Big Brother in Europe - ein unvollständiger Überblick über neue Entwicklungen der Überwachung in Europa

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Bei den kürzlich in verschiedenen Ländern verliehenen Big-Brother Awards räumten die europäischen Innenminister die meisten Preise ab.
Das ist nicht so selbstverständlich wie es erst mal klingt, denn das Recht auf informelle Selbstbestimmung wird ja auch und gerne von der Freien Wirtschaft attackiert.
Ist staatliche Überwachung gegenüber der privaten wieder im Aufschwung? Wir haben einen Blick auf aktuelle Entwicklungen staatlicher Überwachung in Europa geworfen:
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06:18 min, 8868 kB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.11.2006 / 00:00

Dateizugriffe: 790

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Serie: Focus Europa Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Niels
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 06.11.2006
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Big Brother in Europe – Ein unvollständiger Überblick über aktuellen Entwicklungen staatlicher Überwachung in Europa

In Frankreich hat das Kabinett unlängst ein neues Gesetzespaket zur Terrorbekämpfung auf den Weg gebracht, das im Eilverfahren noch dieses Jahr durchgepeitscht werden soll.
Das Gesetzespaket verpflichtet Internetprovider, Telefonnetzbetreiber und Internetcafes, Verbindungsdaten künftig mindestens ein Jahr lang zu speichern und gegebenenfalls der Polizei zur Verfügung stellen. Richterliche Kontrolle ist nicht vorgesehen. Außerdem soll das Gesetz die Kameraüberwachung ausweiten: Auf Anordnung eines Polizeichefs könnten demnach überall, ohne richterliche Anordnung, vier Monate lang Kameras installiert werden, wenn ein "konkreter Verdacht" vorläge.
Städtische Kameraüberwachung wird ohnehin in so ziemlich allen europäischen Ländern ausgebaut. Besonders rasant jedoch in Osteuropa.
Der SZ zufolge sind in Budapest bereits über 500 Kameras im Einsatz, in Prag immerhin über 300, und in Sofia wurde kürzlich ein mit neuester Technik ausgestattetes Beobachtungszentrum eingeweiht. Trotz negativer Erfahrungen mit staatlicher Überwachung zeichnet sich in den betroffenen Städten kaum Widerstand ab. Sollte es jedoch zu Massendemonstrationen kommen, so hätte jedenfalls die Obrigkeit sie bestens im Blick.
Ungarn hat unterdessen am Flughafen Debrecen mit dem Test eines neuen Überwachungssystems begonnen. Fluggäste sollen mit Kameras und RFID-Chips, überwacht
werden, die sich entweder in Armbändern oder im Boarding-Pass befinden.
Zur Information:
(Maus-Musik):
RFID heißt Radio Frequency Identification . Damit kann man Sachen und Menschen automatisch und per Funk erkennen. Auf ein kleines Plättchen mit dem Namen Chip speichert man alles, was man wissen will, und das kann man mit einem speziellen Gerät ablesen, auch wenn der Chip noch ganz weit weg ist. Und das heißt, man kann jetzt alles noch viel besser überwachen.
Bei der Fußball-WM gab es solche Chips auf den Eintrittskarten. So wussten die Überwacher immer, wer das Tor gesehen hat und wer grade aufm Klo war.
Und in den neuen deutschen Reisepässen sind die Chips auch schon drin.
Man kann sie auch ans Autokennzeichen machen, dann weiß man immer, wo jemand so rumfährt. Das probieren sie grade in England.

