Griechenland: Widerstand gegen das Troika-Diktat - "Bundesregierung setzt auf Unterwerfung" Griechenland braucht einen Schuldenschnitt!

ID 70236
Vortrag Syriza Theodoros Paraskevopoulos (Hauptteil)
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Solidaritäts- und Infoveranstaltung der Linken mit Theodoros Paraskevopoulos, Ökonom und Leitungsmitglied von Syriza und Mitverfasser des Regierungsprogramms von Syriza am 29.4.2015 im Bürgerhaus Mannheim-Neckarstadt

"Gebt Griechenland eine Chance – Solidarität im eignen Interesse

Was hat das deutsche Lohndumping mit der Situation in Griechenland zu tun? Was sind die Ursachen für die jetzige Situation in Griechenland? Wie kann es weitergehen?

Die EU-Kommission zeigt sich kompromissbereit. Aber die deutsche Bundesregierung stellt klar: Griechenland ist Befehlsempfänger. Der deutsche Europa-Kurs aus Kürzungen und Lohnsenkungen ist nicht verhandelbar."

"Es soll ein Exempel der Unterwerfung exekutiert werden" auch wegen den kommenden Wahlen in Spanien und Irland

Zeitung FaktenCheck Hellas

Solidarität mit der Bevölkerung in Griechenland
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Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, SeniorInnen, Arbeitswelt, Kinder, Umwelt, Jugend, Kultur, Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: Reinhard grenzenlos
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 29.04.2015
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
Disk u.a.: Stop dt imp Politik u Sozialraub, neue Außenpolitik
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Skript
weitere Infos:

Syriza
http://www.syriza.gr/
http://www.syriza.gr/page/international....

Stellungnahmen der Kommunistischen Partei Griechenland, KKE
http://de.kke.gr/

Bundesregierung muss Zwangsanleihe und Reparationsforderungen an Griechenland zahlen

http://www.labournet.de/internationales/...

AK Distomo
70 Jahre Leben ohne Gerechtigkeit
http://www.distomo-griechenland.de/

Einladungs-Plakat der Linkspartei zur Veranstaltung
http://www.dielinke-ma.de/politik/termin...


Im Wortlaut
27.04.2015 – Sahra Wagenknecht, linksfraktion.de
Griechenland: Bundesregierung setzt auf Unterwerfung



Stellungnahme von Sahra Wagenknecht, Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Statt einer Einigung gab es auf dem letzten Treffen der Eurofinanzminister am 24. April eine neue Stufe der verbalen Eskalation.
Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis wurde von seinen europäischen "Kollegen" als "Spieler", "Amateur" und "Zeitverschwender" bezeichnet. Es wäre zwar schön, wenn diese unglaublichen Entgleisungen wenigstens ein Zeichen dafür wären, dass Giannis Varoufakis die Finanzminister der Eurogruppe derartig in die Ecke gespielt hätte, dass denen in ihrer Not schlicht die Nerven durchgingen.

Aber das ist leider sehr unwahrscheinlich. Denn gegenwärtig ist die griechische Regierung durch die kompromisslose Haltung der Geldgeber dazu genötigt, die letzten verfügbaren Euros zusammenzukratzen. Mit dem Griff in die Barreserven öffentlicher Institutionen zahlt die Regierung in Athen gegenwärtig aber nicht nur Löhne und Renten, sondern überweist ihren Gläubigern – trotz der hoffnungslosen Überschuldung des Staates – immer noch pünktlich Zinsen und Tilgungen. Allein im März und April waren das 3,2 Milliarden Euro.

Aber in Anbetracht der schlimmen sozialen Lage in Griechenland werden diese Zahlungen immer unerträglicher. Und: Diese Reserven sind außerdem irgendwann erschöpft. Spätestens die fälligen Zins- und Tilgungszahlungen im Juni, Juli und August an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) in Höhe von zusammen knapp 11 Milliarden Euro sind ohne "frisches Geld" nicht mehr zu leisten.

Der finanzielle Erstickungstod des griechischen Staats droht

Varoufakis hat diese Erpressungspolitik der europäischen Institutionen und Regierungschefs als "Fiscal waterboarding" bezeichnet. Das ist durchaus zutreffend, denn die Eurogruppe, angeführt von der deutschen Bundesregierung, blockiert seit dem Regierungswechsel in Athen jede Auszahlung der insgesamt noch ausstehenden 7,2 Milliarden Euro.

Daran hat auch die formale Verlängerung des auslaufenden "Hilfsprogramms" bis Ende Juni dieses Jahres nichts geändert, auf die sich die Eurogruppe und Griechenland im Februar geeinigt hatten.

Denn im Ergebnis der Februar-Verhandlungen blieb die Auszahlung der noch ausstehenden Kredittranchen aus dem auslaufenden Programm an die Bedingung geknüpft, dass die Geberländer und der Internationale Währungsfonds (IWF) die drakonischen Kreditauflagen als abgearbeitet absegnen.

