"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Afrika -

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Kürzlich habe ich wieder mal eine Ausgabe der «Jeune Afrique» erstanden, ein Magazin für den frankophonen oder frankophilen Teil Afrikas und des Maghreb.
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10:39 min, 19 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.05.2013 / 10:05

Dateizugriffe: 385

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.05.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Zunächst einmal erstaunte mich ein Bericht über den Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, François Bozizé, der Ende März nach Kamerun geflohen war, nachdem Rebellen die Hauptstadt eingenommen hatten; ihre Organisation nennt sich Séléka, und offenbar hatten zuvor schon ein halbes Jahr lang Verhandlungen zwischen den beiden Parteien stattgefunden, die sogar zur Einbindung der Rebellen in eine Koalitionsregierung führten, aber letztlich doch keine zufrieden stellende Lösung brachten. Unter uns gesagt: Ich hatte davon nicht die leiseste Ahnung, obwohl eine entsprechende Meldung auch auf der Webseite meiner Tageszeitung zu finden ist, aber ich habe sie schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Die Übergangsregierung des Rebellenchefs Djotodia wurde inzwischen offenbar von mehreren Staaten anerkannt, nicht aber Djotodia als Präsident. Seither gibt es immer wieder Berichte über kleinere Kämpfe in der Hauptstadt Bangui und über Plünderungen; einerseits also nicht oder noch nicht ein ausgewachsener Bürgerkrieg mit Terror und Tausenden von Toten, anderseits doch eine anhaltende Instabilität, ohne dass man klar erkennbare Motive oder Interessengruppen hinter dem Konflikt sehen könnte. Südafrika hat Truppen entsandt zur Unterstützung von Bozizé, aber die Séléka-Rebellen vermögen ihnen Paroli zu bieten. Frankreich hält sich zurück bzw. begnügt sich damit, den Flughafen und die paar hundert europäischen BewohnerInnen von Bangui zu schützen. – Bozizé war übrigens vor 10 Jahren selber durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen, wurde aber immerhin in der Zwischenzeit zwei Mal durch demokratische Wahlen bestätigt. – 

Die Zentralafrikanische Republik trägt ihren Namen zu Recht und liegt dementsprechend auch im Herzen heftiger Konflikte in Schwarzafrika, geografisch zwischen dem Tschad, dem Sudan, Südsudan, Kamerun und dem Kongo. Das Land hängt noch stark von der Landwirtschaft ab, u.a. von der Baumwolle, und exportiert daneben Holz und Diamanten. Es bestehen erhebliche Rohstoffvorkommen, neben Diamanten noch Uran und Gold und sogar Erdölvorräte, welche die internationalen Konzerne durchaus interessieren, wenn bloß die Infrastrukturen etwas besser wären und eben die Regierung stabiler. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies bei Gelegenheit eintrifft, ist durchaus intakt.

Über den Klee lobt das Magazin dagegen den neuen Präsidenten von Senegal, Macky Sall, der seit seinem Wahlsieg im April 2012, ungefähr zur gleichen Zeit wie Hollande in Frankreich, alles daran setzt, möglichst alle politischen Kräfte mit Ausnahme seines Vorgängers Abdoulaye Wade in die Regierung einzubinden. Das ist nicht selbstverständlich, haben die politischen Formationen der Alliance des Forces de Progrès, der Parti Socialiste oder der Rewmi, doch durchaus eigene Interessen zu bedienen. Allerdings vollbringt auch Sall keine Wunder, sodass auch im Senegal die Wahlversprechungen das eine sind und ihre Einhaltung etwas anderes. Aber immerhin scheint sich ein anständiger Verwaltungsstil eingerichtet zu haben.

