Die Besetzung des Gemeindesaals in Carrara, Einrichtung einer ständigen Vollversammlung

ID 67343
 
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In Italien gibt es zurzeit wieder Hochwasser. In Carrara ist es das vierte große Hochwasser in 10 Jahren. Die Bürger von Carrara haben eine eigene Antwort darauf gefunden, dass ihre Stadt durch das Missmanagement der Stadtverwaltung schon wieder zerstört wurde. Sie haben den Gemeindesaal besetzt und eine ständige Vollversammlung eingesetzt.
Audio
18:14 min, 21 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 13.11.2014 / 18:14

Dateizugriffe: 629

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Jugend, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 13.11.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Anmod Carrara

In Italien herrscht derzeit alles andere als „la dolce vita“. Regen, Hochwasser, Arbeitslosigkeit. Das einzige was gut abzusickern scheint ist Geld. Auch die Marmorstadt Carrara, mitten in den Apuanischen Alpen, ist mal wieder vom Hochwasser betroffen. Doch neben Sandsäcken füllen und Wasser pumpen haben die Bürger dort noch mehr gemacht. Da die Stadtverwaltung alle Schuld von sich weisen wollte, haben die Bürger kurzer Hand den Gemeindesaal besetzt und eine ständige Versammlung eingerichtet. Aber alles von Anfang an. Wir sprachen mit Damiano Lorenzani, der von der ständigen Vollversammlung als Ansprechpartner auf Deutsch bestimmt wurde. Als erstes erzählte er uns etwas von Carrara.

18:13

Abmod

Das war Damiano Lorenzani, der von der ständigen Vollversammlung als Ansprechpartner auf Deutsch bestimmt worden ist. Die Parnerstadt von Carrara ist Ingolstadt und das schon seit 1962. Auf Anfrage von LORA wurde uns mitgeteilt, dass der Ingolstädter Bürgermeister, Christian Lösel (CSU), dem Bürgermeister von Carrara, Angelo Zubbani, schriftlich Hilfe angeboten hat. Ob er diese Hilfe auch der ständigen Vollversammlung, die den Rücktritt Zubbanis fordert, anbieten wird, konnte nicht geklärt werden, da Herr Lösel für ein Interview verhindert war.
Für weitere Anfragen und Informationen besuchen sie https://www.facebook.com/pages/Carrara-A... oder melden sie sich unter: carrara-assembleapermanente@gmail.com

Der Text in Scriptform: Kurze Beschreibung von Carrara:
Carrara ist eine Kleinstadt der Nord Toskana die zwischen den Apuanischen Alpen und dem tyrrhenischen Meer liegt. Das gesamte Küstengebiet und die Bergen sollten natürlich für das Wohl des Territorium und seiner Bürger sorgen, durch Abbau, Bearbeitung und Verkauf des weißen Carrara Marmors, durch die Nutzung des Handelshafens, und durch den Tourismus. Das ganze bringt in Wirklichkeit kein Wohl, weil das alles ganz einfach nicht ausgenutzt wird.
Geschichte:
Das große Wohl das aus den Marmor kommt, liegt in der Tat in den Händen von wenige Leute und wird keinesfalls mit dem restlichen Volk mitgeteilt. Der Handelshafen wird viel zu wenig benutzt. Die Ebene die zwischen dem Meer und den Bergen liegt wurde für zu lange Zeit ein Zentrum für Chemieindustrien und Metall-und Maschinenbauindustrien die die Erde tief verseucht haben, ohne das jemand für eine Bonifizierung/Verbesserung und Ausgleichszahlung gesorgt hat. Die Infrastrukturen des Tourismusbereich wurden nie richtig geplant oder angeschafft. Unsere Küste wurde von den Badeanstalten und Hafenbehörde völlig betoniert , und die Freie Strände sind fast verschwunden. Unter dem Kulturbereich gäbe es viel zu sagen, aber ein paar Punkte stehen fest: in Carrara gibt es drei Theater die, seit mehreren Jahren, völlig unnutzbar sind, es gibt kein einziges Angliederungszentrum/ kein einziges Jugendzentrum für Junge Leute, und die Abflachung kultureller Veranstaltungen steht unter aller Augen. Die Bewohner Anzahl in der Altstadt wird immer niedriger. Carrara ist außerdem eine Stadt mit einer riesigen Kunst Tradition, die schon vor Michelangelos Zeit greift, es gibt sogar eine der ältesten Kunst Akademien Italiens. Dennoch ist die künstlerische Bühne unterdrückt. Carrara, ein Territorium mit einer langen und starken Freiheitsbesinnung, wurde über die Jahre, von den politischen Gruppen, die sie reagiert hat, zerfleisch, trotzt einer politischen Linkstradition oder noch besser pseudo Links.
Gründe für das Hochwasser:
Der Dammbruch der Mittwoch 5 November statt fand, war nur der Tropfen der dass Fass zum Überlaufen brachte. Die hydrogeologische Zerüttung des Territoriums geht seit mehr als zwanzig Jahre voran. Die verschiedene Verwaltungen haben immer die Zeichen des Territoriums und die Meinungen der Experten unterschätzt. Viele sind die zusammenhängende Problemstellungen: zyklische Reinigung des Flussbettes, damit die Abfälle der Marmorbearbeitung die Wasserstände nicht erhöhen, ständige Instandhaltung der Dämme, Pflege der Wälder und der Berge. Die Eingriffe der Gemeindeverwaltung waren viel zu leicht und deshalb ungenügend, hauptsächlich wegen ökonomischen Gründen.
Vergabe der Gelder:
Alle öffentlichen Gelder, die in den kommunalen Kassen gehen werden schlecht ausgegeben. Die Gelder die von anderen Regierungsbehörden wie: Provinz, Region oder Europäischen Gemeinschaft, zugeteilt werden werden meistens für unnötige Arbeiten vergeben oder bleiben in den kommunal Kassen. Nach dem schweren Hochwasser vom Jahre 2003, erstellte ein Komitee aus externen Experten einen Bericht, der 93 kritische Punkte des Baches Carriona. Es handelt sich um 93 Stellen, in einer Entfernung von 20 km, in den der Fluss nicht sicher ist. Von diesen 93 Stellen wurden nur sehr wenige untersucht und durch die Gemeinde und den Landesregulierungsbehörden sichergestellt. Carrara ist eine Realität, in der die Gemeindeverordnungen der Marmor Steinbrüche am Anfang des neunzehnten Jahrhundert zurückgreifen, ohne dass sie je aktualisiert wurden um wirtschaftliche Interessen zu schützen.