Die Entscheidung über den finanziellen Erstickungstod des griechischen Staates blieb damit fatalerweise abhängig vom Kalkül der Eurogruppe, angeführt von der deutschen Regierung.

Und diese schaute bisher gnadenlos dabei zu, wie durch ihre Blockadehaltung die letzten finanziellen Spielräume der griechischen Regierung in den letzten Wochen dahin schmolzen.

Denn es geht der Bundesregierung darum, dass die neue Regierung in Athen kapituliert.

Der Auftrag der griechischen Wähler und Wählerinnen lautete: Ende der Kürzungspolitik zu Lasten von 99 Prozent der Bevölkerung.

Sollte die neue Regierung in Athen sich trotzdem ohne Schuldenschnitt beispielsweise auf eine Deregulierung des Arbeitsmarktes oder Rentenkürzungen einlassen, wäre sie am Wählerauftrag gescheitert.

Die aktuelle Situation wurde von einigen Journalisten auch als Chicken Game bezeichnet, in der die griechische und die deutsche Regierung mit vollem Tempo aufeinander zurasen. Weicht weiterhin keiner von beiden aus, kommt es nach dieser Interpretation zum Graccident, also einem unfallartigen Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, dass beide Seiten eigentlich nicht wollen.

Das Bild ist aber nicht ganz vollständig, denn selbst, wenn beide Seiten nicht nachgeben und die griechische Regierung den Schuldendienst einstellt, kommt es nicht automatisch zum Graccident. Denn nur die EZB kann die Versorgung des griechischen Bankensystems mit der europäischen Währung einstellen. Das ist dann aber kein Unfall, sondern ein Rausschmiss aus dem Euro, für den die EZB kein Mandat oder erkennbare rechtliche Grundlage hat.

An der SYRIZA-Regierung soll ein Exempel statuiert werden

Es geht der Bundesregierung nicht um den Grexit, sondern darum an der SYRIZA-Regierung ein Exempel zu statuieren. Es darf aus ihrer Sicht kein positiver Präzedenzfall dafür geschaffen werden, dass sich ein Land durch eine demokratische Entscheidung der von Merkel und der EU-Kommission diktierten Bankenrettungs- und Kürzungspolitik entziehen kann.

Am Ende könnte es ja sonst in anderen Ländern der Eurozone Nachahmer geben – wie etwa in Spanien, wo die neue linke Partei Podemos Ende des Jahres eine Chance hat, stärkste politische Kraft zu werden.

Dann wäre Merkels Vormachtstellung in Europa und ihr Agenda-2010-Diktat endgültig in Gefahr. Eine ungebrochene Fortführung der neoliberalen Politik zum Nachteil der weit überwiegenden Mehrheit der europäischen Bevölkerung sind der Bundesregierung wichtiger als die knapp 100 Milliarden Euro der deutschen Steuerzahler, die bei einem griechischen Zahlungsausfall endgültig verloren wären.

Wenn Varoufakis ein "Spieler" ist, dann sind Merkel und Gabriel "Spielsüchtige", die mit fremden Milliarden Russisch-Roulette spielen und damit ein friedliches und solidarischen Europa zerstören.

Versuchen wir alles, damit sie ihr destruktives Werk nicht weiter treiben können. Die größte Solidarität mit Griechenland bedeutet eine konsequente Opposition gegen die Bundesregierung!
linksfraktion.de, 27. April 201

Zu den Wurzeln

Griechenland: Beschäftigte haben Hoffnungen in Syriza-Regierung gesetzt. Zukunft ungewiss. Selbstorganisierung in den Betrieben erscheint als ein Ausweg.

Elena Lisiou/Thessaloniki

Die griechischen Arbeiter waren voller Zuversicht nach dem Wahlsieg von Syriza. Deshalb war es insbesondere denjenigen unter ihnen so wichtig, die eigene Regierung an die gemachten Zusagen zu erinnern, die noch unter dem konservativen Vorgängerkabinett gezwungen waren, sich zusammenzuschließen und ihre Arbeit selbst zu organisieren. Am ersten Wochenende im April machten sich Beschäftigte nach Athen auf, Forderungen an Alexis Tsipras und seine Minister zu stellen und »ihnen klarzumachen, wo ihre Wurzeln liegen«, wie es im Aufruf heißt.

In einer Karawane zogen unter anderem die Beschäftigten von Vio.me aus Thessaloniki in die Hauptstadt. Die Angestellten des Putzmittelherstellers waren im Jahr 2011 ohne Lohn von ihrem Chef sitzengelassen worden. Der muss sich mittlerweile vor Gericht für den mutmaßlich betrügerischen Konkurs seiner Firma rechtfertigen. Die Arbeiter aber haben im Jahr 2013 die Maschinen und Bestände selbst übernommen und stellen seitdem in eigener Regie Seife her, die sie über das Internet vertreiben. Zusammen mit Beschäftigten des ehemals staatlichen Rundfunksenders ERT, der seit einer Besetzung – nachdem alle Beschäftigten von der Regierung im Jahr 2013 entlassen wurden – ebenfalls kollektiv geführt wird, standen die Belegschaften der bekanntesten selbstorganisierten Betriebe des Landes an der Spitze des Zuges. Doch landauf, landab tun sich immer mehr Arbeiter, insbesondere in kleinen Firmen, zusammen und versuchen, ihre Belange genossenschaftlich zu regeln.

