"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Treupel -

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Eine Million vierhundertdreiundsechzigtausend neunhundertvierundfünfzig zu einer Million vier­hun­dertvierundvierzigtausend vierhundertachtundzwanzig – so lautet das Verhältnis von Ja- zu Nein-Stimmen bei der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Volksinitiative vom letzten Sonn­tag.
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10:44 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.02.2014 / 17:54

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.02.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Differenz 19'526 oder 0.6%. Stimmbeteiligung: 55.8%. – Ja, so sehen sie aus, die nackten Zah­len zum direktdemokratischen Desaster vom letzten Sonntag in unserem schönen neutralen Schweizer Staat; weiter führende Einsichten gibt es keine. Das Volk hat hin und wieder einen Kno­ten im Ringfinger, und manchmal ist das Volk ganz vernünftig und trottet als echtes Stimmvieh den Leit­hammeln hinterher. Manchmal setzen sich Argumente durch und manchmal Emotionen, und es ist in beiden Fällen nicht garantiert, dass es die richtigen sind, und wer wäre ich schon, zu beur­tei­len, was wirklich richtig und was falsch ist – achso, ich bin ich, na, da werde ich wohl noch wissen, was richtig und was falsch ist, und für diesen gewaltigen Fauxpas vom letzten Sonntag möchte ich mich in aller Form entschuldigen und vielleicht noch anfügen, eigentlich haben wir es gar nicht so gemeint, eigentlich ging es hier in erster Linie um einen Protest gegen, ach, was weiß ich was alles, unter anderem gegen die Leithammel, gegen die politische Elite, aber auch um ein dumpfes Un­be­ha­gen gegenüber den Epiphänomenen eines nicht grenzenlosen, aber doch anhaltenden Wirt­schafts­wachs­tums, wobei ich auf das schöne Wort «Epiphänomene» verweise, das nichts anderes besagt, als dass die Phänomene nichts mit der Ursache zu tun haben, hier also mit dem Wirt­schafts­wachs­tum, und das stimmt ja nun auch wieder nicht ganz genau. Herrgott, ist das kompliziert! – Und auch die Entschuldigung nehme ich sofort wieder zurück, denn ich kann mich nicht entschuldigen für all das Fleisch gewordene Samengut, welches seiner Fremdenfeindlichkeit freien Lauf gelassen hat, und um nichts anderes ging es am letzten Sonntag: Fremdenfeindlichkeit, oder in der Klassierung der Weltgesundheitsorganisation: Xenophobie. Nach einem Gegenmittel wird nach wie vor fieber­haft gesucht, und à propos Fieber: Wisst ihr eigentlich, was aus dem früheren Allheilmittel Treupel geworden ist? Es hat sich aus dem Alltag der Hausmedizin zur Gänze verabschiedet, will mir schei­nen, und vielleicht besteht ein Zusammenhang zwischen dem Verschwinden von Treupel und den Ergebnissen der Schweizer Volksabstimmungen.

