Vogel der Woche (258): Das Hässliche Entlein Reloaded

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Umdichtung des bekannten Kunstmärchens von Hans Christian Andersen. - Ratet mal, was das Hässliche Entlein wirklich ist!
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Klassifizierung

Beitragsart: Hörspiel
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Wirtschaft/Soziales, SeniorInnen, Umwelt, Frauen/Lesben, Jugend, Schwul, Kultur
Serie: Vogel der Woche
Entstehung

AutorInnen: Caspar (text: hike)
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 01.11.2018
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
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Skript
Das hässliche Entlein Reloaded
Ein Kunstmärchen von Hans Christian Andersen (1805-1875), in der Umdichtung von hikE (2018)

Es war einmal eine Entenmutter die gerade ihre Eier ausbrütete. Es waren genau sieben Eierchen in ihrem flauschigen Nestchen, und die Entenmutter freute sich schon sehr auf ihren knuddeligen Pieps-Nachwuchs. Eines Tages war es endlich soweit und aus den Eiern entschlüpften sechs putzmuntere Entlein. Sie waren alle wunderschön und mit einem gelben, zarten Federflaum versehen.

Nur das siebte Ei lag noch immer unversehrt in ihrem Nest. Es war größer als die anderen Eier, und so sehr die Entenmutter auch darüber nachdachte, konnte sie sich nicht erinnern wann sie es eigentlich gelegt hatte? Das musste doch wehgetan haben, so dachte sie noch, bei dem Kaliber. War sie vielleicht betrunken gewesen?

Gerade als sich die Entenmutter mal wieder mit diesen Gedanken beschäftigt hatte, zerbarst das letzte Ei und heraus kam ein graues Entenküken, das seine Mutter verwundert ansah. Die Tage vergingen wie im Flug. Die sechs hübschen Entenkinderlein wuchsen schnell heran und lernten jeden Tag etwas neues. Sie hießen Tick, Trick und Truck, und weil der Entenmutter die Namen ausgegangen waren, Tick2, Trick2 und Truck2. Nur das letzte und siebente Entlein hatte keinen Namen, sie nannte es immer das Komische. Und es bereitete ihr Sorgen.

Es war nicht nur unbeholfen und tollpatschig, sondern zudem auch noch sehr hässlich, und außerdem hatte es irgend einen Parasiten, den die Entenmutter noch nie einen gesehen hatte. Der hatte irgendwelche klappernden Pöckchen auf einer seiner Seiten, und auf einer anderen fauchte er, und das komische Küken war ständig mit ihm zugange.

Die Tiere auf dem Bauernhof verspotteten das graue Entlein und niemand wollte mit ihm spielen. Auch der Entenmutter bereitete es große Sorgen und traurig jammerte sie: "Hach! Seufz! Alle meine Kinderlein sind so hübsch und so klug, nur das letzte Entlein ist so hässlich geraten. Niemand will etwas mit ihm zu tun haben und selbst die anderen Tiere meiden es."

Dennoch hatte die Entenmutter auch dieses Entlein sehr lieb und so versuchte sie es immer wieder zu trösten. Dann sprach sie zu ihm und fragte es traurig: "Mein kleines armes Entlein, warum bist du nicht wie deine Geschwister? Warum kannst du nicht so sein wie sie? Lächel doch mal, damit du hübsch aussiehst. Zieh dir ein Röcklein an damit du attraktiv wirst. Und leg doch mal diesen Parasiten weg, der ist noch hässlicher als Du. Hach, seufz! Warum kannst du nicht so hübsch und wohlgeraten sein wie Deine Geschwisterlein?" und so weiter und so fort in einem weg.

Doch auf die dumme Frage, warum das graue Entlein nicht war wie die anderen, da wusste niemand eine Antwort. Weder die hübschen flauschigen und klugen Geschwister, noch die Mutter, und schon gar nicht wusste das hässliche Entlein selbst eine Antwort. Es glaubte Wort für Wort, was seine Mutter ihm tagein, tagaus vorlamentierte, denn Elterntiere lügen ja ihre Kinder nicht an und sie wollen ja immer das beste für ihre Kinder - Stimmts? Und deswegen fühlte sich das graue Entlein einsam, hässlich, insuffizient, zu doof für die Welt, irrelevant, traurig und alleine gelassen, und deswegen hing es den ganzen Tag vor seinem parasiten, dem Laptop.

