„Queer und (Anti)Kapitalismus“ - zum neuen Buch von Heinz-Jürgen Voss und Salih Alexander Wolter

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Beide Autor_innen fächern die Diskurse um Queer bzw. Geschlechterverhältnisse und Kapitalismus differenziert auf und unterfüttern ihre Aussagen mit spannend zu lesenden Quellen aus der Bewegungsgeschichte. Sie zeigen aufs Klarste, worum es geht und zwar um Phänomene des Alltags in ihrer historischen Bedingtheit, ihrer Eingebundenheit in Theorie und in ihrem globalen Zusammenhang. Sie gehen folgende Fragen nach:
Wem nützen die geschlechtlichen und sexuellen Zurichtungen der Menschen im Kapitalismus, und was lässt sich aus den historischen und aktuellen Kämpfen für queere Kapitalismuskritik lernen?

Musik: Bad Comfort - "110319" von der Compilation "Xocolatl" auf Phonocake (http://www.phonocake.org/xocolatl)
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23:45 min, 22 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.10.2013 / 07:44

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Frauen/Lesben, Schwul, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Antje
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 29.10.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Skript:


Auf dem e*camp gab es einen Vortrag von Heinz-Jürgen Voss. „Queer & Kapitalismuskritik: Gerechte Gesellschaft machen wir!“ Er unternahm mit dem Publikum lehrreiche Ausflüge in die Geschichte der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir jetzt leben. Es kam mehrmals die Frage auf: Ja, wann kommt denn jetzt die Kapitalismuskritik? Hier kommt sie:

Das neue Buch von Heinz-Jürgen Voss und Salih Alexander Wolter ist ein pink beschriftetes kleines schwarzes Bändchen, das im Schmetterling Verlag im September 2013 erschienen ist.

Beide Autor_innen fächern die Diskurse um Queer bzw. Geschlechterverhältnisse und Kapitalismus differenziert auf und unterfüttern ihre Aussagen mit spannend zu lesenden Quellen aus der Bewegungsgeschichte. Sie zeigen aufs Klarste, worum es geht und zwar um Phänomene des Alltags in ihrer historischen Bedingtheit, ihrer Eingebundenheit in Theorie und in ihrem globalen Zusammenhang. Sie gehen folgende Fragen nach:

Wem nützen die geschlechtlichen und sexuellen Zurichtungen der Menschen im Kapitalismus, und was lässt sich aus den historischen und aktuellen Kämpfen für queere Kapitalismuskritik lernen?
„Komplizenschaft verweigern“. heisst der erste Teil, den Salih Alexander Wolter bestreitet, indem er aus aktivistischer Perspektive gegen die Geschichtsvergessenheit der queeren Szene anschreibt und dabei trotzdem die Theorie streift.
Marx kommt auch vor.
Zuerst beschreibt Wolter verschiedene Schleifen der Marxrezeption und das Ringen um einen Kapitalismusbegriff.
Viele wichtige Namen werden genannt und ihre Zusammenhänge leicht verständlich dargestellt. Es wird die zur Zeit hippe Ökonomiekritik kritisiert, die sich nicht Kapitalismuskritik nennen will, weil sie zuwenig ihre eigenen Grundlagen hinterfragt. Z.B. wer die Erze schürft, aus denen unsere Computer gemacht werden. Für wirklich Emanzipation fordert er eine Perspektive, die über die Grenzen des eigenen Koninents hinaus geht.
Bei aller Undergroundigkeit haben die meisten von uns (Zuhörer_innen) eine privilegierte Position.
Eine wirklich emanzipatorische Perspektive nimmt die ganze Welt in den Blick, da auch der Kapitalismus weltumspannend sei und nicht als nationales Phänomen betrachtbar ist. Es folgt ein Flug durch die Geschichte am konkreten Detail. Wolter zeigt an vielen Beispielen, dass seit der frühen Neuzeit der globale Kapitalismus in der Kolonisierung der Welt durch Europäer vorbereitet wurde. Das ist ein spannender Gedanke, dass ohne die Kolonialisierung der Kapitalismus so nicht möglich geworden wäre. Zumindest ist Rassismus als ökonomische Strategie die Grundlage für beides. Wolter legt im Buch dar, inwiefern die BRD mit ihrer rassistischen Asylpolitik als postkoloniales Gebilde begriffen werden kann.
Sexismus wird ebenfalls als ökonomische Strategie dargestellt, indem Reproduktionsarbeit als Nicht-Arbeit ausgegeben wird, aber dazu später mehr.
Weiterhin schaut Wolter in die Geschichte der Linken und findet dort migrantische Unsichtbarkeit und linke Selbstkritik in der proto-intersektionalen Publikation „Drei zu Eins“ vom Ende der 80-er Jahre. Interessanter sind jedoch die Erzählungen von afrodeutschen und jüdischen Feminist_innengruppen dieser Zeit, die kluge Analysen der Verhältnisse vorlegten und das Hinterfragen von Privilegien mehrheitsdeutscher Frauen forderten.
Die Rolle des Homonationalismus wird mit Butlers Worten als „Komplizenschaft mit dem Rassismus“ geklärt.

