Reserve im Heimatschutz - Auszüge einer Analyse der Informationsstelle Militarisierung Tübingen

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Die Bundeswehr bildet Reservisten aus für den "Heimatschutz". Bereits der Begriff stößt auf Widerstand in antimilitaristischen und antifaschistischen Kreisen. Wie der Heimatschutz derzeit eingeführt wird, welche Hoffnungen die Bundeswehr damit verbindet und welche Ungleichstellung zivile Freiwilligendienste durch die Einführung des "Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz" bewirkt fasst diese Studie zusammen.
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Upload vom 16.05.2021 / 11:19

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: AKR Antikriegsradio im Querfunk
Entstehung

AutorInnen: Antikiegsradio im Querfunk Karlsruhe
Kontakt: antikriegsradio_R(at)querfunk.de
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 16.05.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Quelle: https://www.imi-online.de/2021/05/12/res... - Auszüge

Reserve für die Heimatfront
Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Auf einer Pressekonferenz am 6. April 2021 verkündete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer feierlich den Start des neuen „Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz“ mit dem zusätzlichen Werbeslogan „Dein Jahr für Deutschland“. In diesem Kontext ließ sie verlautbaren: „Heimat ist für mich und für viele andere Menschen in Deutschland mehr als nur ein Ort, es ist ein Gefühl, etwas was man im Herzen trägt“.[1] Die militärische Perspektive ist deutlich nüchterner. In einem nicht zufällig im selben Monat auf dem Youtube-Kanal der Bundeswehr veröffentlichten Video mit Filmausschnitten einer Heimatschutzübung der Bundeswehr von 1976 heißt es: “Heimat, das bedeutet nicht nur Freunde, Familie, die Landschaft, in der man aufgewachsen ist. Heimat, das sind auch Fabriken, Nachrichtenanlagen, Straßen, Brücken – kurz all das, was man mit dem neudeutschen Wort Infrastruktur bezeichnet“.[2]

So soll auch die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr nicht primär Gefühle, Landschaften, Freund*innen und Familie, sondern eben diese kriegswichtige Produktions-, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur im Kriegsfall schützen.

In Skandinavien, den baltischen Staaten und in Polen wurden die Heimwehren, Nationalgarden und Territorialverteidigungseinheiten im Zuge der Aufrüstungspolitik der letzten Jahre längst reaktiviert oder aufgestockt. Reservist*innen üben die Sicherung von Infrastruktur und Verkehrswegen, um im Fall der Fälle den Kampftruppen auf ihrem Weg zur Front den Rücken freihalten zu können.

Seit Anfang April 2021 sind auch bei der Bundeswehr wieder Rekrut*innen in die Kasernen eingerückt, um sich explizit für den Reservedienst im Heimatschutz ausbilden zu lassen. Vorerst als einjähriges Pilotprojekt soll mit dem Freiwilligen Wehrdienst (FWD) im Heimatschutz das Personal gewonnen werden, um eine neue Heimatschutztruppe aufzubauen.

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Der neue Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz ist formal auf ein Jahr ausgelegt und besteht aus sieben Monaten Ausbildung in der aktiven Truppe und fünf Monaten Reservedienst – die allerdings über sechs Jahre verteilt werden. Im Gegensatz zum bisherigen Freiwilligen Wehrdienst, der neun bis einundzwanzig Monate dauert, nach der Grundausbildung in der aktiven Truppe stattfindet und Auslandseinsätze mit einschließen kann, dient der Heimatschutzdienst in der ersten Phase ausschließlich als Ausbildung für den späteren Reservedienst.

