"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann -Ein Streifzug im Oktober-

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Werbung darf beinahe so dreist sein wie Politik.
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11:37 min, 13 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 09.10.2012 / 09:14

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 09.10.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Jemand hat kürzlich aus einem Gesundheitsmagazin den Spruch zitiert, dass eine Stunde Sport das Leben um drei Stunden verlängert. Mit anderen Worten: SportlerInnen leben zwar ungesund, aber ewig. In der Praxis sind wir nicht alle SportlerInnen, aber es gibt trotzdem Hinweise auf einen Mindestwahrheitsgehalt des Spruchs, eben, ähnlich dem Mindestwahrheitsgehalt in der Politik, und zwar ist in Deutschland die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen in den letzten 10 Jahren um 2 Jahre gestiegen. 2 Jahre geteilt durch 3 macht 8 Monate, die Frauen haben also in den letzten 10 Jahren 8 Monate lang Sport getrieben bzw. ihre Sportbetätigung um durchschnittlich 8 Monate gesteigert. Wenn man das auf die Wochentage umlegt, ergibt sich ein Aufwand von knapp eineinhalb Stunden täglich. Und sollte die Rechnung für das ganze Leben gelten, so wären für ein Alter von 80 Jahren 26,666 Jahre Sport nötig, inklusive Turnstunden und Schwimmen im Meer. Nun warte ich selbstverständlich noch auf die ergänzenden Berechnungen der Nicht-Fleischfresser, die ich mir ungefähr so vorstelle: Salat wirkt sich im Verhältnis von 3:1 zu gegartem oder gebratenem Gemüse um 2,3 Tage pro Teller lebensverlängernd aus, während Kalbs-, Rind- und Schweinefleisch gekocht pro 100 Gramm 19 Stunden Lebenszeit kosten, roh sogar 1 Tag und 14 Minuten. Die entsprechenden Angaben für Pferd, Karnickel, Schaf&Ziege sowie Wild sind auf Anfrage bei der Vegetarischen Gesellschaft Deutschland e.V. erhältlich.

Sehr schön, und die gleiche Sache in der Politik. Wenn ich das in der weiten Entfernung von Berlin richtig gehört habe, wirft die CDU, vor allem aber die CSU dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Sreinbrück vor, er sei ein Lakai der Banken, weil er vor diesem Gesocks hoch bezahlte Vorträge gehalten habe. Jetzt muss der Steinbrück seine Einkünfte aus Referententätigkeit offen legen, so wie der Mitt Romney seine Steuerbeiträge der letzten 10 Jahre. Und was heißt das umgekehrt? – Natürlich, dass auch alle CDU- und CSU-PolitikerInnen demnächst ihre Nebeneinkünfte publizieren müssen. Ja Herrschaft, sind denn die blöd? Das macht man doch nicht, solche Formen von Transparenz in der Politik sind dem Geschäft abträglich. Soll der Steinbrück doch den Bankenknecht und gleichzeitig Bankenregulierer machen, das ist seine Sache, aber der antikapitalistische und letztlich sogar direktdemokratische Unterton bei der CDU/CSU, der ist mir keineswegs entgangen, im Fall, und wohin solch sozialdemokratisches Getue führt, das kann man bei Friedrich A. Hayek nachlesen: Direktemang in die Knechtschaft, im Fall! – Das hören wir übrigens aus Transozeanien bzw. aus Transatlantis schon die längste Zeit, hauptsächlich von den Teetrinkern, die sich im Übrigen hüten sollten und wohl auch werden, den guten Mitt zu wählen, der ist einfach nicht so richtig evangelikal drauf, das hat man im ersten Rededuell mit Obama gesehen. Wobei umgekehrt der Hass der Teetrinker auf Obama doch groß genug sein dürfte, um doch noch das kleinere Übel Romney zu wählen.

