Engagierte Frauen: Portrait der Berliner Filmemacherin Melanie Langpap

ID 62448
 
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Besonders in der Filmbranche finden Frauen noch immer recht wenig Beachtung. Selbst der Dokumentarfilm ist nach wie vor eine Männerdomäne. Draufhalten, wenn es knallt, das ist nicht die Mission der Berliner Filmemacherin Melanie Langpap. Ihre Filme tragen eine sehr behutsame und ruhige Handschrift. Erst vor wenigen Tagen ist sie von ihrer letzten Filmreise aus Nepal zurückgekehrt. Unser Kollege Jenz Steiner von Piradio in Berlin hat sie zum Frauentag portraitiert.
Audio
07:39 min, 18 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 08.03.2014 / 12:01

Dateizugriffe: 697

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Frauen/Lesben, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Jenz Steiner (Piradio)
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 08.03.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Zwischen Holz- und Lehmhütten mit Wellblechdächern
spielt ein vielleicht drei Jahre alter Junge in Shorts und Sandalen
mit einem Maschinengewehr aus Holz.
Das Spielzeug ist viel zu groß für ihn.
Der Riemen rutscht von der kleinen Schulter.
Drei junge Männer in Trainingshosen,
Jeans und grünen Camouflage-T-Shirts
stehen entspannt um ihn herum.
Einer befreit den Jungen vom übergroßen Kriegsspielzeug,
legt es auf das Wellblechdach
und ein echtes Maschinengewehr gleich daneben:
außer Reichweite des Jungen.
Bilder aus einem Camp der maostischen Volksbefreiungsarmee in Nepal im Jahr 2012.
Bilder, die typisch sind für die Filmemacherin Melanie Langpap
aus Berlin Mitte.

ML: Ich bin definitiv kein Nachrichtenjournalist. Ich bin kein Nachrichtenreporter. Alles geht super schnell und man kann und will die Antworten gar nicht zu Ende hören. Und man hat gar keine Zeit, um in Bildern zu denken. Alles muss in Sätze verpackt werden und dann gibt es noch einen Bilderteppich oben drüber.

Melanie Langpaps Bilder sind ruhig, zurückhaltend und beobachtend.
Darin liegt ihre Wirkung, Aussagekraft und Stärke.
Doch für die großen Agenturen und Mainstream-Medien sind sie ohne Nachrichtenwert.
Die Filmemacherin nimmt sich gerne Zeit für ihre Arbeit.

ML: Das macht unglaublich Spaß, man kann viele Fragen stellen. Man kann das ganze in Bilder packen. Man kann Möglichkeiten einräumen, so das Leute sich ein eigenes Bild machen, ohne dass man ihnen etwas Fertiges vorsetzt. Und wenn man die Zeit hat, damit zu spielen und das einfach sein zu lassen, also dessen Stärke herauszustellen, ist das natürlich wunderbar. Ich glaub. Das versuche ich natürlich, so gut ich es kann.

In den letzten Jahren stand Nepal im Mittelpunkt ihrer filmischen Arbeit.
Im Himalaya-Staat mit der Sandwich-Position zwischen China und Indien verbrachte sie mehr Zeit als irgendwo anders. Herausfinden wollte sie vor allem eins:

ML: Es gibt ein bestimmtes Image von Nepal, glaube ich, und bestimmte Bilder werden reproduziert und auch von Nepalesen, obwohl sie es besser wissen müssten. Und das wollte ich mir so ein bisschen genauer angucken und hab halt geguckt, wie professionelle Fotografen und Laienfotografen Bilder herstellen.

Melanie Langpaps Projekt war weder leicht noch ohne Risiko.

ML: Angefangen hatte ich zum Zeitpunkt der Wahlen. Es wusste sowieso niemand, was passiert. Finden sie statt, finden sie nicht statt. Dann gab es irgendwie Bomben. Gibt es morgen wieder eine? Können wir da überhaupt hin?

Bei allen Schwierigkeiten, eins war ihr von vornherein klar. Ändern kann sie an der Situation vor Ort nichts.

ML: Ich kann da nur beobachten und mich nicht einmischen.

Für Melanie Langpap war ihre Arbeit in Nepal eine offene Recherche.

ML: Was aber dabei rauskommt, wenn Du so offen da ran gehst, das weißt Du den zum Zeitpukt nicht, wo du losläufst.

Diese Arbeitsweise ließ sie oft an Grenzen stoßen, an ihre eigenen und die der Menschen, die vor ihrer Kamera standen.

ML: Jeder versucht vielleicht, bestimmte Dinge zu verheimlichen. Leute wollen nicht alles teilen, aber Du siehst es vielleicht in dem Moment, in dem Du sie filmst. Was tust Du als Filmemacher? Zwingst Du sie, es zu teilen. Machst Du es trotzdem?

Hinter ihrer Arbeitsweise steckte ein Konzept.

ML: Eigentlich 'ne wissenschaftliche Methode, die teilnehmende Beobachtung, nur eben als Film.

Und da war alles offen. Das war eine offene Recherche. Ich hatte keine Ahnung, was da passiert. Ich hab angefangen zum Zeitpunkt der Wahlen und ich wusste, das wird irgendwie durcheinander und das wird chaotisch und vielleicht auch brenzlig oder gefährlich. Aber wie es ausgeht, es war einfach alles offen. Und so arbeite ich auch am liebsten.

Melanie Langpap interessierte das alltägliche Leben der Menschen in Nepal.

