Crash und Krieg

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Warum es beim bevorstehendne Irak-Krieg nicht um Saddam Hussein, sondern um die Widersprüche der Globalisierung geht.
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mp3, 56 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 06.02.2003 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Wert-Los
Entstehung

AutorInnen: Kooperative Haina
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.02.2003
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
CRASH UND KRIEG

Mal geht es scheibchenweise, mal sacken die Weltbörsen im großen Schub nach unten. Fest steht jedenfalls, daß die Finanzmärkte die größte Baisse der Nachkriegsgeschichte erleben. Alle Zwischenhochs der letzten beiden Jahre haben sich als trügerisch erwiesen. Alarmierend an der jüngsten Entwicklung ist dreierlei. Erstens trifft es längst nicht mehr bloß das Segment der als Talmi entlarvten New Economy, sondern auch die vermeintlich soliden Standardwerte der "blue chips" sind vom unaufhaltsamen Abwärtssog erfaßt worden. Zweitens sind es nicht mehr die exotischen und auch nicht mehr allein die japanischen und europäischen Börsen, an denen die spekulativen Blasen reihenweise platzen, sondern das Allerheiligste des globalen Kasinokapitalismus, die Wall Street selbst, nähert sich rapide der kritischen Masse eines großen Knalls. Und drittens signalisieren die dicht aufeinanderfolgenden Mega-Pleiten von Großkonzernen wie Enron, Worldcom usw., daß der Crash der Finanzmärkte auf die realökonomische Konjunktur überzuspringen droht.

Wenn dieser Crash nicht bald gestoppt werden kann, ist nicht nur die weitere Finanzierung des US-Handels- und Leistungsbilanzdefizits und damit die gesamte Weltkonjunktur gefährdet, sondern auch die Position der USA als letzte Weltmacht. Denn der gewaltige, konkurrenzlose High-Tech-Militärapparat der USA speiste sich seit langem finanziell ebenso aus dem fiktiven Kapital der Spekulationsblasen wie die Investitionen und der opulente Konsum in "Gottes eigenem Land". Zusammen mit der ökonomischen droht auch die militärische Kontrolle über die Welt verloren zu gehen. Wenn sonst nichts mehr klappt, so weiß es die Standardargumentation der Linken, dann ist die letzte kapitalistische Lösung immer der Krieg. Tatsächlich bereiten die USA fieberhaft einen Angriff auf den Irak vor, ohne sich viel um eine glaubwürdige Legitimation zu scheren. Aber könnte dieser Krieg in irgendeiner Weise die ökonomische Krise lösen?

Das Motiv des Raubs war unter den Bedingungen des entwickelten Kapitalismus schon immer zweifelhaft. Es geht nicht um Beutegut wie bei den Wikingern, sondern um die Gewinnung von Akkumulationsfähigkeit. In der dritten industriellen Revolution führt sich auch die Annexion fremden Territoriums ad absurdum, weil damit nur der Erwerb einer größtenteils "überflüssigen" Bevölkerung verbunden wäre. Selbst die Gier nach dem Rohstoff Öl sollte nicht überstrapaziert werden, denn zwar geht es stets um die strategische Kontrolle der wichtigsten Reserven, aber das hat nichts mit einer möglichen Lösung der strukturellen ökonomischen Krise zu tun. Im ausgepowerten Irak ist nichts zu holen, was auch nur im entferntesten dafür benutzt werden könnte.

Nicht besser steht es mit dem Motiv, eine Kriegskonjunktur zu entfesseln. Der zweite Weltkrieg brachte der US-Ökonomie die historisch höchsten Zuwachsraten, weil ein ungeheurer materieller Aufwand nötig war, die ebenbürtige Nazi-Kriegsmaschine niederzuringen. Auch der take off des Wirtschaftswunders durch die Konjunktur des Koreakriegs war nur möglich, weil immerhin über drei Jahre hinweg eine substantielle Masse von Kriegsproduktion nötig wurde. Ebenso beruhte die Rüstungskonjunktur der "Reaganomics" darauf, daß die Sowjetunion nur durch eine Mobilisierung gewaltiger technologischer und materieller Ressourcen totzurüsten war. Schon der Golfkrieg vor elf Jahren, als die irakische Armee noch relativ in Saft und Kraft stand, war dagegen eine ultrakurze, von den Ressourcen her wenig aufwendige Angelegenheit, die keinerlei konjunkturelle Spuren hinterließ. Heute würde die schwache irakische Gegenwehr sofort zusammenbrechen, ohne daß auch nur die Arsenale der US-Flugzeugträger neu aufgefüllt werden müßten.

Bleibt das Argument einer Wiederaufbau-Konjunktur, dem zufolge der kapitalistische Krieg erst einmal alles kaputt schlägt, damit dann das Kapital neu akkumulieren kann. Das ist ökonomischer Unsinn. Die Akkumulationsfähigkeit wird durch den Stand der Produktivkräfte bestimmt, nicht durch den äußeren Umfang der Produktion. Selbst im kriegszerstörten Westdeutschland wurde das Vorkriegsniveau der Produktion schon Anfang der 50er Jahre wieder erreicht. Nicht die Rekonstruktion der zerstörten Gebäude, Maschinen usw. brachte das Wirtschaftswunder, sondern allein die Fähigkeit der neuen fordistischen Industrien zur erweiterten Vernutzung von Arbeitskraft. Sogar wenn die USA heute ihr eigenes Territorium flächendeckend bombardieren würden, käme keine neue säkulare Akkumulationsfähigkeit heraus. Die militärische Verwüstung peripherer Regionen bringt erst recht keine Wiederaufbau-Konjunktur hervor, wie hoffnungsvolle westliche Konzernvertreter zu ihrem Leidwesen bereits in Bosnien und im Kosovo erfahren mußten.

Die heraufdämmernde neue Weltwirtschaftskrise ist durch keinerlei Krieg mehr zu überwinden. Sollte der Irak massakriert werden, wäre eine Siegesfeier der Börsen kurz und lustlos. Dafür würde die gesamte nahöstliche Region mitsamt ihren strategischen Ölreserven nachhaltig destabilisiert. Trotzdem wird Bush umso sicherer losschlagen, je unbewältigbarer der Finanzcrash und die daraus folgende realökonomische Krise werden. Die linke Standardargumentation ist faktisch richtig, aber in ihrer Interpretation macht sie den Fehler, daß sie der kapitalistischen Macht rationale Interessen und eine grundsätzliche Bewältigungskompetenz unterstellt. Das Kapitalverhältnis aber ist an sich irrational und seine eigene Schranke. Die Binnenrationalität des Interesses schlägt letztlich in Selbstzerstörung um.

Es handelt sich um die Logik des Amoklaufs. Der postmoderne Amokläufer ist zwar ein Geschöpf der universellen Konkurrenz, aber er verfolgt kein sinnvolles Interesse mehr in diesem Rahmen. Seine Gewalt will nichts mehr in dieser Welt erreichen, sondern nur noch einen finalen Abgang inszenieren. Was die durchgeknalltesten Teenager als Schulmassaker veranstalten, droht die globale kapitalistische Repräsentanzmacht der USA im großen Maßstab zu wiederholen, wenn sie nicht rechtzeitig daran gehindert wird.

Dieser Kommentar wurde von dem Krisis-Autor Robert Kurz verfaßt.