Frauenstimmen vom Weltsozialforum 2004, Teil 8 (letzer Teil)

ID 6692
 
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Shaleni von der Gruppe Labia - Lesben und Bisexuelle Frauen in Aktion berichtet inwieweit sich die Situation für Lesben in Indien in den letzten 10 Jahren verändert hat. Was sie vom Weltsozialforum 04 in Mumbai hielt und vom Feministischen Dialog, ein internationales Treffen von Feministinnen, das dem Weltsozialforum voraus ging.
Ich traff Shaleni und ander Frauen von Labia in Mumbai/Bombay.
Audio
20:31 min, 19 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 25.04.2004 / 00:00

Dateizugriffe: 656

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Frauen/Lesben, Politik/Info
Serie: FrauenStimmen vom Weltsozialforum 04
Entstehung

AutorInnen: Bianca Miglioretto
Radio: LoRaZH, Zürich im www
Produktionsdatum: 19.04.2004
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Shaleni, Labia – Lesbian and Bisexuals in Action

Jingle
Musik
Track 18
Shaleni ist Mitfrau von Labia, steht für Lesben und bisexuellen Frauen in Aktion. Die Gruppe befindet sich in Mumbai. Ich traff sie am Weltsozialforum in Mumbai und am Feministischen Dialog, der dem Forum voraus ging.
Sie berichtet im Folgenden über ihre Gruppe Labia und die Entwicklungen für Lesben in Indien während den letzten 10 Jahren.
Track 19
Es gibt uns seit 9 Jahre und somit sind wir eine der ältesten Lesbengruppen in Indien. Es gab andere Gruppen, aber sie haben nicht überlebt. Während der letzten 8 Jahre nannten wir uns Trisangam.
Track 20
Trisangam bedeutet eine Zusammenkunft von Frauen. Als wir die Gruppe gründeten, war dieser Name angebracht, denn er sagte nicht genau was wir sind und wir verstanden uns auch eher als eine Unterstützungsgruppe für Frauen. Wir wollten einen Namen, der nicht sehr direkt war und es ermöglichte mit Leuten in Kontakt zu treten.
Nach einer längeren Pause von 6 – 12 Monaten trafen wir uns letztes Jahr wieder und entschieden, dass wir politischer, offener, mehr out und sichtbarer sein wollten. Deshalb wechselten wir den Namen in Labia.
Track 24
Als Labia machen wir vor allem politische Aktionen, Kampagnen, wir vernetzen uns mit anderen Gruppe. Wir machen nicht nur Bewusstseinsbildungsarbeit, sondern stellen auch Fragen und beziehen in Artikeln und Strassenaktionen politisch Positon.
Track 27 + 28
Im letzten Herbst haben wir uns neu organisiert, seither waren wir bei der Organisation des Fimfesitvals in Mumbai beteiligt.
Es war das erste Filmfestival zu Geschlecht und sexueller Vielfalt.
Früher hatten wir eine Zeitschrift von der 1996/97 drei Nummer herauskamen. Wir entschiden, diese Zeitschrift wieder zu beleben. Wir brachten im letzten Jahr eine Nummer heraus und wollen dieses Jahr mind. 2 Nummer herausgeben.
Track 31 + 32
Viele Gruppen und Organisaionen sprechen heute von sexuellen Rechten, wir suchten die Diskussion mit ihnen, um klarer definieren zu können was mit diesem Begriff gemeint ist.
Während der letzten 2 Jahre nach dem Genozid in Gujarat haben wir mit anderen Frauenorganisationen in Indien intensiv zu diesem Thema gearbeitet. Wir waren zwei Lesbenorganisation, die im Gujarat arbeiteten.
Das waren eigentlich unsere Hauptaktivitäten in letzer Zeit.
Musik
Was die Entwicklungen für Lesben in den letzten 10 jahren in Indien betrifft, meinte Shaleni von Labia in Mumbai:
Track 37
Es gab verschiedene Veränderungen.
Heute gibt es mehr Gruppen als früher. Wobei die meisten eherenamtlich sind. Nur eine oder zwei von ihnen haben bezahlte Stellen, weil sie Teil einer gemischten NGO sind, die zu reproduktiver Gesundheit und HIV/AIDS arbeiten. Eine dieser Gruppen ist ein Lesbenberatungstelefon in Dehli. Obwohl sie eine bezahlte Stelle haben, sind sie recht unabhängig von ihrer Trägerorganisation. Die meisten anderen Lesbengruppen arbeiten eher mit Frauenorganisationen zusammen, speziell mit autonomen Frauengruppen.
