Das social Distel-Ding – Nullrunde beim Mindestlohn und Kritiker mundtot machen

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Teil 35 der Kolumne aus dem social distancing - Die Angst vor dem endgültigen sozialen Abstieg ist vor allem in Zeiten einer sich anbahnenden umfassenden Wirtschaftskrise ein gutes Mittel sich Humankapital gefügig zu machen.
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Upload vom 20.05.2020 / 19:59

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 20.05.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Und es geht schon wieder los. Kaum, dass die Bundesliga wieder angelaufen ist und die Biergärten wieder geöffnet haben, glauben einige die neue Ablenkung nutzen zu können um den Kritikern des aktuellen Wirtschaftssystems und den durch dieses Geschwächten den Saft abzudrehen.
Die Nachrichten dazu gehen leider allzu schnell unter, vor allem da jedes social Distel-Ding in letzter Zeit wohl mehr Nachrichten konsumiert hat als es möchte und zugleich die wiedergewonnen Freiheiten und Ablenkungsmöglichkeiten locken. In dieser Zeit, noch dazu vor dem Vatertag und damit vor einem verlängertem Wochenende, kann der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen dann auch relativ gut eine Nullrunde beim Mindestlohn fordern. Zugleich ist dieser Termin auch perfekt geeignet das Totschlagargument „Linksextremismus“ an die wiedereröffneten Stammtische zum „Männertag“ zu tragen und dadurch emanzipatorische Gedanken im Keim zu ersticken.
Es wird eine weitere Scheindebatte eröffnet, die perfekt geeignet ist um die Kritik, die unweigerlich in Folge der unsozialen Maßnahmen zur Finanzierung der immer weiter aufblühenden Krise kommen muss, zu diskreditieren.
Aber langsam: Der Ökonom Lars Feld, der als Vorsitzende der sogenannten fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung regelmäßig wirtschaftliche Prognosen vorlegt und beratendes Mitglied der Mindestlohn Kommission ist, schlägt aktuell vor die gesetzliche Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2021 nicht auf 9,80 Euro anzuheben. Derzeit liegt sie bei 9,35 Euro.
Die Begründung? Zitat: „Gerade Branchen mit eher geringen Lohnniveaus sind von der Krise besonders erfasst worden.“ und „Wir haben eine Ausnahmesituation, der wir nicht mit business as usual begegnen können.“ Zitat ende.
Die Aussagen sind an sich richtig, nur die Schlussfolgerung nicht, die bei ihm lautet: Zitat „Meines Erachtens kann deshalb in dieser tiefen Rezession der Mindestlohn nicht weiter erhöht werden“ Zitat Ende
Es stimmt, dass gerade Branchen mit geringen Lohnniveaus, also der Einzelhandel, die Gastronomie und Dienstleister wie Friseur-Salons von der Krise und den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung besonders erfasst wurden. Es ist natürlich auch richtig, dass in Ausnahmesituationen ein einfaches weiter so nicht die richtige Antwort sein kann.
Allerdings ist es blanker Hohn, wenn jetzt diejenigen, die für ihren heldenhaften Einsatz beim Regale einräumen, an der Supermarktkasse sitzen, Essen ausliefern und Ernten, erst beklatscht wurden und jetzt nicht einmal 45 Cent mehr die Stunde verdienen sollen. Noch größer wird der Hohn, wenn Mensch, wie dieses social Distel-Ding, am Samstag durch München fährt und sieht wie sich lange Schlangen vor Luxus-Marken wie Louis Vuitton bilden.
Diejenigen, die sich vermutlich für 50 cent nicht bücken würden, wenn sie sie auf der Straße erblicken, und sich in die Schlange stellen um für tausende Euro Markenartikel und Statussymbole zu kaufen, sind bisher schließlich noch nicht berücksichtigt worden, wenn es um das finanzielle Schultern der Rezession geht. Aber diejenigen, die unter einer Wirtschaftskrise besonders leiden, deren Rücklagen langsam aufgebraucht sind und die dann vor dem Ruin und vielleicht gar der Obdachlosigkeit stehen, sollten im Anbetracht der Situation Verständnis für die Leiden ihrer Branche aufbringen. Wobei das nicht ganz richtig ist: Sie werden gar nicht gefragt.
