"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Rezo

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Als ich jüngst von Rezo und wie er der CDU die Leviten las, war ich fast beeindruckt und fragte mich, ob ich dieses Youtube-Video nun auch noch anschauen müsse. Die Antwort war Nein.
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10:36 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.06.2019 / 10:20

Dateizugriffe: 5284

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Jugend, Umwelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 04.06.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich gehe davon aus, dass Rezo da eine Rechnung aufmacht, die ich in- und auswendig kenne und mit der ich mich insofern abgefunden habe, als es in den letzten Jahren nie gelungen ist, Konsequenzen aus den Vorwürfen zu ziehen und die Missstände zu beseitigen. Hin und wieder verweist man auf die wichtigsten Punkte der Kritik, aber die Erfahrung der Wirkungslosigkeit dieser Kritik ist eben auch eine Kraft, der man sich nicht immer entziehen kann. Dies umso mehr, als die CDU sich in den letzten 50 Jahren tüchtig sozialdemokratisiert hat, wie dies heute auch der sozialdemokratische Medienkonsens anerkennt, das heißt, bei aller Kritik hat sich doch die eine oder andere Sache in der Politik verändert, ja, sagen wir es laut heraus: Es ist nicht alles immer nur schlechter geworden! – Was nichts ändert an der Notwendigkeit der Kritik und am Fundament der Vorwürfe. Dass die SPD ihrerseits nicht erst seit Schröder keine kritische Kraft mehr darstellt, ist Rezo natürlich auch nicht entgangen, und wenn ich das richtig verstanden habe, lässt er auch die Grünen und die Linke nicht als wirklich systemverändernde Kräfte gelten.

Aber zurück zu seinem Vorwurfs-Katalog, den Rezo offenbar mit 252 Belegsdokumenten unter­mauert. Ich gehe davon aus, dass mir die meisten Punkte bekannt sind, so bekannt sogar, dass ich nicht mal mehr daran denken würde, überhaupt davon zu sprechen. Und hier setzt meine Überlegung ein: Könnte es sein, dass Jungs und Mädels wie Rezo eine neue Bewegung begründen, welche die Systemkritik aus ihren herkömmlichen Rahmen und Formen löst und sie für eine neue Generation völlig neu formuliert? Das wäre dann eine Bewegung, die das pure Gegenteil dessen wird, was sich die Granatenhirne rund um Steve Bannon unter dem Titel «The Movement» ausgedacht haben.

Die Antwort ist: Ja, es könnte sein, aber garantiert ist gar nichts, zum einen, und ich habe zum zweiten keinerlei Legitimation, mich einer solchen Bewegung anzudienen oder ihr irgendwelche Vorträge zu halten. Denn es wäre ein Wesensmerkmal einer wirklich neuen Bewegung, dass sie ihre Inhalte und Forderungen nicht im Netz der politischen Vektoren formuliert, wie sie sich bei der SPD, den Grünen und der Linken schon lange ausgebildet haben und wie ich selber es auch unterstelle, sondern ganz und gar unabhängig. Das wäre eben das Neue daran.

Mehr habe ich dazu im Moment nicht zu sagen, einmal abgesehen davon, dass es doch fast zwin­gend erscheint, dass so eine Figur wie Rezo oder eben so eine Bewegung sich bei Gelegenheit mal ausbilden musste und dabei prominent in den sozialen Medien auftritt, welche man in letzter Zeit vor allem als Träger von Fake News und primitiven Pöbeleien gedisst hat; dass dies mit einigem Missfallen zur Kenntnis genommen wurde und dass von der – durchaus berechtigten – Kritik in erster Linie die einfachen Leute als Träger von Hass, Idiotie und rechtsextremer Ideologie zur Kasse kamen, womit im Grunde genommen die Möglichkeit einer echten Demokratie verneint wurde, weil ja mündige Bürger nicht in die sozialen Toiletten scheißen, sondern sich vernünftig äußern, das versteht sich von selber. Und unter uns gesagt, auch ich habe manchmal solche Anwand­lungen, auch wenn ich die erwähnte Einfachheit der Leute nicht als ewigen Tatbestand, sondern als zu lösende Aufgabe begreife. Trotzdem. Und gerade gegen solch latent antidemo­kratische Befindlichkeiten hilft die Vermutung einer neuen vernünftigen Bewegung ganz enorm.

