Gebieterbart strikes again: Islamisches Biedermeier in Afghanistan

ID 112044
 
EIN KOMMENTAR

Kaum erobern die berüchtigten Taliban („Koranschüler“) die letzten Flecken des freudlosen Landes (der Fall der Hauptstadt Kabul war befürchtet worden und absehbar, aber nicht binnen Tagen, sondern Monaten), schon ist von einer „Charmeoffensive“ der Taliban die Rede – nur weil nun nicht unverzüglich das Schreckensregime kenntlich wird, das die Welt zwischen 1996 und 2001 in Irritation versetzte. „Taliban 2.0“ sollen das sein, so wird schon verharmlosend gemunkelt ...
„Die Dienste“ und ihre Auftraggeber („unsere Regierung“) werden im Bilde gewesen sein, wie wahrscheinlich und wie schnell der Taliban-Triumph bevorstand, sonst wären sie ja völlig unbrauchbar. Nun, nach dem aufsehenerregenden Machtantritt der Taliban, tun dem Regime die Terrorattacken des – kurioserweise rivalisierenden – „Islamischen Staats“ den Gefallen, es noch als das kleinere Übel erscheinen zu lassen. Jetzt kann, in dystopisch stillgestellter Gesellschaft gottgefälliger Art, die islamische Bärte-, Trachten- und Waffenschau weitergehen, offenbar hat man kein Problem damit, sich auch im 21. Jahrhundert noch als Karikatur seiner selbst zu inszenieren.

Dauer: 8 Minuten


[Der Kommentar ist nicht top-aktuell, er entstand Anfang September]
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Upload vom 01.11.2021 / 00:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Religion, Frauen/Lesben, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Dr. Indoktrinator
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 01.09.2021
CC BY-NC-SA
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Der Kommentar im vollständigen Wortlaut:

Gebieterbart strikes again
Islamisches Biedermeier in Afghanistan

Kaum erobern die berüchtigten Taliban („Koranschüler“) die letzten Flecken des freudlosen Landes (der Fall der Hauptstadt Kabul war befürchtet worden und absehbar, aber nicht binnen Tagen, sondern Monaten), schon ist von einer „Charmeoffensive“ der Taliban die Rede – nur weil nun nicht unverzüglich das Schreckensregime kenntlich wird, das die Welt zwischen 1996 und 2001 in Irritation versetzte. „Taliban 2.0“ sollen das sein, so wird schon verharmlosend gemunkelt.
Wessen Gedächtnis 20 Jahre zurückreicht, erinnert sich noch an das brutale Regime, das den ohnehin autoritären Patriarchen, die Islamisten nunmal sind, den Ruf einbrachte, wirklich die weltweite Avantgarde der Barbarei zu sein: Bei drakonischen Strafen war in ihrer gottgefällig dahinsiechenden Gesellschaft so ziemlich alles verboten, nicht nur das Antlitz von Frauen und weltlicher Schulunterricht, sondern sogar Kino-Aufführungen, ja jegliche Musik und Tanz; alles westlicher Schund, also des Teufels. In Fußballstadien fanden öffentliche Hinrichtungen, Auspeitschungen und schariakonforme Straf-Amputationen statt.
„Die Dienste“ (also die Geheimdienste, sogenannte Nachrichtendienste) und ihre Auftraggeber („unsere Regierung“) werden im Bilde gewesen sein, wie wahrscheinlich und wie schnell der Taliban-Triumph bevorstand, sonst wären sie ja völlig unbrauchbar und inkompetent. Offenbar ist die gepriesene demokratische Öffentlichkeit über das reale Ausmaß der Misere getäuscht worden, und das ist keine „Verschwörungstheorie“, sondern normale Herrschaftspraxis. „Unsere Soldaten“, die uniformierten, bis an die Zähne bewaffneten Befehlsempfänger sollten als zivile Helden vorgeführt werden, das Klischee vom Entwicklungshelfer, der Brunnen bohrt und Brücken baut, sollte durch endlose Wiederholung Wahrheit verbürgen.

