Redebeitrag der Juventacrew anlässlich der Seebrückenaktionstage vom 25.8.-5.9.

ID 90644
 
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das ist ein Aufruf und Info Redebeitrag der Juventacrew anlässlich der Seebrückenaktionstage mit Impressionen von See und dem aktuellen Stand des Verfahrens.
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mp3, 111 kbit/s, Mono (48000 kHz)
Upload vom 26.08.2018 / 12:56

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen:
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 26.08.2018
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
hier das ganze noch als Text:
Grußbotschaft der IUVENTA crew
August 2018
Stell dir vor, es ist noch dunkel. Mit Waffen wirst du den Strand runter
getrieben. Schnell, Schnell. Geschrei und Gedränge – einsteigen. Los. Los.
Es ist nur ein kleines Boot, viel zu klein für die vielen, mit denen du Körper an
Körper hinein eingezwängt wirst. Nach und nach verschwindet die Küste – wird
kleiner und kleiner und irgendwann kein Land mehr in Sicht. Nur noch die
Weite des Meeres.
Es ist Wellengang, die ersten im Boot fangen an sich zu übergeben, es wird hell,
die Sonne steigt höher und es wird unerträglich heiß. Das Wasser, das du dabei
hattest, ist fast leer und du bist erst wenige Stunden unterwegs. Es stinkt nach
Benzin und Erbrochenem. Ein Kind fängt an zu weinen, vielleicht vor Durst,
Hunger oder Angst. Du hast auch Angst, denn du kannst nicht schwimmen.
Wird das Boot halten? Stimmt die Richtung noch? Werde ich überleben? Keine
Orientierung – nur Wasser und die Weite des Meeres.
Ein Jahr nach der Beschlagnahmung des Schiffes IUVENTA hat die
Staatsanwaltschaft in Trapani nachgelegt.
Sie ermittelt derzeit gegen 22 Menschen, aus unterschiedlichen
Zusammenhängen. Zehn davon waren mit der IUVENTA für „JUGEND
RETTET“ im Einsatz.
Es ist unfassbar!
Die zurechtgezimmerten Vorwürfe lauten: Beihilfe zur illegalen Einwanderung.
Sollte es zu einer Anklageerhebung kommen, drohen uns zwischen 5 und 15
Jahren Haft und erhebliche Geldstrafen im fünfstelligen Bereich.Auch wenn der Ausgang unseres Verfahrens noch ungewiss ist, so ist doch
schon eines klar.
Es ist ein politisches Verfahren. Menschenrechts-Aktivistinnen oder Leute die
einfach das Richtige tun: nämlich Menschen in Not zu helfen, sollen
eingeschüchtert und kriminalisiert werden.
Es ist eine Strategie der Abschreckung, um Hilfe und Unterstützung für
Menschen auf der Flucht generell zu verhindern. Und das nicht zum ersten Mal.
Gab es doch schon Verfahren gegen spanische Helferinnen auf Lesbos oder
gegen Fischer vor Lampedusa, die Geflüchtete an Bord genommen haben.
Zum Glück lassen sich viele, sehr viele, nicht abschrecken. Deswegen wird zur
Zeit unter fadenscheinigen Gründen verhindert, dass mehrere zivile
Rettungsschiffe überhaupt auslaufen dürfen. Die zwei Aufklärungsflugzeuge
erhalten keine Startgenehmigung. Die letzten von NGO‘s betriebenen
Rettungsschiffe werden in ihrer Arbeit massiv behindert, indem Häfen für die
Aufnahme der Geretteten gesperrt werden.
Niemand von uns aktiven Seenotretter*innen wagt sich vorzustellen, wie viele
Boote in den letzten Wochen losgefahren sind und niemals ein Ziel erreicht
haben.
Die Folgen dieser Politik sind erdrückend. niemand kann mehr davon berichten,
was sich wirklich auf dem Mittelmeer zuträgt. niemand kann die Menschen vor
dem Ertrinken bewahren. Solange keine NGO-Schiffe im Einsatz sind, wird die
Zahl der Ertrunkenen ins Unzählbare steigen. Eine Zahl jedoch, die
undokumentiert bleibt. Eine Zahl, die es nicht gibt, die für Menschen steht, die
keine Stimme haben. Sie werden nicht gehört, nicht gesehen. Sie ertrinken
unbemerkt.Die tödlichste Grenze der Welt ist schon jetzt für zu viele das letzte Kapitel
einer Flucht, deren Schrecken wir uns nicht mal in unseren schlimmsten
Albträumen ausmalen könnten. Es reicht!