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mich an einer Ausgabe der Zeitung «Welt» gütlich zu tun, die jemand im Zug liegen gelassen hatte. Abgesehen vom konsequenten CDU-Kurs, der sich unter anderem in einer engagierten Verteidigung der persönlichen Freiheiten anhand des Beispiels Christian Strache und Johann Gudenius durch den ehemaligen Hamburger Bürgermeister Ole von Beust äußerte oder in der Übernahme der CDU-Behauptung, die Finanzierung der Grundrente basiere auf Luftbuchungen, wobei immerhin im entsprechenden Artikel ein recht ausführlicher Finanzierungsplan aufgeführt war, abgesehen davon also stand in dieser Ausgabe nicht viel mehr und nicht viel weniger als in anderen Zeitungen. Sogar die Berichterstattung über die Mercedes-Benz-Hauptversammlung wurde gemäß dem vorherrschenden Klima in der Klimadebatte konterkariert mit einem Artikel über einen kritischen Klimaschützer, der sich extra eine Mercedes-Benz-Aktie zugelegt hatte, um der Konzernleitung zig Dutzend Fragen zu stellen. Eine dieser Fragen will die Konzernleitung sogar wohlwollend prüfen. Es gab eine Beschreibung der Stimmung unter den bayrischen Bauern angesichts der Bereitschaft von Ministerpräsident Söder, das Bienenschutz-Volksbegehren auch tatsächlich umzusetzen. Da müssten diese Bauern ja zum Beispiel zehn Meter Land bis zum Flusslauf ungemäht stehen lassen, und solche Dinge gehen dem bayerischen Bauern derart auf den Keks, dass er im Ernst daran denkt, in Zukunft auch gelbe Westen anzuziehen. Was mich aber richtiggehend auf die Bäume getrieben hat, war der Artikel mit dem Titel «Nun laufen sogar die Ölkonzerne zu den Klimaschützern über» – das war harter Stoff. Solche Berichte möchten mir bitte in Zukunft erspart werden, sowohl von der Zeitung «Welt» als auch von anderen Qualitätsmedien; ich will das einfach nicht hören. Die Treibhausgase, die mit einiger Sicherheit mehrheitlich von den fossilen Brennstoffen erzeugt werden, haben unterdessen schon zur Öffnung der Nordumfahrung um den amerikanischen Kontinent geführt, weil das Polareis so weit weggeschmolzen ist, und jetzt erhoffen sich die Erdölkonzerne nicht nur den erleichterten Zugang zu den weiteren Erdölreserven in diesen Nordregionen, sondern sie wollen auch noch die Klimaschützer spielen – das sind in meinen Augen Taten, die Kriegsvorbereitungen gleichkommen. Die Atmosphäre zerstören und sich gleichzeitig als Retter der Atmosphäre aufspielen, so etwas halte ich nicht aus, auch wenn es von der Erdölkonzernen kommt, denen ich sowieso schon alles zutraue.

Da greife ich lieber zu richtigen Zeitschriften wie «Intouch», die ich auch schon mal zitiert habe, und schlage mir die neuen Schlankdrinks der Stars um die Ohren, mit welchen mindestens Eva Longoria nicht etwa einmal in einer Woche 3 Kilogramm abgenommen hat, sondern die drei Kilo pro Woche verliert. Das heißt, bis zu ihrem gänzlichen Verschwinden dauert es noch 19 Wochen, wenn man mal unterstellt, dass sie per Datum 23. Mai noch 57 Kilo gewogen hat. Und ich stelle fest, dass mit Rezo auch eine neue Generation an Stars und Starlets Einzug gehalten hat im internationalen Jetset, namentlich Riccardo Simonetti, Rita Orta, Alessandra Ambrosio, Nick Jonas, Priyanka Chopra, Petra Nemcova, Toni Garrn oder die Kardashians und so. Wen ich aber vergeblich gesucht habe, das ist Hayden Pannettiere. So, wie es aussieht, macht im Moment nicht sie Schlagzeilen, sondern nur ihr neuer Boy Toy Brian Hickerson, dem häusliche Gewalt vorgeworfen wird und der in diesem Zusammenhang sogar von der Polizei verhaftet worden sein soll. Häusliche Gewalt? Soweit es sich um den Boy Friend von Hayden Pannettiere handelt, kann diese häusliche Gewalt ja nur einen Gegenstand haben, nämlich eben Hayden Pannettiere. Sollte ich mich vor zehn Jahren mit der Wahl meiner Lieblingsschauspielerin vergriffen haben? Ich muss dem mal nachgehen. – Und was mir schlßielich in der Qualitätszeitschrift «Intouch» ganz und gar missglückt ist, war das Sudoku – da sind ja alle Felder schon zum Voraus ausgefüllt! Wobei, wenn ich es mir genau überlege, habe ich vielleicht die Seite mit den Lösungen angeschaut. Aber wie auch immer, es zeigt sich auch hier, dass, wer die Welt der Stars und Starlets betritt, auf dünnem Eise wandert. Oder so.

Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist, sind jene Stimmen, welche sich zunehmend positiv über die Haltung des US-amerikanischen Präsidenten im Handelsstreit mit China äußern. Es handle sich um die letzte Gelegenheit, den Chineserer noch einigermaßen in die Schranken zu weisen, bevor er die Weltherrschaft antrete und nicht nur seine Diktatur mit der totalen Überwachung aller Staats­ein­wohner auf die gesamte Welt ausdehne, sondern auch die Währung als Weltwährung durchsetze aufgrund jener Handelsbeziehungen, die mit der neuen Seidenstraße aufgebaut würden und deren Grundlage eben zunehmend Zahlungen in Yuan seien und nicht mehr in Dollar, und so weiter und so fort. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Obwohl man aus China pittoreske Dinge hört wie zum Beispiel die vollständige Verwanzung und Überwachung von Haftzellen, welche es in erster Linie verhindern sollen, dass sich die Insassen etwa selber umbringen und was mir beziehungsweise dem, was an mir mein Unterbewusstes ist, schon sehr stark Eindruck macht, ich gebe es zu; ich möchte also bitte nicht beim Scheißen überwacht werden, auch wenn ich im Gefängnis sitze, ich weiß zwar nicht, ob das zu den Grundrechten des Individuums gehört, auch das Popeln und das Onanieren, scheint mir, fällt einem schwer, wenn man weiß, dass man von irgendwelchen Robotern dauernd angestarrt wird, da wird mir fast ein wenig schwindlig, auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass ich demnächst in den Knast muss und schon gar nicht in Peking. Aber die Sympathiebekundungen für den aktuellen US-amerikanischen Präsidenten, der sich in jeder Beziehung aus dem Rahmen einer Beurteilung gemäss Standards normalen Menschseins hinaus katapultiert hat und übrigens damit die gute Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung, nämlich jene, welche ihn gewählt hat, womit wir übrigens bereits wieder bei der anfangs erwähnten Demokratie-Schelte wären, solche Sympathie­bekun­dungen lassen sich auch mit den übelsten Überwachungs-Visionen des chinesischen Staates nicht begründen. Selbstverständlich ist es richtig, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Weltächten auf der wirtschaftlichen wie auch auf der militärischen Ebene zunächst unabhängig sind von der Person der jeweiligen Anführer, weil es sich hier um den Krieg der Systeme handelt und nicht um das Kaspertheater der Präsidentinnen und Präsidenten. Die Kritik am Aufkommen von China als Weltmacht hat sich aber an den Fakten zu richten, zum Beispiel an den Investitionen in Afrika oder halt eben in Asien, die mir im Moment einen deutlich nachhaltigeren Eindruck machen als all die Initiativen aus den Vereinigten Staaten und Europa zusammen, auch wenn sicher der Eigennutz Chinas eine wichtige Triebfeder darstellt dabei. Trotzdem. Und über die Totalüberwachung unterhalten wir uns ein andermal – sobald geklärt ist, wie wenig total und totalitär jene Systeme sind, die sich bei uns herausgebildet haben rund um das Konglomerat von Oracle, Google, Facebook, Apple und den US-amerikanischen Geheimdienst.

Kommentare
05.06.2019 / 22:22 Uwe, Radio Blau, Leipzig
05.06.2019
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