Das social Distel-Ding – Das Problem mit Prognosen und ein Waffenstillstand

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Teil 14 der social distancing Kolumne "Das social Distel-Ding" - diesmal über den Versuch Münchner Zahlen positiv zu deuten, Tiger die Corona kriegen und ("vergessene") Kriege die wegen Corona angehalten werden
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05:25 min, 12 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 13.04.2020 / 18:01

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 13.04.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es geht vorwärts. Das fleißige social oder physical distancing der social Distel-Dinger zeigt Wirkung. Das war zumindest der Eindruck dieses social Distel-Dings, dass sich heute Mittag über diese Zahlen hergemacht hat. Bis 16 Uhr zeigte sich noch dieses Bild: Seit dem 30. März, an dem noch einmal 245 Coronafälle in München bestätigt wurden, zeigt die Kurve langfristig abwärts, bzw. liegt seit dem 8. April konstant bei ca. 119 Fällen die in den täglich bis zu 4000 durchgeführten Tests bestätigt werden. Die Fälle der nachweislich geheilten Corona-Patienten steigen in ähnlich großen Schritten.
Aber dann kam die Aktualisierung und mit ihr die Realisation: Es ist noch viel zu früh um Prognosen zu erstellen. Denn heute gegen 16 Uhr kamen die neuen Krankheitszahlen: Zwischen dem 12. April um 13:30 Uhr und dem heutigen 13. April um 13:30 Uhr wurden 156 neue Coronavirus-Fälle in die Statistiken aufgenommen. Also ist es wieder aus mit dem glücklichen Blick auf die Zahlen und dem Glauben an einen Abwärtstrend.
Darüber hinaus sind noch einmal 40 Personen in stationäre Behandlung aufgenommen worden, wodurch jetzt 515 Personen aufgrund von Covid-19 in Krankenhäusern untergebracht sind.
Das heißt, während wir hier, außerhalb der Krankenhäuser, langsam aber sicher geübt sind im Umgang mit der physischen Distanz bangen über 500 Münchnerinnen und Münchner auf den Krankenhausstationen um ihr Leben. Darunter sind 190 Menschen die in speziellen Corona-Intensivbetten um ihre Leben kämpfen. Genauer gesagt kämpft medizinisches Fachpersonal um deren Überleben. Ein Kampf, der in München schon in 52 Fällen verloren wurde. So viele Tote Münchnerinnen und Münchner sind bisher auf die durch das Corona-Virus hervorgerufene Erkrankung Covid-19 zurückzuführen. Verstorben sind vor allem Männer über 80 aber auch in der Altersgruppe 41-60 Jahre gab es insgesamt schon 5 Fälle. 4 Männer und 1 Frau.
Trotz der Trauer über die Verstorbenen und den Wiederanstieg der Zahlen: Es scheint sich zu lohnen, dass wir für unsere Nachbarinnen, Eltern, Freundinnen und Freunde, Großeltern und all die anderen Menschen mit denen wir in Kontakt kommen, tagtäglich die Regeln der Ausgangsbeschränkung beachten. Schließlich haben sich Fall-Zahlen anscheinend verlangsamt.
Dass in letzter Zeit deshalb über Lockerungen gesprochen wird, ist verständlich. Es darf aber nicht vergessen werden, dass dieses Virus sich in Windeseile verbreitet. Erinnern wir uns nur daran, dass ein Covid-19 Fall in einem Tourismus-Ort in Österreich scheinbar ausgereicht hat um einen Großteil Europas ebenfalls anzustecken. Bedeutet, auch wenn nur noch eine einzige Person auf der Welt Überträger des Virus ist und wir noch nicht resistent oder geimpft sind, droht eine schnelle Infektionswelle, die Zahlen könnten explodieren. Eventuell könnte dafür auch ein erkranktes Tier ausreichen, wie beispielsweise der Tiger, der sich im Bronx Zoo in New York vermutlich bei einem Pfleger angesteckt hat.
Insgesamt sieht es also nicht so gut aus für eine baldige Lockerung der Maßnahmen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Um Menschenleben zu schützen und das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren ist das nachzuvollziehen. Außerdem zeigt sich gerade auch, dass die neue Prämisse, nämlich, dass die Eindämmung der Pandemie Vorrang hat, einige unlösbare Probleme der Vergangenheit wenn nicht behebt, dann zumindest verbessert.
So hat Saudi-Arabien jetzt eine einseitige Waffenruhe im Jemen-Krieg erklärt. In diesem „vergessenen Krieg“ kämpfen seit ziemlich genau 5 Jahren ein von Saudi-Arabien geführtes Militärbündnis gegen die aus dem Iran unterstützen Huthi-Rebellen. In dieser halben Dekade ist das Land beinahe komplett zerstört worden, unter anderem mit in Deutschland produzierten Waffen und deutscher Militärtechnik. Jetzt, da der jemenitischen Bevölkerung zusätzlich zu den Versehrungen des Krieges, in dem über 12 000 Zivilisten und insgesamt über 91 000 Menschen den Tod gefunden haben, eine Covid-19 Katastrophe bevorsteht, zieht sich also Saudi Arabien zumindest für 2 Wochen aus dem Krieg zurück. Letztlich sind Kriegstreiber in Königshäusern auch nur Menschen, die sich vor dem Virus schützen wollen, indem sie sich auf ihre Palastinseln im Roten Meer zurückziehen und dort keine Ansteckungsgefahren durch militärische Notfallsitzungen haben wollen.
Zeitgleich erleben wir aber, dass die Friedensbewegung in aller Welt nicht untätig bleibt und die digitalen Mittel für die Ostermärsche genutzt hat. Während die Waffen schweigen lohnt es sich, wenn sich die Kriegsgegner zusammensetzen. So können wir zwei politische Parolen mit Leben füllen:
„Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“
und
„Eine andere Welt ist möglich“
Ziemlich sicher entsteht diese andere Welt durch Ideen die zwischen Webcams hin und her geschickt werden.
Also: weitermachen!