Realität für uns kreiert, mit all den Informationen die jede Sekunde reinkommen, dass dieser Filter herabgesetzt wird, und dass plötzlich diese ganzen Informationen stärker durchkommen." (jon) (22 sek)

Filter werden herabgesetzt, man verliert Hemmungen... Das hört sich für mich jetzt noch an wie alle anderen Drogen auch. Was setzt denn dann die klassischen Psychedelika von anderen Substanzen, wie zB Kokain oder Alkohol, ab?

3. "Also der größte Unterschied zwischen den Substanzen ist sicherlich mal das Abhängigkeitspotenzial. Psychedelika machen nicht abhängig. das andere ist die Gefahr der Überdosierung. Mit Kokain oder Alkohol kann man sich, wenn man sehr klar sagt, realtiv einfach umbringen. Das ist bei LSD und Psylocibin fast nicht möglich. Man wird trotzdem natürlich, wenn man eine hohe Dosis hat, mit Sicherheit keine gute Zeit haben und es ist auch mit den entsprechenden Gefahren verbunden, aber es ist nicht der Fall, dass man quasi an der Substanz ausversehen sterben wird." (Katrin) (40 sek)

Dr. Katrin Preller ist Gruppenleiterin an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Zürich. Sie forscht nun schon seit geraumer Zeit aktiv an und mit Psychedelika. Ihren Forschungsschwerpunkt legt sie dabei auf die Wirkweise und das Potenzial dieser Substanzen im Einsatz bei der Psychotherapie.

4. "Und was mich dann da super gereizt hat war, dass wir hier in diesem Forschungsrahmen Substanzensicher einsetzen können (...) irgendwann kam dann natürlich auch die therapeutische Komponente dazu, also wie können wir die Substanzen einsetzen, damit es Menschen mit psychatrischen Erkrankungen besser geht." (Katrin) (32 sek)

Wir haben hier also Substanzen, die nicht süchtig machen, mit denen man nicht überdosieren kann und die Heilungspotenzial in der Psychotherapie aufweisen. Das klingt ja eigentlich fast zu schön um wahr zu sein. Es gibt doch bestimmt auch Gefahren, die mit dem Konsum von Psychedelika einhergehen.

5. "Auch wenn ich sehr leidenschaftlich dabei bin über diese Substanzen zu reden, muss ich wirklich sagen, dass es auch Gefahren gibt. (...) Und wenn diese Leute genetisch veranlagt sind für diese Krankheiten, kann es eben passieren, dass diese Drogen bei einer Traumatischen oder schwierigen Erfahrung der Trigger sein können und diese genetische Prädisposition quasi hervorholen können." (jon) (53 sek)

Bei Psychedelika gilt, wie bei allen anderen Drogen die man konsumieren möchte, auch hier: Vorsicht walten zu lassen. Man sollte sich unbedingt vor einem Konsum genauestens informieren und aller Risiken bewusst sein. Natürlich stellt das auch die Forschung vor Herausvorderungen. Es müssen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Es dürfen nur Menschen an Studien teilnehmen, bei denen sicher ist, dass keine Gefahr für die körperliche und geistige Gesundheit besteht, wenn sie psychedelische Substanzen einnehmen.

6. "Wir führen diese Studien durch mit Patienten, die ein Screening durchlaufen haben. Das heißt, da wurde geschaut, dass sie psychisch und auch körperlich fit genug sind um so eine Substanz einzunehmen. (...) und natürlich werden die TeilnehmerInnen medizinisch und psychologisch überwacht." (Katrin) (44 sek)

Es wird also ein möglichst sicherer Rahmen innerhalb dieser Studien geschaffen. Es gibt oft Ausschreibunge, bei denen man sich als mögliche PatientIn bewerben kann. Doch es gibt bisher Einschränkungen, an welchen psychischen Krankheitsbildern geforscht wird.