Sprechen wir kurz von der Autoindustrie. In den USA scheint sich der Markt langsam zu erholen, wogegen Europa lahmt, und zwar zum Teil massiv. Italien weist die schlechtesten Verkaufszahlen seit Jahrzehnten aus, und auch Frankreich ächzt und jammert, wobei man hier nicht so genau weiß, ob nicht die Herren Patrons dem Hollande ans Bein pinkeln wollen, nachdem der jetzt seine Wahlversprechen umzusetzen versucht und die Steuern für die Reichen anhebt. Da sind natürlich alle Mittel schlecht, auch mal die Drohung mit der Schließung eines Betriebs, den man unter Kollege Sarkozy noch hatte weiter laufen lassen mit den bekannten Fördermitteln des Staates. Vielleicht spielt Fiat-Chef Marchionne in Italien ein ähnliches Spiel, wobei es hier weniger um die Regierung Monti geht als um die Gewerkschaften. Wenn es bei Gelegenheit Ab- und Aussprachen zwischen Regierungs- und Industriespitzen gibt, so ist durchaus denkbar, dass Marchionne eine große und durchaus symbolhaltige Katastrophe schildert, um dann in einigen Punkten nachzugeben, worauf Monti als Strahlemann dasteht und damit andere Reformprojekte durchziehen kann. Gegenwärtig hat er sich unter Ausnutzung des jüngsten Verschwendungsskandals in der Region Lazium daran gemacht, die Privilegien der Regionalparlamente zu beschneiden, was der Politikerkaste in Italien so vorkommt, als würde man ihr bei lebendigem Leib mehrere Fingernägel ausreißen. Dabei ist diese Maßnahme, inklusive der Beschränkung der Abgeordnetensaläre auf 5000 Euro pro Monat, das einzig Richtige, was der italienische Staat zu tun hat, und wenn es Monti gelingt, das Ding durchzuziehen, dann wollen wir ihn auf immer und ewig loben, obwohl er natürlich auch zu den verschworenen Verschwörern rund um Goldman Sachs und den Bilderberg und die Mont-Pélérin-Society usw. usf. zählt. Insofern muss man erst einmal abwarten, ob eben die Drohung mit der Stilllegung der italienischen Automobilindustrie nicht eine Begleiterscheinung zur Taktik von Mario Monti darstellt.

In Deutschland dagegen dampfen die Auspuffe nach wie vor herum, ganz abgesehen von den verschiedenen Tochterfirmen im amerikanischen und asiatischen Ausland, wo die Nachfrage mehr oder weniger unabhängig vom aktuellen Wirtschaftswachstum ungebrochen groß ist. Umso mehr bleibt darauf hinzuweisen, dass es sich hier um eine Industrie im Niedergang handelt. Zwar kann man jetzt noch die letzten Gadgets einbauen, nach dem elektronischen Zirpen des Routenplaners noch ein Alkoholtest für den Fahrer, der von 0.3 Promille automatisch den Motor abstellt, nachdem die automatische Einparkfunktion unterdessen Standard geworden ist und der Autopilot ebenfalls kurz vor der Serienfertigung steht; daneben werden sich aber die verbliebenen industriellen Prozesse immer stärker weg vom Automobil bewegen, hin zu intelligenten Materialien, Kommunikation, geistiges Eigentum und so ne Dinger, ganz abgesehen vom weiteren Ausbau der Eisenbahn, wobei die Deutsche Bahn darunter offensichtlich vor allem den Abbau von Regionallinien versteht. Offenbar wurde sie dabei sogar von einem Schrotthändler um eine halbe Million Euro geprellt, der ihr entweder alte Eisenbahnschwellen entwendet oder aber sie zu tief bezahlt hat. Aber das ist letztlich nur die logische Konsequenz der kategorischen Verweigerung, so etwas wie Regionalverkehr weiter betreiben zu wollen. Vielleicht müsst Ihr bzw. müssen Eure Länderregierungen mal prüfen, ob sie nicht wieder wie im 19. Jahrhundert eigene regionale Bahngesellschaften gründen wollen, soweit dies nicht bereits erfolgt ist.

Dem Griecherer dagegen scheint der Schnauf demnächst ganz und gar auszugehen, und zwar offensichtlich vor allem aus dem einen Grund, weil die Regierung nach wie vor jenes Geld, das sie erhält, für den Unterhalt ihrer ungeheuren Personalflotille einsetzt, das heißt, der Staat verändert sich nicht, die Wirtschaft ist klamm, das Elend breitet sich rasch aus. Mein Gewährsmann behauptet zwar, die aktuelle Regierung hätte die richtigen Maßnahmen in die Wege geleitet und einen Teil der Staatsangestellten – möglicherweise auch in den Staatsbetrieben – in die technische Arbeitslosigkeit geschickt als ersten Schritt zur Entlassung, aber solange ich keine entsprechenden Zahlen sehe, bleibe ich bei meinem negativen Urteil: Die lassen es einfach drauf ankommen, dass die Gesellschaft vor die Hunde geht, solange nur ihr Maskottchen mit allen damit verbundenen Privilegien funktionstüchtig bleibt. Schwierig, schwierig, insonderheit weil auch auf Seiten der EU nirgendwo die Einsicht zu bestehen scheint, dass man in Griechenland noch viel mehr als anderswo mit der Einführung eines echten Grundeinkommens einen radikalen Schritt aus dem Elend tun würde – allerdings nicht zugunsten der Klasse der Staatsbediensteten, sondern sämtlicher BürgerInnen. Das wiederum setzt eine damit verbundene Staatsreform voraus, während der allerdings das Grundeinkommen bereits ausgeschüttet werden könnte – Geld dafür ist offenbar vorhanden, aber eben, es fließt einfach in andere Kanäle.

