Albert Jörimann - Die Entdeckung Amerikas durch Novak Djokovic

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Die Serben hauen grad mal wieder voll auf die Pauke mit dem Djokovic-Corona-Leugner, den sie zum Nationalhelden überhöhen, vor allem aber mit der Paramilitärparade der serbischen Teilrepublik von Bosnien-Herzegowina. Ich würd's vielleicht trotzdem nicht erwähnen, wenn ich nicht im Zusammenhang mit dem Djokovic Kenntnis erhalten hätte von einem besonders eifrigen Serben, der behauptet, die Serben hätten den amerikanischen Kontinent entdeckt und nicht Christoph Kolumbus. Warum denn nicht?
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11:24 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.01.2022 / 09:42

Dateizugriffe: 84

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 11.01.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Serben hauen grad mal wieder voll auf die Pauke mit dem Djokovic-Corona-Leugner, den sie zum Nationalhelden überhöhen, vor allem aber mit der Paramilitärparade der serbischen Teilrepublik von Bosnien-Herzegowina. Ich würd's vielleicht trotzdem nicht erwähnen, wenn ich nicht im Zusammenhang mit dem Djokovic Kenntnis erhalten hätte von einem besonders eifrigen Serben, der behauptet, die Serben hätten den amerikanischen Kontinent entdeckt und nicht Christoph Kolumbus. Warum denn nicht. Der Eierbecher wurde von einem Serben erfunden, der Stabmixer, der Stabhochsprung ebenfalls, ganz zu schweigen von der Salatsauce, der Salatschüssel und dem Salat sowieso. Alles pur serbische Produkte. Sind das die Spätfolgen der Bombardierung Belgrads vor zwanzig Jahren? Vielleicht hat die Nato damals nicht Bomben, sondern chemische Kampfstoffe abgeworfen, welche das Hirn zersetzen? Den Serben-Präsidenten Vucic hat man als Mann kennen und schätzen gelernt, der recht genau weiß, was er will, und um dies zu erreichen, trommelt er auf seine Freunde und Feinde ein mit verwirrenden Reihen von Verdrehungen, Lügen und Tatsachen, abgesehen von der nationalistischen Stimmungsmache, welche auf diesem Flecken Erde doch um siebzig Prozent dümmer daher kommt als an anderen Orten der Welt, aber sie kommt genauso gut vor wie in Serbien, der ehemalige italienische Minister Matteo Salvini zum Beispiel hat die besten Voraussetzungen für eine serbische Ehrenbürger-, wo nicht Ehrenpräsidentschaft. Was mich übrigens zur anderen Frage bringt: Was ist, wenn uns der Top-Vertreter der globalen Eliten, nämlich der Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi zum italienischen Präsidenten gewählt wird? Wer tritt dann seine Nachfolge an bei der Verteilung der ebenso zahlreichen wie zahllosen Milliarden der Europäischen Union, die nun dank dem Draghi-Bonus mehr oder weniger unkontrolliert ins Land einwandern? Der durchschnittliche Italien-Reflex sieht schon jetzt, wie das politische Gerangel um die Mega-Knete losgeht, wenn der einzige Manager, dem man einigermaßen noch trauen kann, in eine rein repräsentative Funktion wechselt.

Aber zurück zu den Serben. Man soll sich nicht unterkriegen lassen, heißt es sowohl in der Individual- wie auch in der Massen-Psychologie, und die serbischen Massen verwandeln die Serie andauernder Niederlage bei der Verteilung des ehemaligen Jugoslawiens in einen derart absurden Minderwertigkeitskomplex, respektive in seine Kompensation, dass das schon an ein Kunstwerk grenzt. Serbien wird weltweit geknüppelt, weil sich der serbische Heiland Djokovic nicht von Bill Gates impfen lassen will – solche Fieberphantasien bestätigen, dass in Serbien das Realität ist, was in Italien vor vierzig Jahren gefordert wurde, nämlich die Abschaffung der psychiatrischen Anstalten und die Umwandlung der gesamten Zivilgesellschaft in eine solche. Ich bitte selbstverständlich all jene vernünftigen Serbinnen und Serben um Verzeihung, die es aller Wahrscheinlichkeit ebenfalls noch gibt, aber dieser Staat und diese Bevölkerung benehmen sich seit geraumer Zeit derart pittoresk, dass man das einfach hin und wieder anmerken muss. Was hiermit erledigt wäre.

