"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Lift Off -

ID 46626
 
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6, 5, 4, 3, 2, 1, Lift-off – we have lift-off. Das richtige Timing ist alles, ohne dieses wird Newt Gingrich bis im Jahr 2020 keine Shopping-Mall auf dem Mond bauen können, falls es den US-AmerikanerInnen beifällt, ihn im Herbst zum US-amerikanischen Präsidenten zu wählen.
Audio
11:23 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 21.02.2012 / 09:17

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 21.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich finde es übrigens paradox, dass sich ein republikanischer Kandidat mit Raumfahrt profiliert, wo doch alle Welt weiß, dass die Erde vom lieben Gott vor 6000 Jahren aus dem Nichts gestanzt wurde, so wie heute die US-amerikanische Federal Reserve oder die Europäische Zentralbank Geld schöpfen, und dass sie aber vor allem, merket auf: flach ist – da hat nach meinem Verständnis vom Physikverständnis der Republikaner die Raumfahrt keinen Platz. Deshalb wird wohl eben auch nicht Newt Gingricht gewählt, sondern der andere da, wie heißt er doch gleich, Rick Santorum, der die Evolutionstheorie ablehnt und an ihre Stelle das Intelligent Design setzt, einen einmaligen Schöpfungsakt aus einem Guss, an dem nachher nur noch mikronesimale Veränderungen vorgenommen werden mussten, und der deshalb auch der Einrichtung einer Pendelverkehrslinie zwischen Erde und Mond keinerlei Aufmerksamkeit schenkt. Dafür hat Santorum herausgefunden, dass Obama nicht nach den Vorgaben der Bibel regiert, und für diese intelligente Entdeckung kann man entweder gratulieren oder es lassen, jedenfalls gilt für die Bibel zum einen, was George Clooney im Film «Ides of March» recht früh mal sagt, nämlich dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sich an ein paar Blätter Papier zu halten habe mit dem Namen Verfassung, der Rest sei ziemlich wurscht; zum anderen gilt, wenn man nach der Bibel oder sogar aus der Bibel regieren würde, dann müsste man ziemlich wendig sein beim Hin- und Herspringen zwischen all den verschiedenen Bibelteilen und Textstellen, die sich diametral widersprechen, unter anderem in Bezug auf die Aussagen zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft. Besonders interessieren würde den Santorum im Zusammenhang mit den famosen Steuersenkungsforderungen der Republikaner die bekannte Passage aus dem Matthäus-Evangelium, die ich euch jetzt trotzdem kurz vorlesen möchte: «”Rabbi, wir wissen, dass du aufrichtig bist und uns wirklich zeigst, wie man nach Gottes Willen leben soll. Du fragst nicht nach der Meinung der Leute und bevorzugst niemand. Nun sage uns, was du darüber denkst: Ist es richtig, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht?" Jesus durchschaute ihre Bosheit sofort und sagte: "Ihr Heuchler, warum wollt ihr mir eine Falle stellen? Zeigt mir die Münze, mit der ihr die Steuern bezahlt!" Sie reichten ihm einen Denar. Da fragte er: "Wessen Bild und Name ist darauf?" "Das des Kaisers", erwiderten sie. "Nun", sagte Jesus, "dann gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört." Über diese Antwort waren sie so verblüfft, dass sie sprachlos weggingen. » – Aber das versteht der Santorum wohl gar nicht erst. Wie auch immer: Mindestens in Europa ist unterdessen gänzlich klar, dass sich die USA im Herbst und mit den Präsidentschaftswahlen auf nichts anderes als einen gewaltigen Intelligenztest zu bewegen; falls einer dieser Republikaner-Primaten das Rennen machen sollte, dann werden wir einen eisernen Vorhang mitten im Atlantik herunter lassen und vielleicht zuvor noch die Engländer fragen, auf welcher Seite dieses Vorhangs sie die nähere Zukunft zu verbringen wünschen. Möglicherweise erhält dann England einen Status wie in grauen Vorzeiten Berlin, nämlich als geteiltes Land, eine Enklave Amerikas im sozialistsichen Europas, wobei die Mauer logischerweise entlang dem Hadrianswall errichtet würde, da sich Schottland natürlich ebenso wie Irland zu Europa schlägt.