Es empfiehlt sich, mit der Terminologie auch bei der Betrachtungsweise im medizinischen Fach zu bleiben: Unser Land wird periodisch von Wellen der Fremdenfeindlichkeit erschüttert wie von Ma­la­ria-Schüben, und zwar schon in jenen Zeiten, da Treupel noch Allgemeingut war. Der Erreger ist immer der gleiche, nämlich die rechtsnationalistische Schwei­ze­ri­sche Volkspartei. – Einen Mo­ment: Erstens möchte ich das Bild mit der Krankheit im strikt über­tragenen Sinne verstanden wis­sen, ich empfehle also keinerlei Maßnahmen zur Ausrottung oder Internierung dieser ver­meint­li­chen Ur-Eidgenossen; und dann muss man korrekterweise sagen, die SVP sei der Übertrager oder der Auslöser; die Wurzel des Übels liegt selbstverständlich außerhalb dieser politischen Dumpf­bac­ken, näm­lich sind es in erster Linie die anhaltenden und anhaltend tief greifenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, auf welche ein unschul­diges, will sagen wenig gebildetes Individuum wie die durchschnittliche Schweizerin oder der durchschnittliche Schweizer mindestens zum Teil verängstigt reagiert, und daraus schlagen die rechts­natio­na­lis­ti­schen Bauernfänger ganz einfach ihr Kapital. Ihr erinnert euch an die Anti­mina­rett-Initiative, mit der vor ein paar Jahren der Bau von Mi­na­retten untersagt wurde. Vor etwas mehr als drei Jahren hatten wir eine Ausschaffungs­initia­ti­ve, welche die Ausschaffung von kriminellen Ausländern verlangte. Das Volk blökte Ja dazu, und hier ist auch das Verb blöken am Platz, weil nämlich die SVP selber auf ihren Abstimmungs­pla­ka­ten besagtes Volk als Schafherde darstellte, was sich die Schafe gern gefallen ließen, indem sie sich selber erkannten, was für Schafe bemerkenswert ist. Wir leben, aber dies nur nebenbei, in der all­ge­mei­nen schweizerischen Schafsrepublik. – Wie auch immer: All diesen Initiativen ist gemein, dass sie an der rechtlichen Praxis und Realität nicht die Spur etwas ändern. In der Schweiz Minarette zu verbieten ist ungefähr das Gleiche, wie wenn man in Polen die Juden verbieten wollte – es gibt in beiden Ländern fast keine. Kriminelle Ausländer kann man in der Schweiz so gut ausschaffen wie in Frankreich, Deutschland, England und Saudiarabien, mit oder ohne SVP, und jetzt bei der Masseneinwanderungsinitiative wird sich auch nicht so toll was ändern, indem mit der Initiative keine konkreten Höchstzahlen vorgegeben werden, sondern es sollen Kontingente eingeführt werden, die jährlich neu zu bestimmen sind in Funktion der Bedürfnisse der Wirtschaft. Das ist in der Praxis bloß eine neue Umschreibung des Status quo, denn die Masseneinwanderung fand ja eben wegen der Nachfrage in der Schweizer Wirtschaft statt und nicht wegen des bösen Willens des Weltgeistes, welcher die heile Schweiz zerstören will. Der einzige Unterschied ist somit jener, dass die Rechtsstellung der Zuwanderer in Zukunft schwächer wird, und zwar ins­be­son­dere von saiso­na­len Arbeitskräften, welche in der Landwirtschaft für Billiglöhne die schwere Arbeit erledigen; der Bauer und SVP-Präsident Brunner geriet richtig­ge­hend ins Schwärmen darüber, wie man diesem Land­pro­letariat in Zukunft den Familiennachzug oder den Anspruch auf Sozialleistungen verweigern kann. Und was es mit der ausländerrechtlichen Praxis auf sich hat, das zeigt am besten das Beispiel des prominenten SVP-Politikers Hans Fehr, welcher seit Jahr und Tag illegal eine Asyl­be­wer­berin aus Serbien als Putzfrau beschäftigt. In England ist der Migrations­minister wegen der identischen Sachlage am Wochenende zurückgetreten. Hans Fehr bleibt Nationalrat und seine Frau Gemeindepräsidentin von Eglisau am Rhein.

Tut nichts zur Sache. Fremdenfeindliche Anliegen haben in der Schweiz schon immer eine starke Zustimmung gefunden, daran ändert es nicht viel, ob 49.7% für oder gegen die jeweiligen Initia­ti­ven stimmen, es ist in jedem Fall immer noch die Hälfte der Stimmbevölkerung. Ein wenig Trost mag einem der Umstand verschaffen, dass die Stimmung im Alltag durchaus nicht besonders frem­denfeindlich ist; und zum Verständnis bei trägt vielleicht auch die Tatsache, dass über 20 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz einen ausländischen Pass hat, ganz abgesehen von den weiteren 10 bis 20 Prozent, die sich in den letzten Jahrzehnten haben einbürgern lassen. Die Schweiz ist schon längstens ein klassisches Einwanderungsland und ein halber Schmelztiegel der Kul­turen, und zwar durchaus nicht nur der europäischen. Daran werden auch die nächsten zwei­hun­dert Volksinitiativen der SVP nichts ändern. Vielleicht dienen sie ganz im Gegenteil dazu, einen Teil des Missbehagens, das aus solchen demografischen Veränderungen automatisch entsteht, in einer halbwegs friedlichen Art abzuführen.