Eine grosse Veränderung seit 1995 fand sicher innerhalb der Frauenbewegung statt. Mehr und mehr Gruppen greifen Lesbenthemen auf und unterstützen Lesbenorganisaitonen.
In Bombay arbeiten wir sehr eng mit dem Forum gegen Frauenunterdrückung zusammen, die auch den feministischen Dialog organisiert haben. Die gute Zusammenarbeit ist vor allem darauf zurück zu führen, dass im Forum viele offene Lesben mitarbeiten.
Track 40
Einige Leute sprechen von einem Zufluchtshaus für bedrohte Lesben. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der gesellschaftlichen Freiraum für ein Lesbenhaus wirklich vorhanden ist. Andere meinen, es wäre besser Frauenhäuser gegen Gewalt, zu motivieren auch verfolgte Lesben aufzunehmen. Wenn die Frauenhäuser lesbenfreundlich sind, wäre das sicher auch ein Ort wo Lesben Zuflucht finden könnten. Ich glaube die Zeit ist reif, diese Idee umzusetzen und das macht mich heute sehr zuversichtlich.
Track 44
Innerhalb der Gesellschaft hat sich nicht viel verändert, ausser dass seit dem Film Fire das Wort Lesbe in Indien ein Begriff geworden ist. Alle verstehen den Begriff und haben davon gehört. Niemand wird Dich mehr fragen, was heisst Lesbe.
Aber das bedeutet nicht, dass die Gesellschaft dadurch lesbenfreundlicher geworden ist.
Vielleicht gibt es in den Städten, wie z.B. Bombay einen gewissen Freiraum für ökonomisch unabhängige Frauen. Sie können zusammen wohnen oder alleine leben und ihr eigenes Leben führen.
Ich glaube die Sichtbarkeit von Lesben hängt stark damit zusammen, wie unabhängig sie von ihren Familien leben können. Wenn eine Frau finanziell unabhängig ist, kann sie ihren Lebensstil und ihre Sexualität selber wählen. Ihr Leben wird einiges einfacher.
Track 46
Frauen können ihren eigenen Raum und ihre eigenen Grppen gründen, manchmal toleriert die Gemeinschaft dies oder sie übersicht es einfach. Trotzdem gibt es immer noch sehr viel Drukc von den Familien und es gibt viele Selbstmorde von Lesben.
Also einen politisch sichtbaren Freiraum für Lesben gibt es eigentlich immer noch nicht.
Track 48
Wir haben immer noch den Gesetzesartikel gegen Sodomie in der Verfassung. Dieser stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Frauen sind zwar im Artikel nicht explizit erwähnt, aber es gab mal ein Urteil, dass besagt Frauen seinen mitgemeint. Glücklicherweise schenkt bis jetzt niemandem diesem Urteil viel Beachtung.
Für uns ist es ganz wichtig, dass wir entschieden, gezielt und geeint für die Abschaffung des Sodomiegesetztes eintreten, und nicht für eine Reform dieses Gesetzes. Denn wir befürchten, dass sich eine Reform für uns Lesben ins Gegenteil wenden kann.
Wir haben dies in Sriklanka vor einigen Jahren gesehen. Im Zuge der Überarbeitung der Verfassung wurde auch der Sodomieartikel angepasst. Einige Leute bemängelten, dass nichts zu Frauen die mit Frauen Sex haben im dem Paragraphen sei. Entspechend wurden auch Frauen im Anti-Sodomieartikel aufgenommen.
Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass wir im Moment eine eher fundamentalistische Regierung haben und dass Fundamentalismus sich in der Gesellschaft ausbreitet, befürchten wir, wäre eine solche Reform auch in Indien gut möglich. Deshalb muss der Artikel als ganzes abgeschaft werden.
Musik
Von Shaleni wollte ich auch wissen, wie das soziale Leben von Lesben in Mumbai aussieht. Wo und wie sie sich treffen?
Track 51
Das soziale Leben findet auf verschiedenen Ebenen statt.
Frauen die Frauen lieben finden sich gewöhnlich, ob sie sich nun als Lesben identifizieren oder nicht. Es gibt also soziale Aktivitäten in gewissen Lesbenkreisen, von denen wir keine Ahnung haben. Weiter gehen immer mehr Discos und Bars auf. Die Schwulengruppen haben mindestens 1 x pro Monat, eher öfter ihre Abende und einige Frauen gehen dort hin. Einige Discos und Bars haben spezielle Damenabende. Meist am Mittwoch oder Donnerstag, wenn nicht so viel läuft. Dann sind Drinks oder der Eintritt für Frauen gratis. Die Frauen treffen sich also an solchen Orten, dann das Geld ist auch immer ein Thema. Hohe Eintrittspreise oder teure Drinks sind ein Problem.
