Politisierung durch Polarisierung

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Kurzhaarfrisuren bei Frauen, die Asylpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump – Sie alle haben eins gemeinsam: Sie polarisieren die Gesellschaft. Entweder man liebt sie oder man hasst sie; dafür oder dagegen; schwarz oder weiß. Die Alternative für Deutschland (AfD) profitiert derzeit von der gesellschaftlichen Polarisierung in der Debatte um Flüchtlinge. Damit mobilisiert sie vor allem eine große Zahl ehemaliger Nichtwähler. Wie Polarisierung zu Politisierung führt.
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18:24 min, 34 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.03.2016 / 00:15

Dateizugriffe: 73

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Luise Groß
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 15.03.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
„Wir haben das geschafft, was die Etablierten seit Jahren versuchen: Wir haben Politik wieder interessant gemacht! Wir haben die Leute an die Wahlurne bekommen!“ - André Poggenburg, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt

Landtagswahlen 2016: In Sachsen-Anhalt gab fast jeder vierte Wähler seine Stimme für die AfD ab. Auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hat die AfD zweistellige Wahlergebnisse erzielt. Die Wählerschaft der AfD besteht zu großen Teilen aus ehemaligen Nichtwählern. Beinahe 400.000 dieser Nichtwähler gaben in den drei Bundesländern ihre Stimme der AfD. In Sachsen-Anhalt lag die Wahlbeteiligung bei etwa 62 Prozent, etwa 10 Prozent höher als noch 2011. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die AfD profitiert derzeit von der gesellschaftlichen Polarisierung in der Debatte um Flüchtlinge. Ihre Kampagnen in Form von Demonstrationen und Kundgebungen sind auf dieses Thema zugeschnitten, wenn sie fordert: „Asylchaos stoppen!“

Aktuell politisieren und polarisieren Themen aber nicht nur hier in Deutschland. Auf der ganzen Welt lassen sich Beispiele für Polarisierung in der Politik finden. Aber halt! Wo kommt es eigentlich her, dass einige Themen so stark polarisieren?
Prof. Dr. Torsten Oppelland, der an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Politikwissenschaften lehrt, hat dafür folgende Erklärung:

„Das hat damit zu tun, wie bestimmte Themen von der Bevölkerung wahrgenommen werden, die Einstellungen zu diesen Themen sind und wie die persönliche Betroffenheit ist. Aus welchen Gründen auch immer: Bei der Kernkraft beispielsweise kann es sein, dass man sich selbst der Strahlung ausgesetzt sieht; Das können persönliche Werte sein: In den USA beispielsweise ist die Abtreibung ein viel größeres Thema als hier bei uns, was für christlich-konservative eine enorme Rolle spielt. Also persönliche Betroffenheit, Werte, Wertorientierung, das spielt die Hauptrolle.“

Stichwort USA: Ein Thema, dass in den Vereinigten Staaten aktuell für mehr Trubel sorgen dürfte als „Abtreibung“, ist die Frage nach „Präsident Nummer 45“ – Wer wird die Präsidentschaftswahl 2016 gewinnen? Auf der einen Seite, für US-amerikanische Verhältnisse weit links, steht Bernie Sanders, der sich selbst als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet und für die Bekämpfung von Einkommensungleichheit, die Entmachtung der Wall Street und bessere Studienbedingungen für sozial Schwächere steht. Ein Wahlprogramm das polarisiert. Ihm entgegen steht Donald Trump, Immobilienmillionär und Fernsehstar, der vornehmlich gegen Einwanderer und die Gesundheitsreform von Barack Obama wettert. Vor allem Nichtwähler möchte Trump an die Wahlurnen locken; Wutbürger und Menschen, die Angst vor Überfremdung und Terror haben. Bei Sanders sind es junge Mittelständler und Studenten, die hinter ihm stehen und sich politisch für ihn engagieren. Ist es also richtig zu sagen, dass Polarisierung in einer gewissen Weise auch verstärkt zu Politisierung beitragen kann?