Burundi kommt weniger gut weg. Das kleine Land lebt fast nur von internationaler Hilfe; der Wert seiner Exporte deckt nur gerade 20% der nötigen Importe. Das Staatsbudget wird zur Hälfte von internationalen Geldgebern bestritten. Im Januar dieses Jahres brannte der zentrale Markt in der Hauptstadt ab, wo vier Fünftel der Handelstransaktionen des Landes getätigt werden. Die Inflation kletterte auf Rekordhöhen, Treibstoff wurde knapp; drei Viertel der Tankstellen mussten zumachen. Da versteht es sich von selber, dass nur gerade 4% der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität haben; dem soll nun Abhilfe geschaffen werden mit zwei großen Staudammprojekten. Der Privatsektor macht auch keinen stabilen Eindruck, obwohl die internationalen Agenturen die Anstrengungen zur Verbesserung des Geschäftsklimas loben.

Ein weiterer Artikel schildert das Schicksal jener Prätorianergarde, welche den algerischen Präsidenten Bouteflika bei seinem Antritt des Präsidentenamts im Jahr 1999 begleitet hatte. Nun, die einen sind immer noch da, andere im Ruhestand, ein paar haben sich gegen Bouteflika, ein paar einfach von ihm abgewandt. So richtig geblieben sind nur Abdelkader Messahel, der algerische Außenminister, und Youcef Yousfi, der Energie- und Bergbauminister. Zentral scheint es im algerischen Regierungsestablishment jedoch nach wie vor zu sein, das Ohr des Präsidenten zu haben; das erinnert natürlich an die guten alten Schilderungen der arabischen Sultane, die man eigentlich nie so richtig auf moderne Staatsformen umgelegt hat. Umgekehrt kann man den Bericht auch so lesen, dass in Algerien nicht viel Neues ansteht nach der beschwörten Partnerschaft mit Frankreich anhand des Mali-Kriegs; dabei hatten die Islamisten mit dem Front Islamique du Salut ja in Algerien ihren Prototypen installiert, der dank saudiarabischer Finanzhilfe zu Beginn der 1990-er Jahre die Wahlen gewann, worauf das Militär die Macht übernahm, worauf der FIS bewaffnete Ableger erzeugte, was das Land in einen blutigen, einigermaßen kaschierten Bürgerkrieg stürzte. Frieden kehrte erst ein unter der Präsidentschaft, eben von Abdelaziz Bouteflika. Er erließ eine Amnestie, worauf sich der Groupe Islamiste Armé nach und nach auflöste. Aber die islamistischen Kräfte, die übrigens mindestens zu Beginn durchaus Ernst zu nehmende Probleme ansprachen und anpacken wollten, die sind immer noch vorhanden. Eine Splittergruppe, der Groupe Salafiste pour la prédication et le combat, schloss sich 2006 der Al Kaida an.

Dabei ist Algerien auf eine gewisse Art der europäischste Teil des Maghreb. Die Franzosen betrachteten das Land über lange Zeit hinweg nicht als Kolonie, sondern als Teil von Frankreich selber. Zugegeben: nicht ganz als vollwertigen Teil, aber immerhin, einen Unterschied gegenüber dem reinen Kolonialgehabe gab es schon. Vielleicht entstand aber genau aus dieser Nähe heraus eine der stärksten Widerstandsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent, welche Ende der 1950-er Jahre zur blutigen Loslösung führte. Für mich jedenfalls sind in letzter Zeit die verbindenden Elemente wieder stärker in den Vordergrund getreten, logischerweise als Nebeneffekt des arabischen Frühlings. Das Mittelmeer ist nun mal einfach ein ziemlich kleiner Tümpel, welcher weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft jemals die Anrainerstaaten völlig voneinander separieren wird. Es muss nicht immer der Krieg zwischen Karthago und Rom sein; vielmehr spielen die Länder am Südrand des Mittelmeers eine zentrale Rolle im Entwicklungskonzert der Länder Afrikas. Das hat seine Bedeutung nicht zuletzt eben für Frankreich, dessen Präsenz von Marokko bis Tunesien nicht zu überschätzen ist.