Im schönen Österreich läuft gegenwärtig eine Kriminalserie mit dem Namen Korruption und Bestechung, allerdings nicht im ORF, sondern vor den Gerichtshöfen des Landes. Nachdem der frühere Kärntner ÖVP-Politiker Josef Martinz zu fünfeinhalb Jahren verurteilt wurde, und zwar im Zusammenhang mit dem Verkauf der Hypo Alpe Adria an die Bayrische Landesbank, bei welcher der populistische Neofaschist Jörg Haider die Hauptrolle spielte. Jetzt zittern reihenweise weitere Angeklagte, unter anderem der schönste Mann Österreichs, der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser wegen verschiedener Deals beim Verscherbeln von Staatseigentum, z.B. von 60'000 Wohnungen im Jahr 2004 an eine Firma, die anschließend 10 Mio. Euro an seinen Trauzeugen und einen weiteren Freund überwies. Da muss sich seine Frau, die Besitzerin des Glaswarenkonzerns Swarowski, auf ein länger dauerndes Strohwitwendasein einrichten, wenn die Richter hier die gleichen Kriterien anlegen wie bei Martinz. Allerdings ist auch in Österreich die Justiz käuflich, und zwar insofern, als man sich unter den Reichen und im vorliegenden Fall auch den Schönen immer die besten Anwälte halten kann, welche auch im Verfahrensrecht alle möglichen Schleichwege kennen, sodass so ein Prozess durchaus nochmals 10 Jahre dauern kann, bis die letzte Instanz entschieden hat, und vielleicht sind bis dann einige Anklagepunkte verjährt, und so weiter und so fort. Jedenfalls sind heute praktisch alle ÖsterreicherInnen der Auffassung, dass die Politik in diesem Land an einen dampfenden Misthaufen erinnert. Die Sozialdemokraten haben eben auch keine lupenreine Weste, wobei das größte Skandälchen, welches die ÖVP und die Rechtspopulisten am Kochen erhalten möchten, vergleichsweise banal ist; nämlich hat der aktuelle Bundeskanzler Faymann in seiner Zeit als Minister eines früheren Kabinetts einem österreichischen Gratisblatt verschiedene Inseratenaufträge der Österreichischen Bundesbahnen zukommen lassen, und das soll dazu gedient haben, diese Sorte Presseorgane günstig für ihn zu stimmen. Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, jedenfalls ist es nicht unüblich, dass auch Staatsbetriebe hin und wieder Werbekampagnen fahren, und dem österreichischen Bundesstaat ist aus dieser Kampagne abgesehen von den Inseratekosten weiter sicher kein Schaden entstanden. – Aber wie auch immer: In der Bevölkerung gelten gegenwärtig die Politikerinnen noch weniger als zuvor, und wer profitiert am meisten davon? – Natürlich die Rechtspopulisten, welche einerseits die wichtigsten Figuren in diesen ganzen Korruptionsfällen stellen, zuvorderst natürlich der unterdessen himmelgefahrene Jörg Haider, aber auch seine Kampfgenossen, und die anderseits in aller Dreistigkeit noch die offensichtlichsten Tatsachen lügen und ihre solariumsgebräunten Visagen immer wieder im Fernsehen ausstellen, wo sie dann vor allem behaupten, das Fernsehen würde sie verunglimpfen. Diese Taktik hat sich schon oft bewährt, Berlusconi ist ein internationaler Großmeister darin, und sie lehrt uns, dass in unseren Gesellschaften nach wie vor das Bild deutlich wichtiger ist als logische Zusammenhänge. Es bleibt, mit anderen Worten, noch einiges zu tun bei der definitiven Demokratisierung unserer Gesellschaften.