Aktuelle Situation und Missmanagement:
Aufgrund dieser Verordnung, bleibt der Reichtum, der aus den Marmor kommt, in den Händen einiger weniger Familien konzentriert , die seit Jahrzehnten gleichgeblieben sind, weil die Stadtverwaltung nicht im Interesse der Bürger handelt, sondern, in der Tat, mit den lokalen Unternehmen verwickelt ist. Steuerhinterziehung ist hoch. In den letzten zwanzig Jahren wurde mehr Marmor abgebaut als in den letzten 2000, nach dem Krieg waren die Steinbrucharbeiter 7000 jetzt gibt es kaum 600 Man, die Steinmetze und Marmorhandwerker waren etwa 11000, jetzt gibt es kaum 2000; der Marmor wird zu 80 Prozent in grober Form und zu niedrigeren Preisen exportiert: Diese Zahlen sind die Ursachen der Verarmung von Carrara, es sei beachtet , dass die Jugendarbeitslosigkeit bei über 40 Prozent liegt.
Samstag:
Am Samstagmorgen hat sich eine wütender Menschenmasse, nach einer halbtägigen Mundpropaganda, vor dem Rathaus versammelt. Die Leute fragten eine direkte Vergleich ??? mit ihrem eigenem Bürgermeister, der sich zu diesem unternommen hat und das ganze nur mit einen Satz bestritten hat: "Der Bürgermeister und der Stadtrat übernimmt keine Haftung für das, was passiert ist"
Die Menschen, die Sätze des Trostes und der Solidarität erwarteten seitens der Institutionen, sahen ihre Wut und Verzweiflung steigen, und kamen zur Besetzung des Gemeindesaal und zur Strukturierung einer ständigen Vollversammlung , die als oberstes Ziel den Rücktritt des Bürgermeisters und des Gemeinderates hat. Die Polizei, deren Station neben dem Rathaus statt findet, hatte und hat immer noch als einzige Sorge die Aufrechterhaltung der Ordnung, sie wird nicht gewaltsam handeln, sondern nur die Lage der Besetzung im Auge behalten. Der Bürgermeister sagte erst vorgestern dass er die ständige Vollversammlung nicht vertreiben wird, aber dass er selbst auch nicht zurückzutreten wird.
Darstellung durch die Medien und Zusammensetzung:
Einige Medien haben versucht diese Demonstration zu nutzen in dem sie sich mehr auf einige politische Konnotationen konzentriert haben anstatt auf das Protest selber. In der Realität ist die Vollversammlung von Menschen zusammengesetzt, die natürlich bei mehreren Punkten verschiedener Meinung sind und unterschiedliche politische Ideologien haben, aber unter einem gemeinsamen Objektiv haben alle entschlossen diese Uneinigkeiten zur Seite zur legen. Diese Protest ist friedlich und überparteilich. Wir versuchen ständig den Medien das klar zu machen, das ist eine sehr heterogene Bewegung in dem sich Rentner, Studenten, Arbeiter, Beamten zusammen getroffen haben.
Wie funktioniert die ständige Vollversammlung?
Die ständige Vollversammlung trifft sich einmal oder zweimal pro Tag, je nach Bedarf, in einer universellen und öffentlichen Versammlung. In dieser Versammlung darf sich jeder äußern, seine Ideen mitteilen, Lösungen vorschlagen. Die in der Sitzung vorgetragene Argumente werden im Voraus von einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe vorbereitet, die einen Bericht der bisherigen vorgeschlagenen Ideen für die nachfolgende Sitzung schreibt. Im Laufe des Tages arbeiten verschiedenen Arbeitsgruppen ständig daran, und versuchen, sofortige und konkrete Lösungen zu geben. Eine Gruppe ist für die Kommunikation mit der Außenwelt, die Herausgabe der Pressemitteilungen und Interviews in den Medien beteiligt, eine andere Gruppe, die so genannte Forderungsplattform untersucht die drängenden Probleme um Lösungen auf dem Gebiet zu fassen, und untersucht Fragen die in der öffentliche Versammlung angesprochen