Aber mein Verweis auf die Punktgenauigkeit betrifft gar nicht diese rosige Zukunft, einmal abgesehen davon, dass ich überzeugt bin, dass die US-Amerikaner ihren Intelligenztest mit Bravour bestehen werden, nein, ich spreche vom Timing, mit welchem das Oberlandesgericht Nordrhein-Westfahlen eine Strafuntersuchung gegen Euren Bundespräsidenten eingeleitet hat, was wiederum diesen zum sofortigen Rücktritt bewegte. Ich sage nur eins: Fasnacht!, oder wie das bei euch heißt: Fasching. Anders als karnevalesk kann man diese Ereignisse nicht bezeichnen. Ich höre, dass irgendein Unternehmer dem Wulff früher mal wieder ein paar Übernachtungen in einem Luxushotel auf Sylt bezahlt haben soll. Preis pro Übernachtung: 285 Euro. Wow, Freundinnen und Freunde, diesen Luxus können sich bei uns sogar die Arbeiter der Müllabfuhr leisten, ich meine, mindestens einmal pro Jahr. Bei uns kosten Luxushotels, zum Beispiel in St. Moritz die Spa-Suite im Kempinski, rund 2000 Euro pro Nacht. Gleich teuer ist die, sinnvollerweise Präsidentensuite genannte Beherbergung im Kempinski in Berlin. 285 Euro? Seid ihr oder ist sich die Oberstaatsanwaltschaft Nordrhein-Westfalen wirklich sicher, dass man den Wulff für dieses Geld bestechen konnte oder musste? – Mehrere hundert, wo nicht tausende Anzeigen gegen Wulff seien eingegangen. Ich kann mir das plastisch vorstellen: Einmal hat Wulff eine Briefmarke geborgt und den Euro dann nicht zurückgegeben. Ein andermal steckte er einen Kugelschreiber ein, der kein Werbegeschenk gewesen war. Und so weiter. Also wirklich: Bestechung? Korruption? Staatsanwaltschaft? – Wenn ich euch in Kollektivgewahrsam nehmen darf, was ich selbstverständlich nie tun würde, dann würde ich sagen, dass ihr und stellvertretend für euch die Staatsanwaltschaft Nordrhein-Westfalen eine derartige Beule habt, dass man von einer echten Wuffel sprechen muss.

Es ist möglich, dass ich mich täusche, und die Untersuchung wird’s ans Licht des Tages bringen, aber es würde mich echt überraschen, wenn da mehr als ein paar hundert Euro- und Hundert-Euro-Beträge zusammen kämen, denn das ist es doch gerade: Euer Wulff war in keiner Art und Weise ein Bestechungsfall, sondern, und das wurde schon verschiedentlich und absolut korrekt gesagt, er war und ist ein Schnäppchenjäger, wobei «Jäger» bereits übertrieben scheint, aber wie auch immer, er hatte ein Gespür für Schnäppchen. Und das wollt ausgerechnet Ihr Eurem Bundespräsidenten zum Vorwurf machen, Ihr, die Ihr über Jahre hinweg nach dem Motto «Geiz ist Geil» eingekauft habt? MediaMarkt/Saturn hat dieses Logo sicher nicht in die Welt gesetzt, weil es die Menschen vom Kauf ihrer Waren abschreckte, sondern es war in den letzten zehn Jahren, oder sagen wir großzügig: Es war bis im Jahr ungefähr 2009 der authentische Ausdruck für die Mentalität der bundesdeutschen Bevölkerung. Wenn nun die gleichen PR-, Werbe- und Presseheinis, welche diese Mentalität über all die Jahre richtiggehend zelebriert haben, heute Zeter und Mordio schreien, weil sie sie nicht nur häppchenweise, sondern voll ausgebaut im ansonsten voll funktionstüchtigen Bundespräsidenten Herr Dr. Christian Wulff wieder finden, dann finde ich das pervers. Aber den Gipfel erreicht die Perversität an dem Punkt, an dem die Bild-Zeitung als authentische Verfechterin der Pressefreiheit dargestellt wird. Irgend so ein Medienprofessor aus Tübingen hat genau diesen Versuch am Schweizerischen Staatsfernsehen unternommen, und er soll dafür bestraft werden mit einer lebenslangen Partnerschaft mit der dümmsten und langweiligsten Person, die man sich überhaupt nur ausmalen kann. Ihr aber, deutsches Volk, Ihr kriegt für diese von Euch selber zu verantwortende PR-, Werbe- und Presseheinis und Medienprofessoren eine glatte fünf. Die sex ist in diesem Falle schon vergeben. Ihr dürft euch setzen.