Die Angst vor dem endgültigen sozialen Abstieg ist vor allem in Zeiten einer sich anbahnenden umfassenden Wirtschaftskrise ein gutes Mittel sich Humankapital gefügig zu machen.
Das betrifft zuerst die Menschen für die der Mindestlohn ein Segen ist, da sie so zumindest einen rechtlich verbrieften Anspruch haben, nicht noch geringer bezahlt zu werden. Mit dem Blick auf diese Menschen, die mit Mindestlohn niemals eine ausreichende Rente oder Planungssicherheit erreichen können, werden diejenigen die knapp mehr als den Mindestlohn erhalten, demütig gehalten. Statt des „american dream“ treibt in der Bundesrepublik viele das „german nightmare“ an immer weiter zu arbeiten - Altersarmut, Verdrängung, steigende Mieten, sozialer Abstieg.
Nicht vergessen wollen wir dabei auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem europäischen Ausland, die immer noch unter Mindestlohn bezahlt werden, ihre Pässe abgeben müssen und von den Arbeitgebern für Kost, Logis und Transport Lohnabzüge erhalten. Die angeblich systemrelevanten Spargelstecher sind dafür ein aktuelles Beispiel.
Dabei gilt eigentlich in der Wirtschaft eine einfache Regel: Menschen die kaum Geld haben, geben es direkt wieder in die Wirtschaft zurück. Bedeutet: Menschen die von der Hand in den Mund leben, werden vermutlich jeden Euro, den sie mehr haben auch ausgeben und damit Waren und Dienstleistungen in ihrer direkten Nachbarschaft kaufen. Menschen die viel haben, lassen ihr Geld hingegen auch mal liegen, legen es an oder kaufen damit eben überteuerte Luxusgüter, deren Lieferketten im Ausland häufig sogar weniger kontrolliert werden als die von Primark oder H&M.
Wenn also ein „business as usual“ nicht die Antwort auf die Ausnahmesituation sein kann, gilt das vor allem für die gewöhnliche Lösung von Krisen: „Betriebs-Schulden kollektivieren, Gewinne sichern, an die Aktionäre ausschütten und vor der Steuer retten.“
Was hingegen die neue Mär vom Linksextremismus angeht: In Berlin wird seit Dienstag die dortige Ortsgruppe der Anti-Kohle-Initiative „Ende Gelände“ im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. Die Klimabewegung sei ein Anschlusspunkt für „Linksextreme“ zum bürgerlichen Lager. Gleichzeitig wird jetzt, unter anderem aus Bayern, die neue Landesverfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern, Barbara Borchhardt, als Linksextremistin angegriffen. Die Mitgründerin der Plattform „Antikapitalistische Linke“ innerhalb der Partei „Die Linke“ weißt allerdings zurecht darauf hin, dass das Grundgesetz auch antikapitalistisch ausgelegt werden kann. Nur weil auch hier wieder der Verfassungsschutz die Plattform als „Linksextrem“ einstufe, heiße das nicht, dass sie sich nicht an die freiheitlich demokratische Grundordnung halte.
Das sind alles nicht sonderlich spannende Punkte, aber sie sollen das Thema „Linksextremismus“ eben wieder als Problem in Deutschland aufbauen. Kritiker*innen werden zu Extremisten erklärt und es gilt ja gemeinhin im Diskurs: „ob links oder rechts, extrem ist immer Scheiße.“ So werden Kritiker des weiteren Kohleverbrennens und der asozialen Auswüchse des Wirtschaftssystems mit Rassisten und Mördern gleichgestellt, weil der Verfassungsschutz mal wieder seine Definitionsmacht nutzt. Und ganz nebenbei wird so weniger über die rechten Umtriebe und unsozialen Maßnahmen gesprochen.
Da hilft nur gegenhalten. Maske auf und das Maul aufreißen.

Kommentare
21.05.2020 / 18:02 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 21.5.. Vielen Dank!