74 Jahre nach den Luftangriffen bleibt Dresden eine Stadt der Opfer und Täter

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Heute vor 74 Jahren zerstörten die britische Royal Air Force und die US Air Force große Teile der Stadt Dresden. Viele tausend Menschen verloren ihr Leben. Das Ereignis war im Winter 1945 Vorbote dafür, dass der Krieg für Nazideutschland bald mit einer Niederlage enden würde.
Auf dem Dresdner Neumarkt und auf dem Heidefriedhof haben auch heute Neonazis Veranstaltungen angekündigt.

Jenz Steiner von coloRadio zeigt in seinem Kommentar wenig Verständnis für die Dresdnerinnen, die heute die Stadt vor dem Krieg als reine Kulturmetropole glorifizieren.
Audio
03:45 min, 8814 kB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 13.02.2019 / 14:48

Dateizugriffe: 3140

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Frauen/Lesben
Entstehung

AutorInnen: Jenz Steiner
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 13.02.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Luftangriffe auf Dresden durch die Royal Air Force und die US Army zwischen Herbst 1944 und Februar 1945 sind ein schwerer Einschnitt in die Geschichte und das Bewusstsein der Stadt. Mindestens 22.700 Menschen verloren ihr Leben bei den letzten großen Bombardierungen Dresdens zwischen 13. und 15. Februar 1945.

Ob diese Flächenbombardements notwendig oder militärisch sinnvoll waren, diskutieren Historikerinnen und Historiker bis heute. Gezielte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung sind jedoch völkerrechtlich immer Kriegsverbrechen.
Sie schaffen nicht nur Zerstörung, Tod und Leid, sondern demoralisieren Menschen über Generationen.
Das ist im zweiten Weltkrieg auf allen Seiten geschehen.
Das steht für mich außer Frage.

Als Neu-Dresdner fällt mir immer wieder auf, dass in Debatten über dieses Thema, ganz gleich, ob im Privaten oder in der Öffentlichkeit,
Dresden vor den Luftangriffen
immer wieder als unschuldige Kulturstadt dargestellt wird. Das stört mich, denn das stimmt so einfach nicht.
Wer die Kriegstagebücher von berühmten Dresdnern wie Viktor Klemperer oder Erich Kästner kennt, weiß das.

Ja, Dresden war Kulturstadt. Dresden im Dritten Reich war aber auch Nazihochburg. 6000 jüdische Menschen wurden aus Dresden deportiert. Ihre Namen kann man in der Online-Datenbank der Sächsischen Gedenkstätten nachlesen. Dresden war Garnisionsstadt und Rüstungsstandort. Das kann man nicht einfach unter den Teppich kehren.

ColoRadio ist an seinem Standort mit dieser Geschichte eng verknüpft. Unsere Studios befinden sich in den ehemaligen Göhle-Werken. Das war ein reichseigener Rüstungsbetrieb, der im Auftrag der Zeiss Ikon AG arbeitete. Hier mussten zwischen 1938 und dem 13. Februar 1945 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Akkord Zeitzünder und Uhrwerke für U-Boote herstellen. Geschlossener Arbeitsdienst war der Nazi-Terminus für Zwangsarbeit.
Der jüdischstämmige Antifaschist Fritz Meinhardt ist der wahrscheinliche bekannteste Zwangsarbeiter, der in den Göhle-Werken arbeiten musste.

Das ist alles kein Geheimnis. Die jüdischen Zwangsarbeiterinnen wurden ab 23. November 1942 im sogenannten Judenlager Hellerberg untergebracht. Das alles wurde angeordnet und umgesetzt durch die Zeiss Ikon AG, der Dresdner Gestapo und der Kreisleitung der NSDAP. Der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann ordnete damals an, das Lager in ein Polizeihaftlager umzuwandeln.

Unter dem Schlagwort „Fabrikaktion ordnete das Reichssicherheitshauptamt am 25. Februar 1943 an, dass keine Juden mehr in Rüstungsbetrieben arbeiten dürfen. Zwei Tage später wurden jüdische Menschen aus Plauen, Leipzig, Erfurt, Chemnitz und Halle in das Lager Hellerberg gebracht und im März von dort nach Auschwitz deportiert. Von 293 deportierten Menschen überlebten zehn die Befreiung des Massenvernichtungslagers Auschwitz.

700 Frauen aus den Außenlagern des KZ Flossenbrück arbeiteten von 1944 bis zum 13. Februar 1945 in den Göhle-Werken. Die großen Luftangriffe auf Dresden brachten nicht nur die Rüstungsproduktion in den Göhle-Werken zum Erliegen, sondern auch in den Rüstungsbetrieben in den Dresdner Stadtteilen Niedersedlitz, Mickten, Reick und Großluga.

Dresden hat 1945 viele Opfer beklagen müssen, aber es war uns ist eine Täterstadt.
Heute am 74. Jahrestag provozieren Neonazis mit Veranstaltungen auf dem Dresdner Neumarkt und einer Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof, parallel zur dortigen Gedenkveranstaltung des Vereins „Denk Mal Fort!“.

Das ist in meinen Augen peinlich, beklemmend und zugleich unverschämt gegenüber den Opfern von Krieg und Faschismus.

Kommentare
21.02.2019 / 16:31 Laura, coloRadio, Dresden
wurde am 20.02. / 18:30 Uhr im Frequenzkonsum auf Freies Radio Berlin / Piradio gesendet
Danke
 
21.02.2019 / 16:32 Tim Thaler, coloRadio, Dresden
lief im Mitttwochsmagazin auf coloRadio am 13. Februar
Dankeschön