werden sollten. Eine zusätzliche Gruppe von Experten bietet ihr Know-how zur Lösung der festgestellten Probleme. Eine Solidaritätsgruppe bringt materielle Unterstützung für die von der Überschwemmungen betroffen Bürger zusammen, und koordiniert Arbeitsteams die von den Katastrophenschutz oder Privatleute als Hilfe gefragt werden. Es gibt eine Gruppe, die Videoprojektion anbietet, durch die Entwicklung und Projektierung selbstgemachte Filme zu den Themen die in der Sitzung ständig behandelt werden. Eine weitere Gruppe von Mädchen und Jungen hat ein Spielzimmer für die Kinder der Demonstranten organisiert, eine letzte Gruppe befasst sich mit Multimedia-Kontakte mit der Außenwelt durch die Eröffnung einer Facebook-Seite: CARRARA pagina ufficiale: non abbandonare la cittá und CARRARA assemblea permanente, es wurde auch eine Emailadresse erstellt: carrara-assembleapermanente@gmail.com um Neuigkeiten zu bekommen und Hilfe weitergeben. Für die Unterstützung der Demonstranten, die den Gemeindesaal Tag und Nacht besetzen, geht die Versammlung durch Spendenaktion weiter, und einige Betreiber aus Carrara liefern Nahrung. Seit dem Beginn der Besatzung wurde eine Petition ins Leben gerufen, um Unterschriften zu sammeln, die nur symbolisch und nicht rechtstragend ist, die das Rücktritt des Gemeinderates und des Bürgermeisters fordert, diese Petition wurde auch auf Change.org geworfen.
Das am nächsten stehende Ziel der ständige Vollversammlung ist offensichtlich der Rücktritt des Bürgermeisters und des Rates, aber die Versammlung hat nicht die Absicht das Ganze hier zu stoppen. Für den Fall, dass unsere Ziel erfolgreich sein wird, werden wir weiterhin das Gemeindesaal besetzen, um diesen Beispiel wahrer Basisdemokratie, der versucht, eine Alternative zu bestehenden Institutionen und Delegationmechanismus der Politik zu finden, am Leben zu halten. Diese Versammlung will am Leben bleiben, um die vergangene und zukünftige Verwaltungsentscheidung zu überwachen und in Frage zu stellen.
In Bezug auf die Hochwasserzeit ist das Schlimmste vergangen jedoch prognostizieren die Wettervorhersagen eine Störung am Wochenende. Ein Teil der Bevölkerung ist jedoch noch bei der Arbeit in den vom Hochwasser betroffenen Häuser um die wieder lebensfähig zu machen, einige sind immer noch verdrängt, einige haben alles verloren. Die Bevölkerung hat bei jedem Regen Angst. Der Katastrophenschutzdienst versucht, die durch den Sturm verursachten Probleme einzudämmen, aber die Mittel die ihnen zur Verfügung stehen sind nicht angemessen. Es fehlt das Personal, sehr viele sind in der Reparatur und Instandhaltung von Maschinen eingesetzt und nutzt die Hilfe von jeder der sich zur helfen bereit erklärt. Außerdem bekommt der Katastrophenschutzdienst nicht genügend Gelder vom Staat um die Mitteln die er benötigt im Stande zu halten.
was haben wir praktisch geleistet?
Man könnte sagen das das Schweigen der traditioneller Verwaltungsorgane kann als Spiegel der Angst, die unsere Arbeit den traditionellen Machtzentren macht, gesehen werden. Wir haben mit unserem Protest eine große Frage über ein politisches System gestellt das für uns alle als völlig normal und selbstverständlich gilt. Unser Protest könnte sich wie ein Lauffeuer in anderen italienischen Städten die von den selben Schwierigkeiten betroffen sind ausbreiten. Während auf eine rein praktische Ebene geben die Demonstranten ständig Hilfe für den Menschen in Form von: Nahrungsmitteln, Arbeitsteams und Grundbedürfnisslieferung.

Kommentare
16.11.2014 / 09:08 Timo, Querfunk, Karlsruhe
wird gesendet
18.11.14