Doch nicht nur die Selbstverwaltung hatten die Protestierenden zu ihrem Thema gemacht. Unter ihnen waren auch Mitglieder der Baugewerkschaft Chalkida, die 595 Putzkräfte, die im Finanzministerium vor die Tür gesetzt wurden, sowie etliche gefeuerte Lehrer, Hausmeister öffentlicher Gebäude und viele andere. Beschäftigte des öffentlichen Sektors demonstrierten gemeinsam mit denen aus der Privatwirtschaft. Das ist neu. Sie wollen sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen, sondern haben bei einem Treffen mit Verantwortlichen des Arbeitsministeriums darauf bestanden, sich nicht nur gegen die Troika, also Internationalen Währungsfonds, Europäische Zentralbank und Europäische Kommission, zu wenden. Nicht nur die seien für die Krise im Land verantwortlich, sondern generell die kapitalistische Wirtschaftsform. Nun sei es an der Zeit und originäre Aufgabe der Syriza, diese hinter sich zu lassen. Die Zusammenkunft mit Vetretern des Arbeitsressorts fand am 7. April statt, zum Abschluss der Karawane. Ursprünglich hatte der Minister sein Kommen zugesagt, dann aber kurzfristig einen Rückzieher gemacht.

Theo Karyotis vom Solidaritätsnetzwerk mit den Vio.me-Beschäftigten erklärte am Rande des Treffens, was die Aktivisten von der linken Regierung erwarten: »Mehr als 500 Putzfrauen wurden über Nacht vom Finanzministerium gefeuert. Syriza wurde unter anderem deshalb gewählt, weil sie versprochen haben, ihnen den Job wiederzugeben«, so Karyotis. Allerdings würden dem mittlerweile Zusagen entgegenstehen, die die Regierung der Europäischen Union machen musste. »Das bedeutet, wenn wir nun über eine Wiedereinstellung reden, dann nur unter deutlich schlechteren Bedingungen für die Frauen«, kritisierte Karyotis.

Der Umgang mit den Putzkräften und anderen Entlassenen des öffentlichen Dienstes ist für die Aktivisten so auch ein Gradmesser. Nachdem die Regierung Tsipras von den abhängig Beschäftigten viele Vorschusslorbeeren bekam, muss sie nun beweisen, diese auch zu verdienen. Die Teilnehmer der Karawane bemängelten, dass ihr Protestzug von Syriza weitgehend ignoriert worden war. Ioanna Moustakou, eine der Aktivistinnen, schilderte jW am letzten Tag der Karawane, warum sie mitgemacht hat: »Ich war beim Staat angestellt. Wir haben da alle gedacht, dass das sicher ist. Jetzt können wir als Familie nur überleben, weil mein Mann einen Job hat – noch. Wenigstens bekomme ich bis jetzt etwas Geld. Als Langzeitarbeitslose bekommst du momentan gar nichts mehr.« Moustakou ist sich sicher, dass die Beschäftigten gezwungen sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

»Die Arbeiter von Vio.me zu treffen hat mich wirklich inspiriert. Vorher hatten sie einen Chef, der sie ausgebeutet und am Ende um den Lohn gebracht hat. Jetzt verdienen sie zwar nicht viel, aber sie arbeiten nur für sich selbst. Da ist niemand, den sie mit durchfüttern müssen«, so Moustakou. Da sie nicht das Gefühl habe, dass die Troika wirklich von ihrem Land ablasse, müssten die einzelnen Beschäftigten sich nun zusammentun und die eigene Zukunft organisieren.

»Wir sind so viele, die schon so lange leiden mussten, unter Antonis Samaras (ehemaliger griechischer Ministerpräsident bis 26. Januar 2015, jW) ging es uns wirklich schlecht. Er hat gar nicht versucht, sich den Forderungen der Troika entgegenzustellen. Das macht Tsipras, und deshalb haben wir noch Hoffnung. Doch wir haben nicht gekämpft, damit er oder seine Syriza an die Macht kommen, sondern damit wir ein besseres Leben mit sicheren Arbeitsplätzen und einer guten Gesundheitsversorgung haben. Dafür werden wir uns weiter einsetzen«, gibt sich Moustakou kämpferisch.

Elena Lisiou lebt in Thessaloniki und hat die Karawane der Beschäftigten nach Athen begleitet.

Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Wrobel
Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 29.04.20
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