War die Beschlagnahmung des Schiffes schon der Versuch uns zu zermürben –
sind diese Ermittlungsverfahren nur noch niederträchtig zu nennen. Auch wenn
uns zur Zeit noch nicht die kompletten Akten vorliegen, ist davon auszugehen,
dass sich die italienischen Behörden vermeintliche Beweise einfach zurecht
basteln werden. Mittlerweile steht fest: neo-faschistische Politik soll mit
juristischen Mitteln umgesetzt werden.
Denn auch wenn es nahezu lächerlich erscheint, auf welch dürftigen
Behauptungen sich die derzeitigen Ermittlungen stützen, hat uns doch schon die
500 seitige Akte zur Beschlagnahmung der IUVENTA eins gezeigt: Die
Behörden waren und sind zu allem bereit, um mit äußerster Härte gegen uns
vorzugehen.
Zum Beispiel wurden Fotos oder Ausschnitte von Fotos aus dem
Zusammenhang gerissen, bewusst falsch interpretiert oder erfunden, was darauf
zu sehen sein soll.
Um eine richterliche Genehmigung für Abhörmaßnahmen zu erhalten, wurde
ein geheimes Treffen mit Waffenschmugglern auf dem Mittelmeer herbei
phantasiert. Mit Erfolg. Die Brücke der IUVENTA wurde darauf hin verwanzt
und sämtliche Gespräche monatelang aufgezeichnet. Auch Telefone wurden
abgehört. Auf einem anderen zivilen Rettungsschiff wurde sogar über zwei
Monate ein verdeckter Ermittler eingesetzt, um Beweise für vermeintliche
kriminelle Aktivitäten der NGO‘s zu sammeln.Und obwohl auch diese umfangreiche Überwachung selbstverständlich keine
Beweise ergeben konnte, wurde die IUVENTA beschlagnahmt.
Dass den Anstoß für die gesamten Ermittlungen gegen uns ausgerechnet die
Idenditäre Bewegung in Italien gab, zeigt welche gesellschaftliche
Entwicklung wir gerade erleben. Schon im Herbst 2016 trat diese ultrarechte
Gruppierung mit Fotos, die angeblich unsere Verbrechen beweisen sollten, an
die Staatsanwaltschaft in Trapani heran. Dort rannten sie offene Türen ein und
seitdem werden wir kriminalisiert. Dieser Schulterschluss zwischen
Bewegungsnazis und institutionellen Rechten ist exemplarisch für einen
Rechtsruck, der ganz Europa prägt.
Um die Festung Europa zu verteidigen, ist scheinbar jedes Mittel recht. Egal
wie viele Menschen dafür sterben müssen. Denn jeder Tag an dem die NGO‘s
an ihrer Arbeit gehindert werden, ist ein tödlicher Tag für Menschen auf der
Flucht.
Das ist es, worum es geht. Wir reden hier nicht von einer abstrakten Zahl.
Wir reden von Menschen, die einen Namen, eine Familie und Freunde haben.
Die Pläne schmieden, weinen, lachen, die sich eine Zukunft für ihre Kinder
wünschen. Wir reden von Menschen wie Jamal, Sophia und Karim die die
Hoffnung auf ein besseres Leben oder die nackte Existenznot auf das
Mittelmeer treibt.
Deshalb kotzt es uns an, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Menschen auf der
Flucht als Asyltouristen verhöhnt werden, als würden sie mit einem Luxusliner
eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer machen.Es ist für uns unerträglich, dass die europäische Union eine der vielen
Schlepper- und Sklavenhaltergangs an der libyschen Küste mit Geld, Waffen
und Equipment zur sogenannten libyschen Küstenwache hochadelt und dem
türkischen Kettenhund Erdogan einen weiteren bösen Zwilling zur Bewachung
der europäischen Komfortzone zur Seite stellt.