ML: Aber auch die Einflüsse von den anderen vielen, vielen Geberländern, die sich auch innerhalb des Landes Nepal bewegen, die EU ist da groß am Start, die Schweiz, die USA. Die haben da alle irgendwas zu sagen und jeder hat irgendeine Brücke oder Straße gebaut oder einen Brunnen aufgestellt oder das Licht angeknippst.

Eins ihrer ersten eigenen großen Filmprojekte führte sie in einen ganz anderen Kontinent.

ML: Ja, ich war 2005 in Südafrika und hab 'nen Film gemacht zum Thema HIV, AIDS und Vergewaltigung und habe eine Weile gebraucht, um den fertigzumachen. Um genau zu sein, sieben lange Jahre. Als ich ihn dan fertig hatte, habe ich ihn dann eingereicht bei verschiedenen Festivals und in Indien ist er gelaufen.

Es sollte ein Aufklärungsfilm für Studenten werden.

ML: Es war ein schwieriges Thema, und deswegen, ich glaube, ich habe da lange nicht hingucken wollen, oder so. Ich weiß nicht. Die Auseinandersetzung mit dem Bild dazu ist vielleicht auch ein bisschen schwierig.

Denn plötzlich kam alles anders als geplant.

ML: Also ich wurde vergewaltigt in Südafrika und habe dann daraus einen Film gemacht, der diese Zeit begleitet, die drei Monate vom Zeitpunkt der Vergewaltigung bis zum finalen HIV-Aidstest.

Wie macht man in dieser Situation weiter? Melanie Langpap wechselte die Perspektive und begab sich auf die Suche nach Klarheit.

ML: Also, wenn ich auf einmal selber da stehe als sehr unaufgeklärter Mensch, weil ich wahnsinnig Angst hab und das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich jetzt selber HIV-positiv bin. Wie kann ich denn dann zur Hölle Filme darüber machen, wie … . Also wie kann ich in einem Film dastehen und andere aufklären? Das ist ein Unding. Also wurde auf einmal meine Geschichte wichtig. Also ich bin dann durch die Gegend gelaufen und habe Leute gesucht.
Ich habe eine Person gesucht, die mit HIV-AIDS lebt, zum Beispiel, und die damit gut lebt, sodass ich am Ende auch denken kann: „Okay, wenn der das kann, dann kriege ich das auch hin.

Das Filmmaterial hat Melanie Langpap bis 2013 nicht angefasst. Was in ihr vorgeht, wenn sie den fertigen Film „Status & Stigma“ heute sieht, beschreibt die Filmemacherin so.

ML: Oh, ich sehe ein super aggressives Mädchen, leicht verfettet, voller Schokolade, weil die glücklich macht. Ich glaube, ich bin da zu der Zeit ein bisschen verrückt oder total entrückt. Also ich erkenne mich zwar wieder. Ich weiß, dass ich das bin, ich fühle mich auch ein bisschen zurückversetzt in die Zeit. Aber ich erschrecke so ein bisschen davor, wie ich auf Leute zugehe und wie ich die da alle runterrede und forciere, bestimmte Dinge, die ich irgendwie jetzt hören will, weil ich so dringend Antworten brauche, und den Leuten. Genau, davor erschrecke ich eigentlich so ein bisschen. Genau. Ich merke, dass ich den Leuten so, dass ich so gar keine Antenne dafür hatte, für meinen Gegenüber. Mit doch scheißegal und das erschreckt mich.

Melanie Langpap brauchte viel Zeit und vor allem Mut, um den Film fertigzustellen.

ML: Ich hatte eine Rohschnittfassung. Aber ich hatte, glaube ich, nie den Mut, das final zu machen und das zu veröffentlichen. Und das hatte ich dann halt 2013, als ich es wieder angefasst habe. Eigentlich habe ich denselben Schnitt von damals wiederhergestellt. Ich habe gar keine Schnitte verändert, aber ich habe noch ein paar andere Leute dazugeholt, die ein bisschen geholfen haben, final Ton und Bild ein bisschen hübscher zu machen und hatte, glaube ich, einfach den Mut, das zu zeigen.

Ihr Film „Status und Stigma“ weckt starke Emotionen. 2013 lief er bei einem Filmfestival in Indien. Doch fand der Film die Verbreitung, die sich die Macherin gewünscht hat?

ML: Nicht so richtig. Ich fands natürlich schade, dass er woanders nicht lief. Zum Beispiel in Südafrika. In Indien war aber zu der Zeit das Thema Vergewaltigung ziemlich gehyped. Ich glaube, das ist es auch immer noch, aber da gab es auf einmal einen Fall nach dem anderen und auf einmal stürzten sich alle Medien drauf. Und genau zu der Zeit war die Einreichung und die Jury-Sitzung. Ich kann natürlich nur mutmaßen, dass es da Zusammenhänge gibt, aber das hat mich dann insofern nicht ganz so doll gewundert.

Dieser Film, dieser Lebensabschnitt hat Melanie Langpaps filmisches Schaffen geprägt, aber auch ihre Lebenseinstellung, ihre Sicht auf die Dinge. Was sie sich in den Kopf setzt, setzt sie um. Was sie macht, hat Hand und Fuß. Nichts und niemand kann sie aufhalten und beirren, getreu dem Motto:

ML: Durchhalten, weitermachen, so.

Kommentare
10.03.2014 / 10:18 caro und matthieu, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet am 10.3.
im MoRa