"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Präsidentschaftswahl Frankreich -

ID 46069
 
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[05. Kalenderwoche]
Heute geschehen im echten Leben Dinge, die man im falschen, nämlich im Traum, für unmöglich hält. Der französische Staatschef Louis de Funès respektive Nicolas Sarkozy bangt um seine Wiederwahl, und was tut er: Er ruft die Deutschen zu Hilfe.
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10:18 min, 14 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.01.2012 / 11:05

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 31.01.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Angela Merkel soll ihm bei einer Wahlveranstaltung im März ihre Unterstützung bekunden, und für seine Wirtschaftspolitik greift er ganz simpel auf unseren sozialdemokratischen Lieblingskanzler Gerhard Schröder zurück, dessen Agenda 2010 in der internationalen Doktrin offenbar zunehmend als Fundament für die aktuelle Stabilität Deutschlands angesehen wird. Da nimmt es zunächst mal wunder, was denn sein Widersacher, der Sozialdemokrat François Hollande, für den Fall seines Wahlsiegs verspricht in seinem famosen 60-Punkte-Plan. Neben den allgemeinen Floskeln wie die Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen kündigt François Hollande die Einführung einer Finanztransaktionssteuer an, und das ist ziemlich der wichtigste Punkt, in dem er mit Louis de Funès und auch Angela Merkel übereinstimmt. Ebenfalls nicht besonders überraschend ist das Versprechen, dass der französische Staat französische Unternehmen berücksichtigen und fördern wird, und zwar vor allem solche, die in Frankreich Arbeitsplätze schaffen. Zur Reduktion des Budgetdefizits will er Steuergeschenke abschaffen und Schlupflöcher stopfen, was 30 Milliarden Euro einbringen soll. Daneben ist eine Steuerreform vorgesehen, bei der die Besteuerung und die Sozialabgaben zusammengelegt werden sollen, und Kapitaleinkünfte werden künftig versteuert wie normale Einkommen. Einkommen über 150'000 Euro unterliegen künftig einem Satz von 45%. Daneben wird die Möglichkeit der Pensionierung ab dem 60. Altersjahr eingeführt, wenn man 41 Beitragsjahre aufweist, also ununterbrochen gearbeitet hat seit dem 19. Lebensjahr. Die Löhne der Führungskräfte in öffentlichen Unternehmen dürfen nur noch maximal das 20-fache der untersten betragen. Es gibt einige Vorschläge zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, zur Verbesserung der Bildung sowie für das Gesundheitswesen. Der Anteil des Atomstroms an der ganzen Elektrizitätsproduktion soll von 75% auf 50% gesenkt werden; dazu kommen Maßnahmen zum Energiesparen, v.a. bei der Gebäudeisolation. Sodann werden die Löhne des Staatspräsidenten und der Minister um 30% gekürzt. AusländerInnen erhalten auf lokaler Ebene das Stimmrecht. Im internationalen Bereich sticht die Ankündigung des sofortigen Truppenrückzugs aus Afghanistan ins Auge neben dem Versprechen, die nationale Sicherheit, also die Militärausgaben nicht zu beschneiden. All dies wird ummantelt von den weiteren Punkten eines schönen sozialdemokratischen Programmes, wie sie jeder ordentliche Präsidentschaftskandidat vorträgt, also auch Louis de Funès.

Dieser unterscheidet sich von Hollande im zentralen Schröderschen Punkt, nämlich der Liquidierung der 35-Stunden-Woche sowie einer Verbilligung der Arbeitskosten, indem die Sozialabgaben aufgehoben werden; die daraus entstehenden Ausfälle sollen kompensiert werden durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Im zweiten Punkt stimmen somit Hollande und Sarkozy erneut überein, nämlich insofern, als die Sozialabgaben auf den Löhnen beseitigt werden, bloß gleicht Sarkozy dies mit der Mehrwertsteuer aus und Hollande mit der Einkommenssteuer.

