Die Außengrenzen im Inneren - Flughafenknast

ID 10574
 
Die Außengrenzen im Inneren
Der irakische Flüchtling Burhan Karim Z ist seit sieben Monaten im Flughafengewahrsam in München. Seit einer Woche befindet er sich im Hungerstreik, weil die Behörden ihn mürbe machen wollen.
Audio
10:53 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 08.11.2005 / 12:21

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Stephan Dünnwald
Kontakt: andraschn(at)web.de
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 08.11.2005
keine Linzenz
Skript
Nicht nur Melilla und Ceuta stehen für eine menschenverachtende Flüchtlingspolitik an der Außengrenze der europäischen Union. Die jüngsten Eklats an der spanischen Grenze lassen vergessen, dass insbesondere Deutschland eine Vorreiterrolle in der Abwehr von Flüchtlingen spielt. Bei der Verschärfung der Asylgesetze von 1993 wurde unter anderem ein sogenanntes Flughafenverfahren eingeführt, wo Flüchtlinge, die mit dem Flugzeug einreisen, ein Schnellverfahren durchlaufen, ohne dass sie offiziell als eingereist gelten.
Wird der Asylantrag abgelehnt, droht den Flüchtlingen die umgehende Abschiebung in das Herkunftsland. In der Praxis klappt diese umgehende Abschiebung jedoch nicht immer, so dass Flüchtlinge im Transit festsitzen. Sie können nicht abgeschoben werden, dürfen aber auch nicht einreisen. Es ist umstritten, wie lange so eine Situation dauern darf. Ein aktueller Fall aus München illustriert, dass die Behörden gern bereit sind, das Problem auszusitzen, sind es doch nicht sie selbst, die sitzen müssen.
Ein junger irakischer Kurde war im April am Flughafen München angekommen, sein Asyl war abgelehnt worden, auch der bei Gericht eingereichte Eilantrag war nicht erfolgreich. Zwei Mal war Burhan Karim Z schon in Stadelheim in Abschiebehaft, doch als eingereist gilt er noch immer nicht. Mit großem Aufwand versuchte die Bundespolizei, seine Abschiebung in den Irak durchzusetzen, sie flog mit ihm sogar nach Berlin zur irakischen Botschaft, die jedoch die Ausstellung von Papieren verweigerte. Ein Antrag auf Einreiseerlaubnis dümpelt beim Münchner Verwaltungsgericht seit zwei Monaten vor sich hin.
In seiner Verzweiflung griff Burhan Karim Z nun zum letzten Mittel: er begann in der vergangenen Woche einen Hungerstreik. Wir sprachen mit dem Anwalt des Irakers, Michael Sack aus München, über den Fall und die verbleibenden Möglichkeiten.

Sack 1 2’00’’

Selbst die Bundespolizei, wie sich der Bundesgrenzschutz jetzt nennt, sieht keine Möglichkeit, Burhan Karim Z. in absehbarer Zeit abschieben zu können. Am 18. August stellte das Bundespolizeiamt München, Inspektionsgruppe Flughafen München fest: Aufgrund des derzeitigen Sachstands sind weitere aussichtsreiche Passbeschaffungsmaßnahmen nicht möglich.“ Seitdem ist Burhan Karim Z wieder von Stadelheim zum Flughafen geschafft worden, wo er in der sogenannten Flughafenunterkunft sitzt, einem bewachten und umzäunten Gelände, das er nicht verlassen kann. Als Freiheitsentzug gilt diese Haft sinnigerweise nicht. Die Gerichte stellen sich auf den Standpunkt, dass der Kurde ja in sein Herkunftsland ausreisen kann. Dass er dazu, selbst wenn er wollte, einen Pass bräuchte, scheinen die Gerichte nicht zur Kenntnis zu nehmen. Also wird Burhan Karim Z weiterhin am Flughafen festgehalten.

Sack Flughafen 2 3’45’’

So ist Burhan Karim Z ein Beispiel dafür, dass in Deutschland jemand in Haft genommen werden kann, ohne dass er verhaftet ist, und monatelang sitzen kann, ohne dass die Rechtsprechung der Meinung ist, dass es sich um Freiheitsentzug handele. Außerdem ist der Fall ein Beispiel dafür, dass jemand am Flughafen gegenüber der Diskothek Nightflight untergebracht ist, mehrmals nach Stadelheim in Abschiebhaft überführt wurde, kürzlich zur Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht wurde, und trotz all dem eigentlich gar nicht eingereist ist. Ist Stadelheim jetzt München oder nicht? Wie weit kann dieses juristische Spiel getrieben werden, ohne dass hier jemand einschreitet?
Die Behörden werfen ihm vor, bei der Beschaffung seiner Heimreisepapiere nicht mitzuwirken, doch dieses Argument trägt nicht, so Rechtsanwalt Michael Sack:

Sack Flughafen 3 - 0’40’’

Der junge Iraker sieht nun außer einem Hungerstreik keine Möglichkeit mehr, aus seiner Situation zu entkommen. Er ist, einem Begriff nach, der in den achtziger Jahren geprägt wurde, ein Refugee in Orbit, nirgendwo gelandet, von allen nationalstaatlichen Grenzen abgewiesen.
Wenn es unglücklicht läuft, dann wird Burhan Karim Z den Flughafen in einem Sarg verlassen, und es wäre festzustellen, ob er bei seiner Beerdigung in München als eingereist gilt oder nicht.

Kommentare
16.11.2005 / 09:54 wolli, Radio Unerhört Marburg (RUM)
gesendet
im zip-fm vom 16.11.05