Trotzdem hofft heute der vernünftige Teil der Schweizer Bevölkerung, dass die EU bei Gelegen­heit den Tarif durchgibt und die grenzenlose Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit der SVP-Trottel wenigstens auf dem internationalen Parkett auflaufen lässt, wenn das schon in der Schweiz selber nicht funktioniert. Was aber die politische Systemfrage angeht, so verweisen wir darauf, dass das Volk zwar ebenso wenig unfehlbar ist wie eure Bundeskanzlerin, dass aber die direkte Demokratie trotz allen Mängeln nach wie vor das weitaus fortschrittlichere Modell ist als die repräsentative oder parlamentarische Demokratie. Und sie ist umso besser, je höher die politische Bildung der Bügerinnen und Bürger ist.

Aber sprechen wir von etwas anderem. Woher kommt es eigentlich, dass sich das Feuilleton im deutschsprachigen Raum seit einiger Zeit im Ernst mit der Fernsehserie Tatort befasst? Ich habe noch nicht einmal den Überblick, wer da alles welche Sendungen produziert, die dann unter dem gleichen Markennamen laufen, aber vor allem fehlt mir die Einsicht, was da für ein kultureller Quantensprung erfolgt ist, der ein derartiges Interesse rechtfertigen würde. Krimi ist Krimi, also eine durchaus respektable und unterhaltsame Buch- und Film-Gattung, in welcher die deutsche Produktion durchaus nicht so geübt ist, dass man sie jetzt geradewegs im Feuilleton rezipieren müsste. Also, was ist los? Weshalb muss man das Sonntagabendsvergnügen geradewegs in den Rang der Welt­kultur anheben? Vielleicht weil sich einige Kommissarinnen und Kommissare unterdessen einige Schrullen erlauben, wie seinerzeit Frau Lorenz im Bulle von Tölz mit Arno Schmidt, oder dann aber einige persönliche Ticks und Obsessionen? – Aber das macht doch noch keinen welthaltigen Knüller aus einem Krimi. Also woher die plötzliche Hochachtung? – Ich weiß es nicht, weil ich mir nämlich diese Krimis kaum einmal zu Gemüte fühle, und dementsprechend werde ich diese Frage auch dann nicht nochmals stellen, wenn ich keine Antwort erhalten sollte.

Daneben habe ich kürzlich einen Artikel gelesen darüber, dass das weltweite Internet Gefahr läuft, in einzelne Netzteile aufgebrochen zu werden, und zwar hauptsächlich aus Sicherheitsbedenken. Tatsächlich beobachten wir solche Tendenzen schon länger in Staaten, welche wir autoritär nennen; nun kommen aber die nationalen Interessen auch von so genannt freien Ländern dazu, das heißt, die Deutschen, die Französinnen und die Spanierinnen wollen sich ihre Industriepolitik nicht schon beim Entstehen von den US-Amerikanern ausspionieren lassen, und dagegen hilft radikal nur die Errichtung eines eigenen Internets beziehungsweise die Abschottung der Kommunikationskanäle gegenüber vermuteten Spionen. Das würde selbstverständlich das Ende jener Freiheit bedeuten, die man einst ins Netz hinein projiziert hat. Ob es sie so je gegeben hat, ist wieder eine andere Frage, aber auf jeden Fall erscheint mir die Entwicklung sehr logisch. Hier wirkt also schon wieder eine zuvor nicht vermutete menschliche Kraft ein auf die Tendenz, sämtliche Menschen vermittels ihrer Mobiltelefon- und weiterer mobilen Geräte zum Teil einer weltweiten Kommunikationskrake zu machen. Irgendwie beruhigend, auch wenn der Ursprung wiederum ein nationalstaatlicher ist. – Dagegen verwirrt mich im Moment noch ein wenig die Vorstellung all der kleinen Marschflugkörper, die demnächst den Himmel über Berlin bevölkern sollen, die Drohnen und Dröhnchen; technologisch sind wir offenbar soweit, mich wundert es einfach, dass es da noch keine i-Drone von Apple gibt, während Google mit dem Einstieg in die Robotik auf dem richtigen Weg ist – und dass das Google-Betriebssystem Android heißt, passt da exakt. Aber bei den Drohnen muss nun zunächst mal ein Verkehrsreglement für den Luftraum her, und das dürfte unsere räumliche Vorstellung markant verändern.

Kommentare
15.02.2014 / 15:16 Max / coloRadio Dresden -->nicht bei,
gespielt
...auf einem freien Sendeplatz, dem Überraschungsei. Grüße nach EF ;)