"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Gesundes Fast Food -

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«In einem gedrängten Arbeitsalltag ist Fast Food praktisch und günstig, aber in der Regel enthält es viele Kalorien, Fette, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz, was bei regelmäßigem Konsum zu Übergewicht führen kann.»
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11:30 min, 16 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.12.2013 / 10:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 31.12.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
«In einem gedrängten Arbeitsalltag ist Fast Food praktisch und günstig, aber in der Regel enthält es viele Kalorien, Fette, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz, was bei regelmäßigem Konsum zu Übergewicht führen kann.» Dies sagt ausnahmsweise nicht der deutsche Umweltminister oder der Minister für Ernährung und Landwirtschaft oder aber das schweizerische Bundesamt für Gesundheit. Bei letzterem kann man zum Beispiel Hygieneregeln bei der Zubereitung von Fondue Chinoise herunter laden oder die Schweizer Ernährungsstrategie 2013–2016, wo als Problemfeld Nummer A das Übergewicht mit seinen Folgekrankheiten aufgeführt wird oder als Problemfeld Nummer D das gesundheitsfördernde Umfeld: «Es fehlen u.a. Angebote mit optimierter Nährstoffzusammensetzung in der Außer-Haus-Verpflegung sowie im Bereich der Convenience-Produkte und Fertigmahlzeiten. Werbebotschaften sensibilisieren in der Regel zu wenig für den zu hohen Gehalt an Fett, Zucker oder Salz.» Damit wären wir wieder bei der ersten Aussage, die aber eben nicht von unserem BAG und auch nicht von euren Ministern Friedrich oder Gröhe stammt, sondern von einem internationalen Großkonzern mit einer weltweit solide etablierten Marke, nämlich McDonald’s. Zu lesen sind beziehungsweise waren solche Warnhinweise allerdings nicht in den offiziellen Mitteilungen, sondern auf einer internen Webseite für die Mitarbeitenden, was auch einleuchtet, denn übergewichtige Personen am Tresen oder an der Kasse könnten gewisse Kundinnen und Kunden abschrecken, ganz abgesehen davon, dass die Krankheitskosten bei BigMac-Esserinnen und -Essern im Durchschnitt offenbar markant höher sind als bei Menschen, welche sich nur vegetarisch, vegan oder fruktarisch ernähren, wobei solche Leute in der Regel gar nicht über ausreichende Kräfte verfügen, um überhaupt zur Arbeit zu gehen.

Andere heiße Tipps betreffen den täglichen Kampf der Angestellten mit dem Preisteufel. McDo­nald’s gilt als Niedriglohnfirma, die ihren Beschäftigten in den USA zum Teil nur wenig mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 7.25 US-Dollars bezahlt. Dementsprechend lautet ein Ratschlag, die täglichen Essensrationen in kleinere Stücke zu zerschneiden, man fühle sich so schneller satt und brauche weniger. Oder dann empfiehlt das Unternehmen den Beschäftigten, nicht benötigte Neueinkäufe oder Dinge, die man zu Weihnachten geschenkt erhalten habe, ungeöffnet auf eBay zu versteigern, das bringe sofort Geld in die Kasse. Und bezüglich der Gesundheit meint die interne Webseite, man könne den Stress bekämpfen, indem man die Lieblingssongs im Radio laut mitträllere, das senke den Blutdruck, und ein ganz vielschichtiger Ratschlag betrifft das Lamentieren: «Hört auf, rumzunörgeln! Das Stresshormonniveau steigt um 15 Prozent, wenn man zehn Minuten lang meckert!» Ebenfalls sehr gut gemeint ist der Hinweis, dass das Herzinfarktrisiko um 50% abnimmt, wenn man zwei Mal im Jahr in die Ferien geht. Oder dann macht die Firma Vorschläge, wie viel Trinkgeld man den verschiedenen Dienstleistern im persönlichen Umfeld zum Jahreswechsel geben muss, dem Babysitter, dem Pöstler, dem Pizzaboten und so weiter und so fort, insgesamt mehrere hundert Dollars bei einem mittleren Jahreslohn von gut 18'000 US-Dollars.

Als die Medien die internen Gesundheits- und sonstigen Hinweise entdeckten, ging logischerweise ein brüllendes Gelächter um die ganze Welt, und McDonald’s hat die entsprechenden Passagen sofort gelöscht. Die Webadresse www.mcresource.com zeigt nur noch eine nackerte Seite ohne irgendwelche Angaben. Gesund­heits­hin­weise für die Mitarbeitenden gibt’s jetzt nur noch über eine interne Hotline.