Ebenfalls pittoresk waren die Versuche verschiedener bürgerlicher Denker und Leitartikler, die russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien von Seiten der Nato zu demontieren, namentlich mit dem Hinweis darauf, dass die Nato, die Vereinigten Staaten und insgesamt der Westen Russland bei der Auflösung der Sowjetunion nicht über den Tisch gezogen habe. Ganz selbstverständlich wurde Russland über den Tisch gezogen, als die Nato Staat um Staat des ehemaligen Ostblocks in ihr Bündnis einverleibte. Es handelt sich hier um die Kraft des Faktischen; der Westen nutzte die zehnjährige Schwächephase Russlands, um so viele stabile Territorialgewinne im Osten zu realisieren, wie sie nur Hitler zuvor erträumt hatte. Das ist einfach eine Tatsache. Eine andere Tatsache ist es dann, dass diese Territorialgewinne nicht militärisch erzielt wurden, sondern mit wirtschaftlichen Versprechungen, die wohl nicht alle so eingelöst werden konnten, wie man sie zu Beginn dargestellt hatte. Aber das tut nicht viel zur Sache; Der Vorstoß der Europäischen Union und der Nato in den Osten erfolgte mit hohen Zustimmungsraten der Bevölkerung und auch wesentlichen Teilen der Eliten, die sich noch heute mit den EU-Geldern mästen. Dass der Westen dabei auch seine Werte mitbrachte, welche offenbar allen anderen Werten der Welt um Epochen überlegen sind, wird vor allem die Menschen in Ungarn, in Rumänien und Bulgarien freuen, deren Eliten einen eigenen Umgang mit solchen Werten pflegen. – Aber das sind jetzt nur ein paar Spitzfindigkeiten, ich bin nämlich durchaus nicht überzeugt davon, dass die sowjetische Planwirtschaft in der damaligen Form, inklusive des gemeinsamen Wirtschaftsraums im Ostblock, wirklich eine Zukunft gehabt hätte, nein, das war eindeutig nicht der Fall, und insofern ist es auch nicht schade um sie. Ich meine bloß, wir sollten uns nicht allzu viel einbilden auf die Segnungen der Modernität, die halt nach wie vor hauptsächlich für die entwickelten Länder Europas gemacht scheinen, während die Damen und Herren im Osten noch ein paar Jahre Reifezeit benötigen. Aber das kommt schon noch.

Beim Russen selber sehe ich nach wie vor nicht so richtig klar. Dass auch sie im Kern geprägt sind von der Erfahrung zehn Jahre dauernder Niederlagen und Demütigungen durch den Westen, ist nichts als logisch, und es hat sich mindestens in den Vereinigten Staaten nie jemand darum bemüht, auf diese kollektive Gemütslage mit etwas Rücksicht oder Ansätzen von Verständnis zu reagieren. Noch nicht einmal ein halbwegs ehrliches Interesse an einer irgendwie gearteten Zusammenarbeit war zu irgend einem Zeitpunkt zu entdecken. Stattdessen ging es für den Westen nur um die Expansion nach Osten. – Nun ist der Unterschied zwischen Serbien und Russland einfach der, dass die Russen nach wie vor über eine funktionierende Armee verfügen, von den Atomwaffen ganz zu schweigen, und da nimmt die Ausformung des Minderwertigkeitskomplexes, wenn es denn einer ist, auf jeden Fall eine andere Gestalt an als jene in Serbien. Klar, auch für Russland steht die Wahrheit immer im Dienste des Vaterlandes, mit anderen Worten, es gibt sie nicht oder nur in der Form von Russia Today; aber restlos durchgeknallt sind sie denn doch noch nicht. Dass sie in Kasachstan für Ordnung sorgen, wie sie selber sagen, übrigens in genau dem selben Duktus wie die Vereinigten Staaten für ihren Herrschaftsbereich, das ist schon fast selbstverständlich. Autoritäre Strukturen gehören ebenfalls zur Grundausstattung des Systems, wobei die Opposition in autoritären Staaten durchaus nicht immer demokratisch im westlichen Sinne sein muss, wie man schon verschiedentlich gesehen hat; und wenn man in die Vereinigten Staaten blickt, kann man anfügen, dass die Opposition auch in demokratischen Staatsgebilden nicht immer alle Tassen im Schrank hat. Aber dies nebenbei.

