Roger Behrens: ,Heimat – Überlegungen zu einem verdorbenen Wort‘ (28.11.2018 – Forum Mannheim)

ID 95036
1. Teil - Vortrag (Hauptteil)
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Nicht nur im Traditionalismus und ‚ethnopluralistischen‘ Separationsdenken von AfD und IB wird die Worthülse ‚Heimat‘ seit geraumer Zeit zum festen Bestandteil des kanonisierten Gefechts. Neben der Personalie Seehofer (CSU), nach dessen Geschmäckle das Innenministerium nun in Innen- und Heimatministerium‘ umbenannt wurde, scheint von ganz recht bis ganz links Einigkeit darüber zu bestehen, dass diesem ‚Begriff‘ – aufgrund der Undifferenziertheit dieses Wortes eigentlich nicht wert – etwas schützenswertes anheftet. Was für die Konservativen und Nationalisten in unverhandelbarer Weise Ursprünglichkeit und Klarheit widerspiegelt, wird für die Linke von SPD bis Linkspartei zum Politikum: Heimat darf den Rechten „nicht überlassen“ und muss neu besetzt“ werden.
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Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: redaktion3
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 27.04.2019
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
2. Teil - Diskussion
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59:30 min, 58 MB, oga
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Skript
Nicht nur im Traditionalismus und ‚ethnopluralistischen‘ Separationsdenken von AfD und IB wird die Worthülse ‚Heimat‘ seit jeher zum festen Bestandteil des kanonisierten Gefechts. in In dem Buch ‚Grenzenlose Heimat. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände‘, deren Präsidentin die CDU-Politikerin Erika Steinbach von 1998 bis 2014 war, wies Samuel Salzborn den Revisionismus/Revanchismus des Verbandes in Bezug auf den NS nach. Horst Seehofer (CSU) benannte ganz nach seinem Geschmäckle das Innenministerium nun in ‚Innen- und Heimatministerium‘ um. Doch uns ging es bei der Anfrage an Roger Behrens, etwas zum Heimatbegriff zu referieren, nicht um die rechte Ecke.
Auffallend ist spätestens seit der letzten Bundestagswahl, dass von ganz recht bis in die verschiedenen Spektren der Linken weitestgehend Einigkeit darüber besteht, dass diesem sog. Begriff etwas Schützenswertes anheftet. Was für die Konservativen und Nationalisten in unverhandelbarer Weise Ursprünglichkeit und Klarheit widerspiegelt, wird für die Linke von SPD, Grüne und Linkspartei bis zur sog. Bewegungslinken zum Politikum: Der Heimatbegriff darf „nicht den Rechten überlassen“ (Nahles im Vorwärts) werden und „die Progressiven [sollten] den Begriff Heimat für sich besetzen“ (Marc Saxer, Leiter des Referats Asien der FES, im Journal der ‚Internationale Politik und Gesellschaft‘) werden. Auch Roberto j. De Lapuente ist im Neuen Deutschland der Meinung: „Den Heimatbegriff den Rechten überlassen, dürfen sich Linke nicht erlauben“. Es gelte, „den Begriff richtig aufzuladen. Heimat als Sicherheit und nicht als kultureller Ausgrenzer: Das wäre eine Gegenposition.“
