Das spekulative Ohr - Für Aaron Copland

ID 105996
 
Vor 30 Jahren, am 2. Dezember 1990, starb Aaron Copland.
Das spekulative Ohr erinnert an einen der bedeutendsten Komponisten der USA.
Audio
01:00:18 h, 108 MB, mp3
mp3, 250 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 18.12.2020 / 18:30

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Klassifizierung

Genre: Feature
Langue: deutsch
rubrique: Arbeitswelt, Musik, Schwul, Kultur
Series: Das Spekulative Ohr
Entstehung

Auteur: Das Spekulative Ohr
Radio: FSK, Hamburg im www
Date de production: 18.12.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Am 18. Januar 2009, begannen die Feierlichkeiten anlässlich der Amtseinführungen von Barack Obama und Joe Biden mit dem Konzert „We are the one“ am Lincoln Memorial. Das erste Musikstück des Abends war die „Fanfare to the common man“ von Aaron Copland, das auch schon 1992 anlässlich der Amtseinführung von Bill Clinton am Lincoln Memorial gespielt worden war. Der Dirigent Eugene Goossens hatte dieses Werk 1942 bei Copland in Auftrag gegeben. Goossens war zu dieser Zeit der Chefdirigent des Cincinatty Symphony Orchestra und hatte die Absicht während der Konzert-Saison 1942-43 jedem Konzert eine patriotische Fanfare voranzustellen, welche die Anstrengungen des Zweiten Weltkriegs würdigen sollten. Goosens gab insgesamt 18 Fanfaren in Auftrag – die „Fanfare to the common man“ von Aaron Copland ist die einzige, die Eingang in das Konzertrepertoire gefunden hat.
Der Auftraggeber der „Fanfare to the common man“, Eugene Goossens hatte ursprünglich Titel nahegelegt wie „“Fanfare für die Soldaten oder „Fanfare für die Piloten“ und reagierte erstaunt auf Coplands Titel „Fanfare to the common man“. Copland bezog sich mit seiner Titelgebung auf eine Rede des damaligen Vizepräsidenten Henry A. Wallace, der 1942 das „Century of the common man“ ausgerufen hatte. Es war die berühmteste Rede eines der größten Verfechters von Roosevelts New Deal und sie dürfte dem Denken Coplands in vielem entsprochen haben – wie viele andere Komponisten lehnte Copland es während der Großen Depression ab, Musik für ein kulturell elitäres Publikum zu schreiben und er begann ab Mitte der Dreißiger Jahre seinen Kompositionsstil zu verändern, wobei er amerikanische Folklore in seine Werke miteinbezog und in seinen eigenen Worten: he wanted to see if he couldn't say what he had to say in the simplest possible terms

Aaron Copland wurde am 19. November 1900 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus Litauen, die in New York als Betreiber eines Warenhauses zu Wohlstand gekommen waren – den ursprünglichen Namen der Familie „Kaplan“ hatte sein Vater nach der Überfahrt in die Vereinigten Staaten in „Copland“ abgeändert. Coplands Mutter, die selbst sang und Klavier spielte, organisierte Musikunterricht für ihre Kinder. Im Alter von 13 Jahren erhielt Aaron Copland professionellen Klavierunterricht, vier Jahre später kam Unterricht in Komposition hinzu.
Entscheidend für sein künstlerisches Leben wurde ein Aufenthalt in Paris von 1921 bis 1924, wo er unter anderem bei Nadia Boulanger studierte und sich gründlich mit der Musik seiner Zeit vertraut machte. Größte Bewunderung hegte Copland außerdem für Igor Strawinsky, dessen Schaffen ihn stark beeinflusste.
In Coplands Werk verbinden sich Einflüsse jüdischer Musik über anglo- und lateinamerikanische Volksmusik bis zum Jazz mit der Europäischen Tradition der Avantgarde, was ihn in dieser Vielfalt zu einem zentralen Exponenten der amerikanischen Musik macht. Die verschiedenen Aspekte seines Schaffens sind dabei nicht voneinander getrennt, sondern durchdringen sich. Auch seine entschieden der Neuen Musik zugewandten Werke sind klar und verständlich, wenn man sich auf ihre Klangsprache einlässt. Umgekehrt entbehren seine populären Stücke wie „Appalachian Spring“ keineswegs der inneren Folgerichtigkeit und sind mit großer motivischer Ökonomie gestaltet, wobei Copland auch in diese Kompositionen Elemente der Neuen Musik aufnimmt.

