Ein-Euro-Jobs: Disziplinierung und pädagogischer Duktus für arbeitende Arbeitslose

ID 11025
 
Kommentar zu sog. "Ein-Euro-Jobs" (teilweise nach einer Vorlage der Erfurter "Gruppe p83")
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mp3, 131 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 25.12.2005 / 18:23

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Politik/Info
Serie: Besser Leben! Das arbeitskritische Magazin
Entstehung

AutorInnen: Peter Bußfeld
Radio: BL-Münster, Münster im www
Produktionsdatum: 10.04.2005
keine Linzenz
Skript
EIN-EURO-JOBS: DISZIPLINIERUNG UND PÄDAGOGISCHER DUKTUS FÜR ARBEITENDE ARBEITSLOSE


Hartz IV sieht vor, dass Empfängerinnen und Empfänger des "Arbeitslosengeld II" in sog. "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" (vulgo "Ein-Euro-Jobs") beschäftigt werden können. Das Gesetz empfiehlt eine Vergütung von ein bis zwei Euro in der Stunde. In Münster werden ein Euro und fünfzig Cent gezahlt. Weitere Zahlungen - z. B. für Fahrtkosten und andere Ausgaben - werden nicht geleistet. Durch die Gesetzesänderung werden die bisherigen Möglichkeiten des Sozialhilferechts auf Arbeitslose ausgeweitet. Jeder Job, der nicht unter die Rubrik "sittenwidrig" fällt, muss angenommen werden, sonst drohen Leistungskürzungen. Allein eine sog. "Arbeitsmarktneutralität" soll laut Gesetz gewährleistet bleiben. Offziell sind lediglich "zusätzliche" Tätigkeiten erlaubt. "Wir wollen die Menschen wieder an einen geregelten Arbeitsalltag heranführen", hören wir dazu aus den Arbeitsagenturen, denn - so heißt es - "Menschen, die lange nicht mehr gearbeitet haben, müssen Dinge wie Pünktlichkeit und Verantwortung im Job erst wieder lernen." Von Seiten der staatlichen Elendsverwaltung liegt also ein pädagogisches Anliegen vor: Arbeitslosen wird nicht zugestanden, Verantwortung für ihre eigenen Handlungen zu übernehmen und so sind sie zur Pünktlichkeit zu erziehen.

Den Menschen musste die Fabrikdisziplin in einem langen historischen Prozess erst eingebleut werden, damit sie nicht über die Stränge schlagen. Die Zurichtung zur Arbeit begann in den Arbeitshaus-Knästen mit sinnlosen Schuftereien wie Steineklopfen und Wasser schöpfen - produktiv nur für die Arbeitsdisziplinierung der Eingekerkerten. Mit der kapitalistischen Erfolgsstory wurden mehr und mehr Tätigkeiten zur "Arbeit", die in welcher Form auch immer gegen Geld verrichtet wird, und die Disziplinierung konnte mit produktiven Arbeitsformen verbunden werden: am Fließband und im Büro.

Heute erleben wir, wie der kapitalistischen, also der Arbeits-Gesellschaft die Arbeit ausgeht. Trotzdem oder gerade deswegen muss und soll die Arbeitsdisziplin aufrecht erhalten werden.

"Arbeitssimulation" also ...

Mit Hartz IV wird deutlich, wie treffend diese Bezeichnung ist.

Sicherlich wollen Menschen Dinge tun, die sie für sinnvoll halten. Natürlich brauchen Menschen im Kapitalismus Geld, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Beides ist nicht gegeben, wenn sie für einen Hungerlohn Laub im Park zusammenhäufen sollen, damit der Wind es wieder verweht. Es bleibt also zu erklären, wieso eine Revolte ausbleibt, wenn Arbeitslose derart an der Nase herumgeführt werden. Eine Antwort ist, dass die Arbeitsdisziplin sich derweil so tief in die Köpfe und Körper der Subjekte eingebrannt hat, dass die Betroffenen selbst verlautbaren, dass sie ohne Beschäftigungstherapie vor die Hunde gehen würden. Mit der Aufrechterhaltung dieser mächtigen Überzeugung ist eine gigantische Bewusstseinsindustrie sowie ein Heer von Sozialtechnologen und Sozialpädagoginnen beschäftigt.