Überhaupt Großbritannien:
Nach den jüngsten Zahlen gibt es auf der britischen Insel inzwischen 4,2 Millionen staatliche und private Überwachungskameras, d.h. auf 14 Briten kommt eine Kamera. Im Durchschnitt wird jeder Einwohner und jede Einwohnerin rund 300 Mal täglich erfasst.
Kameras, Analysen des Konsumverhaltens, Telefon- und Internetüberwachung sind ständig präsent. In der nationalen DNA-Datenbank sind die genetischen Daten von 3,5 Millionen Menschen gespeichert. Zudem verfügen die Behörden über die Fingerabdrücke von rund sechs Millionen Menschen.
Dies alles geht aus dem "Bericht über eine Gesellschaft unter Überwachung" hervor, der von der Expertengruppe Surveillance Studies Network (SSN) erstellt wurde. Auch im jährlichen Bericht der Bürgerrechtsorganisation Privacy International gilt Großbritannien als „endemische Überwachungsgesellschaft“ – in einer Liga mit Russland, China, Malaysia und Singapur.
Gefolgt wird Großbritannien im europäischen Überwachungsranking von Spanien, Slowenien, Holland und Schweden.
Besser abgeschnitten haben hingegen Belgien, Österreich, Griechenland und Ungarn sowie – man höre und staune – die Bundesrepublik Deutschland – und das trotz der einmalig hohen Zahl abgehörter Telefongespräche.
Aber die Deutschen lassen sich nicht gerne auf die Plätze verweisen und arbeiten gewohnt fleißig daran, beim Ausschnüffeln wieder vorne mitzumischen.
So ist beispielsweise in Brandenburg durch das neue Polizeigesetz sowohl das Abhören und Orten von Handys ohne Anfangsverdacht als auch die automatische Fahndung nach
Autokennzeichen und die präventive Wohnraumüberwachung genehmigt. Vorher brauchte es zumindest einen Grund, um Leute zu überwachen.
Das Bundesinnenministerium legte übrigens erst kürzlich ein „Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit“ vor, das zusätzliche 132 Mio. Euro für Überwachungsmaßnahmen vorsieht. Geplant sind der Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum und die Ausstattung der Kameras mit einer speziellen Software, die – so wörtlich – „eine automatische Erkennung von Gesichtern, Gegenständen, Bewegungsabläufen und Szenen“ ermöglichen soll. Das ganze garniert mit dem Auf- und Ausbau umfangreicher Datenbanken.
In Leipzig - der Vorreiterstadt von Videoüberwachung in Deutschland – zieht die Datenschutzinitiative „Leipziger Kamera“ folgenden Schluss:
„Nicht nur hier in Leipzig bildet sich eine neue soziale Apartheid heraus, von der vor allem Obdachlose, DrogennutzerInnen, Jugendliche und MigrantInnen betroffen sind. Armut soll unsichtbar gemacht werden.
Letztendlich stehen aber alle unter ständigem Verdacht. Für jene, die sich anpassen, bedeutet das „nur“ Überwachung. Für jene, die - ob mit oder ohne eigene Absicht - dem Muster weißer MittelstandskonsumentInnen nicht entsprechen, bedeutet es auch Vertreibung und Strafe.“
Mit allzu dichter Kontrolle und Überwachung ruft die Politik möglicherweise auch Geister, die sie dann nicht mehr in den Griff bekommt.
Auch in Italien wird seit Jahren massiv an lückenloser Überwachung gearbeitet. Nun führt ein Skandal um die Steuerdaten verschiedener Politiker und Prominenter den ItalienerInnen vor, wie es um den Schutz ihrer Privatsphäre bestellt ist.
Hunderte von Malen wurde illegal auf die Steuerdaten von Ministerpräsident Prodi und anderen Politikern zugegriffen. Im Verdacht stehen vor allem MitarbeiterInnen der Finanzbehörden, der Finanzpolizei und des Zolls.
Erst im September hatte die italienische Justiz hatte einen privaten «Spionagering» aufgedeckt, der rund zehn Jahre lang Telefongespräche von Industriellen, Politikern, Journalisten, aber auch von Sportlern und Privatpersonen abgehört haben soll. Unter den 20 Festgenommenen sind der ehemalige Sicherheitschef der Telecom Italia sowie Angehörige der Polizei. Politiker äußerten sich bestürzt über das Ausmaß des illegalen Abhörens - obwohl sie doch die überwachungstechnischen Grundlagen selbst gelegt hatten.
Diese Geschichte wäre ja lustig, wenn sie nicht so bedrohlich wäre.

Kommentare
07.11.2006 / 18:13 wera,
gesendet...
im zip-fm vom 7.11.06