"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Ethiopian Airlines

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Im Moment wird der chinesische Yuan zu ungefähr 6.8 pro US-amerikanischen Dollar gehandelt. Damit hat er gegenüber dem Dollar seit Jahresbeginn viereinhalb Prozent verloren.
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09:27 min, 22 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 28.08.2018 / 14:08

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 28.08.2018
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Bei gleichen Inlandpreisen sind somit chinesische Güter auf dem amerikanischen Markt um diesen Prozentsatz billiger geworden. Man kann Wirtschaftspolitik auch so betreiben – bis zu einem gewissen Maß. Die chinesische Zentralbank hat angekündigt, dass sie den Wechselkurs nicht unter 7 zu 1 sinken lassen wird, und allein diese Ankündigung hat ausgereicht, dass der Yuan letzte Woche zum ersten Mal seit längerer Zeit gegenüber dem US-Dollar wieder an Wert gewonnen hat. Die Nachrichtenagentur Reuters verweist auf die Analysten der Mizuho-Bank, die mit einer «7:3»-Hypothese arbeiten: China wird auf absehbare Zeit den Wechselkurs zum Dollar nicht über 7 Yuan ansteigen lassen, und die Fremdwährungsreserven werden nicht unter 3 Billionen US-Dollar fallen. Es läuft, mit anderen Worten, im Handelskrieg zwischen China und den USA alles wie bisher.

Letzte Woche wurde ich im Zug Ohrenzeuge einer Unterhaltung zwischen pensionierten Angestell­ten von Fluggesellschaften oder Flughafenbetreibern über verschiedene Themen aus dem, wie könnte es bei Pensionierten anders sein, Gesundheits- oder Krankheitsbereich. Den Auftakt bildete ein Element aus einem Gespräch über Osteoporose oder ähnlich, und ein Diskussions­teil­neh­mer äußerte seine Meinung wie folgt: «Es hilft einem wieder einmal überhaupt niemand!», mit einem hörbar fett gedruckten Ausrufezeichen am Schluss der Aussage. Sein Gegenüber antwortete: «Ja, du musst jetzt selber aufpassen und dich richtig ernähren, das ist das Wichtigste!» – Und der Erstsprechende sagte: «Ja, genau, das habe ich doch soeben gesagt.» – Nun hatte er ganz offen­sicht­lich genau dies soeben nicht gesagt, aber die Schaltzirkel der menschlichen Intelligenz sind halt flexibel. Etwas später ging es um die Behandlung eines anderen Gebrechens, wo nach der Diagnose des Hausarztes eine Second Opinion eingeholt wurde, wobei, da der Befund der Second Opinion mehr als drei Tage auf sich warten ließ, auch noch eine Third Opinion dazu kam, und aus all dem konnte dann doch eine Therapie ermittelt werden, wobei der dritte Arzt im Spital dann sagte, dass der Patient nach zwei Wochen wieder zur Kontrolle vorbei kommen solle. «Nach zwei Wochen!», ereiferte sich der Patient, «dabei hatte mein Hausarzt doch klar gesagt, dass die Kontrolle erst in drei Wochen fällig sei! So verantwortungslos gehen die mit unseren Kassenbeitragsgeldern um!»

Dieses Beispiel muss hier nicht als Beleg für die beispielhafte Blödheit von ehemaligen Mitarbei­tenden von Fluggesellschaften und Flughafenbetreibern herhalten, sondern als Beleg dafür, wie die diskursive Vernunft im Volkskörper aufzutreten pflegt. Es handelt sich um eine vernunftfreie Form der Vernunft, die es eigentlich schon seit der Ausbildung des Volkes als solches gibt, also seit etwa zweihundert Jahren, aber im Zug tritt sie erst seit frühestens 150 Jahren auf, vermutlich aber ist die Reiserei um des Plauderns willen noch deutlich jüngeren Ursprungs; vollends aber in die Öffent­lichkeit gelangt ist sie nun mit den sozialen Medien, wo sie seit ein paar Jahren von wohl meinen­den Verhaltensforscherinnen mit einigem Erschrecken beschrieben und beklagt wird.

In einem gewissen Sinne ist es auch tatsächlich erschreckend festzustellen, dass ungefähr ein Drittel der Bevölkerung in den entwickelten Gesellschaften nur mit dieser Form von Ver­nunft ausgestattet ist. Sie wird ja auch bewirtschaftet und gedüngt, zum Beispiel vom fantastischen Nachrichten­maga­zin «compact», das in der August-Ausgabe eine dreiundneunzigjährige Gewährsperson für das Elend armer Rentnerinnen und Rentner sagen lässt: «Ick hab mir nachm Krieg als Trümmerfrau den Rücken krumm jeschuftet, einen Sohn noch innen letzten Tagen dem Land jeopfert. Bis meen Jötterjatte ausser russischen Jefangenschaft kam, musste ick sehen, wie ick alleene zurechtkomme.» Die Berliner Schnauze der Zeitzeugin kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Trümmerfrauen keine Realität waren, sondern eine Legende, und wenn man sich den im Krieg gefallenen Sohn, der meinetwegen noch mit 17 Jahren eingezogen worden war, und den Jötterjatten zusammen rechnet, kommt man zum Schluss, dass diese Frau mit Jahrgang 1925 ihren im Krieg gefallenen Sohn bereits im zarten Alter von 3 Jahren geboren hat und offenbar auch jene Kinderheirat vollzogen hat, welche Compact und Konsorten den muslimischen Einwandererinnen immer vorwerfen. Aber «Altersarmut», das zieht immer, das kann man der Regierung oder dem System immer ans Bein heften, das wissen ja auch die Genossinnen und Genossen von der Linken in- und auswendig, auch wenn sie in der Regel keine Berlinerinnen erfinden müssen, um das zu belegen.

