Asse II droht abzusaufen | Wie nah ist die Atom-Katastrophe?

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Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) schockt die Öffentlichkeit mit einer Katastrophen-Rhetorik und meldet "Rekordmengen" Wasser, die in das "Versuchs-Endlager" laufen. Der Norddeutsche Rundfunk verbreitet daraufhin die Panik-Nachricht "Die Asse läuft voll!" Dient dies lediglich dem Zweck, die versprochene Bergung des Atommülls abzublasen?
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Upload vom 12.06.2019 / 01:11

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Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt
Serie: Burning Beds
Entstehung

AutorInnen: Klaus Schramm
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 10.06.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Asse II droht abzusaufen | Wie nah ist die Atom-Katastrophe?

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) schockt die Öffentlichkeit mit einer Katastrophen-Rhetorik und meldet "Rekordmengen" Wasser, die in das "Versuchs-Endlager" laufen. Der Norddeutsche Rundfunk verbreitet daraufhin die Panik-Nachricht "Die Asse läuft voll!" Dient dies lediglich dem Zweck, die versprochene Bergung des Atommülls abzublasen?

Im Stil von Sensationsmache heißt es beim NDR: "Demnach sollen zuletzt im Schnitt rund 12,5 Kubikmeter Salzwasser in den als Atommülllager genutzten Bergwerkschacht gelaufen sein - pro Tag." Nun ist allerdings aus dem Jahr 2009 bekannt, daß damals - also vor über 10 Jahren - bereits 12 Kubikmeter Wasser pro Tag in die Asse II eindrangen (Siehe unseren Artikel v. 15.01.09). Auch im September 2018 wurde offiziell die Menge von 12,5 Kubikmeter Wasser pro Tag genannt, die in die Schachtanlage aus dem umgebenden Grundwasser fließen (Siehe unseren Artikel v. 18.09.18).

Unbestritten ist, daß die Situation in Asse II äußerst prekär ist - doch dies seit über zehn Jahren. Deshalb sollte der Atommüll so schnell wie möglich geborgen werden, bevor sich der Zufluß schlagartig ausweitet oder die Stollen unter dem Gebirgsdruck kollabieren. Denn dann wäre auch in Deutschland die erste atomare Katastrophe perfekt. Danach würde über kurz oder lang der eingelagerte Atommüll ins Wasser übergehen und das Grundwasser in Niedersachsen großflächig für Millionen Jahre ungenießbar machen.

Über zwei Jahrzehnte lang war das Eindringen von Wasser in das Versuchs-Endlager Asse II geleugnet worden. 1965 war zumindest vor Ort bekannt, daß die beiden benachbarten Schächte Asse I und Asse III bereits abgesoffen waren. Von dem weniger als zehn Kilometer entfernten Salzbergwerk Hedwigsburg war nach einem Wassereinbruch nur noch ein wassergefüllter Krater übrig geblieben. Dennoch kaufte die Bundesregierung das im Jahr 1964 stillgelegte Bergwerk für 600.000 DM und überließ es dem Kernforschungszentrum Karlsruhe (KFK) und der Gesellschaft für Strahlenschutz (GFS) - später: Helmholtz-Zentrum München - als sogenanntes "Versuchs-Endlager". Es diente nach offiziellen Angaben dem Zweck, die Einlagerung von radioaktivem Müll in Salz zu testen und so letztlich den Beweis für die Tauglichkeit des Salzstocks Gorleben als atomares Endlager zu liefern.

Im Gegensatz zur Mehrheit der GeologInnen in anderen Ländern der Welt erachteten WissenschaftlerInnen der Bundesanstalt für Bodenforschung die in Norddeutschland häufig vorkommenden unterirdischen Salzvorkommen als ein geeignetes Material, um radioaktiven Müll einzuschließen. So wurde über Jahre hin bedenkenlos radioaktiver Müll im Versuchs-Endlager Asse II versenkt. Nach den Angaben der Betriebsbücher, die sich mittlerweile als äußerst unzuverlässig erwiesen haben, wurden in Asse II bis 1979 insgesamt rund 126.000 Fässer Atommüll eingelagert. Das radioaktive Inventar stammte überwiegend aus kommerziell betriebenen Atomkraftwerken, des weiteren aus den Atomforschungszentren, aus Atommüllsammelstellen und auch von der Bundeswehr. Es wurden skrupellos auch undichte und korrodierte Fässer eingelagert, flüssige Abfälle, Rückstände von Pestiziden, Tierkadaver, giftige Schwermetalle und sogar Plutonium.