Prof. Dr. Torsten Oppelland: „Ja, natürlich, wenn das ein Maß erreicht, bei dem Konflikte nicht mehr im normalen politischen Rahmen ausgetragen werden. Mit anderen Worten: Wo Gewalt ins Spiel kommt. Ganz extrem und zugespitzt in der Spätphase der Weimarer Republik in den frühen 30ern. Da war Politik verbunden mit fast bürgerkriegsartigen Zuständen, mit Gewalt auf der Straße, Schlachten zwischen Kommunisten und Nazis, die die Polizei kaum mehr unterbinden konnte, teilweise zwischen die Fronten geraten ist, teilweise aus selbst erhebliche Gewalt angewendet hat. Also, wenn das dieses Stadium erreicht, dann sprengt das natürlich ein politisches Gemeinwesen. Aber wenn es unterhalb dieser Schwelle bleibt, dann hat es durchaus die Wirkung, die Menschen auch zum Wahlgang zu motivieren.“

Von den USA machen wir jetzt einen Sprung nach Frankreich. Dort hatte nach den Attentaten in Paris im vergangen Jahr und vor den Regionalwahlen die rechtspopulistische Partei „Front Nationale“ einen eklatanten Zustrom erfahren. Die Stimmung in Frankreich vor den Regionalwahlen beschreibt Frankreichkorrespondent Bernard Schmid von Radio Dreyeckland:

"Die real bestehenden Aussichten sind durch die Attentate noch befördert worden, aber das begann schon vorher. Das begann schon vor dem Hintergrund des ganzen Schlamassels, der Regierungspolitik der allgemeinen sozial-wirtschaftlichen Lage, der Bilanz, die die Menschen aus der Regierungspolitik und dem Regierungswechsel zugunsten der Sozialdemokratie von 2012 ziehen und der Perspektivlosigkeit. Weil auch Gewerkschaften und soziale Bewegungen im Moment nicht als glaubwürdige Akteure erscheinen, die es schaffen könnten, den Karren aus dem Dreck zu ziehen - etwa durch soziale Kämpfe und Veränderungen. Es gibt ein allgemeines von Griesgrämigkeit und Perspektivlosigkeit geprägtes Klima, das mit einer gewissen Entpolitisierung einhergeht, dass viele Leute sagen: Wir vertrauen sowieso keinem politischen Akteur mehr, denn wir hatten die Rechte an der Macht, die Konservativ-Liberale, wirtschaftsliberale Rechte mit Nicolas Sarkozy, wir hatten die Linke an der Macht - was hat es gebracht? In allen Fällen nur Scheiße. Dann probieren wir halt mal das, was wir noch nicht an der Macht hatten."

Ein ähnliches Phänomen zeichnet sich gerade in Deutschland ab: Viele Menschen sind unzufrieden mit der Politik der Altparteien, fühlen sich außen vor gelassen und übergangen. Die Folgen sehen wir in den Wahlergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg: Aus Frust und Unzufriedenheit wird vermehrt die AfD gewählt, um den etablierten Parteien „eins auszuwischen“. Laut einer im Auftrag der ARD durchgeführten Infratest-Umfrage, wählten 3 von 4 AfD-Wählern die Partei nicht aus eigener Überzeugung, sondern um andern Parteien „einen Denkzettel zu verpassen“. Frauke Petry, Vorsitzende der Alternative für Deutschland, äußerte sich dazu folgendermaßen:

„Tatsache ist doch aber, dass auch Protest eine inhaltliche Aussage ist. Es grenzt einen von anderen Parteien ab! Und wenn Bürger den etablierten Parteien die Antworten nicht mehr zutrauen, für die sie, mit Verlaub, nicht nur Jahre sondern zum Teil Jahrzehnte Zeit gehabt haben, dann ist es doch sehr verständlich, dass Bürger ihre Stimme einer anderen demokratischen Partei geben! Ich denke, wir sollten froh darüber sein.“

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel deutet an, dass der Regierungskurs und die Uneinigkeit in der Union für Frust und Wählerzuspruch bei der AfD gesorgt zu haben scheinen.

