"Modernisierung" à la Beznau | Pfusch erst nach fast 30 Jahren entdeckt

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Reaktor I des Schweizer AKW Beznau ist bereits über 52 Jahre in Betrieb und damit der älteste weltweit. Von manchen Atomkraft-GegnerInnen wird das AKW polemisch als "Technikmuseum" bezeichnet. Der Betreiber Axpo hingegen versicherte über all die Jahre immer wieder, das Atomkraftwerk mit Modernisierungs-Maßnahmen auf dem "neuesten technischen Stand" gehalten zu haben. Nun wurde publik, daß Pfusch an einer sicherheitsrelevanten Modenisierung fast 30 Jahre lang nicht entdeckt worden war.
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Upload vom 23.02.2021 / 09:58

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Serie: restrisiko
Entstehung

AutorInnen: Klaus Schramm
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 22.02.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
"Modernisierung" à la Beznau | Pfusch erst nach fast 30 Jahren entdeckt

Reaktor I des Schweizer AKW Beznau ist bereits über 52 Jahre in Betrieb und damit der älteste weltweit. Von manchen Atomkraft-GegnerInnen wird das AKW polemisch als "Technikmuseum" bezeichnet. Der Betreiber Axpo hingegen versicherte über all die Jahre immer wieder, das Atomkraftwerk mit Modernisierungs-Maßnahmen auf dem "neuesten technischen Stand" gehalten zu haben. Nun wurde publik, daß Pfusch an einer sicherheitsrelevanten Modenisierung fast 30 Jahre lang nicht entdeckt worden war.

Bei zwei Notstrom-Diesel-Aggregaten des AKW Beznau fehlte bis vor Kurzem ein wichtiger Schutz gegen Erdbeben. Bei ihrer Installation wurden die sogenannten Schockabsorber nicht eingebaut. Was geschehen kann, wenn im Fall eines Ausfalles des primären Kühlsystems auch die Notstrom-Diesel versagen, ist spätestens seit dem dreifachen Super-GAU von Fukushima bekannt.

Laut Angaben des Schweizer Strom-Konzerns und AKW-Betreibers Axpo wurden im AKW Beznau die Notstrom-Diesel-Aggregate 1992 und 1993 - also nach über 20 Jahren Betrieb - nachgerüstet. "Weshalb die Schockabsorber nicht eingebaut wurden, ist aus heutiger Sicht unklar", sagte Axpo-Sprecher Antonio Sommavilla. Unverfroren heißt es zugleich von Axpo, der Schutz der Anlage sei dennoch sichergestellt gewesen.

Und ebenso nonchalant reagierte Marc Kenzelmann, Direktor der Schweizer Atomaufsicht ENSI: "Wir müssen stets wachsam bleiben." Dabei ist offensichtlich, daß auch die Atomaufsicht all die Jahre versagt hat. Denn immer wieder hat ENSI dem AKW Beznau in den vergangenen 30 Jahren bescheinigt, sicher zu sein.

Dies darf zudem kaum verwundern, denn seit Jahren ist bekannt, daß das ENSI nicht unabhängig ist. Eine kuriose Intervention des ENSI ereignete sich im Jahr 2016 - kurz bevor über das Volksbegehren abgestimmt wurde, mit dem die Laufzeit der Schweizer Atomkraftwerke auf maximal 45 Jahre begrenzt werden sollte. Bei einem Erfolg diesesVolksbegehrens hätte das AKW Beznau - als erstes der Schweizer Atomkraftwerke – sofortstillgelegt werden müssen.

Schon vier Jahre zuvor, 2012, nachdem das englische Atomkraftwerk Oldbury (Jahrgang 1967) seinen Betrieb eingestellt hatte, ging der Titel des ältesten Meilers der Welt in die Schweiz: an Beznau I. Doch dieser Titel war für die Atom-Lobby in Hinblick auf das Volksbegehren wenig werbewirksam. Und so entschloß sich das ENSI, die Daten der Inbetriebnahme zu manipulieren. Prompt übernahm die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA die Angaben des ENSI und rückte Beznau I auf Platz 5 der weltältesten Atom-Reaktoren. Nebenbei: Auch die in den Mainstream-Medien häufig verwendete Bezeichnung, bei der IAEA handele es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen, ist falsch. Die IAEA ist schon allein aufgrund ihrer Satzung nicht neutral und real seit ihrer Gründung eine Lobby-Organisation der Atom-Konzerne.

