Neues aus der Maskenmanufaktur

ID 102088
 
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Einige Gedanken zum Schnutenpulli
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07:18 min, 10 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.05.2020 / 23:17

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Frauen/Lesben, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Serie: Objekt IV
Entstehung

AutorInnen: hikE
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 03.05.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Neues aus der Masken-Manufaktur.

Ich hab gestern meinen zweiten Schnutenpulli genaeht, natuerlich wieder in derber Handarbeit, weil's anders nicht durch 8 Lagen gefalteten Stoff durch geht. Diesmal habe ich auf der Innenseite einen ollen Stoffbeutel verwendet, und nur aussen meine olle Jogginghose. Dadurch fuehlt es sich so an, als waere das Ganze etwas leichter zu durchatmen, und der etwas steifere Stoff der Tuete zieht sich nicht beim Einatmen vor die Nasenloecher. Werde ich allerdings erst wissen, wenn ich das Ding einem Belastungstest ausgesetzt habe.

Mir ist selber klar, je leichter es sich atmet, desto weniger "Schutz" bietet es. Aber die Masken sind ja eh nicht dazu gedacht, mich zu schuetzen, sondern nur dazu, andere vor mir zu schuetzen. Das heisst, das ich keine Verpflichtung habe, unter so nem Teil zu ersticken.

Ich finde interessant, wie kreativ die Leute mit den blauen Papier Standards beim Aufsetzen umgehen. Die grandioseste Form war, sich das Ding mit dem metallenen Nasenbuegel-Streifen nach unten aufzusetzen, also sein Kinn damit dicht abzuschliessen.

Jedenfalls ist der Bus wieder rappelvoll und ich bin froh um jede Menge Abstand trotz Maskenpflicht.

In jedem Bus sass letzte Woche uebrigens ein maennlicher Typ (immer andere Personen), welcher keinen Schnutenpulli auf hatte; in zwei Faellen war das "begruendet" damit, dass aus der mitgefuehrten Dose getrunken werden musste.

Ein junger Mann war immerhin so peinlich beruehrt von einem lautstarken Gespraech zweier aelterer Frauen, dass er sich seine Jacke vors Gesicht zog.

Ich mein, ich weiss ja selber, dass es angesichts der verschiedenen zweckfremden Arten, wie die Dinger getragen werden, eher ein Signal ist. Da werden die Bier-Männer nicht die einzigen potenziellen Streulinge sein. Aber das Signal des kompletten IGNORE ist halt ein unsolidarisches. Muss mensch als solches lesen - und ich kann jetzt nach der Staatsgewalt quaeken, wie ich das in verunsicherten Zeiten gerne selber als Reflex habe, oder ich kann drueber nachdenken, was dieses "Flagge NICHT zeigen" bedeutet.

Ob das penetrantes maennliches Unsterblichkeitsgepose oder penetrantes maennliches Ichbinderking Gemackere ist, oder ob das anzeigt wie unsolidarisch und von oben herab diese Maßnahme empfunden wird, und die Anderen sind nur zu gut erzogen (und zu gut verunsichert), steht ja keinem ins Gesicht taetowiert.

Ich wollte ja auf meine Masken ursprünglich draufschreiben:
"I will not be your Death Breath".

Aber das hab ich bisher gelassen, weil die Leute mir dann zum Lesen zu nahe kommen muessten. Wichtiger als Maske ist nun mal Abstand. Und sich die Hände zu waschen bevor man sich ins eigene Gesicht fasst.

Und sehr, sehr, seeehr geil fand ich, dass die Banken nun von einem verlangen, dass mensch sich maskiert an die Automaten begibt.

Auch daran erkenne ich, dass das wirklich ein Ausnahmezustand ist. Denn, wann laesst sich der Kontrollfreak Staat, Bank, Polizei etc. schon mal freiwillig dazu bringen, den Gesichtern der ihm zugeordneten Verwaltungs- und Kontrollobjekte eine Anonymitaet zuzugestehen?

Wahrscheinlich haben die Banken Angst, dass das Desinfektionsmittel, welches sie zu einer Entschleierung zur Verfuegung stellen muessten, schneller geklaut ist als alles andere... und die paar alten haertnaeckigen Huehner, die noch echtes Geld picken, statt ihre Plastikkarte einem Einkaufsautomaten durch die Kimme zu ziehen, sind sowieso Fossilien.

Ich als so ein altes Huhn hab jedenfalls immer wieder interessante Gespraeche in Warteschlangen, uebrigens fast immer mit aelteren Frauen, ueber die interessanten Nebenerscheinungen dieser Zeit.

Wie zum Beispiel: gemeinsames, choreographiertes Rueckwaertsgehen der gesamten Einkaufswagenrasselbande im 2-Meter-Abstand (es fehlt nur das Meep Meep Meep. Und passende Tangomusik).

Aber mit Maske kannste ja in den Warteschlangen eh nur tiefenentspannt flachatmen, sonst kollabierste an Sauerstoffmangel, egal ob eingebildet oder echt.

Wir sind hier mit unserem freiheitlich-demokratischen 2-Meter-Einkaufswagen-Maskentheaterstueck noch relativ gut dran, aber Ruecksichtslosigkeit und Aggressionen ploppen schon wieder ueberall auf.

Meine Mutter erzaehlte mir gestern von einem "sportlichen" Fahrer, der es volle Kanuele durch eine Pfuetze machte, um eine Frau mit Kinderwagen zu duschen. Meine Mutter selbst war 3 Meter dahinter aufm Rad.

Und ich sah in der Unistrasse einen Radler mit Guy-Dingsda-Anonymity-Vollmaske auf einen Autofahrer direkt neben ihm einschimpfen (also das Schimpfen hoerte ich natuerlich nur, das konnte ich wegen der Maske selbst nicht sehen).

Wenn ich juenger waere (und ein vollkommen anderer, hochgradig reizbarer Typ), dann wuere ich auch wegen der ganzen Frustmomente auf die Randale-Bahn gehen. Da mich mein Leben aber frueh dran gewoehnt hat, dass ich als "Nur ein Maedchen" einen gewissen Grundfrust auszuhalten habe, gehen mir diese explodierenden maennlichen Exemplare lediglich doppelt auf den Sack, wo sie mir vorher schon einfach auf den Sack gegangen sind.

Klar sehe ich auch aggro Medels und tiefenentspannte Jungs, aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person laut ist und Regeln ignoriert, steigt beim Vorhandensein von Maennlichkeit. Weisser Maennlichkeit, uebrigens. Schwarze maennliche Personen machen hier am Bahnhof nicht _die_ Randale, auch wenn ich sie gelegentlich mal hoere. Das meiste bloede Geschrei und Geprolle traegt weisse Gesichter.

Ich bin mir auch durchaus klar, dass das ruhigere Verhalten an die gleichen Unterdrueckungsmechanismen gekoppelt ist, wie sie auch bei mir als "Nur ein Maedchen" wirksam sind. Diese Unterdrueckung aufzuheben, wuerde allerdings nicht zu mehr Entspannung fuehren, sondern zu anderen Formen der Unterdrueckung, weil diejenigen, welche oben stehen, da oben nicht weg wollen.

Und die, die da oben stehen und da nicht weg wollen, die wissen genau, warum. Denn die wollen keinesfalls freiwillig das erleben, was sie anderen die ganze Zeit antun.

Soweit meine Gedanken zum Thema Maskenpflicht.

Schicken guten Morgen!

Kommentare
04.05.2020 / 19:49 Magazin, coloRadio, Dresden
ccoloradio Dresden
Danke