Im Folgenden schildert Wolter die Geschichte der Identitätskategorie „Homosexualität“, die auf Rassismus und der Ausgrenzung von Transpersonen ihre zunehmende Hegemonialität begründet. Er schildert die Geschichte von Queer, die er in den 60-er Jahren mit den Transfrauen, Feminist_innen und Sexarbeiter_innen Sylvia Riviera und Marsha P. Johnson. An der leidvollen Geschichte dieser beiden Pionierinnen des Transgender Movements zeigt Wolter, die in homosexuellen Zusammenhängen rassistisch, klassistisch und transphob gemobbt wurden, wie poc und Transpersonen dort systematisch ausgegrenzt wurden. Damit wurde die Identitätskategorie „homosexuell“ hoffähig gemacht. Sie ist weiss und Mittelklasse. Die Geschichtesschreibung von „queer“ endet mit der Charakterisierung deutscher bürgerlich geprägter junger Menschen mit politisch reflektiertem akademischem Jargon, „die durch ihren Habitus die Ausschlüsse ihrer Klasse reproduzieren“.
Zu diesen bewegungsgeschichtlichen Argumenten kommen noch theoretische hinzu. Es fallen die Namen Michel Foucault, Antonio Gramsci, Nancy [na:sy] Peter Wagenknecht, Antke Engel, Karl Marx und Gayatri Chakravory Spivak. Diese spannende Argumentation solltet ihr in voller Länge lesend genießen.
Im letzten Kapitel seines Textes beschäftigt sich Wolter nochmal intensiver mit Intersektionalität. Er benennt Angela Davis‘ Buch „Woman, Race and Class“ von 1981 als grundlegend, erläutert Kimberlé Crenshaws Motivation und Aktivitäten zum Thema, um dann konkret die Situation von Migrant_innen und ihrer Kinder in der Bundesrepublik zu beschreiben.