Aufgrund seiner linken Ansichten stand Copland in den 50er Jahren während der McCarthy-Ära unter der Beobachtung des FBI und mit 151 anderen US-Künstlern, die verdächtigt wurden, kommunistische Verbindungen zu haben, auf einer schwarzen Liste. Konkret vorgeworfen wurde ihm seine Befürwortung der Teilnahme der Kommunistischen Partei USA an den Präsidentschaftswahlen von 1936 und seine entschiedene Unterstützung des Kandidaten der Fortschrittspartei Henry A. Wallace während der Wahlen von 1948. Dies bildet den Hintergrund dafür, dass Coplands Werk „A Lincoln Portrait“ 1953 anlässlich der Amtseinführung von Präsident Eisenhower nicht wie ursprünglich geplant zur Aufführung kam.
Das 1942 uraufgeführte „A Lincoln Portrait“ ist eines der beliebtesten Stücke von Copland. Wenige Wochen nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour hatte der Dirigent Andre Kostelanetz ein Programm mit drei neuen Werken amerikanischer Komponisten in Auftrag gegeben, wo „in einer gemeinsamen Idee eine musikalische Galerie großer Amerikaner“ repräsentiert werden sollte. Copland schlug für seinen Beitrag zuerst ein Porträt des Autoren Walt Whitman vor. Da aber ein anderer beteiligter Komponist sich bereits für Mark Twain entschieden hatte, und Kostelanetz bei drei Portäts nicht zwei Schriftsteller dabei haben wollte, wandte sich Copland Abraham Lincoln zu.
Auf Whitman und Lincoln fiel seine Wahl nicht zufällig, beherrschten diese beiden doch die geschichtliche Vorstellungen der Linken — gleichermaßen bei den Kommunisten, Demokraten oder der Volksfront. Beide Männer standen für eine Verbindung der Vergangenheit mit den zeitgenössischen und demokratischen Werten. Beide wurden mit dem Bürgerkrieg, gegen die Sklaverei und für den Erhalt der Union, verbunden.
Copland wählte Auszüge aus Reden und Ansprachen von Abraham Lincoln für sein Werk aus. Enthalten sind einige der berühmtesten Zitate des Staatsmanns. Copland gab der Hoffnung Ausdruck, etwas von dem mysteriösen Gefühl des Todes anzudeuten vermocht zu haben, das Lincolns Persönlichkeit umgebe. Die Herausforderung habe für ihn darin bestanden, etwas Einfaches zu komponieren, jedoch interessant genug, um Lincoln angemessen zu sein. Das Stück wurde bei vielen wichtigen Gelegenheiten und mit unzähligen Erzählern aufgeführt, darunter Eleanor Roosevelt, Katharine Hepburn, Henry Fonda, Neil Armstrong einigen amerikanischen ex-Präsidenten und auch von Copland selbst.

Die 3. Sinfonie von Aaron Copland war ein Auftragswerk der Koussevitzky Foundation und wurde am 18. Oktober 1946 von Sergei Koussevitzky mit dem Boston Symphony Orchestra in der Boston Symphony Hall uraufgeführt. Die europäische Premiere leitete Leonard Bernstein 1947 in Prag. Beide Dirigenten waren begeistert von dem Werk, das sie als „großartigste amerikanische Sinfonie, die jemals geschrieben wurde“ und als „amerikanisches Monument“ bezeichneten. Dennoch empfahlen sie einige Kürzungen, auf die sich der Komponist dann schweren Herzens einließ.
Copland griff bei der Komposition zwar auf früheres thematisches Material zurück, legte aber Wert darauf, dass er, zumindest bewusst, keine Elemente aus der traditionellen oder der populären Musik verwendet hat. Er sah sich zu Unrecht als „Folklorist“ und „Hoflieferant der Amerikana“ katalogisiert. Unabhängig davon ist das Werk stark vom Optimismus und Patriotismus der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt.

In den 1950er und 60er Jahren fügte Copland seinem Schaffen eine weitere Facette hinzu und schuf mehrere sperrige Werke, in denen er auf originelle und undogmatische Weise Gebrauch von der Zwölftonmethode machte. Mit beinahe 60 Jahren nahm Copland noch eine Dirigentenkarriere auf, in der zwar das eigene Schaffen im Mittelpunkt stand, die aber keineswegs auf dieses beschränkt war. 1973 gab Copland, der mit zunehmenden Gesundheitsproblemen zu kämpfen hatte, das Komponieren auf, dirigierte aber noch bis 1983. Er starb am 2. Dezember 1990.

Zum Abschluss hören wir den Komponisten noch einmal selbst als musikalischen Leiter des Boston Symphony Orchestra mit dem Finale „The Promise of Living“ aus seiner Oper „The Tender Land“, die vom Leben einer Farmerfamilie im Mittelwesten der USA erzählt und zu der Copland inspiriert wurde, nachdem er Fotografien von Walker Evans gesehen hatte. Walker Evans war ein Fotograf und Fotojournalist, der die Folgen der Großen Depression in den ländlichen Bereichen der USA dokumentierte. Evans wurde dazu von der Farm Security Administration beauftragt – einer Behörde des New Deal, welche die ländliche Armut bekämpfen sollte.