„In unseren Diskussionen haben wir uns natürlich sehr klar und sehr stark neben der Frage, wie lösen wir die Flüchtlingsfrage, wie gehen wir hier weiter vor, auch mit dem Thema beschäftigt der AfD, das ist gar keine Frage. Alle waren sich einig, dass man sich argumentativ mit der AfD auseinandersetzen muss. Jetzt ja natürlich auch in den Landtagen; Und, dass es sich hier um Protestverhalten handelt. Einmal mit Blick auf die ungelöste Frage der vielen Flüchtlinge, auch Ängsten im Bezug auf die Integration, aber zum Zweiten auch in einer Skepsis gegenüber vielen etablierten Strukturen.“

„Die AfD löst zwar keine Probleme, nennt die Dinge aber beim Namen" - das sagt mehr als jeder zweite AfD-Wähler. In Sachsen-Anhalt stimmen diesem Statement 64 Prozent zu, in Rheinland-Pfalz 90 Prozent und in Baden-Württemberg sogar 93 Prozent.

Der rechtspopulistischen Partei AfD gegenüber steht die Linke, die in Sachsen-Anhalt den stärksten Wählerrückgang zu verzeichnen hatte. Fast 10 Prozent musste die Linke im Vergleich zu 2011 einbüßen. Wulf Gallert, Kandidat der Linken für das Amt des Ministerpräsidenten zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, versucht eine Erklärung für die Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt zu finden:

„Wir haben ein Land, in dem sich besonders viele Menschen in prekären Lebenssituationen befinden, in dem Abstiegsängste quer durch alle sozialen Schichten der Bevölkerung besonders stark sind. Wir haben ein Land mit sehr, sehr wenig Migrationserfahrung im Verhältnis zu den Westdeutschen Bundesländern und wir hatten tatsächlich einen Ministerpräsidenten, der selbst praktisch die argumentative Schützenhilfe für die AfD geliefert hat, indem er in diesem Land Sachsen-Anhalt, in dem aus dem letzten Jahr nur ganze 25.000 Flüchtlinge überhaupt nur da geblieben sind, permanent von ‚Überforderung‘ und gemeint hat, man müsse jetzt die Forderungen der ‚Obergrenzen‘ und geschlossenen Grenzen, die damit im Zusammenhang stehen, in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Das waren Dinge, die tatsächlich der AfD ganz wesentlich dazu verholfen haben, dieses Rekordergebnis einzufahren.“

Die Anhänger der rechtspopulistischen Partei geben in allen drei Bundesländern mit einem Anteil von 99 Prozent an, die AfD habe besser als andere Parteien verstanden, dass sich die Menschen nicht mehr sicher fühlten. Große Zustimmung findet auch die Aussage, dass es gut sei, dass die AfD den Zuzug von Ausländern stärker begrenzen wolle. Die Wähler der AfD sagen in allen drei Bundesländern mit großer Mehrheit, sie hätten Sorge, dass der Einfluss des Islams zu stark werde und die Kriminalität in Deutschland steige. Auch die Bundeskanzlerin sieht die Verbindung zwischen Wahlergebnisse und diffusen Ängsten:

„Was die innenpolitischen Themen anbelangt, die im Zusammenhang mit der Integration der Flüchtlinge eine Rolle spielen, ist einerseits natürlich die Sorge vor einer anderen Religion, insbesondere die Sorge vor dem Islam und das Zweite, die Fragen der inneren Sicherheit. Hier heißt es dann auch, die entsprechenden Antworten zu finden. Daran werden wir in der Zukunft arbeiten.“

Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken macht das Versagen der Etablierten Parteien für den Rechtsruck in der Gesellschaft verantwortlich:

„Zu diesem Klima beigetragen hat, dass die Bundesregierung aufgetreten ist wie eine Chaostruppe und damit Verunsicherungen verschärft hat. Dazu beigetragen hat, dass die Bundesregierung nicht der sozialen Verunsicherung die Spitze genommen hat, indem sie zum Beispiel eine Sozialgarantie ausspricht und zu diesem Klima beigetragen hat, dass die Bundesregierung nach und nach die Forderungen von Rechtspopulisten wie Pegida und AfD übernommen hat und sogar in Gesetzesform übertragen hat. Wenn andere die Positionen von Rechtspopulisten übernehmen, dann stärkt das deren Position. Die Übernahme von AfD-Positionen hat sich am Ende als Wahlkampfviagra für die AfD erwiesen.“

Wo auch immer eine Polarisierung stattfindet, sind auch angeheizte Wortgefechte nicht weit.

„wie wärs mit abschiebung vom außengeländern und den linken dreckspack,das wäre mal ne gute idee“

„Lieber Pech beim denken als eine antifa fotze zu sein“

„So sehen diese Pisser die europäischen Frauen und diese Arschlöscher von Politiker fordern diese Denkweise noch.“

Hitzige Debatten in den Kommentarfeldern jeglicher sozialer Netzwerke gehören schon längst zum gewohnten Bild. Flüchtlingsgegner machen ihrem Unmut bezüglich Asylpolitik und Kanzlerin Angela Merkel auf Facebook, Twitter und Co. Wind. Dagegen halten die von Lutz Bachmann zynisch als „Bahnhofsklatscher“ bezeichneten Verfechter einer deutschen Willkommenskultur. Aber inwiefern können auch soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram und Co. zu einer Polarisierung in der Gesellschaft beitragen? Radio Corax in Halle sprach mit Netzphilosophin Lena Simon aus Berlin:

„Erstmal ist es eine schöne Sache, dass über Facebook endlich auch Leute die Möglichkeit bekommen, sich zu äußern oder überhaupt am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, die das eben sonst nicht gekonnt hätten, weil sie keine Fähigkeit haben, einen eigenen Blog aufzusetzen oder eine eigene Website zu betreiben. Das ist ja auch der Grund, warum Facebook so erfolgreich ist, weil es jedem erstmal anbietet eine eigene Vertretung, eine eigene Instanz im Internet zu haben, auch wenn man andernfalls diese Möglichkeiten nicht dazu hätte.“

Dass in sozialen Netzwerken jeder die Möglichkeit hat zum „Publizisten“ zu werden, bringt aber bei Weitem nicht nur Vorteile:

„Früher in den analogen Zeiten haben ja viel weniger Leute das Privileg gehabt zu veröffentlichen, Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen und hatten damit natürlich auch eine andere Form von Verantwortung. Das waren dann eben entweder die, die halt Macht hatten, Könige usw.; oder eben Gebildete, Gelehrte, die sich schon damit auseinandergesetzt haben, was so die Konsequenzen sind. Aus dem Journalismus kennen wir das, das eben ein Fakt nur dann als Fakt hingestellt werden darf, wenn man zwei unabhängige Quellen voneinander betrachtet hat. In dem Moment, in den wir jetzt plötzlich alle zu Publizisten werden, sollten wir natürlich eigentlich auch diese Regeln beherrschen. Jetzt haben wir die aber nicht gelernt, denn ich hab auch kein Journalistikstudium gemacht. Den meisten wird es auch so gehen. Dass es überhaupt so eine Regel gibt, lernt auch nicht jeder im Abi. Das ist natürlich die große Herausforderung, deshalb gibt es auch ganz viele Gerüchte, ganz viele Falschmeldungen. Weil Menschen das einfach sehen und sofort glauben und ungeprüft weiterreichen, weitertwittern, an ihre eigenen Freunde weitergeben. Das ist natürlich eine große Schwierigkeit. Man muss unbedingt lernen mehr zu hinterfragen, was im Netz passiert, was man da liest: Das muss nicht alles stimmen. Das führt natürlich auch dazu, dass sehr viel Mobstimmung entstehen kann. Weil sich natürlich auch Haltungen mehr verbreiten die radikal sind. Wenn die dann nicht geprüft werden, kann das auch gefährlich werden.“