Den zweiten Teil von „Queer und (Anti)kapitalismus“ hat Heinz-Jürgen Voss verfasst. Er ist überschrieben mit: „Die Entwicklung des Kapitalismus und die Deklassierung von einzelnen und Gruppen von Menschen.“ Er vertieft die von Wolter umrissene Position.
Voss geht in die frühneuzeitliche Geschichte der Entwicklung des Kapitalismus zurück, um die Kolonisierung der Welt als ursächlich auch für heutige Geschlechterverhältnisse in die Verantwortung zu nehmen und ihn als globales Phänomen jenseits von nationalstaatlichen Grenzen zu betrachten. Immer wieder featured Voss die Analysen der afrodeutschen Feministinnen Martha Mammozai und Katharina Oguntoye aus den 80-Jahren, die den deutschen Kolonialgeschichte ins Verhältnis zu gegenwärtigen nationalistischen und rassistischen Ausschlüssen, auch durch Frauen, setzen.
Weiterhin setzt sich Voss insofern kritisch mit Marxismus und Queerfeminismus auseinander. Er bemängelt, dass sich zu wenig mit der Verwobenheit des globalen Nordens mit dem globalen Süden im Kapitalismus auseinandergesetzt wurde. Er zitiert Samir Amin, der Marx‘s Fokussierung auf den globalen Norden moniert. Für Amin ist wichtig, die Rolle des globalen Südens klar zu haben, der für niedrige Löhne den Reichtum des Nordens erarbeitet. Die kolonialen Strukturen bestehen weiter. Der Hauptwiderspruch bestehe dementsprechend zwischen Arbeiter_innen und Bäuer_innen der Peripherie und dem Kapital im Zentrum. Amin kritisiert arbeitsfetischistische Marxist_innen des ehemaligen Ostblocks und erinnert an Marx‘ Vision von einer Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Daran anschliessend zitiert Voss Spivak, die die Rolle der Frauen des globalen Südens und deren doppelte Unterdrückung sichtbar macht. Diese würde teilweise von den Emanzipationsbewegungen des Nordens geduldet und protegiert. Spivak kritisiert den internationalen Feminismus als paternalistischen Diskurs des Nordens, der sich als befreit ausgibt und die Frauen des Südens mit ihren spezifischen Problemen und Fähigkeiten zum Schweigen bringt. Die stellvertretende Repräsentation subalterner Positionen diene nämlich nur der Selbstüberhöhung und sei eine hegemoniale Position. An dieser Stelle empfiehlt Voss, die eigene privilegierte Position wahrzunehmen und bewusst zu verlernen, „damit Sprechen aus unterdrückten Positionen möglich werden kann“.
Im folgenden Unterkapitel schildert Voss die Geschichte der Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus. Er differenziert die familiären und Arbeitsbeziehungen, in denen sich Menschen in der Vergangenheit befinden konnten. Er erläutert, wie sich davon die uns bekannte Erwerbsarbeit abgekoppelt hat, und wie sich dadurch die uns bekannten Geschlechterrollen entwickelt haben. Im Rassismus sieht Voss eine für den Kapitalismus „förderliche Variable“. Wenn es keine Nationalstaatsgrenzen gäbe, könnten alle Menschen dorthin umziehen, wo es für sie günstige Lebensbedingungen gäbe. So könnte dann kein Gewinn mehr durch große Lohnunterschiede an verschiedenen Orten gemacht werden.
Voss fordert, dass linke Analysen des Kapitalismus‘ immer international sein müssen. Er findet es nicht ausreichend, wenn diese auf europäischer oder Nationalstaatsebene verbleiben, weil der allergrößte Teil der Reproduktionsarbeit für die Arbeitskraft im globalen Norden insgesamt im globalen Süden geleistet wird. Voss erinnert an die Sojaherstellung für Tofuschnitzel, an Erze für Computer und Telefon, an Textilien u.a. Zitat: „Erst durch die Überausbeutung in globalen Süden gelingt aktuell das Leben im globalen Norden.“ Würde den Arbeitenden im Süden der gleiche Lohn wie im Norden gezahlt, würden die Arbeitenden im Norden unglaublich verarmen - trotz bzw. vielmehr wegen dem gleichem Lohn. Die weltweit so ungleichen Lohnunterschiede stellen für Voss eine massive rassistische Diskriminierung dar. Linke Kapitalismuskritik müsse zwingend eine internationale Perspektive einnehmen. Denn der Kapitalismus kann nur global überwunden werden.
In einem weiteren Kapitel widmet sich Voss der kulturellen Kolonialsierung mit dem Fokus auf Geschlecht und Sexualität. Indem er wieder Mamozai und Oguntoye zitiert, beschreibt er deutsche Kolonialisierung seit dem 16. Jh. und inwiefern die deutsche Industrie davon profitiert hat. Auch die deutsche Wissenschaft trug ihren Teil dazu bei und erfand sowohl die Rasse als auch eine Menge rassistischer Zuschreibungen. So z.b. die „Verweiblichung“ schwarzer Männer und ihre gleichzeitige „Hypermaskulinität“ als potentielle Vergewaltiger weisser Frauen. Heute wird daran angeknüpft, wenn weiße Lesben und Schwule meinen, Frauen und Queers of Color vor schwarzen Männern schützen zu müssen. Voss zitiert Sheila Mysorekar, wenn er schreibt, Feministinnen sollten sich erst mit ihrem Rassismus und Schwarze Männer erst mit ihrem Sexismus auseinandersetzen, bevor sie sich mit Schwarzen Frauen solidarisieren. Er zitiert weiterhin