Paradise Papers: Was sind eigentlich 120 Milliarden Euro?

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Ein Kommentar über Steuervermeidung, Staatsverschuldung und eine mögliche Sparpolitik der anderen Art...

Audio: 3:21

Zusatz am Ende des Kommentars:
Statt über Kürzungen der Sozialausgaben, einen späteren Renteneintrittsalter und ähnlichem zu diskutieren, könnten willige Regierungen dafür sorgen, dass sie auch von den Reicheren die Steuern erhalten, die sie zu entrichten haben. Eine Sparpolitik der anderen Art, die auf der anderen Seite des Staatshaushalts ansetzt, also bei den Einnahmen, und die das Geld da sucht, wo es am ehesten zu finden ist. Für die besagten 120 Milliarden Euro jährlich müssten die europäischen Staaten nicht einmal die Steuern für irgendwen anheben. Sie müssten "nur" Schlupflöcher stopfen, wie es die Paradise Papers zeigen.
Audio
03:21 min, 3145 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.11.2017 / 14:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Focus Europa Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Matthieu
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 08.11.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Manuskript:
120 Milliarden Euro. Hört sich nach einer ungeheuren Summe an. Aber könnt ihr euch vorstellen, was diese Summe ungefähr darstellt? Oder klingt es für euch genauso wie ungeheuer und unvorstellbar wie zehn Mal mehr oder zehn Mal weniger Geld, also 12 Milliarden Euro oder 1.200 Milliarden Euro?

120 Milliarden Euro, das ist die Summe, die den europäischen Staaten entgeht, indem Reiche, Konzerne und auch Politikerinnen Steuern über Steueroasen vermeiden. Und zwar 120 Milliarden Euro jährlich. Weltweit sollen es sogar 350 Milliarden Euro jährlich sein. Das haben die Investigativjournalisten des ICIJ bei der Auswertung der Paradise Papers herausgefunden. Schon wieder Enthüllungen über die Steuervermeidungsstrategien von Unternehmen, Politikerinnen und Reichen. Paradise Papers heissen sie dieses Mal, nach den Panama Papers, den Offshore Papers, den LuxLeaks und den SwissLeaks.

Diese Enthüllungen geben Politik und Öffentlichkeit viel Stoff zum Aufarbeiten. Denn daran lassen sich sowohl die unrühmliche Steuervermeidungspraxis von Prominenten wie Bono, der britischen Königin oder Politiker ablesen, als auch Strategien von Unternehmen in Bergbau, Immobilien, IT oder Textil, die bei maximaler Ausbeutung minimale Steuern zahlen. Die Investigativjournalisten betonen, dass die meisten dieser Enthüllungen legale Geschäfte aufdecken... wobei diese Geschäfte an sich absolut unsozial und damit illegitim seien. Kurzum, die aktuellen Gesetze vieler Staaten ermöglichen diese unsoziale Steuervermeidungspraxis.

120 Milliarden Euro, das ist ein durchschnittliches sogenanntes Rettungspaket für Griechenland. Stimmt, dieses Thema und den ganzen Streit darum haben wir lange nicht mehr in den Medien gehört! Wobei jedes Rettungspaket im Durchschnitt drei Jahre läuft, während die Steuervermeidung wie gesagt den Staaten der Europäischen Union 120 Milliarden Euro jährlich kostet.

Das rückt die Frage um die Krise der griechischen Staatsschulden und überhaupt die gesamte Frage der Staatsverschuldung in ein anderes Licht. Staatsverschuldung entsteht ja dann, wenn Staaten ihre Ausgaben nicht mit ihren Steuereinnahmen decken können und deswegen Geld ausleihen. Das Geld bekommen sie von anderen Staaten, Banken, Konzernen, Vermögenden, wer auch immer Geld hat und es gegen Zinsen leihen will.

BürgerInnen und Unternehmen geben ein Teil ihres Geldes bedingungslos dem Staat in Gestalt von Steuern. Menschen und Konzerne, die in den Paradise Papers auftauchen, tragen hingegen mit ihrer Steuervermeidung zum einen dazu bei, dass viele Staaten mehr Ausgaben als Einnahmen haben. Zum anderen, und es ist sicherlich nicht weit her geholt, können sie mit dem Geld, das sie nicht für Steuern ausgegeben haben, stattdessen an der Staatsverschuldung mitverdienen. Denn, auch wenn sie nicht selbst in Staatsanleihen investieren, kommen die Zinsen, die sie bei den Banken bekommen, mit Investitionen dieser Banken zustande, darunter auch Investitionen in Staatsanleihen.

Kurzum: Gewöhnliche Menschen zahlen Steuern und finanzieren den Staat, skrupellose reiche Menschen und Konzerne verdienen stattdessen am Staat. Das ist eine andere Seite der Debatte um Staatsverschuldung und schwarze Null.