Die Illusion der direkten Demokratie

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Mensch könnte den Eindruck haben, auf den britischen Inseln, speziell im House of Commons und Downing Street 10 herrsche das totale Brexitchaos. Ein Grund mal darüber nachzudenken, was es eigentlich bedeutet, wenn PolitikerInnen mit einem Referendum ein Element der direkten Demokratie aufrufen. Ist es wirklich ein Dienst an der Demokratie?
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07:05 min, 6652 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.04.2019 / 13:27

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Morgenradio
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 04.04.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Niemand kann erwarten immer seinen oder ihren Willen erfüllt zu bekommen, aber der sogenannte Wille des Volkes ist heilig. Da das Volk, also die Summe der Wahlberechtigten keinen jederzeit und im Detail abfragbaren Willen hat, wird er mit den Ergebnissen von Wahlen, Volksbegehren oder Referenden gleichgesetzt. Dabei ist es etwas Geschmackssache, ob mensch das Ergebnis einer Wahl als „Wille des Volkes“ bezeichnet oder nicht besser von Wahlergebnis spricht. Schließlich sind WählerInnen und Wähler davon abhängig, was ihnen angeboten wird. Viele gehen vielleicht aus gutem Grund deshalb garnicht wählen. Das Volk ist wiederum eine Abstraktion von vielen einzelnen Menschen. Dass man mit dem Volk als homogenes Etwas ziemlichen politischen Schindluder treiben kann, dürfte mindestens seit dem 3. Reich bekannt sein. Doch immerhin werden Wahlen in demokratisch verfassten Staaten regelmäßig wiederholt. Der sogenannte „Wille des Volkes“ kann an Erfahrungen und neue Impulse angepasst werden. Neue Wählerinnen und Wähler kommen hinzu, wer stirbt oder dauerhaft auswandert entscheidet nicht mehr über Dinge, die ihn nichtmehr betreffen.

Kommen wir nun zum Thema Referendum, insbesondere zum Brexit. Die Regierungschefin Theresa May spricht immer wieder so schön und mit Emphase vom „will of the people“ und viele ihrer Parteifreunde können es auch. Es klingt ein wenig wie: „Schweigt, jetzt rede ich!“

Wie gesagt, niemand bekommt immer seinen Willen, aber der Wille des Volkes ist heilig. Das Problem mit dem Brexit ist doch nicht, dass May schlecht verhandelt hat, dass es der Regierung an Entschlossenheit fehlt, dass im Parlament dumme Streiche gespielt werden oder dass die in Brüssel einfach bösartig sind. Es geht einfach nicht. Der Brexit in der Form wie er von der Leave-Kampagne versprochen wurde, mit allen Vorteilen auf der Seite der BritInnen, geht einfach nicht. Das ist auch der Hauptgrund für die Zerrissenheit des Parlaments. Die aufrechten Brexiteer können ihren Brexit einfach nicht Realität werden lassen, nur Mays Vertrag geht, der ist aber nicht was sie versprochen haben, eventuell ist er am Ende sogar ein Brino, garkein Brexit. Dass was May als „will of the people“ bezeichnet, hat nur wenig Ähnlichkeit mit dem, was sich die Leute beim Referendum gewünscht haben. Sie hat ihren „will of the people“ bereits der Wirklichkeit angepasst, will das aber nicht zugeben, denn wie gesagt, niemand bekommt immer seinen Willen, aber der Wille des Volkes ist heilig. Das soll so bleiben, denn ist der sogenannte Wille des Volkes einmal aus der Flasche, lässt sich herrlich damit Politik betreiben. Diktatoren wissen das zu schätzen. Referenden waren schon immer ein Mittel zur Legitimation antidemokratischer Regime.

Und damit sind wir beim Ansetzen eines Referendums. Erinnert sich noch jemand an den britischen Regierungschef David William Donald Cameron? Vor 6 Jahren kündigte Cameron an, die EU-Verträge Großbritanniens neu verhandeln zu wollen. Eine Extrawurst und nicht die erste für das Vereinigte Königreich. Um die Wurst auch zu bekommen, drohte Cameron mit einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft seines Landes. Er machte sich unrealistische Hoffnungen auf einen außenpolitischen Erfolg und zugleich wollte er mit dem Referendum die EU-Skeptiker in der eigenen Partei kaltstellen und zugleich die United Kingdom Independent Party, UKIP ihres einzigen Themas berauben. Tony Blair verglich Camerons EU-Politik mit dem Sheriff in einer Komödie, der sich die Pistole an die Schläfe hält und sagt: „Wenn ihr nicht macht, was ich will, schieße ich mir eine Kugel ins Hirn.“

So ähnlich ging es aus. Cameron erreichte in der EU nur was zu erreichen war und aus der gar nicht ernst gemeinten Referendumsfrage wurde ein sehr ernster Brexit. Das ist das nächste und nicht das kleinste Problem bei Referenden, die Mächtigen bestimmen, ob, wann und mit welcher Fragestellung ein Referendum angesetzt wird. Wenn sie nicht derart ungeschickt an die Sache herangehen wie David Cameron, gewinnen sie es auch fast immer. Die Interpretation des Ergebnisses, liegt dann wieder in der Hand der Regierung. Als Ruhollah Khomeini, die iranische Bevölkerung unmittelbar nach dem Sturz des verhassten Schahregimes über die Frage „Monarchie oder Islamische Republik“ abstimmen ließ, sagte er nicht, was „Islamische Republik“ konkret bedeuten würde. Die meisten dachten, es sei vor allem eine Abstimmung über die Abschaffung der Monarchie. Ebenso definiert sich May ihren „will of the people“ als Ausstieg aus der EU, auch wenn sich die damit einst verknüpften Versprechen mittlerweile als Luftnummern erwiesen haben.

Ein zweites Referendum? Eigentlich ein Ausweg aber ein schwieriger. Konkret, über was sollen denn die BritInnen genau abstimmen? Eine Wiederholung des Brexitreferendums, wäre der eigentliche Ausweg, aber es könnten viele aufstehen und sagen, dass sie nur über bestimmte Ausstiegsszenarien abstimmen wollten. Wieder bedarf es einer autoritären Limitierung der Fragestellung. Einen von einem Referendum einmal losgetretenen Geist bekommt mensch nur schwer wieder in die Flasche. Auch hierzulande und trotz Erfahrungen mit Brexit und Stuttgart 21 wird der Ruf nach mehr Elementen direkter Demokratie immer lauter. Sogenannte Volksbegehren in der Schweiz funktionieren ja auch irgendwie, allerdings in einem lange eingespielten politischen System mit einem bestimmten verfassungsrechtlichen Rahmen, eingebetet in eine stellvertretende Demokratie.

Im Grundgesetz steht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Eine andere Legitimation des Staates ist ja auch in einer modernen Demokratie nicht denkbar. Das heißt aber nicht, dass ein in der beschriebenen Weise ermittelter sogenannter Volkswille absolute Gültigkeit haben muss. Niemand kann erwarten, immer seinen Willen zu bekommen. Die Leute, die Referenden ansetzen scheuen sich aber zu sagen, dass dies auch für den sogenannten Willen des Volkes gilt. In einer Welt, die im Fluss ist und ständig Kompromisse abverlangt, sollten gewählte PolitikerInnen nicht als Verräter gelten, wenn sie von einem Referendum abweichen. Referenden schaden der Demokratie mehr als sie ihr nützen. Mays verbale Angriffe auf das Britische Parlament und die früher kaum vorstellbare Bedrohung von Mitgliedern dieser altehrwürdigen Institution zeigen es.