Das Internet ist in den meisten Fällen keine besonders gute Plattform für kritischen Diskurs. Der Algorithmus von Facebook und Co. sorgt dafür, dass Neuigkeiten, die nicht der eigenen Überzeugung entsprechen, von vornherein herausgefiltert werden. Man ist gefangen in einer sogenannten Echokammer. Eine kritische Debatte oder Auseinandersetzung wird so unmöglich gemacht, da man mit anderen Denkweisen gar nicht erst konfrontiert wird. Folge kann sein, dass sich Fronten verhärten und damit einhergehend die polarisierende Wirkung bestimmter Themen noch verstärkt wird. Aber heißt das jetzt, dass Polarisierung generell etwas Schlechtes ist?

Prof. Dr. Torsten Oppelland: „Es kommt sehr stark an auf die Art und Weise, wie diskutiert wird. Wenn das dazu führt, dass sich zwei Blöcke völlig kompromissunfähig gegenüberstehen und unter Umständen auch noch relativ gleichstark sind, dann kann das auf die Dauer eine Gesellschaft zermürben und das Konfliktpotenzial sehr, sehr stark wachsen lassen. Grundsätzlich, wenn es im Rahmen bleibt, dass man zur Mehrheitsbildung und Kompromissbildung noch fähig ist, ist es nicht unbedingt etwas Schädliches. Denn die Polarisierung trägt natürlich auch zur Mobilisierung bei. Das sehen wir ja im Moment gerade aktuell: Die Flüchtlingsfrage ist natürlich eine, die die Wählerschaft polarisiert. Auf der einen Seite die AfD, auf der anderen Seite die Kanzlerin bzw. auch linke und linksliberale Parteien, die sie in der Frage doch recht weitgehend unterstützen. Da ist ein hohes Maß an Polarisierung und das hat auch dazu geführt, dass sich die Leute wieder mehr für Politik interessieren und auch mehr zur Wahl gehen. Das ist ja an und für sich nichts Schlechtes.“

Wie sollte man sich dann für eine Seite entscheiden und ist das überhaupt notwendig?

Prof. Dr. Torsten Oppelland: „Normalerweise sollte demokratische Willensbildung ja so ablaufen, dass man die verschiedenen Argumente abwägt und sich dann in so einem Wahlprozess für die Seite entscheidet, die am ehesten mit meinen eigenen politischen Positionen und Werten übereinstimmt. Das sollte natürlich ein rationaler Prozess sein. Wenn man aber über längere Zeit das Gefühl hat, dass die eigene Position nicht mehr vertreten wird, von keinem der Mitbewerber auf dem politischen Markt, dann kann das natürlich, was wir häufig in den Medien kommentiert sehen, zum Phänomen des Wutbürger führen, der aus dieser Frustration heraus, nicht mehr vertreten zu sein, dann sehr emotional reagiert und eben genau diesen rationalen Abwägungsprozess, den ich eben beschrieben habe, eben nicht mehr einschlägt, sondern aus dem Bauch heraus entscheidet – mit Wut, mit Protest, mit was auch immer.“

Statt eines starren Schwarz-Weiß-Denkens wird deshalb immer öfter für „mehr grau“ plädiert. In einer offenen Gesellschaft, wie sie Deutschland ist, ist das Abwägen und Finden eines Mittelweges wichtig, da sonst auf Dauer kein Diskurs stattfinden kann und die offene Gesellschaft so nicht funktionieren kann.