All die schönen Sachen findet man aber nach wie vor auf der Webseite lowpayisnotok.org, zu Deutsch: Billiglöhne sind nicht in Ordnung. Die entsprechende Organisation hat am 5. Dezember einen Streik der Fast-Food-Arbeitnehmenden in über 250 Städten organisiert und fordert mit einer Petition einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde. Von ihr stammt auch das Beispiel einer Frau, die über die interne Helpline von McDonald’s den Rat erhielt, dass sie mit ihrem Stundenlohn von 8.25 US-Dollar vermutlich Anspruch habe auf die staatlichen Nahrungsmittelgutscheine SNAP. Und zum guten Rat mit den zwei Mal Ferien pro Rat meint Lowpayisnotok, dass die Beschäftigten bei McDonald’s eher zwei Jobs als zwei Mal Ferien pro Jahr benötigen. Das gilt aber wohl auch für die anderen Fast-Food-Ketten. McDonald’s als Spitzenreiter erzielt rund 7 Mal soviel Umsatz wie Wendy’s und Burger Kind zusammen.

Zum Mindestlohn ist noch nachzutragen, dass er, wie die meisten Dinge in den Vereinigten Staaten, zwar zentralstaatlich festgelegt ist, dass aber verschiedene Bundesstaaten dennoch drunter liegen, so zum Beispiel Wyoming mit 5.15 Dollars, Arkansas mit 6.25, Minnesota mit 6.15 und Georgia mit 5.15 Dollar pro Stunde. In den Südstaaten South Carolina, in Tennessee, Mississippi, Alabama und Louisiana gibt es überhaupt keine Mindestlöhne. Andere liegen darüber, am deutlichsten Washington mit 9.19 US-Dollar pro Stunde. Und zu den Streiks ist nachzutragen, dass sie im ganzen Land nicht gerade von der großen Masse der Angestellten befolgt wurden, sondern bloß von ein paar hundert Personen; es handelt sich um den zweiten Streiktag nach dem 28. August.

Eigentlich hat McDonald’s ja eine recht erfolgreiche PR-Kampagne hinter sich, mit welcher sich das Unternehmen als Weltmeister der gesunden Ernährung positionieren wollte, indem es zwischen den Hamburger und die Speck- und Käsescheiben im Brötchenmantel noch ein Salatblatt steckte. Gleichzeitig trat es den Vorwürfen betreffend Gesundheitsschädigung durch einseitige Ernährung und Übergewicht und überhaupt Degenerierung der ärmeren Schichten der Bevölkerung entgegen, indem es seinen Kindermenüs nicht nur Salat-, sondern auch bedruckte Papierblätter in der Form von Klein-Bilderbüchern beilegte als groß angelegten Kampf gegen den Analphabetismus. Ich persönlich warte jetzt auf die Gründung einer Armen-Universität beziehungsweise einer Universitätskette für die Unterprivilegierten, wo sie einen Master in Ketchup erwerben können. Nur zur Erinnerung: Das Unternehmen beschäftigt 1.8 Mio. Personen in 34'000 Restaurants in 118 Ländern. Seit Frühjahr 2012 hapert es allerdings etwas mit der Expansion, vor allem im Heimatmarkt USA, während Großbritannien, Frankreich und Russland für gute Ergebnisse in Europa sorgen.