Auffallend ist weiterhin, dass es sich hierbei um allerlei Gefühlsduselei dreht: Andrea Nahles (SPD-Vorsitzende) antwortet in der Parteizeitung ‚Vorwärts‘ auf die Frage, was für sie Heimat bedeute, mit: „Heimat ist der Ort, an dem ich mich immer angenommen fühle. […] Daheim sein bedeutet, dass man sich freier und sicherer fühlt als woanders. […] Mein Dorf gibt mir das Gefühl, dass ich mich entspannen kann. […] Jeder Kommunalpolitiker ist letztlich ein Heimatpfleger, im besten Sinne ein Patriot im Kleinen.“ (…das geht dann ewig so weiter…) Unser oberster Mannheimer Kommunalpolitiker – OB Peter Kurz – stand dem in Nichts nach. Seine Etatrede zum Doppelhaushalt 2018/19 vom Ende letzten Jahres trug den Titel ‚ Die Stadt weiter erneuern und als Heimat bewahren‘. Darin heißt es einleitend, dass im Zuge des städtischen Erneuerungsprozesses „die Sorge über einen Verlust des Gewohnten, den Verlust von Heimat zunimmt. Dieser Frage haben wir uns nicht nur in der Rückschau gestellt, wir wollen und müssen dies auch für die Zukunft tun.“ (S. 7) Die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN, Katrin Göring-Eckardt, schlägt in dieselbe Bresche: „Heimat kann ich nur als offen, weltzugewandt und europäisch denken.“ und ihr Parteikollege, der „Anatolische Schwabe“ (Selbstbezeichnung) Cem Özdemir, wetterte, was wohl damals kaum jmd. verpasst haben dürfte, in Richtung der AfD: „Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat verachtet, wie Sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist?“ Bei der Linkspartei sieht’s nicht anders aus: Alexander Fischer (Berliner Staatssekretär) und Benjamin-Immanuel Hoff (Chef der Thüringer Staatskanzlei) schrieben im Oktober 2017 in ‚Die Welt‘: „Es hängt für die politische Linke viel davon ab, dass sie den Wunsch nach Beheimatung nicht als ewiggestrig abtut, sondern daraus die Legitimation und die Mehrheiten für eine progressive Veränderung der Lebenswelten ableitet.“
Auch fernab der Parteienlandschaft sieht‘s im linken Spektrum kaum anders aus. Im Info-Heft ‚Ermutigungen‘ (Nr. 20) der Amadeu Antonio Stiftung schreibt Anetta Kahane, „[d]ass Heimat und Identität heute, im modernen Deutschland, auf den ausschließenden Charakter dieser Wörter in früheren Zeiten verzichten können“, was für sie „eine Selbstverständlichkeit sein“ sollte. Auf der gleichen Seite titelt Ferda Ataman ‚Deutschland, Heimat der Weltoffenheit‘. Heribert Prantl, linksliberaler Politikberater der Süddeutschen Zeitung, wusste nach der Bundestagswahl: „Wenn wir die Analysen der AfD-Wähler lesen, dann sagen die zu 95%, sie haben das Gefühl, dass ihnen die Heimat verloren geht, dass ihnen die Heimat irgendwie unter dem Boden weggezogen wird.“ Das veranlasst ihn nicht etwa dazu, dem wahnhaften Mythos ihrer „Umvolkungsrhetorik“, wie sie gegenwärtig auch im Diskurs um den sog. UN-Migrationspakt zum Tragen kommt, den heimatlichen Boden zu entziehen. Nach ihm liege das richtige Programm viel eher in der „Politik der Wiederbeheimatung von Menschen“. Linksintellektuelle Positionen zeigen sich wohl am konzentriertesten am Bsp. des Ernst-Bloch-Zentrums in LU: Die Reihe ‚Talk bei Bloch‘, die im lokalen OK-TV live übertragen wird, trägt den Titel ‚Heimat‘ und wird seit Anfang 2017 in unregelmäßigen Abständen ausgestrahlt (nächste Woche 5. Talk zu ‚Heimat. Zusammen. Arbeiten.‘; zum Auftakt war letztes Jahr u.a. Hartmut Rosa zum Thema ‚Heimat als Utopie‘ zu Gast).
Die Beispiele sind endlos, die Message sollte angekommen sein: Heimat ist ubiquitär. Wir jedenfalls wollten statt der Emotionalisierung und einhergehenden Diffusion lieber etwas Licht ins Unbewusste lassen und haben uns dafür Roger Behrens eingeladen, dem die Arbeit am Begriff etwas mehr am Herzen liegt als den gerade genannten ‚Linken‘. Schön, dass du da bist Roger und uns politisch Heimatlosen (ganz im Sinne Jean Amerys) referierst…