Nachts wenn seine Geschwister und all die anderen Tiere auf dem Bauernhof den friedlichen Schlaf der normalhübschen Normalos und Normalas schliefen, durchstöberte das kleine Entlein das Internet nach Antworten auf sein mieses Lebensgefühl. Die Wochen und Monate vergingen und seine Einsamkeit wurde ebenso größer wie der Hohn und Spott der anderen Tiere auf dem Bauernhof. Eines Morgens, das kleine Entlein hatte wieder einmal rote Augen weil es die ganze Nacht wegen der geweint hatte, entschloss es sich, einfach davon zu laufen. Es konnte die Häme und die Blödheit der anderen Tiere nicht mehr ertragen.

Auf dem Bauernhof schliefen noch die Tiere und das kleine Entlein machte sich auf den Weg. Es dauerte nicht lange und es erreichte einen kleinen Weiher, auf dem gerade stolz und erhaben zwei fette Schwäne paddelten. Die waren erstaunlich relaxed und nett zu dem Entlein, aber eine Antwort darauf, warum es so hässlich war, fiel ihnen auch nicht ein. Sie meinten aber: "Kopf hoch, kleiner Grauer, du hast da übrigens ne echt coole VR-Brille."

Ein bisschen deprimiert watschelte es weiter und erreichte bald darauf einen See. Die Sonne stand jetzt bereits etwas höher, Vögelchen zwitscherten, und am Ufer beäugten einige Rehe misstrauisch das hässliche Entlein. Am See befragte das kleine Entlein alle Tiere, ob sie schon jemals etwas von einem Entlein mit grauen Federn gehört hatten? Doch wo es auch fragte, alle gaben die gleiche Antwort: "Nee, noch nie gehört. Du bist übrigens hässlich." Da setzte sich das kleine Entenkind lieber die VR-Brille wieder auf und ging weiter, bis es schließlich das kleine Häuschen einer alten Bäuerin erreichte. Diese war schon sehr betagt und auch ihre Augen waren nicht mehr die besten, und so war es nicht verwunderlich, das die alte Frau das kleine Entlein für eine Gans hielt.

Während sie nach dem Entlein griff, murmelte die Alte leise vor sich hin und sprach zu sich selbst:

"Hmm, Gänseeier sind etwas feines. Am besten, ich sperr dich gleich einmal in einen Käfig, damit du mir jeden Tag eins legst." Von nun an kam jeden Morgen die alte Bäuerin zu dem Entlein um nachzuschauen ob es bereits frische Gänseeier gelegt hatte. Doch so oft die alte Bäuerin auch nachschaute, das kleine Entlein legte einfach keine Eier. Schon gar keine Gänseeier.

Auch den anderen Tieren auf dem kleinen Bauernhof war der neue Gast nicht entgangen. Das Huhn der Bäuerin, ein etwas simples aber gutmütiges Geschöpf, warnte das kleine Entlein bereits und sagte: "gaGAK, Sieh nur zu, dass du endlich Eier legst, das gehört sich so. GAAK. Sonst wird die Alte dich am Ende womöglich noch schlachten und du landest als Gänsebraten auf ihrem Mittagstisch. Gaaaak keine gute Aussicht. Gak! Außerdem könntest du mal lächeln, dann wärst du vielleicht hübscher."

Die Hauskatze lästerte feindlich fauchend: "chhhh! Hoffentlich landest du bald in der Bratenröhre, denn so etwas hässliches ist mir noch nie untergekommen! Hoffentlich schhhhhmeckst du besser als du aussiehst, chhh!"

Da bekam das kleine Entlein einen ziemlich dicken Hals und programmierte aus Rache die 9-Gag-Seite. Dort werden noch heute dusselige Videos geposted, welche dem Rufe der Hauskatze als ernstzunehmender Tierart wahrlich einen hartnäckigen Schaden zufügen.

Voller Verzweiflung überlegte das kleine Entlein außerdem, auf welche Weise es dem In-die-Röhre-gucken wohl noch entrinnen konnte, vielleicht war es ja möglich, ein Gänseei programmieren und mit einem 3D-Drucker ausdrucken? Kürzlich hatte es eine Anleitung dazu beim Hackspace gefunden. - Aber wie kam es an nötigen Bauteile für den Drucker heran? Das Breitband-Internet war nämlich leider noch nicht bis in die Hütte dieser alten Bäuerin gelangt.