7. "Gleichzeitig, eben zu diesem Sicherheitsaspekt, zeigt sich jetzt aber auch, dass die Substanzen höchstwahrscheinlich für gewisse Menschen auch gewinnbringend eingesetzt werden könnten. Die meisten Studien, die bisher durchgeführt worden sind mit Patienten, die an einer depressiven Erkrankung leiden. (...) Es gibt aber auch andere Studien, die im Moment laufen, die sich zB mit Zwangsstörungen beschäftigen, mit Essstörungen, aber da haben wir die Daten noch nicht."(Katrin) (40 sek)

Wenn man also zum Beispiel an einer depressiven Erkrankung leidet, kann man, insofern man körperlich und psychisch dazu in der Lage ist, an einer Studie teilnehmen. Man nimmt die Substanz, wie zB LSD, in einem gesicherten Umfeld unter psychologischer Betreuung. Und dann? Wie genau soll mir eine Droge überhaupt helfen, bei der ich dann bunte Farben sehe. Dazu muss man verstehen, dass Psychedelika natürlich noch ein viel breiteres Wirkspektrum haben, als nur visuelle Halluzinationen. Eine mögliche Wirkung kann zum Beispiel die sogenannte 'Mystische Erfahrung' sein. Dieser Begriff hört sich vielleicht nach einem Voodoozauber an, ist mittlerweile aber sogar ein feststehender wissenschaftlicher Begriff.

8."In der Forchung wurde gezeigt, dass diese sog. 'Mystische Erfahrung' sehr stark korreliert mit weniger Depressionen, weniger Süchten. (...) Und dieses Auflösen, kann dazu führen, dass du komplett neue Perspektiven kennenlernst und dich plötzlich nicht mehr mit deinem Körper identifizierst und über Dinge nachdenken kannst in deinem Leben, wie du es davor noch nie gemacht hast." (jon) (1 min)

Katrin Preller, die nun schon seit ein paar Jahren Studien mit LSD und Psylocibin in der therapeutischen Anwendung durchführt, bringt noch andere Aspekte mit ein, die Psychedelika in der Psychotherapie effektiv machen könnten.

9. "Wo wir viel Hoffnung reinstecken ist, dass wir mit den Substanzen etwas haben, dass einerseits sehr schnell wirkt (...) Das heißt die Therapie geht etwa 4-8 Wochen, je nach Studie ist das immer so ein bisschen unterschiedlich. Jede PatientIn nehmen die Substanz nur ein oder zwei mal ein, wir erhoffen uns aber einen langfristigen positiven Effekt, der über Wochen oder auch Monate anhält. Das heißt: Man muss nicht jeden Tag diese Substanzen einnehmen, wie das eben bei den derzeitigen Medikamenten üblich ist." (Katrin) (1 min)

Beim Vergleich mit anderen Medikamenten, die bei psychischen Erkrankungen zum Einsatz kommen, schneiden Psychedelika in Studien meistens sehr gut ab: sie machen nicht süchtig, wirken schnell und oft langfristig. Der Weg, dass LSD oder Psylocibin in der Psychotherapie, außerhalb von Studien, eingesetzt werden können ist aber noch lang.

10. "Man muss dazu sagen, dass wir im Moment noch nicht an einem Punkt sind, wo wir sagen können: Ja das ist ein Medikament, das muss als Medikament eingesetzt werden. (...) Und die Daten müssen wir definitv erst generieren, die müssen wir abwarten, bevor wir über den regulären Einsatz als Medikament reden können." (Katrin) (1 min)

Die Forschung ist also in vollem Gange. Es konnten bisher viele Hinweise auf ein Heilpotenzial psychoaktiver Substanzen gesammelt werden, die PsychotherapeutInnen auf der ganzen Welt hoffnungsvoll werden lassen. Auch das öffentliche Interesse an dem Thema hat in den letzten Jahren extrem zugenommen. Spätestens als letztes Jahr die bekannte Netflix-Doku-Serie 'How To Change Your Mind' das Thema umfassend besprochen hat, ist die Auseinandersetzung mit Psychedelika im Mainstream angekommen. Es gibt ein ganzes Sammelsurium an Artikeln, Podcasts und Videos. Und die meisten enthalten im Kern das gleiche: Psychedelika wie LSD oder Psylocibin haben ein unglaublich vielfältiges Potenzial, was genutzt werden sollte. Es gibt allerdings auch warnende Stimmen aus der Wissenschaft, die ein Hype mit unrealistischen Erwartungen fürchten.

