"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Italia-News -

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Irgendwann im November fragte mich eine Kollegin, die sich ansonsten eher für Hayden Pan­net­tiere und sonstige Schönheiten interessiert, ob ich das schon gelesen hätte und erst recht daran glauben würde, dass die Sonne im Dezember ihren Betrieb für 6 Tage einstellen würde. Hää?, fragte ich zuerst mich und dann sie, wie soll das gehen, dass man die Kernfusion einfach für 6 Tage einstellt?
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11:23 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.01.2015 / 15:02

Dateizugriffe: 604

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 29.12.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Revisionsarbeiten und so, alles in Ordnung, aber vielleicht nicht gerade im größten Fusionskraftwerk in unserer näheren Umgebung? – Sie zuckte die Schultern und verwies mich auf eine unabhängige, sozusagen objektive und neutrale Publikation aus dem benachbarten Italien, nämlich die Webseite Italia-News.it. Und tatsächlich fand sich auf diesem Portal der entsprechende Artikel, der sich auf die NASA berief und auf deren Chef Charles F. Bolden Jr., und die Ursache des Produktionsunterbruchs seien gewaltige Solarstürme. «Wunderbar», sagte ich und wandte mich anderen Dingen zu.

Anfang Dezember kamen wir auf das Thema zurück, und auf derselben Italia-News war die Meldung nach wie vor zu lesen, jetzt allerdings aktualisiert, und laut dieser Meldung befinden wir uns gerade jetzt, nämlich vom 22. bis am 27. Dezember, in dieser Null-Sonnen-Zeit, und das fand ich noch exotischer, weil vorher die Tage vom 13. bis am 18. Dezember angegeben worden waren, Charles F. Bolden Jr. hatte sich offenbar in seinen Prognosen um 9 Tage geirrt. Typisch NASA, halt, möchte man sagen, und insofern erhöhte dies die Glaubwürdigkeit der Information durchaus. Damit war meine Neugierde aber definitiv geweckt, und ich machte mich vermittels einiger internationaler Suchmaschinen auf die Recherche, das heißt, zunächst setzte ich meinen eigenen Grips ein und klickte die Seite www.nasa.com an. Jeder Internaut weiß, dass das ein Blödsinn ist, weil com für Kommerz steht, und die NASA ist eine staatliche Agentur, sodass ich halt in dieses Fettnäpfchen hinein plumpste; unter www.nasa.com ist nämlich die North American Search Authority zu finden, die mit dem zweiten bzw. dem ersten und eigentlichen Namen «Jerusalem Search» heißt. Themengerecht kann man dort die drei Suchbereiche Satellitenbilder, Satelliten-TV und Satelliten anklicken, die aber nichts Weiteres bieten als Verweise auf andere Webseiten. Auf der richtigen NASA-Webseite, die man unter www.nasa.gov findet, kann man dann nach Solar Storm suchen, und dort findet man tatsächlich eine NASA-Warnung vor einem Sonnensturm, und zwar wird dort vom intensivsten Solarmaximum der letzten 50 Jahre gesprochen. Allerdings datiert diese Warnung aus dem Jahr 2006, und weiter ist nichts zu finden. Italia-News ist also einer Ente aufgesessen, wenn man das mal so sagen kann.

Nach zwei weiteren investigativen Schritten bin ich dann am Ursprung der Meldung angelangt: Die Seite heißt Huzlers, und laut eigenen Angaben ist Huzlers.com eine Kombination aus urbanen Nachrichten und satirischer Unterhaltung, und der Zweck dieser Webseite ist es, die Besucher in einen Zustand anhaltender Ratlosigkeit zu versetzen. Die aktuelleren Nachrichten lauten dann ungefähr so: Bill Gates gibt zusammen mit Kollegen von Microsoft in einem Stripclub 1 Milliarde Dollar aus, oder aber: Rapper Hopsin weigert sich, den Illuminati beizutreten, und muss deshalb seine Musikkarriere abbrechen, und so weiter. Ein alter ist der: Kanye West Says He Hates Twitter Because He Can’t Follow Himself, oder auf Deutsch: Kanye West hasst Twitter, weil es unmöglich ist, sein eigener Follower zu werden. – Die Jungs suchen übrigens noch kreative und talentierte Autoren – man kann sich dort einloggen und sein Talent versuchen. Die Webadresse ist http und huzlers.com. Viel Vergnügen. – Übrigens gab es mal ein Heft, das lauter solche Nachrichten publizierte, das war noch vor dem Fall der Mauer; aber es hatte keinen Bestand, weil nach zwei, drei Nummern das Vergnügen schlagartig nachlässt. Jetzt aber zwischendurch mal hineingucken, das macht durchaus Freude.