Im Moment liegt allerdings nicht Algerien vorn im Wettbewerb der Entwicklung, sondern Marokko. Laut «La Jeune Afrique» liegen die Schwerpunkte auf dem Tourismus, wo die Hotelkapazitäten in ambitiösen Plänen stark ausgebaut wurden und weiterhin werden, auf der Landwirtschaft, was ich sehr vernünftig finde, da die marokkanischen Arbeiter bekanntlich schon lange die entsprechenden Erzeugnisse herstellen, bisher einfach in Spanien, da können sie das genau so gut in Marokko selber machen. Sodann wird die Industrie forciert, wobei einige Sektoren wie die Luftfahrt und die Automobilindustrie Erfolge verbuchen, während andere, z.B. Textil und Leder, nicht auf Touren kommen. Bei der Energieversorgung setzt man logischerweise auf die Sonnenenergie. Allerdings leidet auch Marokko unter den Folgen der Finanzkrise, aber das ist ja unterdessen zum Gemeinplatz geworden. Die Arbeitslosenquote stand 2012 bei 9%, wobei ich nicht genau weiß, was diese Zahl genau aussagt. Schließlich gibt es auch in Marokko noch reichlich Gegenden, wo die Statistik nicht hinkommt.

Am stärksten beschäftigt sich das Magazin aber mit Frankreich selber, zunächst mit der Krise der Regierung Hollande, welche an und für sich die Sympathien Afrikas zu genießen scheint, im Gegensatz zur Koksnase Sarkozy, welcher wohl zu unberechenbar einerseits, zu engagiert für seine Geschäftskumpel in Frankreich anderseits herum hampelte. Der Hauptartikel behandelt die Freimaurerei als Geheimgesellschaft, welche ausgehend von Frankreich die Fäden in der afrikanischen Frankophonie zieht, dabei aber durchaus nicht einheitlich auftritt. Zum einen kommen neue Logen wie z.B. die US-amerikanische Prince Hall dazu, aber auch in Frankreich streiten sich verfeindete Flügel. Jedenfalls publiziert die Jeune Afrique eine Karte mit afrikanischen Politikern, die sich offen zur Freimaurerei bekennen, wie z.B. Blaise Campaoré in Burkina Faso, Idriss Déby Itno im Tschad, Ali Bongo Ondimba in Gabun, Denis Sassou-Nguesso im Kongo und Alpha Condé in Guinea; gerüchteweise zählen Mahamadou Issofou aus dem Niger, Alassane Ouattara von der Elfenbeinküste, Faure Gnassingbé vom Togo, Thomas Boni Yayi aus Benin sowie Joseph Kabila aus der Demokratischen Republik Kongo dazu; ein Dementi gibt es zu Macky Sall aus Senegal und Paul Biya aus Kamerun.

Ein weiterer Artikel behandelt sodann das Aufkommen des Geschäfts mit der Kommunikation, vor allem im Bereich Werbung, wo die großen Agenturen wie BBDO oder Publicis nun beginnen, Afrikabüros zu eröffnen, da sich hier zunehmend eine Mittelklasse ausbildet, vor allem in Ländern wie Nigeria mit den dicken Erdöleinnahmen. Mittelklasse heißt auch Breitenkonsum. Dagegen stemmen sich die lokalen Werbeagenturen, logischerweise, und das produziert dann oft nationalistische Töne in Ländern, die zum Teil noch mitten in der Subsistenzwirtschaft stecken.

Soviel zu Afrika, und ein letzter Hinweis auf den World Press Photo Award 2013: Tod einer Familie lautet der diesjährige Preisträger, vorne sieht man die zwei toten Kinder, hinten angeblich den toten Vater, wie sie von Angehörigen zur Beerdigung oder ins Leichenschauhaus getragen werden; es handelt sich um Opfer einer israelischen Attacke im Gaza-Streifen. Auch der erste Preis «Stories» geht nach Gaza, und hier finden wir auf dem dritten Platz dann wieder die Pulitzerpreis-Foto, an deren Authentizität ich meine Zweifel vor einer Woche angemeldet habe. So oder so: Leichenfutter für saturierte Friedenstauben.