Zum Beginn der sieben Monate Ausbildung in der aktiven Truppe durchlaufen die Heimatschutzrekrut*innen die dreimonatige Grundausbildung gemeinsam mit angehenden Zeit- und Berufssoldat*innen. Danach trennen sich die Wege. Während die angehenden Soldat*innen in ihrer Spezialgrundausbildung auf den späteren Dienst auf einem Schiff, in einem Panzer, an einem Flugzeug oder in einem Krankenhaus vorbereitet werden, dreht sich bei den künftigen Reservist*innen alles um Heimatschutz. In drei eigens kurzfristig eingerichteten Ausbildungsstützpunkten in Wildflecken, Berlin und Delmenhorst werden die Rekrut*innen für den Objektschutz sowie in den Bereichen Sanitätsdienst, ABC-Abwehr und Brandschutz geschult.[3] Darin inbegriffen ist die Ausbildung an Infanteriewaffen wie Pistole, Sturmgewehr und Panzerfaust. In einem letzten Ausbildungsabschnitt im siebten Monat lernen die angehenden Heimatschützer*innen unter Aufsicht des zuständigen Landeskommandos die lokalen Gegebenheiten und die Heimatschutzkompanie kennen, in der sie später als Reservist*in zugeteilt werden. Nach sieben Monaten verlassen sie die Kasernen und kehren als frisch ausgebildete Reservist*innen ins Zivilleben zurück. Für die folgenden sechs Jahre haben sie sich allerdings verpflichtet, insgesamt mindestens fünf Monate für kleinere Übungen und Einsätze in der Heimatschutztruppe zur Verfügung zu stehen.[4] Bis April 2022 sollen insgesamt 1.000 angehende Heimatschützer*innen dieses Programm durchlaufen haben. Die Ergebnisse werden dann ausgewertet und für künftige Ausbildungsjahrgänge weiter angepasst.

Ein Schnupperkurs bei der Bundeswehr

Seit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 kämpft die Bundeswehr mit Rekrutierungsproblemen. So sanken auch die Zahlen der freiwillig Wehrdienstleistenden über die Jahre. Während 2013 noch rund 12.000 Freiwillige ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr ableisteten, sank diese Zahl auf rund 9.000 in 2020. Damit blieben gut ein Viertel der im Bundeshaushalt vorgesehenen und finanzierten 12.500 Stellen[5] unbesetzt. Die Einführung des neuen FWD im Heimatschutz erfüllt daher mindestens eine Doppelfunktion für die Bundeswehr. Offensichtlich geht es darum, neues Personal für die Reserve-Heimatschutztruppe zu gewinnen. Zudem gilt der FWD auch als Schnupperkurs für diejenigen, die sich aufgrund der hohen Einstiegshürden nicht gleich für Jahre und Jahrzehnte verpflichten wollen, der Idee aber nicht grundsätzlich nicht abgeneigt sind. Laut dem scheidenden Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber, handelt es sich um den Versuch, eine spezifische Gruppe Jugendlicher zu erreichen, die ein generelles Interesse an der Bundeswehr haben, sich aber von längeren Verpflichtungszeiten, Dienstorten fern des Wohnortes und der Option, in Auslandseinsätze geschickt zu werden, abschrecken lassen. Eben diese Gruppe, die es wohl häufiger bis ins Karrierecenter der Bundeswehr schafft, dann aber für keine der bisherigen Optionen zu gewinnen war, soll jetzt erreicht werden.[6]

Massive Kritik an eben dieser Rekrutierungspolitik kommt von den Sozialverbänden. So meldeten sich im Sommer 2020 die Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt zu Wort und bezeichneten das Missverhältnis von Finanzierung und Werbung für den Bundeswehrdienst und die zivilen Freiwilligendienste als „große Ungerechtigkeit“.[7] Während die zivilen Freiwilligendienste mit 130 bis 411 Euro Taschengeld und kaum Ressourcen für Aus- und Fortbildung als massiv unterfinanziert gelten, wird den freiwillig Wehrdienstleistenden im Heimatschutz mit 1.550 Euro Sold und freien Bahnfahrten der Dienst vergoldet – Budget für Werbekampagnen, Aus- und Fortbildung nicht einberechnet.

“Wo ist die Wertschätzung für die Arbeit, die unsere Freiwilligen im sozialen und ökologischen Bereich leisten?“ fragt Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und veranschaulicht die ungleiche Behandlung mit einem Beispiel: „Menschen, die freiwillig in der Pflege, Alten- oder Behindertenhilfe arbeiten, bekommen nicht mal ihr S-Bahn-Ticket ersetzt”.

