Die Neubelebung der Atomkraftdebatte - ein Irrweg

ID 11307
 
Der Weg in die Sackgasse: Warum Atomenergie ein Konzept von gestern ist.
Audio
07:25 min, 1737 kB, mp3
mp3, 32 kbit/s, Mono (22050 kHz)
Upload vom 28.01.2006 / 18:15

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Alexander v. Dercks (Greenepeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 26.01.2006
keine Linzenz
Skript
Der Winter hat weite Teile Deutschlands fest im Griff. Überall laufen die Heizungen auf Hochtouren und dem einen oder anderen mag gerade jetzt der Streit unserer östlichen Nachbarn um den Gaspreis immer wieder in Erinnerung kommen. Es ist schon ein übles Gefühl, so von der russischen Weltmacht abhängig zu sein. Ein Druck auf den Knopf und die Absperrventile für ein Drittel unseres Gases sind geschlossen. Die anderen Lieferanten fördern am Anschlag, also ist auch von dort nichts Gutes zu erwarten. Aber: Wir haben doch die Alternative unserer todsicheren, in reichlicher Anzahl zur Verfügung stehender Atomkraftwerke. Es wäre so einfach: Ein kleiner Eingriff, eine minimale Änderung des zwischen den rot-grünen Partnern der letzten Regierung geschlossenen Konsenses und wir wären aller Sorgen enthoben. Dann nämlich könnten wir die Kraftwerke einfach ein paar Jahre länger am Netz lassen und uns an dieser wunderbaren, Räume und Flüsse aufwärmenden Energiequelle freuen. Das ist zumindest das, was uns die Politik der Union versprechen.

Christian Wulff aus Niedersachsen hat diese Kampagne gestartet: Steigende Energiepreise machen den Atomausstieg hinfällig. Edmund Stoiber wäre nicht Edmund Stoiber, würde er sich nicht an diesen Trend anhängen. Und sein Freund im Musterländle, Günther Oettinger, übernahm die Staffette, um sie mit eigenen wohlwollenden Kommentaren versehen an Roland Koch in Hessen weiter zu reichen. Der – man höre und staune – will sogar neue Atomkraftwerke bauen. Und das kleine, aber diesbezüglich gar nicht so feine Saarland reißt den Schnabel gleich mit auf: Keine Abschaltung irgend eines Atomkraftwerkes vor 2009. Sagt Herr Müller, der die französischen Meiler vor der Haustüre hat und sich mittlerweile wohl richtig in sie verliebt hat. Den Schlussakkord setzen nunmehr die Franzosen, die von der Europäischen Union tatsächlich fordern, stärker als bisher auf Kernkraft zu setzen und mehr Geld für die entsprechende Forschung auszugeben.

Gebetsmühlenartig wird die Sicherheit der Atomkraftwerke wiederholt – als ob man damit noch eine Katze hinter dem Ofen hervorholen könnte. Man vergisst dabei, dass wir heute wahrscheinlich schon deutlich weniger Atomkraftwerke am Netz hätten, wäre es nur ein einziges Mal zu einem ernsten Zwischenfall gekommen. Gut, dass es wenigsten in Deutschland so viele Menschen gibt, welche diese potentielle Gefahr nicht mit billigen Argumenten herunter spielen.

Was das eigentliche Dilemma ist, das liegt im Ansatz aller dieser Überlegungen um eine Verlängerung der Laufzeiten begraben: Kernkraft ist ein Konzept von gestern und keines von morgen.

Kernkraftwerke sind monströse Anlagen, die weitgehend ohne Orientierung an der augenblicklichen Nachfrage produzieren – 24 Stunden, 365 Tage. Es sei denn, sie sind wegen Reparaturarbeiten heruntergefahren. Das bedeutet, dass der Strom an den Mann gebracht werden muss, auf Teufel komm raus. Es gibt Länder, die beleuchten deshalb nachts ihre Autobahnen. Damit passiert genau das Gegenteil dessen, was verantwortungsbewusster Umgang mit Energie bedeutet: Das Angebot regelt die Nachfrage. Und das ist Gift für jedes Pflänzchen das wir setzen, um Energie zu sparen.