Leider verpaßte es die Schweizer Anti-AKW-Bewegung im Jahr 2016, auf die Manipulation hinzuweisen und verzichtete darauf, Beznau als weltweit ältesten Atom-Reaktor zu bezeichnen. Und so entschied eine Mehrheit im November 2016, es bei dem 2011 von der Regierung versprochenen "Atomausstieg" zu belassen. 54,2 Prozent der SchweizerInnen sagten "Nein" zu der auch inhaltlich inkonsistenten Forderung der Ausstiegs-Initiative.

Auch die personellen Verflechtungen des ENSI mit der Schweizer Atom-Lobby sprechen eine deutliche Sprache: Martin Zimmermann war bis Ende Juni 2020 Präsident des ENSI-Rates und mußte wegen öffentlichen Vorwürfen hinsichtlich seine Lobby-Tätigkeit zurücktreten. Im Dezember 2014 warb Zimmermann in einem Beitrag der SRF-Sendung '10 vor 10' für die Erforschung von Atom-Reaktoren der vierten Generation. Zu dieser Zeit war Zimmermann Chef des Bereichs 'Nukleare Energie und Sicherheit' des Paul-Scherrer-Instituts (PSI). Im März 2017 wurde Zimmermann vom Bundesrat in den ENSI-Rat gewählt, die Oberaufsicht des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI). Im September 2019 stieg er zum Vize-Präsidenten auf und ab 1. Januar 2020 war er Präsident des ENSI-Rats und damit der oberste Aufseher über die Atomkraftwerke der Schweiz sowie über die Atomanlagen des PSI und über die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra).

Zimmermann war vor 2017 jahrelang Mitglied der Atomlobby und er blieb weiterhin Mitglied des Nuklearforums (NF) und der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute (SGK) als er 2017 in den ENSI-Rat gewählt wurde und 2019 zum Vize-Präsidenten des ENSI-Rats. Das Nuklearforum, dessen Geschäftsstelle bis Ende 2016 von der berüchtigten PR-Firma Burson Marsteller geführt wurde, gilt als Sprachrohr der Atom-Lobby. Vor seiner Wahl in den ENSI-Rat war Zimmermann nicht nur Mitglied des Nuklearforums, sondern engagierte sich auch als Mitglied der 'Kommission für Information' des Nuklearforums, die den Vorstand und die Geschäftsstelle in "Fragen der Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit" berät, wie es auf dessen Internet-Seite heißt.

Laut der Mitgliederliste dieser Kommission (Stand März 2015 und März 2016) saß Zimmermann dort mit all jenen Atom-LobbyistInnen zusammen, über deren Atomanlagen er seit März 2017 die Oberaufsicht wahrzunehmen hatte, nämlich mit den Vertretern der Atomkraftwerke von Gösgen und Leibstadt, den Vertretern der Atomkraftwerk-Aktionäre Axpo, Alpiq und BKW, dem Vertreter der Nagra sowie den Vertretern der Swissnuclear und des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE).

Auch schon Peter Hufschmied, Vorgänger von Martin Zimmermann als Präsident des ENSI-Rates, mußte im Jahr 2011 zurücktreten, weil seine Unabhängigkeit in den Schweizer Medien in Zweifel gezogen worden war. So wurden etwa Protokolle von ENSI-Sitzungen vor deren Veröffentlichung von Vertretern der Schweizer Atom-Lobby "korrigiert", wobei auch Aussagen von anderen Sitzungs-TeilnehmerInnen verfälscht wurden.

In der Schweiz lautet die aktuelle Variante des Atomausstiegs-Versprechens derzeit: In rund neun Jahren - also 2029 oder 2030 - werde das AKW Beznau stillgelegt, 2035 dann auch die beiden AKW Gösgen und Leibstadt. Auch bei diesen vier Reaktoren dürften - bei den derzeitigen politischen Kräfteverhältnissen - am Ende rein wirtschaftliche Erwägungen wie bei der Stilllegung des Schweizer AKW Mühleberg am 20. Dezember 2019 für den Stilllegungs-Zeitpunkt entscheidend sein.

Ein Super-GAU im AKW Beznau würde - je nach Windverhältnissen - nicht nur die Schweiz, sondern auch große Teile Baden-Württembergs für Jahrzehnte in eine Todeszone verwandeln.