In den Kommentaren äußert sich die Volksvernunft jeweils medienkritisch, Lügenpresse, halt die Fresse und so weiter, unter vollständiger Verdrängung der Tatsache, dass der soeben gelesene Artikel ein nackt zusammen gelogenes Artefakt ist, eben genau so, wie der pensionierte Flug­be­gleiter im Ernst nicht drauf kommt, dass er mit der Einholung der ärztlichen Zweit- und Dritt­mei­nung die Gesundheitsfinanzen tausendfach mehr strapaziert als die Nachkontrolle schon nach zwei anstelle von drei Wochen. Die Volksvernunft ist zunächst unpolitisch; da sie aber konsequent auf Rationalität verzichtet, wird sie gerne für die Machtgewinnung und -erhaltung von Gruppen ein­ge­setzt, welche selber jener Hidden Agenda folgen, die sie in der Regel ihren Gegnern vor­werfen, mit der schönen Nuance, dass sie diese geheime Agenda in der Regel selber nicht kennen.

In der Tat: Was sollen ein Björn Höcke, eine Betrax von Starch oder die ganze Compact-Lügen­presse letztlich wollen? – Um sie geht es im Grunde genommen auch nicht, sondern darum, ob eine Zukunft auf der Grundlage von Vernunft und Wahrheit möglich ist. Was die Naturwissenschaften angeht, so erscheint dies völlig selbstverständlich. Sogar die Klimalügner oder die Gegner der Evolutionstheorie bedienen sich mit der größten Selbstverständlichkeit der Mobiltelefonie, welche sämtliche Erkenntnis in sich vereint, die von ihnen bestritten wird. Aber ist es möglich, dass eines nicht allzu fernen Tages alle Mitglieder der menschlichen Community ihren Denkapparat so weit geschult haben, dass sie Lügen und Wahrheit, Rationalität und Irrationalität autonom von einander zu scheiden wissen?

Diese Frage ist die zentrale Frage der Demokratie, und das Verdienst der Sozialen Medien ist es, die Dunkelziffer auszuleuchten. Es ist nicht mehr die autoritäre Disposition, Jawoll zu brüllen, sondern es ist die Disposition, Lügen als Wahrheit zu akzeptieren, obwohl die eigene Großhirnrinde die Lüge als solche erkennt. Selbstverständlich beruht diese Disposition auf einer anderen Einsicht, nämlich dass Wahrheit nicht ausschließlich aus Faktentreue besteht, sondern auch auf der Selektion der Fakten und darauf, was hinter den Kulissen geschieht; aber dass sie dann die Tatsachen als solche, die Wahrheit als Möglichkeit einfach verneinen, das geht nicht, so baut man keine moderne Demokratie.

Dagegen kann man alle Arten von politischen Systemen damit betreiben, es brauchen nicht einmal notwendigerweise faschistische Diktaturen zu sein. Hauptsache, die johlende Masse bemüht sich nicht um Einsichten. Lustigerweise sind es dann gerade wieder Betrax von Starch und Sven Höcke, welche behaupten, Aufklärungsarbeit zu leisten, sie sind mindestens teilweise tatsächlich ein verzerrtes Abbild der richtigen demokratischen Bemühungen. Sonst wäre ihr nicht besonders erfolgreicher Erfolg tatsächlich ein Anlass zu tiefer Verzweiflung. So aber bleibt Hoffnung, dass sich der völkische Furor wieder legt und die Köpfe zu normaleren Funktionen zurückkehren. Und dass es im pädagogischen Bereich doch zu jenem Wunder kommt, das aus Dummheit Klugheit macht. Früher nannte man das Bildung. Aber die Schule hat schon früher nicht jene Breitenwirkung erzielt, der man heute nachtrauert. Trotzdem, hier sind Investitionen fällig.

Daneben ist mir am Rande aufgefallen, dass das chinesische Engagement in Äthiopien nicht nur von einer politischen Liberalisierung begleitet wird, wie ich sie mir für China selber fast nicht vorstellen kann, sondern auch Früchte in Nebenbereichen wie Meeresfrüchten trägt. Äthiopien selber hat zwar keinen eigenen Meeresanschluss, aber die Ethiopian Airlines übernehmen ab September einen Teil des Transports von norwegischen Meeresfrüchten nach China. Für das gesamte Jahr 2018 wird das entsprechende Volumen auf 230'000 Tonnen geschätzt. Ich muss zugeben, dass ich noch nicht einmal wusste, dass die Ethiopian Airlines über mehr als ein paar veraltete Maschinen für den regionalen Personentransport verfügt, aber nein, die Damen und Herren betreiben eine moderne Flotte mit 100 Maschinen, sind Mitglied der Star Alliance und verfügen sogar über ein Programm mit dem Namen «Fly Greener», also ein eigenes MyClimate-Programm mit der eigenen Absolution für die laufend begangenen Umweltsünden. Im Fall von Ethiopian Airlines besteht dieses Programm darin, in den abgeholzten Regionen des Landes wieder Bäume anzupflanzen. Beziehungsweise: anpflanzen zu lassen; der Beitrag von Ethiopian Airlines besteht darin, das entsprechende Saatgut oder vielleicht auch schon Baum-Setzlinge zu liefern, die dann von den Gemeinden vor Ort eingepflanzt werden sollen.

Soweit für heute.