Eines Nachts, die Bäuerin hatte versehentlich die Käfigtür offengelassen, entschloss sich daher das kleine Entlein, seine Siebensachen mal wieder zu packen! Es rannte so schnell und so weit, wie es sich selbst und seine Begleitgeräte gerade noch tragen konnte, und als der Morgen graute, erreichte es ein dickes Schilfdickicht, das an einem wunderschönen See gelegen war. Darin versteckte es sich und kam langsam wieder zur Ruhe.

Es dauerte einige Tage und das kleine Entlein richtete unterdessen eine Wikileaks-Zentrale in dem dicken Schilfgürtel des Sees ein. Hier war es gut versteckt, niemand konnte es sehen, und auch Nahrung schwamm im Überfluss durch die Gegend. Doch so sehr es hier auch geschützt war, mit jedem Tag schmerzte die Einsamkeit etwas mehr und so sprach es trotzig zu sich selber: "Pah, wenn mich schon niemand leiden kann, dann bleibe ich einfach hier in meinem Versteck, wo niemand von nem Erpel Eierlegen verlangt!".

So vergingen die Tage und Wochen, und auch unser kleines Entlein hatte endlich etwas Frieden gefunden.

An einem herrlichen Spätsommertag genoss das kleine Entlein die letzten wärmenden Sonnenstrahlen und blickte zum Himmel, wo gerade einen Schwarm weißer Riesenvögel majestätisch vorüberziehen sah. Mit ihren gelben Knubbelnasen und den Düsentriebwerken sahen sie wunderschön aus! - und das kleine Entlein seufzte traurig: "Einmal, nur ein einziges Mal möchte ich auch so dermaßen geil aussehen!" Voller Sehnsucht blickte es den stolzen und erhabenen Vögeln nach, bis diese röhrend am fernen Horizont verschwunden waren.

Während das kleine Entlein noch oft an die stolzen Vögel denken musste, vergingen die Tage, es wurde kälter und die Nahrung im Schilf wurde immer weniger. Der Winter war über das Land gekommen und eines Morgens war auch der See mit dem Schilfgürtel zugefroren. Traurig, einsam und hungrig verließ das kleine Entlein sein Versteck, um nach einem Kiosk zu suchen. Doch inzwischen war es durch den Hunger so geschwächt, das es entkräftet zu Boden sank und im Schnee einfach liegen blieb.

Doch es hatte Glück! Kurz darauf kam ein Bauer vorbei und als er das arme, halb verhungerte Tierchen fand, hatte er Mitleid und sagte: "Dich werde ich mitnehmen. Du bist ja bereits halb erfroren! Meine Regenbogen-Familie wird sich bestimmt über deine Gesellschaft freuen!"

Der gute Mann steckte also das kleine Entlein auch schon in seine Tasche und nahm es mit nach Hause. Die Kinder und der Partner des Bauern kümmerten sich liebevoll um das kleine Entlein und freuten sich jeden Tag aufs neue, als sie sahen wie das Entlein langsam wieder zu Kräften kam und größer wurde. Noch größer wurde ihre Freude, als das Entlein mit ihnen zum Schilfgürtel ging und seine technischen Geräte holte.

Dieser Winter war für die Regenbogenfamilie des Bauern wirklich grandios, denn sie konnten immer dann, wenn das Wetter besonders fies war, Angry Birds, Moorhuhn, Taubenbomber, Crazy Penguin und World of Swancraft spielen. Und nicht ein einziges Mal sagte irgendwer zum Entlein, es sei hässlich, oder es solle doch mal lächeln. Das tat dem Entlein sehr gut. Im Frühling war es so groß und kräftig geworden, dass der Bauer und seine Kinder es wieder zurück zum Schilfdickicht brachten.

Glücklich und zufrieden sprang es voller Freude ins Wasser und breitete seine Flügel aus. Es genoss die warmen Frühlingsstrahlen der Sonne und steckte voller Übermut seinen Kopf in das klare Wasser des Sees. Als es den Kopf wieder hoch hob und auf das Wasser blickte, hielt es erstaunt inne:

"Eeeey wow. Bin ich das? Habe ich mich so verändert?"

Denn was das ehemals kleine, hässliche Entlein jetzt sah, war sein eigenes Spiegelbild.

"Yay, ich bin ja ein Schwan! Was is das denn für ne geile Nummer! Wow! Ich bin ein Häcker-Schwan! Ente Your Passwort, ihr Sackgesichter!"

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