Ja, die Arbeitskosten. In einer Gesellschaft, die nach wie vor auf Vollbeschäftigung orientiert ist, während gleichzeitig die Vollautomation eine vollendete Tatsache ist, was unter anderem auch bedeutet, dass der Konsum mittelfristig keine Rettung mehr verspricht aus dem einfachen Grund, weil die Güter nichts mehr wert sind und somit auch nichts mehr kosten, ist es eigentlich nicht besonders klug, die Verbilligung der Arbeit zum Kernpunkt der Wirtschaftspolitik zu machen. Auch wenn wir davon ausgehen, dass die gegenwärtige Stärke Deutschlands auch dieser Billigkostenpolitik zu verdanken ist, so hat doch auch das Schlamassel auf den Finanzmärkten dazu beigetragen, dass die Arbeitsgesellschaft vorübergehend wieder eine stärkere Bedeutung erhielt, als sie dies in Zukunft haben wird, wenn die Schulden- und die Euro-Krise gelegentlich mal ordentlich ausgestanden ist. Im Übrigen wird bekanntlich oft darauf hingewiesen, dass nicht alle Länder Exportweitmeister sein können wie China und Deutschland, und für die aus solchen Ungleichgewichten entstehenden Fragen kennen wir vorderhand noch kaum Lösungsansätze. Einige werden zwar nicht diskutiert, aber praktiziert, namentlich all die Wunder rund um die Wechselkurse; aber innerhalb der Europäischen Union bzw. mindestens innerhalb der Eurozone ist die wundertätige Macht der Wechselkurse bekanntlich seit einem Dutzend Jahren aufgehoben, was zur Problemlage mit beigetragen hat. Insgesamt aber ist es frivol, von Vollbeschäftigung zu sprechen, solange nicht mit definiert wird, wozu diese Vollbeschäftigung dienen soll bzw. welche Arbeiten denn von der Allgemeinheit überhaupt noch zu erledigen sind. Hier versteckt sich nämlich auch das Geheimnis jeglicher Form von Perspektiv- und Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt der Jugendarbeitslosigkeit, die in Spanien unterdessen auf die 50% hin steuert: Macht doch einfach das, was das Land braucht! Das wird nicht in jedem Fall immer günstiger Wohnraum sein, aber es kann auch Wohnraum sein; aber gerade in Spanien liegen Unmengen an nicht besonders fruchtbarem Land brach, auf die kann man doch einfach Zentren hinstellen, die man wiederum mit dem füllt, was man für richtig erachtet. Sollte es zum Beispiel wirklich überaktuell sein, dass die Jugend sich der künstlerischen Betätigung in der Form von populären Schlagern zuwendet, dann kann man entsprechende Einrichtungen aufstellen, eine Art von riesigem Karaoke-Bunker, und bis diese Schuppen stehen, haben die Jugendlichen so lange geschuftet, dass ihnen die Lust am Karaoke vergangen ist. Das wäre auch wieder ein kultureller Fortschritt. Oder überhaupt die Zeit, über welche die Arbeitslosen bekanntlich zur Genüge verfügen: Geht es wirklich darum, dass unsere Gesellschaften eine Industrie zur Vernichtung an überschüssiger Zeit heraus bringen, oder ist es denkbar, dass die Menschen in der modernen und demokratischen Zeit einen autonomen Umgang mit ihrer frei disponiblen Zeit entwickeln? Falls ersteres, ist die Investitionsrichtung vorgegeben und der neue Konsumtrend definiert; falls zweiteres, ist die Investitionsrichtung ebenfalls vorgegeben und der Konsumtrend ebenfalls definiert. Keinesfalls aber wird sich diese Gesellschaft wirtschaftlich über Wasser halten, indem sie Mechanismen erfindet, wie ein einzelner Mensch gleichzeitig sieben Automobile fahren kann oder ähnlich. Nee: Im Umgang mit der disponiblen Zeit liegt genau das, was man einen Paradigmenwechsel nennt. Wenn sich unsere modernen Gesellschaften endlich mal dran machen, diesen Paradigmenwechsel zu vollziehen, ist es mir dann ungefähr recht.