Track 55
Wir haben auch versucht Frauen-Parties zu organisieren, aber die liefen nicht besonders gut. Wir sind besser darin, politische Treffen zu organisieren als Parties.
Was wir hingegen organisierten waren nationale Treffen, von Frauen die Frauen lieben. Wir nannte es so, weil sich nicht alle einig sind über den Begriff Lesben.
Am ersten Treffen nahmen rund 35 Frauen aus veschiedenen Städten Indiens teil. Es war sehr spannend. Auch am zweiten Treffen haben vor allem Frauen aus Städten teilgenommen.
Nun planen wir ein drittes Treffen, aber diesmal vor allem mit Frauen aus ländlichen Gebieten, die nicht unbedingt einer politischen Gruppierung angehören. Eher isolierte Frauen, die mit uns Kontakt aufnahmen. Dieses Treffen soll in verschiedenen Sprachen statt finden und nicht nur in Englisch wie die vorangegangenen. Im Moment sind wir daran herauszufinden, welche Themen die Frauen aufgreiffen wollen, was ihnen wichtig ist.
Als nächstes werden wir dann versuchen Geld aufzutraiben, damit Frauen aus dem ganzen Land kommen können und andere Frauen treffen können. Denn viele haben finanziellen Mittel nicht, um an einem solchen Treffen teilzunehmen.
Musik
Labia war massgeblich an der Organisation des Feministischen Dialog beteiligt. Ein Treffen von Feministinnen aus der ganzen Welt, das dem Weltsozialforum vorausging und ebenfalls in Mumbai statt fand. Ich wollte von Shaleni wissen, wie ihr der Feministische Dialog gefallen habe
Track 59
Es begann als eine Superidee, wir waren ganz aufgeregt. Denn so viele tausende von Frauen aus der ganzen Welt werden kommen, darunter hat es sicher einige Frauen, die wie wir denken und die möchten wir unbedingt treffen. Schlussendlich wurde es aber eher ein internationales Elitetreffen, an dem nicht gerade die Dialoge statt fanden, die wir uns wünschten. Die UNO und Menschenrechtssprache dominierte und die international bekannten Feministinnen, die auf dieser Ebene arbeiten, waren zu präsent mit ihren Diskursen. Für viele von uns sind diese Diskurse durchaus nützlich aber sie haben klar auch ihre Grenzen, wenn wir darüber sprechen wollen was uns direkt betrifft.
Innerhalb von Labia zum Beispiel beschäftigen wir uns wenig mit den UNO-Diskursen.
Ich habe also ein gemischtes Gefühl. Auf der anderen Seite war es wirklich toll andere lesbische Feministinnen zu treffen. Nach dem Treffen gab es ein schönes Nachtessen mit rund 35 Frauen und das machte wirklich Freude.
Track 61
Zum Weltsozialforum meinte Shaleni: Es war mein erstes Weltsozialforum, wenn es ein zweites in Indien gäbe, würde ich auf jeden Fall hingehen. Ich werde aber vermutlich nicht nach Puerto Alegre gehen. Es nahmen viele kleine Gruppen wie wir teil, die keine finanzielle Unterstützung erhalten und deshalb sehr wenig an internationalen Treffen teilnehmen.
Aber es war ganz klar eine aussergewöhnliche Erfahrung. Es gab einem sehr viel Energie, so viele Leute zu sehen, so viele Leute zu treffen. Einfach einen Eindruck davon zu erhalten, dass es auf der Welt so viele Leute gibt, die anders denken. Sexualität war ein wichtiges Thema. Die indische Frauenbewegung war recht sichtbar. Wir haben uns mit vielen Frauen aus anderen Ländern ausgetauscht.
Der Eindruck der mir wirklich geblieben ist, dass es eine riesige Anzahl von Menschen gibt, die anders denken. Und ich überlegte mir oft, wenn so viele sind hier her gekommen sind, gibt es dort, wo sie her kommen, sicher ganz viele Gruppen wie Labia, die nie an internationale Treffen gehen.
Irgendwie gibt es einem ein Gefühl davon, wie gross die Bewegung der Menschen die anders denken weltweit sein muss. Menschen die eine andere Vision haben. Obwohl unsere Visionen nicht unbedingt zusammen passen.
Aber dies zu erleben, war für mich am eindrücklichsten und einfach fantastisch.