Angela Davis, um das Fortbestehen kolonialer Verhältnisse in den USA nach Abschaffung der Sklaverei zu problematisieren. Schwarze Frauen waren als Hausangestellte tätig und wurden von den Hausherren sexuell missbraucht, weisse Frauen konnten schwarze Männer der Vergewaltigung bezichtigen. Schwarzen wurde vor Gericht grundsätzlich nicht geglaubt, sie wurden gelyncht. Der Mehrzahl der Lynchmorde ging erwiesenermaßen keine Vergewaltigung voraus. Erhalten haben sich die rassistischen Stereotype, die Solidarität auch in linken Zusammenhängen erschweren. Die Problematik gipfelt im „Embedded Feminism“, der militärische Invasionen in Länder rechtfertigt, die angeblich subalternen Frauen, Lesben und Schwulen Befreiung bringen sollen. Eine solche Argumentation wird auch von konservativen und sonst eher antifeministischen und homophoben Politiker_innen vertreten.
Im nächsten Unterkapitel beschäftigt sich Voss mit der Erfindung der Homosexualität und ihrer Funktion beim Regieren von Menschen. Er beschreibt, welche Rolle „Sodomie“ im Leben der Menschen in der frühen Neuzeit gespielt hat. Ab dem 18. Jh. wurde ihr der Kampf angesagt und es kam zu Verfolgung und zur Vereindeutigung des Tatbestands „Sodomie“. Enge Freundschaft und Zärtlichkeiten unter Männern galten nun als verdächtig. Im 19. Jh. wurden Verhaltensweisen, die der heutigen Definition von Homosexualität entsprechen, klar umrissen und als Straftatbestand gefasst. Es enstehen die Identitäten „Homo-“ und „Heterosexuell“, die die Verhaltensweisen der Menschen vereindeutigen und damit einschränken. Parallel dazu entsteht die Lohnarbeit, die von der Reproduktionsarbeit getrennt wird. Das (t.w. vermeintliche) sexuelle Tun der Menschen wurde auch in den Kolonien von den Herrschenden reguliert, damit dieses den Ablauf der Arbeitsprozesse nicht stört. Voss führt folgend weitere Bevölkerungstechniken aus und widmet sich der Rolle der Biologie und der Medizin dabei. Sie legitimierten mit ihren Zuschreibungen den Ausschluss von großen Teilen der Bevölkerung an politischer Teilhabe. Sie definierten Normen, wobei der Maßstab dafür der heterosexuelle bürgerliche weiße Mann war.
Dies führt Voss zum Abschnitt „Pluralisierung von Identitäten im globalen Norden“. Er setzt die Aufhebung der Sanktionierung von Homosexualität in der BRD ins Verhältnis zur Veränderung der Produktionsweisen. Statt Fließbandarbeit gibt‘s jetzt Dienstleistung, und da sind Flexibilisierung und Individualisierung, auch sexuelle, gefragt. Sexuelle Befreiungsbewegungen wurden vom Kapitalismus eingeholt, auch homosexuelle Sinnlichkeit wird in Waren umgewandelt. Voss zitiert Leo Kofler, der das intimste Erleben scheinbar alternativlos nur noch im Raster von Waren denk- und erlebbar sieht. Über diese Identifikation würden Individuen stärker an die repressive Ordnung gefesselt. Auch hier fügt Voss eine internationale Perspektive hinzu: Den Menschen im Süden wird vorgeworfen, nicht nach den neusten westlichen Dienstleistungsstandards zu leben, die aber erst durch die Überausbeutung der Menschen im Süden möglich wurde. Die Unterschiede an sogenannter Zivilisiertheit führen zu stereotypen Zuschreibungen bis hin zu kriegerischen Handlungen.
Im folgenden Unterkapitel schildert Voss die Entwicklung proletarischer Bewegungen bis hin zu queerem Aktivismus. Er differenziert zwischen feministischem und homosexuellem Streiten in DDR und BRD und benennt die geschichtsvergessenheit der neueren Geschlechterforschung diesbezüglich. Die Unterschiede wie auch die Querbezüge zwischen den Staaten sind spannend zu lesen, ebenso wie die gleichzeitig mitentstehenden Ausschlüsse, die Voss detailliert mit Quellen belegt.
Schliesslich beschreibt Voss Rassismus in Deutschland als institutionalisiertes System. Gastarbeiter_innen wurden als Arbeiter_innen minderen Rechts konzipiert, in wirtschaftlichen Krisenzeiten sollten sie in ihre Heimat zurückkehren, sodass für den deutschen Staat keine Reproduktionskosten anfallen. Grundlage dafür ist das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht, dessen Vorläufer aus dem Jahr 1913 von völkisch-nationalistischen und rassistischen Positionen geprägt ist. Voss zeigt, wie institutionalisierter Rassismus wirtschaftlichen Interessen dient, und lässt dabei auch die Situation von Vertragsarbeiter_innen in der DDR nicht aus. Weiterhin beschreibt er die Bewegungen, die sich dagegen wendeten. Er nennt ADEFRA als Selbstorganisierung afrodeutscher Frauen in der BRD der 80- Jahre unter Inspiration von Audrey Lordes, die Organsierung lesbisch-feministischer Jüdinnen und Nichtjüdinnen, die sich mit Antisemitismus in der Frauenbewegung beschäftigten, oder die Organsierung von Lesben mit türkischem Hintergrund. Die Wendezeit und die beginnden 90-er Jahre markiert Voss als lebensgefährlich für Queers of color, deren negative Erfahrungen sich in den weißen euphorischen Wendeerzählungen nicht niederschlagen.