In der Zwischenzeit erheitern wir uns am politischen Schauspiel, im Moment gerade in Frankreich. Als ich kurz hinein schaute in die Ansprache von Louis de Funès an sein Fernsehvolk, hatte ich den Eindruck, dass er weniger zappelig sei als auch schon, und das heißt gleichzeitig weniger aufgedreht und energiegeladen. Er liegt bekanntlich in den Umfragen immer noch hinter François Hollande zurück. Trotzdem soll man den Sarkozy nicht vorschnell abschreiben, nicht zuletzt wegen der Neigung der Franzosen, letztlich dann doch einen herrschenden König nicht schon wieder unter die Guillotine der Amtsenthebung zu schieben. Auf der anderen Seite muss man festhalten, dass die strategische Hauptwaffe von Sarkozy versagt hat, nämlich seine Bruni-Gattin, die er von einem Pseudophilosophen geerbt hat, welche sie seinerseits von seinem Vater zum Geburtstag geschenkt erhalten hatte, ach, Ihr wisst schon. Jedenfalls produzierte Carla Bruni punktgenau zum Beginn der Präsidentschaftswahlkampagne das geplante Wunderbaby, und alles hätte sehr schön laufen können, der Sarkozy hätte gar kein Programm formulieren müssen, sondern bloß bedeppert glücklich in die Kamera starren, aber da stellte sich heraus, dass Frau Sarkozy-Bruni als Botschafterin des Global Fund gegen AIDS unter anderem ihrem Trauzeugen Julien Civange Gelder dieses Fonds zugehalten hat. Jetzt sprechen alle von Carlagate, logischerweise. Der Direktor dieses Fonds ist vor einer Woche zurückgetreten, allerdings nicht nur wegen dieser neuesten Vorfälle, sondern weil es bereits in der Vergangenheit Unsauberkeiten gegeben hatte; Carla Bruni bzw. ihr Trauzeuge waren jetzt nur noch der letzte Tropfen. Umgehend begannen aber andere Ströme zu fließen; namentlich kündigte Bill Gates zwei Tage nach dem Rücktritt von Michel Kasatschkin an, dass seine Stiftung 750 Mio. US-Dollar in den Global Fund einschießen wolle. Auch nicht schlecht. Der gute Zweck ist einfach eine prächtige Sache, aber wie gesagt, bei den französischen Präsidentschaftswahlen könnte der Schuss nach hinten raus gehen.

Daneben haben wir einige düstere Kommentare zu den Ereignissen in Italien gehört, insbesondere zu den Streiks und Blockaden der Lastwagenchauffeure, die sich gegen die Steuererhöhung auf den Treibstoffen zur Wehr setzen. Die Zeitung Repubblica machte anfänglich hinter der ganzen Aktion sogar die Mafia aus, aber ich denke, die haben andere Pläne. Man kann davon ausgehen, dass hier eine kleinstgewerblich strukturierte Branche an ihre Grenzen stößt, was wiederum das ganze Land in Aufruhr versetzt, da in Italien seit 60 Jahren kein einziges Kilo an Waren mehr auf der Schiene transportiert wurde. Wie weit die Proteste der Transporteure bloß ein Warnzeichen waren oder ob sich das Land nun auch auf diesem Gebiet auf den Notstand vorbereiten muss, entzieht sich meiner Kenntnis, jedenfalls ist die Nachrichtenlage wieder etwas ruhiger als vor einer Woche. Aber denkbar ist eine solche Form eines wirtschaftlichen Bürgerkrieges durchaus, vor allem angesichts eines Staates, der unter der Regierung des Lügenschlammschlägers und Betrügers Berlusconi auch noch die letzte Legitimität in der Bevölkerung verloren hat. Italien ist damit für Soziologinnen aller Art zu einem wunderbaren Beobachtungsobjekt geworden dafür, wie sich die Gesellschaft entwickelt, wenn sämtliche stillschweigenden Vereinbarungen zum Gemeinwohl für ungültig erklärt werden. Eine rigorose Sparkur, welche selbstverständlich zwei gesellschaftliche Klassen verschont, nämlich die Reichen und die Politiker, und das heißt, auch die linken Politiker, eine solche Sparkur steht damit auf sehr schwachen Beinen.

Kommentare
01.02.2012 / 10:21 Stefanie Gengenbach,
gesendet im zip.fm vom 01.02.12
mersi.