Grundlegende Kritik an der Verwendung der Bezeichnung als Freiwilligendienst kam von Caritas und Arbeiterwohlfahrt. So kritisierte Caritas-Chef Peter Neher: „Die Bundeswehr sollte es als das bezeichnen, was es ist: Es ist eine Art Schnupperkurs für die Bundeswehr. Freiwilligendienste sind das Vorrecht der Zivilgesellschaft und nicht des Staates.“[8]

Heimatschutz: zwischen konservativem Populismus und Rechtsterrorismus

Ebenfalls bereits im Sommer 2020 wurde Kritik aus der Partei Die Linke am neuen Heimatschutzdienst laut. Neben der Ablehnung der Rekrutierung Minderjähriger – unter den ersten 1.800 Bewerber*innen war fast ein Viertel unter 18 Jahre alt – nahm die Kritik der Linken den Begriff Heimatschutz und dessen Implikationen in den Blick.

Der damalige Vorsitzende der Partei, Riexinger, kritisierte etwa gegenüber dem Spiegel: „Faschisten verwenden ihn seit je her gern für Nazi-Kameradschaften, ‚Bürgerwehren‘ und paramilitärische Einheiten. Ich erinnere nur an den ‚Thüringer Heimatschutz‘, der auch die NSU-Terroristen hervorgebracht hat“.[9] Der verteidigungspolitischen Sprecher der Linken, Tobias Pflüger, ging weiter darauf ein, wer von Begriffen wie Heimatschutz und Dienst für Deutschland angezogen wird: „Mit dieser Wortwahl riskiert die Bundeswehr, speziell rechte Kreise anzuziehen. Zumal gerade für rechte Kreise eine Ausbildung an der Waffe attraktiv ist. Der neue Dienst darf nicht dazu führen, dass nun noch mehr rechtslastige Akteure an scharfen Waffen ausgebildet werden.”[10]

Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Militärgeheimdienst MAD 1.200 Reservist*innen als „Rechtsextremisten“ eingestuft hat. Dieser Gruppe wird jetzt der Dienst an der Waffe und das Tragen der Uniform und damit die Teilnahme an Reserveübungen verboten.[11]


Anmerkungen

[1] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz – Neuer freiwilliger Wehrdienst gestartet, 06.04.2021, bmvg.de.

[2] Bundeswehr: CLASSIX – Übung der Heimatschutztruppe (1976), 30.04.2021, youtube.com.

[3] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer zum neuen Freiwilligen Wehrdienst am 06.04.21, youtube.com.

[4] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland – Zum Start des neuen Freiwilligen Wehrdienstes, Broschüre, März 2021, bundeswehr.de.

[5] Bundesfinanzministerium: Bundeshaushaltsplan 2021 – Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung, Seite 21, bundeshaushalt.de.

[6] Phoenix: „Dein Jahr für Deutschland“ – AKK stellt neuen Bundeswehr-Freiwilligendienst vor, 23. Juli 2021, youtube.com.

[7] Redaktionsnetzwerk Deutschland: Wohlfahrtsverbände kritisieren Kramp-Karrenbauers neuen Wehrdienst, 23.07.2020, rnd.de.

[8] Deutschlandfunk: Der neue Freiwilligendienst im Heimatschutz, 06.04.2021, deutschlandfunk.de.

[9] Spiegel: Linke kritisiert „Heimatschutz“-Begriff für neuen Freiwilligendienst, 20.07.2020, spiegel.de.

[10] Die Linke im Bundestag: Die Bundeswehr schwächt zivile Freiwilligendienste – Pressemitteilung von Tobias Pflüger, 06.04.2021, linksfraktion.de.

[11] Focus: Bundeswehr-Geheimdienst suft 1200 Reservisten als rechtsradikal ein, 08.05.2021, focus.de.

Kommentare
19.05.2021 / 09:52 sabine und flo, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet im Mi-Mora
danke
 
20.05.2021 / 08:20 Konrad, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet in P12
12:10 Uhr an Mittwoch danke