Ebenfalls nebenbei ins Auge gestochen ist mir die neue europäisch-pazifische Achse, die sich in den letzten Tagen gebildet hat, nämlich aus den Großmächten Taiwan und Litauen. Aus neutraler Sicht kann man so etwas nur ausgesprochen sympathisch finden, umso mehr, als China in der Taiwan-Frage im Kern über seine eigene Logik stolpert, wonach die Völker ein Recht auf Selbst­bestimmung hätten. Selbstverständlich wird sich die chinesische Parteiführung damit herausreden, dass die Taiwanes:innen eben ein Bestandteil des gesamtchinesischen Volkes seien, für welches sie über einen Exklusivvertretungsvertrag verfügt; sie müsste dann noch offen legen, mit wem sie diesen Vertrag abgeschlossen hat, wieweit die seit zirka tausenddreihundert Jahren als Volk ausgewiesenen Uiguren in die reinchinesische oder china-arische Bevölkerung passen, was es mit dem Tibet auf sich hat, dessen Gen-Pool ebenfalls von jenem der seit zirka 1423 Hauptstadt Peking abweicht und mit welchem sich das kaiserliche China seit Jahrhunderten in einem ununter­bro­che­nen Machtkampf befindet, in welchem im Moment gerade das post-kaiserliche China obenauf schwingt, dessen zweites nationales Studienfach aber «materialistische Dialektik» heißt, deren zweites thermodynamisches Prinzip da lautet: Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine; aber die post-kaiserliche und china-arische Parteileitung hat diesen dialektischen Lehrsatz vermutlich gerade im Rahmen dieser Dialektik, welche ja auch die sprunghafte Entwicklung der Gegensätze als Bestandteil der Thermodynamik kennt, nur für diese Phase außer Kraft gesetzt, um die Aufholjagd Chinas in den letzten Jahren auf eine globale Spitzenposition und auch der nächsten Jahren auf eine Spitzenposition in unserem Sonnensystem und anschließend als Mitte der Milch­straße zu erlauben, denn die Theorie und die Praxis sind immer noch zwei Paar Schuhe; auf jeden Fall hat die Argumentation der chinesischen Parteileitung, wonach eben die Taiwanes:innen zum gesamtchinesischen Volk gehörten und es deshalb die Pflicht des Mutterlandes sei, die Abtrünnigen heim ins Reich zu holen, echte theoretische und praktische Lücken. Die Selbst­be­stim­mung zählt nun mal auch für kleinere Einheiten, weshalb die chinesische Argumentation rein imperialistisch ist, eben: auch an den eigenen Maßstäben gemessen. Dieser Widerspruch bildet sozusagen die chinesische Form des serbischen Lügentheaters. Auch hier gibt es einen Unterschied: das groß- und kleinserbische Idiotentum hat zwar Amerika entdeckt und vermutlich auch Alpha Kentauri, aber Großmachtphantasien kann es noch nicht mal im Fiebertraum entwickeln, sodass die ganze Aufführung kein anderes Publikum hat als sich selber. Die Welt schaut konsterniert zu beziehungs­weise betreten weg. Wie will man derartige Idioten zum Beispiel in die Europäische Union aufnehmen? – Na, nicht, natürlich, sowenig wie beispielsweise die Schweiz.

Eine ziemlich weit fortgeschrittene Form des Lügentheaters bietet seit mehreren Jahren mit erheblichem Publikumserfolg der niederländische Premier Mark Rütte. Wie der serbische Vukic-Clown zieht er in seinem Land alle Register, die ihm in der Politiker-Orgel zur Verfügung stehen, um an der Macht zu bleiben. Neu liegt ihm jetzt der Klimaschutz am Herzen. Respektive: am Arsch!, denn dort ist es, wo das Klima Mark Rütte vorbei geht. Das gleiche gilt für die Kinderbeihilfen, welche seine Administration zu Unrecht zurückgefordert hatte und die zum Sturz genau der gleichen Regierung führte, die seither und jetzt erneut im Sattel sitzt. Das ist dem Rutte doch egal. Er habe sich als Befürworter einer schlanken und sparsamen Union profiliert, heißt es auf tagesschau.de; völliger Humbug. Er sagt, was Vucic sagen würde, einfach nicht im serbischen Umfeld, sondern im Umfeld einer von sozialdemokratischer Regierungspraxis und dem sozial­de­mo­kratischen Medienkonsens geprägten europäischen Staatslandschaft. Im Moment heißt dies auch, dass wir nicht von schlank und sparsam reden, sondern von Mehrausgaben, nicht nur für die Umwelt, sondern zufälligerweise auch für Kinderbeihilfen und für die Ausbildung, namentlich die Lehrerlöhne; das ist zunächst einfach mal heiße Luft, mit der man halt die politischen Kraftwerke am Leben erhält. Zwei neue Atomkraftwerke sollen in nächster Zeit gebaut werden, ein Geschenk an die französische Areva und die Electricité de France mit all den dazu gehörigen Atomköpfen, die bereits ein starkes Unterstützungslager in den neuen Beitrittsländern der Nato haben und bedauerlicher­weise auch in Finnland.

Da waren sie wieder, meine drei Probleme. Manchmal habe ich den Eindruck, ich wäre überhaupt nicht mehr in der Lage, etwas Positives zu sagen über Frankreich. Dabei ist das ganz falsch. Gerade wenn ich zum Beispiel spöttisch über die französische Militärpräsenz in Afrika herziehe, bin ich im Hintergrund überzeugt davon, dass diese, verbunden mit den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, den wichtigsten Ausgangspunkt für den Ausbau der Beziehungen zwischen Afrika und Europa darstellt. Es ist kein Zufall, dass das nächste Gipfeltreffen zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union unter der französischen Ratspräsidentschaft stattfindet, am 17. und 18. Februar in Brüssel. Bin ja mal gespannt, was da tatsächlich läuft, unterhalb der offiziellen Vucic- oder Rutte-Ebene.