Hinzu kommt, dass Atomenergie gewaltige Mengen Wärme erzeugt. Und die geht irgendwo in die Landschaft und trägt u.a. zur Klimaerwärmung bei. Sicher nicht maßgeblich, aber: Diese Energie ist einfach verloren, weil Atomkraftwerke nun mal weit weg von Städten gebaut werden und sich der Transport der Wärme über große Entfernungen nicht lohnt.

Wenn man es genau betrachtet haben wir in Deutschland Glück und eine einmalige Chance. Etwa die Hälfte der deutschen Stromerzeugung muss in den nächsten 20 Jahren erneuert werden. Deutschland ist Weltmeister in der Erzeugung alternativen Stroms und hat z.B. eine Führungsrolle in der Technik der Windnutzung. Und da fällt unseren Damen und Herren in Berlin nichts anderes ein, als die „Mottenkiste Atomkraft“ wieder auf zu machen und eine Laufzeitverlängerung der Kraftwerke zu fordern? Einer Energieform, die so unflexibel wie keine andere ist und deren Langzeitfolgen bis heute nicht absehbar sind? Und wer spricht denn noch über die nach wie vor völlig ungelöste Frage der Endlagerung des Atommülls? Wer nimmt noch die Gefahren des Transports von Uran, die Gefahr durch terroristische Angriffe und die nur noch sehr begrenzt vorhandenen Uranvorräte zur Kenntnis?

Wir beklagen heute die Abhängigkeit von russischem Gas. Zu Recht. Aber wie abhängig sind wir denn von den vier Atomkraftwerkbetreibern, die über 80% des deutschen Stroms erzeugen? Diese Betreiber haben in der Vergangenheit wiederholt kräftig an der Preisschraube gedreht obwohl die so kostengünstigen Kraftwerke alle noch laufen. Der Einfluss dieser Betreiber würde bei einer Verlängerung der Laufzeiten noch wachsen.

In Deutschland wird derzeit in erheblichem Umfang in neue Kohle- und Gaskraftwerke investiert. Diese Investoren verschreckt man durch Diskussionen um längere Laufzeiten. Und man verhindert damit, dass Energie sinnvoll genutzt wird: Zur Stromerzeugung und zur Wärmeversorgung. Klar: Am besten wäre es, wenn wir konventionelle Energieträger ausschließlich durch regenerative Energien ablösen könnten. Das wird so schnell nicht gehen, muss uns aber als Vision vor Augen bleiben. Zusammen mit von Erfolg gekrönten Anstrengung beim intelligenten, sparsamen Umgang mit Energie rückt diese Vision schon ein Stück näher. Wir schaffen es, Tausende von Flugzeugen unfallfrei und gleichzeitig durch die Luft zu lotsen; da muss es doch möglich sein, dezentrale, über das ganze Land verteilte Kraftwerke so zu steuern, dass Wärme und Strom immer und überall vorhanden sind.

Gas aus Russland muss ja auch nicht sein. Gas aus heimischen Quellen – Stichwort: Biogas – hat eine glänzende Zukunft vor sich. Und das schon bei einer Verdopplung der Anbaufläche, auf der bislang Pflanzen für diese Verwertung angebaut werden.

Wir stehen an einem Wendepunkt. Der Energiehunger wächst und wir müssen beherzt nach Lösungen suchen, die uns im 21. Jahrhundert über die Runden bringen. Längere Laufzeiten der Atomkraftwerke klingt nur auf den ersten Blick nach einer Lösung. Aber Atomkraft ist keine Lösung. Vorsicht also vor Populisten, wirtschaftlich an der Atomkraft interessierten Kreisen und ideenlosen Zeitgenossen: Nicht alles glauben, was so erzählt wird. Der Haken an dieser Form von Energie ist so groß, dass er für einen Strick für uns alle reicht.