Aber wieso kommt ein Portal wie Italia-News dazu, eine solche Meldung unkommentiert zu publi­zieren und sogar noch zu aktualisieren? Grundsätzlich vermag so etwas Menschen, welche das Land und seine BewohnerInnen etwas näher kennen, nicht besonders zu überraschen. Wir sehen hier ungefähr die Qualität des Berlusconi-Fernsehens erreicht, welche bekanntlich auch der Qualität der Berlusconi-Regiererei entspricht – was heißt da ungefähr, ganz exakt natürlich! – Der verantwortliche Redaktor Donato Paolino aus Salerno, südlich von Neapel, schreibt dazu: «Sämt­li­che Artikel auf Italia-News.it werden ausschließlich nach eingehender Überprüfung durch den verantwortlichen Redaktor und die Web-Administratoren veröffentlicht.» Das ist schön. Das ist Berlusconi-Quak pur. Daneben stellt man fest, dass es nirgendwo auf der Erde so viele Erdbeben gibt wie auf Italia-News wenn man sich die Seite sonst noch ansieht. Die Erdbeben haben sogar ihre eigene Rubrik, ebenso wie die Lottozahlen. Und so kann ich denn zum Beispiel für den 21. Dezember dank Italia-News ein Erdbeben der Stärke 2.3 melden für Pietracupa in der Provinz Campobasso in der Region Molise; eines der Stärke 3.6 in Sansepolcro in der Provinz Arezzo in der Region Toscana; eines der Stärke 2.7 in Santo Stefano d’Aveto, Provinz Genua, Region Ligurien; eines von 2.9 Stärkegraden in der RegionToscana in Greve, Chianti/Florenz, morgens um 1.49 Uhr; ebenfalls in der Provinz Florenz ereignete sich ein Erdbeben etwas mehr als eine Stunde zuvor, um 23.37 Uhr des 20. Dezember, und zwar in San Casciano in Val di Pesa, und zwar in der Stärke 2.6; früher hatte am 20. Dezember die Erde in der Provinz Veneto gebebt in Orgiano, Provinz Vicenza, in einer Stärke von 2.4. Die Beben vom 19. Dezember ereigneten sich wiederum in der Toscana in San Casciano in Val di Pesa, Stärke 3.5, in der Toskana in San Casciano in Val di Pesa, Stärke 4.1, am 18. Dezember in der Toskana in San Casciano in Val di Pesa und am 16. Dezember in der Region Kalabrien, in Cutro, Provinz Crotone, in der Stärke von 2.4.

Dem gegenüber sind die Lotteriezahlen richtiggehend harmlos, zum Beispiel am 20. Dezember. Beim Superenalotto gab es keinen 6-er und auch keinen Fünfer mit Zusatzzahl bei folgenden Zahlen: 1, 13, 24, 25, 29 und 77. Beim normalen Lotto kam es zur Verlosung Nr. 152: auf nationaler Ebene wurden die 4, die 21, die 51, die 75 und die 61 gezogen; für Bari waren es die 55, die 79, die 51, die 12 und die 86, für Cagliari wiederum 5 andere Zahlen, ebenso für Florenz, Genua, Mailand, Neapel, Palermo, Rom, Turin und Venedig. Dann gibt es ein 10-er Lotto mit 20 Zahlen aus den vorigen Lotterien, und wer jetzt noch nicht komplett hinüber ist, erhält gratis die italienische Staatsbürgerschaft und ein Abonnement von Italia-News.