Weiter würde die Erkenntnis, dass es sich bei Ein-Euro-Jobs um entwürdigende Beschäftigungstherapie handelt, ganz subjektiv die Frage aufwerfen, wie es denn mit anderen Arbeitsgelegenheiten aussieht: Hatte die letzte sog. "Strukturanpassungsmaßnahme" Sinn? War die "ABM" je mehr als eine "Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme" im wahrsten Sinne des Wortes? Sind gar die meisten "Normalarbeitsverhältnisse" nur insoweit sinnvoll, als dass sie einen Götzendienst an der Herrschaft des Wertes darstellen? Lautet die Antwort "Ja", dann stellt diese Erkenntnis die Grundlagen des arbeitsgesellschaftlichen Selbstverständnisses in Frage. Der Glaube an den Sinn von Ein-Euro-Jobs funktioniert so gesehen auch als Bollwerk gegen den beängstigenden Zusammenbruch eines Weltbildes.

Inzwischen arbeiten Ein-Euro-Jobberinnen und -Jobber vielfach auch an Universitäten: Sie pflegen die Buchbestände, sie organisieren Konferenzen und assistieren Professoren. Im Münsteraner Sozial-Klüngel werden derweil sozialpädagogische Jobs gleichfalls auf Ein-Euro-Basis vergeben. Ganz so sinnlos und arbeitsmarktneutral, wie die "Beschäftigungsgelegenheiten" sein sollen, sind sie augenscheinlich also nicht.

Neben dem beschriebenen Komplex der Disziplinierung entwickelt sich eine neue Schicht prekär beschäftigter Menschen, die zwar eine hoch qualifizierte Arbeit haben, die aber trotzdem nicht ernsthaft entlohnt werden. Angenommen werden die Jobs oft als Alternative zu und aus Angst vor den geschilderten Sinnlos-Maßnahmen. Dies ist subjektiv nachvollziehbar - für den Arbeitsmarkt in den betreffenden Segmenten hat diese Entwicklung jedoch katastrophale Konsequenzen. Denn welcher Arbeitgeber wird eine volle Stelle schaffen, wenn es die Möglichkeit gibt, dieselbe Arbeitskraft zu einem Bruchteil des Geldes zu erwerben?

Es entsteht ein neues Millieu von arbeitenden Arbeitslosen, die kaum genug Geld zum Leben haben, aber trotzdem jeden Tag arbeiten gehen. Da rechtlich kein Arbeitsverhältnis besteht, haben die arbeitenden Arbeitslosen kein Koalitions- und Streikrecht und keinen Anspruch auf Vertretung im Personal- oder Betriebsrat, womit eine weitere Errungenschaft vergangener Kämpfe abgeschafft wäre. Es ist abzusehen, dass als nächste Konsequenz die Löhne in den betroffenen Branchen sinken werden. Und wenn Ein-Euro-Jobs erst in der Privatwirtschaft eingeführt werden, werden auch dort Löhne und arbeitsrechtliche Standards einbrechen. Wirtschaft, Politik, mediale Scharfmacherinnen und Scharfmacher des Neoliberalismus begrüßen diese Veränderungen.

Und wie reagieren kleinere Initiativen und Sozialverbände?

"Caritas", "Arbeiterwohlfahrt", "Diakonie" und "Paritätischer Wohlfahrtsverband", aber eben auch kleinere Initiativen - in Münster etwa die Obdachlosenzeitung "draußen" oder der Verein "Arbeitslose brauchen Medien" - stehen bei der Einrichtung von Ein-Euro-Jobs nicht zurück. Offiziell werden Schnurren (etwa von "hochmotivierten Arbeitskräften") verbreitet, die oft auch den pädagogischen Duktus enthalten, den die Arbeitsagenturen unter die Leute bringen. Fragt man näher nach, dann erfährt man, dass den Verbänden die Problematik arbeitender Arbeitsloser häufig durchaus bewusst ist. Eine Standardantwort lautet: "Wir machen mit, weil es den Leuten bei anderen Arbeitgebern noch schlechter ginge." Und die Straßenzeitung "draußen" schreibt, dass sie an ihre Verkäufer denkt, wenn sie eine Ein-Euro-Jobberin beschäftigt, die diesen Verkäuferinnen und Verkäufern u. a. im Winter Kaffee auf die Straße bringt.

Die zitierten Legitimationen der neuen "Arbeitsgelegenheiten" blenden die gesellschaftlichen Folgen der ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnisse aus. Trotzdem sind derlei Begründungen allgegenwärtig. So machen sich leider auch Wohlfahrtsverbände und Initiativen zu Erfüllungsgehilfen von Hartz IV - mit allen Konsequenzen, die sich daraus zwangsläufig ergeben werden.

Gegen Lohndumping und Zwangsdienste - Ein-Euro-Jobs stoppen!
Bundesweiter Aktionstag gegen die Beschäftigungs- und Koordinierungsstellen von Ein-Euro-Jobs am 20. Mai 2005.
www.labournet.de/agenturschluss