Im Jahr 2007 wurde bekannt, daß bereits seit 1988 Wasser in die Stollen von Asse II eindringt. Über Jahre hin war die Tatsache von Seiten des Betreibers geleugnet worden. ExpertInnen des industrienahen 'Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit', hatten beharrlich behauptet, die Langzeitsicherheit von Asse II sei gewährleistet und ein ehemaliges Salzbergwerk sei "absolut sicher". Noch 1985 behauptete die GFS in einer Broschüre, daß "ein Wasserzutritt in das Salzbergwerk Asse im höchsten Maße unwahrscheinlich" sei.

Erst in einem für das Bundesumweltministerium erstellten Statusbericht wurde im Sommer 2008 festgestellt, daß Asse II einsturzgefährdet ist und die radioaktive Lauge das Grundwasser zu verseuchen droht. Sofort meldeten sich dienstbare WissenschaftlerInnen zu Wort, die als angebliche Lösung des Problems vorschlugen, das gesamte Bergwerk mit einer Magnesiumchlorid-Lösung zu fluten. Unabhängige WissenschaftlerInnen, die dies für äußerst gefährlich erachten, rieten dagegen, den Atommüll so schnell wie möglich aus den Stollen zu bergen und an die Erdoberfläche zu holen.

Doch erst nach einem zeitraubenden Optionen-Vergleich, der vom damals amtierenden "Umwelt"-Minister Sigmar Gabriel veranlaßt worden war, konnte die Öffentlichkeit im Januar 2010 - für kurze Zeit - aufatmen: Die Rückholung des Atommüll wurde verkündet. Zuvor waren in den Jahren 2008 und 2009 über Monate hin immer neue Ungeheuerlichkeiten publik geworden: So wurde etwa im Juli 2008 bekannt, daß im Jahr 1976 ein Faß mit Atommüll eingelagert worden war, das allein 127 Gramm Uran-235 enthielt - fast dreimal so viel, wie die Betriebsvorschriften für das Versuchslager Asse II erlaubten. Bei Uran-235 handelt es sich um spaltbares Uran, das für AKW-Brennstäbe und für die Atombombe verwendet werden kann. Laut einem Bericht der GfS von 2002 befinden in Asse II aber ausschließlich schwach radioaktiver und mittelradioaktiven Atommüll - kein hochradioaktiver Müll.

Im Februar 2009 hatte Greenpeace aufgedeckt, daß mehr als 70 Prozent der Radioaktivität im maroden Salzbergwerk Asse II von atomaren Abfällen aus Atomkraftwerken stammen. Die aus einem Inventarbericht stammenden Zahlen widerlegen die bisherige Darstellung der vier großen Energie-Konzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW, sie hätten nur geringe Mengen Atommüll in das als Versuchslager deklarierte Bergwerk Asse II gebracht. Im April 2009 berichtete der 'stern' , daß sich in Asse II auch Fässer mit Pestiziden, Arsen und Blei befinden. Kurze Zeit darauf kam durch Dokumente ans Tageslicht, daß auch die Bundeswehr das "Versuchs-Endlager" nutzte, um radioaktiven Müll billig loszuwerden. Heute ist nicht mehr zu bestreiten, daß in Asse II große Menge verschiedenster hochgefährlicher Materialien illegal und skrupellos abgekippt wurden: Fässer - teils in undichtem und korrodiertem Zustand - mit flüssigen Abfällen, Rückständen von Pestiziden, Tierkadavern und giftigen Schwermetallen, so etwa mehreren Tonnen Blei, sowie hochgiftiges Quecksilber und Arsen. Über die Menge des eingelagerten ultragefährlichen Plutoniums schwanken die Angaben zwischen 9 und 24 Kilogramm.

Dennoch wird die Bergung des Mülls seit nunmehr neun Jahren immer weiter verzögert. Nach dem derzeitig vorliegenden "Plan" soll die Bergung erst im Jahr 2033 beginnen. Es ist höchstwahrscheinlich, daß es bis dahin tatsächlich zur Katastrophe kommen wird und Asse II absäuft. Bei offiziell veranschlagten Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro für die Bergung des Atommülls darf es nicht verwundern, wenn immer häufiger Kräfte auf den Plan treten, die für weitere Verzögerungen sorgen und so die "billige Variante" näher und näher rücken lassen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß eines Tages verkündet wird, die Bergung sei "nicht machbar". Möglicherweise dient die heutige Katastrophen-Meldung exakt diesem Zweck.

Kommentare
12.06.2019 / 17:49 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 12.6.. Vielen Dank!