Zum Abschluss des gesamten Buches fügt Voss ein Kapitel an, das er überschreibt mit „Ums Ganze“: aktuelle politische Kämpfe“. Er beschriebt hier die Notwendigkeit der Fortführung queerer Kämpfe als Kämpfe gegen gewalttätige Übergriffe staatlicher Institutionen, die mit ökonomischen Fragen verwoben sind. Während weiße Schwule mit genüg Geld mittlerweile an allen Privilegien von Cis-Männern teilhaben können, werden arme Schwule, Frauen, People of Color, Trans- und Interpersonen weiter handfest diskriminiert. Voss zeigt, dass nachdem die gefährlicheren Kämpfe vorbei waren, auch weiße bürgerliche Schwule zu Kämpfen dazustießen, um diese bald mit ihren Positionen , z.B. mit Forderungen nach Ehe zu dominieren. Das dazugehörige Stichwort heisst „Whitewashing“. Damit einher geht ein Abkehr von radikalen Forderungen an den Staat hin zur Intergration der Forderungen in staatliche hegemoniale Politik, wie Voss schreibt. Er problematisiert damit die staatliche Integrierung widerständiger Aktivitäten, die durch Abhängigkeit von staatlichen Geldern kritische Positionierungen unterbinden. In Diskussionen um Sachzwänge würden Aktivist_innen so gespalten.
Abschließend plädiert Voss für ein gemeinsames Streiten von Menschen unterschiedlicher Hintergründe jenseits identitärer Gruppierungen. Diese Gemeinsamkeit kann nur entstehen, wenn Menschen immer wieder dominante, weiße und ausschließende Positionen thematisieren. Privilegien sollten reflektiert und verlernt werden. Voss forderte ein konsequente Solidarisierung mit P.o.C. und die Achtung der Definitionshoheit ihrer Selbstorganisationen. Voss und Wolter versuchen, ihren Beitrag dazu mit dem hier besprochenen Band zu leisten. Dazu gehört für sie das konsequente Featuren der Literatur von Personen of Color, die sie im Literaturverzeichnis mit einem Sternchen versehen haben. Dort solltet ihr weiterlesen, wenn ihr die Privilegien weisser männlicher Bücherschreiber unterlaufen wollt.

Soviel zum neuen Bändchen von Heinz-Jürgen Voss und Salih Alexander Wolter. Es heisst „Queer und (Anti)Kapitalismus“, ist erschienen im Schmetterling Verlag, hat 160 Seiten und kostet 12,80 Euro. Es ist erhältlich u.a. im linken Buchladen König Kurt im AZ Conni in Dresden. Und: Am 12. November um 20 Uhr im AZ Conni stellt Heinz-Jürgen Voss dieses wunderbare Buch vor.