Nun, nach dem aufsehenerregenden Machtantritt der Taliban, tun dem Regime die Terrorattacken des – kurioserweise rivalisierenden – „Islamischen Staats“ den Gefallen, es noch als das kleinere Übel erscheinen zu lassen. Was ist das für eine Welt? Was für eine Zeit? Während in den meisten Ländern des Erdballs – zumindest in besseren Zeiten – irgendwelche Sozialisten mit irgendwelchen Reaktionären um die Macht buhlten, um jeweils ihre gesellschaftspolitischen Vorhaben durchzusetzen, sah man in Afghanistan (und längst auch anderen Ländern) seit über dreißig Jahren Taliban mit Mudjahedin und Volksmudjahedin um die Macht kämpfen, also Koranschüler gegen Gotteskrieger, Islamisten gegen Islamisten, Reaktionäre gegen Reaktionäre. Die Taliban haben den Ruf, besonders volkstümlich zu sein. Der Islam sei ja auch sehr sozial, eine der fünf „Säulen“ seiner Ideologie bestehe doch in Mildtätigkeit, also Almosen. Wie sozial diese Kultur des 7. Jahrhunderts ist, zeigen Erbmonarchien wie Dubai in einem bemerkenswerten Miteinander von märchenhafter Protzarchitektur, obszönem Reichtum und Sklavenarbeit. Und Jugendliche tragen heute nicht mehr T-Shirts von Che, sondern auf ihnen steht „Fly Emirates“. Ja Mann, Bruder. Wie krank ist denn das? Alles am materialistischen Westen ist bekanntlich dekadent, schlecht, verderbt und böse. Nur nicht die Waffen, die Maschinengewehre, die mögen sie; ohne die ist der Gotteskrieger und Sittenwächter an der nächsten Straßenecke kein ganzer Mann. Wäre es nicht viel schöner, der junge Mann könnte – mit Schmetterlingen im Bauch, händchenhaltend – eine unverschleierte Frau verführen und sie ihn, anstatt die abgestandenen Werte und Tugenden seiner korporierten Alten Herren nachzukäuen? Ganz armselig ist das doch.
Fast ein halbes Jahrhundert kannte die afghanische Gesellschaft nur Bürgerkrieg, seit Ewigkeiten siecht das Land – mal im Fokus der Weltöffentlichkeit, mal unbemerkt – in einer einzigen Misere dahin, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die bigotten Glaubenskrieger, die in den 80er Jahren massiv von westlichen „Demokraten“ aufgerüstet wurden mit dem immergleichen dogmatischen Ziel einer Eindämmung des Kommunismus, sich längst als Erzfeinde ihrer militärischen Sponsoren entpuppt haben. In der lebhaften Fantasie der islamistisch-djihadistischen Bewegung hat man nunmehr einen weiteren Etappensieg in Richtung Weltherrschaft getan: Hatte man den zehnjährigen Krieg gegen die Sowjetunion 1979 bis 1989 schon, naja, für sich entscheiden können, immerhin zog die Supermacht unter Gorbatschow unverrichteter Dinge wieder ab, nachdem in dem freudlosen Land nun wirklich nichts zum Fortschritt zu wenden war, so erging es nun der westlichen Supermacht nach sogar zwanzigjähriger Besatzung Afghanistans von 2001 bis 2021 nicht anders. Die UdSSR ist Geschichte – und wenn es nach den frommen Eiferern geht, dann haben in ihrer Lesart die USA dasselbe Schicksal zu erwarten. Der Islam, ewige Heilslehre und Familienideologie der Analphabeten und Reaktionäre, schlägt den gottlosen Kommunismus, schlägt den verderbten Kapitalismus, bis alles Aufklärerische im Höllenfeuer verbrennt, wo ja bekanntlich auch die Ungläubigen, Ketzer, Juden, Demokraten, Weiber und Linken hingehören und schmoren sollen; da sind sich die konservativen Vor- und Nachbeter einig. Nun kann, in dystopisch stillgestellter Gesellschaft gottgefälliger Art, die islamische Bärte-, Trachten- und Waffenschau weitergehen, offenbar hat man kein Problem damit, sich auch im 21. Jahrhundert noch als Karikatur seiner selbst zu inszenieren. Es lebe das Emirat, das Kalifat, das Scheichtum, das Sultanat, oder whatever vormoderne Despotie! Offenbar versucht man, der allseitigen Konfusion und ideologischen Ratlosigkeit des neuen Jahrhunderts durch Einfältigkeit und Dummheit zu entrinnen.
Vielleicht vermag es ja die sogenannte „neue Seidenstraße“ der Chinesen, das mittelalterliche Land zu zivilisieren, langfristig etwas Wohlstand da zu lassen und der atheistischen Aufklärung eine Bresche zu schlagen. Immerhin gibt es diesmal keinen Peter Scholl-Latour mehr, der uns die Würde des friedlichen Islam und die Aussichtslosigkeit des Aufklärungsbemühens erklären muß.