11."Für Jahrzehnte gab es immer sehr negative Propaganda, die nicht auf den wissenschaftlichen Fakten basiert war. (...) Es ist allgemein bekannt in dieser Szene, dass wir jetzt versuchen müssen die Erwartungen der Leute etwas runterzudrücken, weil es sonst passieren wird, dass die Ergebnisse in den wissenschaftlichen Studien nicht mithalten können mit diesen Erwartungen." (jon) (35 sek)

Mit dem steigenden öffentlichen Interesse, werden auch immer wieder Rufe nach einer Legalisierung der Drogen zur Nutzung im privaten Rahmen laut. 1971 rief der damalige Präsident der USA, Richard Nixon, den sogenannten 'War on Drugs' aus. Noch im gleichen Jahr einigten sich die Vereinten Nationen in der Konvention über psychotrope Substanzen auf ein Verbot von fast allen damals bekannten psychoaktiven Substanzen, darunter auch LSD und Psylocibin. Wer diese Substanzen besitzt, verkauft oder konsumiert macht sich strafbar. Dem 'War on Drugs' wird nachgesagt, dass er eigentlich fast nur politische Gründe habe. Man wollte leichteren Zugriff auf bestimmte Bevölkerungsgruppen bekommen. Man konnte nun bei dem kleinsten Hinweis auf den Besitz oder Konsum von den nun verbotenen Substanzen Razzien, Abhöraktionen und Festnahmen durchführen. Besonders betroffen vom Verbot der Psychedelika war die damals besonders florierende Hippie-Szene. Nun sehen wir aber einen weltweiten Trend hin zur Lockerung der Drogenpolitik. So auch in den Niederlanden, wo es mittlerweile psychoaktive Trüffel, mit dem Wirkstoff Psylocibin, zu kaufen gibt. In Deutschland ist man jedoch Meilenweit von einer Legalisierung entfernt. Wir sehen ja, wie lange die Politik alleine dafür braucht, es zu erlauben, legal Cannabis zu erwerben. Da scheint eine Legalisierung von Psychedelika in unerreichbar weiter Ferne zu liegen. Doch das eigentliche Problem sehen viele ExpertInnen nicht unbedingt in dem Verbot der Substanzen, sondern in der Kriminalisierung. Wer einmal mit LSD in der Tasche erwischt wird, kann, je nach Menge, eine Haftstrafe von bis zu 5 Jahren drohen.

12. "Meiner Meinung nach das aller wichtigste ist erstmal nicht die Legalisierung, sondern die Dekriminalisierung. (...) Wir müssen davon loskommen, Drogennutzer, als Kriminelle zu sehen." (jon) (30 sek)

Das Endziel soll dann aber doch die komplette Legalisierung sein. Doch bis dahin müssen nicht nur in der Politik Schritte gemacht werden.

13. "Ich glaube, dass man vor einer Legalisierung in Deutschland viel mehr Aufklären müsste (...) Es muss eine wirklich weit angelegte Edukation geben bevor diese Drogen Legalisiert werden können meiner Meinung nach." (jon) (30 sek)

Generell haben wir in Deutschland, was die Aufklärung über Drogen angeht, noch einiges nachzuholen. Dieses Thema wird so gut wie nie in der Schule besprochen. Und wenn es doch mal ein Punkt im Lehrplan ist, dann eher unter dem Aspekt der Prävention. Oft wird Angst, als Abschreckungsmittel verwendet, damit ja keine SchülerIn auf die Idee kommt Drogen zu nehmen. Funktionieren tut das eher mäßig. Meiner Meinung nach wäre es viel wichtiger Jugendlichen den richtigen Umgang mit potenten Substanzen beizubringen; übrigens auch mit Alkohol und Nikotin. Man sollte so aufklären, dass jeder Mensch selbst eine informierte und bewusste Entscheidung treffen kann, wie und was man in welchem Rahmen ausprobieren möchte und von was man lieber die Finger lässt.

14. "Ja, es wird ein sehr langer Weg, glaube ich. (...) aber wir brauchen auch eine richtige Berichterstattung, die zwar zeigt, dass es sehr viel Potenzial gibt, aber eben die Erwartungen nicht so explodieren lässt." (jon) (50 sek)

Wir haben also noch einiges vor uns, sowohl in der Aufklärung, als auch in der Forschung von und mit psychoaktiven Substanzen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den klassischen Psychedelika hat gezeigt, was dort für ein großes Potenzial, besonders für die Psychotherapie, liegt. LSD oder Psylocibin können PatientInnen einen Perspektivwechsel ermöglichen, der einen anderen Blick auf die Lebens- und Krankheitssituation zulässt und dabei hilft aus alten Verhaltensmustern auszubrechen. Bis es offiziell zu einer Zulassung als Medikament kommt, bedarf es aber noch Geduld. Das einzige, was wir machen können ist, uns auf wissenschaftlichen Fakten basierend zu informieren. Oder um es in den Worten von der Band Jefferson Airplane aus dem Song 'White Rabbit' zu sagen: Rememberwhat the dormouse said: Feed your head. Obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin, ob sie da nur mit Informationen meinen.

Ende von 'White Rabbit' spielt.