Eben, zum Jahresende lacht die ganze Welt über McDonald’s. Weniger lustig zu und her geht es bei der Umsetzung der Personenfreizügigkeit in Europa. Der englische Premierminister Cameron plant irgendwelche Einreiserestriktionen für Rumäninnen, Bulgarinnen und Kroatinnen, weil das Land die so genannte Einwanderung in die Sozialwerke nicht mehr finanzieren könne, und dies bei einer Arbeitslosenquote von 8% und einem Bevölkerungsanteil unterhalb der Armutsgrenze von 14%. Das Thema ist durchaus spannend. Kürzlich habe ich einen Beitrag des holländischen Autors Leon de Winter gelesen, in welchem dieser schreibt, dass sich das Konzept eines Ein­wan­de­rungs­staates mit jenem eines Sozialstaates grundsätzlich nicht vertrage. Da ist etwas dran, wenn auch nicht alles. Gerade in Gesellschaften mit einer tendenziell älter werdenden Bevölkerung können junge Zuwandererinnen massiv zur Finanzierung der Sozialwerke beitragen. Wenn man sich aber nicht vor allem auf die Altersrenten, sondern auf die Arbeitslosen- und Sozial­hilfe­leis­tun­gen bezieht, dann sind Konflikte durchaus realistisch. Unabhängig davon, ob sie dann auch tatsächlich ausbrechen, kann man nämlich sagen, dass die Sozialversicherung nicht nur eine soziale, sondern auch eine konservative Einrichtung ist, eine, welche den Menschen den Verbleib an ihren bisherigen Lebensstätten erlaubt, auch wenn die wirtschaftlichen Grundlagen nicht mehr existieren. In diesem Punkt steht das Zuwanderungskonzept dem Sozialversicherungskonzept tatsächlich diametral gegenüber. Die Sozialversicherung ist ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert mit einem geschlossenen Sozialstaat, was in Kontrast steht zur heutigen allgemeinen Mobilität, die eben nicht nur das Internet oder touristische Ausflüge an alle Ecken und Enden der Welt umfasst. Diese Mobilität, mindestens die so genannte Binnen-Mobilität, ist mit ein tragender Pfeiler der Europäischen Union, ob einem dies nun gefällt oder nicht; die EU ist auf Ausgleich angelegt zwischen den Mitgliedländern, und davon ist die soziale Sicherung früher oder später direkt betroffen, auch wenn sie heute noch in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegt. Da kommt, mit anderen Worten, noch deutlich mehr als bloß ein Cameron auf Euch zu.

In der Türkei gucken sich gegenwärtig viele Menschen ihr Getränk genauer an, nachdem Premier­minister Erdogan gesagt hat, dass die AKP weißer sei als Milch. Er hat überhaupt ziemlich viel gesagt im Zusammenhang mit den aktuellen Korruptionsvorwürfen an verschiedene Personen im Regierungsumfeld. Er hat auch gehandelt und fünf Minister entlassen, alle zusammen völlig unschuldig, versteht sich von selber. Alles beruhe auf einer Intrige des im Exil lebenden Predigers Gülen. Der in antiislamischen Reflexen seit über 10 Jahren geübte Westeuropäer fragt sich sofort, wer denn nun der größere Fundamentalist sei, Gülen oder Erdogan und seine AKP. Die Antwort ist einfach: keiner von beiden. Gülen wird manchmal als Calvinist unter den Mohammedanern bezeichnet, er ist offenbar einer, welcher auf irdische Leistung setzt und nicht auf Selbstmord­attentate als zentrale Mittel der Kommunikation, wie dies in anderen Weltgegenden der Fall ist. Erdogan ist und bleibt ein wichtiger Modernisierer der Türkei, aber offenbar hat ihn der Schatten des Erfolgs nun definitiv eingeholt, und der Schatten des Erfolgs ist in der Türkei offensichtlich nach wie vor die Korruption. Jetzt weiß man nicht so genau, ob Erdogan mindestens über seine Familie selber mit verwickelt ist in die Affäre und somit sozusagen auf Zeit spielt, oder ob die ganze Angelegenheit vor allem Kreise umfasst, welche ihre Aktivitäten hinter seinem Rücken entwickelt haben. Wenn dies der Fall ist, dann hat Erdogan jetzt wohl noch ein wenig Zeit, um die entsprechenden Personen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen. Andernfalls dürfte es für ihn eng werden. Es zeigt sich auf jeden Fall, dass jenes Phänomen, das man früher den «tiefen Staat» nannte, also die Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft, in welche früher auch das Militär mit einbezogen war, auch dann nicht so einfach verschwindet, wenn man ein bestehendes Netzwerk einmal beseitigt hat. Die Tradition, die Verhaltensweise, die Reflexe leben weiter. Und hier bleibt für jede zukünftige Regierung dieses Landes noch viel zu tun. Erdogan selber ist es mindestens vorübergehend gelungen, den Filz zu beseitigen. Das ist so oder so eine Leistung, unabhängig davon, ob er nun doch selber in diese Falle getreten ist.


Kommentare
02.01.2014 / 15:49 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in Gleis 16 1.1.2014
gesendet. Danke!