Ich habe jetzt nicht von Matteo Renzi gesprochen, der sich ganz offensichtlich ebenfalls in Berlusconi-Quak übt, aber doch hin und wieder etwas zu tun versucht, einmal abgesehen von der Reform des italienischen Senats. Im Moment ist die Revision des Arbeitsrechtes im Gange. Das kann selbstverständlich nur ein sozialdemokratischer Regierungschef tun, ganz wie seinerzeit der Schrödergerd mit seiner Agenda. Allerdings geht es hier um etwas anderes, nämlich ist die Lockerung des rigorosen Kündigungsschutzes eine längst überfällige Maßnahme, welche verschiedene Unternehmen dazu bringen wird, in Zukunft ihre Mitarbeiter nicht mehr schwarz zu beschäftigen, weil sie sonst halt eben unkündbar sind, sondern sie wieder gemäß den gesetzlichen Vorschriften einzustellen und zu entlöhnen. Der absolute Kündigungsschutz dagegen entspricht auf der logischen Seite nichts anderem als der Heiligsprechung aller Arbeitnehmer, die in Zukunft nämlich eben unfehlbar und unantastbar sind, was ja dann für Italien wieder einigermaßen in Ordnung wäre, und auf der anderen Seite entspricht es der Verwandlung des Arbeitsmarktes in einen Markt, auf welchem die Gewerkschafter ihren Mitglieder Privilegien verschaffen im Rahmen von zünftischen Ordnungen, während die Nichtmitglieder eben außen vor bleiben in der Arbeitslosigkeit oder eben in der Schwarzarbeit und in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Wenn es Renzi gelingt, diese Gesetze zu ändern, dann hat er etwas Gutes getan, und dass die Gewerkschaften dagegen Sturm laufen, spricht zu 100 Prozent gegen sie – diese Organisationen haben dem Schutz der Arbeitnehmenden schon längstens Adieu gesagt und betreiben nur noch den Schutz ihrer Mitglieder wie indische Kastenorganisationen.

Eine andere Sache noch. Ihr erinnert euch vielleicht an die Diskussionen um den Peak Oil, um den Höchststand der Erdölproduktion bzw. des Erdölkonsums? Vor 40 Jahren meinte man, der Peak Oil sei im Jahr 1995 erreicht. Vor 20 Jahren erwartete man ihn irgendwann um 2010. Und heute steht der Erdölpreis auf einem historischen Tief trotz steigendem Verbrauch in den Schwellenländern. Angeblich hat das mit dem Fracking in den USA zu tun, die wieder Erdöl exportieren. Ich glaube, viel näher bei der Sache liegt die Vermutung, dass die US-Amerikaner ihre Freunde in Saudiarabien dazu bewegt haben, neben der Beteiligung an der Koalition der Vernunft gegen die Saddam-Hussein-Nachfolger in der IS-Armee auch noch den Russen eins auszuwischen durch die Flutung des Weltmarktes mit Erdöl. Russland ist auf die Energiedevisen angewiesen wie der Teufel auf die armen Seelen, und die USA hoffen, vermittels dieses Wirtschaftskriegs nun den guten alten Putin in die Knie zu zwingen. Das halte ich nun für eine nicht übermäßig kluge Strategie. Sie entspringt einem intellektuellen Horizont, wie ihn zum Beispiel das Kinn von Außenminister John Kerry gerne erzeugt. Wir haben es an einem anderen Beispiel gesehen, nämlich bei den Hacking-Vorwürfen an Nordkorea anhand der Publikation von gestohlenen Dateien von Sony Entertainment. Ach so, die Nordkoreaner wussten, dass Sony einen Satirefilm über Nordkorea drehen würden, und deshalb haben sie die Sony-Datenbanken geknackt. Das tönt irgendwie nicht so logisch, nicht wahr? Und noch viel besser mutet die Haltung der US-Regierung an, welche die Nordkoreaner so an den Pranger stellt, als hätte sie noch nie im ganzen Leben irgendwo irgendetwas gehackt, geschweige denn abgehört und ausspioniert. Die Jungs haben wirklich ordentlich Knöpfe in den Reißverschlüssen, das steht fest. Aber solange sich die Öffentlichkeit in den westlichen Demokratien solchen Berlusconi-Quak gefallen lässt, solange ist das eben alles schon in Ordnung. Wenn man sich das wieder überlegt, dann kommt man zum Schluss, dass die Italiener mit ihren Italia-News vielleicht eben doch Recht haben. Vielleicht sind die Italiener die wirklich intelligenten Menschen auf dem Planeten, die beschlossen haben, sich für die nächsten hundert Jahre einfach dumm zu stellen und abzuwarten, was die anderen in der Zwischenzeit alles anstellen.

In diesem Sinne wünsche ich allen frohe und sonnige Weihnachten.