Wir haben es satt, in abendlichen Talkshows Politiker über den von Rechten
erfundenen Pull-Faktor schwadronieren zu hören, statt über den realen, von
Europa verursachten Push-Faktor.
Zwei drittel der Welt werden von den Konzernen der Industriestaaten
degradiert: wahlweise als billiger Rohstofflieferant, Absatzmarkt, Müllhalde
oder Arbeitskräftereservoir. Die Basis des sogenannten Wohlstands der
reichsten Nationen...
Es sind ökologische Verwüstungen, die Zerstörung der einheimischen
Agrarproduktion, deren Absatzmärkte und zunehmende Verelendungsprozesse:
das ist es, was Menschen in die Flucht treibt.
Und das schon lange bevor das erste NGO-Schiff auf dem Mittelmeer im
Einsatz war.
Seenotrettung war und ist für uns nur eine aktuelle Notwendigkeit
Wer von Fluchtursachen reden will, sollte zum Kapitalismus nicht schweigen!
Wie geht es weiter? Wir sind selbst gespannt, was sich die Ermittler noch
ausdenken werden. Als nächste Maßnahme werden am 18.09. in Trapani erst
einmal die Daten der beschlagnahmten Handys und Laptops ausgelesen.
Und was könnt ihr tun? Beteiligt euch, geht auf die Straße, organisiert euch,
seid laut und unbequem. bekennt euch zur Seenotrettung und gegen die
menschrechtswidrigen Straftaten der EU. in den sozialen Medienveröffentlichen wir Videos und Fotos – von uns, denn wir haben nichts zu
verbergen. Wir zeigen Gesicht, wir bekennen Farbe. wenn es kriminell ist
Menschenleben zu retten, dann haben wir einen politischen und moralischen
Tiefpunkt erreicht, und dann stehen wir auf der richtigen Seite der
Anklagebank. Egal woher ein Mensch kommt, oder wohin er will, niemand
verdient den Tod auf See. also, zeigt auch ihr Gesicht und bekennt Farbe.
bekennt euch zur seenotrettung und schickt uns eure Fotos und Videos an
solidarity at sea. betroffen von den ermittlungen sind nur wenige, gemeint sind
aber alle, die das Massensterben an Europas Außengrenzen nicht mehr
hinnehmen wollen.
wir lassen uns nicht unterkriegen,
wir suchen nach Ersatzschiffen,
wir versuchen mit allen rechtlichen Mitteln, dass unsere einsatzbereiten Schiffe
wieder auslaufen dürfen,
dafür müssen wir auch den politischen Druck auf der Straße weiter erhöhen
in Deutschland hat die Seebrücken Bewegung in unglaublich kurzer Zeit sehr
sehr viele Menschen mobilisiert und wir freuen uns über die Solidarität, über
euer Engagement. Darüber, dass heute so viele auf der Demo sind!
Seebrücke ist ein guter Anfang! Dass die NGOs bei ihrer Arbeit unterstützt
werden , darf jedoch nicht unser Ziel bleiben, sondern kann nur der erste Schritt
sein.
Es kann nicht angehen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention oder
internationale Abkommen zur Seenotrettung von den Ländern der europäischen
Union systematisch ignoriert, unterlaufen und de facto außer Kraft gesetzt
werden.Wir fordern sichere Fluchtrouten und sichere Häfen, wir fordern eine staatlich
organisierte zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer und wir kämpfen für das
uneingeschränkte Recht auf Asyl.
Dadurch sind unsere Gerichts- und Anwaltskosten in Italien enorm hoch. Wenn
ihr uns mit Spenden unterstützen könnt, dann tut das sehr gerne auf dem Konto
der ROTEN HILFE BERLIN mit dem Verwendungszweck: IUVENTA
(wiederholen) das ist das Konto des Berliner Ortsvereins des Rote Hilfe e.V. -
Verwendungszweck: IUVENTA
In diesem Sinne... zeigt Gesicht ...denn zuvielen Menschen ist es egal was
passiert, solange es ihnen nicht selbst passiert... wir sind hier und wir
kämpfen... Solidarität auf See ist kein Verbrechen, sondern eine Pflicht!

Kommentare
02.09.2018 / 19:12 Das Brettchen FSK, Freies Sender Kombinat, Hamburg (FSK)
gesendet
...am 02.09.18 Danke