Naja, immerhin ist der Fall jetzt abgeschlossen, und die Politikerinnen machen sich jetzt erneut auf die Suche nach einer Person, welche eine moralische Instanz oder gar das moralische Gewissen dieses Landes auf die Bühne bringen soll. Himmel sack nochmals, habt ihr das nötig? Ist es mit eurer Moral, mal abgesehen von Geiz ist geil, derart schlecht bestellt, dass ihr einen Hinterbänkler zum Heiligen hinauf stilisieren müsst, der euch zeigen soll, was ihr nie wart und nie werden wolltet? Lasst doch den Unsinn. Das 21. Jahrhundert ist in den entwickelten Ländern kein Zeitalter mehr für moralische Instanzen, genau so wenig, wie es eines für Helden ist. In funktionierenden sozialdemokratischen Gesellschaften hat die Vorstellung, dass ein Strahlemann oder eine Strahlefrau die Dinge schon richten wird, nichts zu suchen. Das ist anders in Ländern wie zum Beispiel Italien, wo Giorgio Napolitano tatsächlich so etwas wie eine stetige Erinnerung daran darstellt, dass es auch noch so etwas wie Moral in der Politik und im Staatswesen geben könnte. Im italienischen Misthaufen hat eine Lichtgestalt einen gewissen Sinn, wenn mir auch auffällt, dass sich generell die größten Schweinehunde gegenüber diesen mehrhundertjährigen integren Gestalten am freundlichsten geben. Klar, logisch spreche ich von Silvio Berlusconi. Vielleicht hätte Berlusconi nicht so lange Bestand gehabt als Regierungschef, wenn nicht irgendwo noch eine moralische Schaufensterpuppe einen letzten Anstrich von Legitimität über das Jauchetheater gegossen hätte. Wer weiß denn solches, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir zum Beispiel in der Schweiz keinerlei Äquivalent haben für einen Staatspräsidenten; die höchste Schweizerin oder der höchste Schweizer ist jeweils die Präsidentin oder der Präsident des Nationalrates, was bei euch der Bundestag wäre, und dies gerade mal für ein Jahr pro Person. Und ich weiß, dass mir unsere sieben Bundesrätinnen und Bundesräte am liebsten sind, wenn sie absolut farblos und unscheinbar ihre Arbeit verrichten, denn genau dafür sind sie letztlich angestellt, nicht für hoch trabende Ansprachen, sondern für die simple Arbeit des Regierens. Eine moderne Gesellschaft braucht keine moralische Instanz. Für eine moderne Gesellschaft reicht eine ordentliche Verfassung, wie dies Herr Clooney als Darsteller eines Präsidentschaftskandidaten im Film «Ides of March» völlig richtig gesagt hat.

Eine andere Meldung ist mir aufgestoßen, nämlich sind die Israeli offenbar daran, eine Windenergieanlage abzubrechen, welche verschiedene europäische Hilfswerke unter anderem mit staatlichen Mitteln, unter anderem der Schweiz und Deutschlands, im Westjordanland errichtet hatten zur Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Elektrizität. Die Anlage befindet sich in der sog. Zone C, über welche gemäß den Osloer Verträgen Israel die Oberaufsicht hat. Hier leben nur 5% der palästinensischen Bevölkerung, aber sie macht 40% der gesamten Fläche der Westbank aus. Vor dem Strom hatte es schon Berichte gegeben zu Problemen mit der Wasserversorgung für die in der Zone C lebenden Palästinenserinnen. All dies sind manchmal Mosaik- und manchmal Meilensteine auf dem Marsch von Israel von einem fortschrittlichen, offenen Land hin zu einer wirklichen Besetzermacht im ultraorthodoxen Kleid, die sich kaum mehr unterscheidet von den ehemaligen arabischen Despoten und von den republikanischen Teetassen in den Vereinigten Staaten. Wie diese Entwicklung möglich war, interessiert mich schon längst viel weniger als die Frage, ob es noch einen Weg zurück gibt bzw. einen Weg nach vorn, der nicht in das komplette Desaster mündet.