Albert Jörimann - Vermischtes Europäisches

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Nachdem ich vor zwei Wochen ausgeführt habe, dass man weder das US-amerikanische noch überhaupt ein Volk heilen und einen solle, möchte ich noch den Gedanken nachtragen, dass das einzige, was das US-amerikanische Volk, und eben auch viele andere Völker, je zusammen geschweißt hat, nichts anderes ist als ein sauberer Krieg.
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10:36 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.02.2022 / 10:31

Dateizugriffe: 68

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 08.02.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Nachdem ich vor zwei Wochen ausgeführt habe, dass man weder das US-amerikanische noch überhaupt ein Volk heilen und einen solle, möchte ich noch den Gedanken nachtragen, dass das einzige, was das US-amerikanische Volk, und eben auch viele andere Völker, je zusammen geschweißt hat, nichts anderes ist als ein sauberer Krieg. Aus sich selber heraus verschmelzen Gegensätze niemals zu einer anderen Einheit als eben jener der Gegensätze, wie immer wieder gesagt: das ist der erste Satz der philosophischen Thermodynamik. Insofern brauchen uns verschiedene Dinge und Verhältnisse auch nicht zu stören, zum Beispiel die Kreationistinnen in den Vereinigten Staaten und noch nicht einmal unser Sven Höcke, der Doktor Kack in allen Gassen, der so gerne den Widergänger von Eugen Ritter von Knilling und Gustav Ritter von Kahr und Hubert Friedrich Karl von und zu Aufsess spielen würde und Berlin diesmal nicht von München, sondern von Erfurt aus erobern möchte. Wenn er genug lange wartet, stellt ihm Mark Zuckerberg für wenig Geld etwas Raum in seinem Metaverse zur Verfügung, in dem er seine völkischen Phantasien ausleben kann. So hat die technologische Entwicklung doch immer wieder ihre schönen Seiten.

Ein Krieg also für die Vereinigten Staaten, nur um die Q-Anon- und Trump-Idioten mit den Anhängerinnen der Demokraten zu verschweißen? Bitte nicht. Mir reicht schon die Aussicht auf einen Krieg in der Ukraine, den ich zwar nicht in einer ausgewachsenen Form für wahrschein­lich halte, aber rein die Vorstellung davon ist saumäßig dumm, inklusive der Vorstellung davon, wie es zur allergischen Reaktion der russischen Führung unter Gospodin Wladimir Wladimirowitsch hat kommen müssen, nämlich mit den fortgesetzten Versuchen, den korrupten Sumpf Ukraine mit allen Mitteln ins westliche Lager zu locken, in die EU zum einen, vielmehr in die Nähe der EU, denn ein die Ukraine als Vollmitglied würde die EU wohl nicht überleben, obwohl man schon Bulgarien und Italien aushält neben den Visegrad-Staaten, man ist sich also einiges gewohnt, aber die Ukraine wäre definitiv zuviel. Der andere Aspekt dagegen, der immer unterschwellig abgehandelt wird und dargestellt, als läge ein Beitritt allein in der freien Entscheidungsgewalt der souveränen Staaten, nämlich eben der Nato-Beitritt, das ist ein anderes Kapitel, ein militärisches halt, und dazu hat sich Russland bereits einmal geäußert, als es vorsichtshalber die Krim besetzt hat zur Sicherstellung seiner Militärposition. Man muss das nicht gut und schön finden, aber völlig unbegreiflich ist es nicht, vielmehr es liegt in der Natur der Militärsache. Die Ukraine hat auf jeden Fall verschiedene andere Optionen, sowohl politisch als auch wirtschaftlich; dagegen macht es einfach keinen Spaß, wenn die bescheuerten Ideolog:innen im Westen ein Kräftemessen veranstalten, an dem sie erstens nicht mal selber teilnehmen und das sie zweitens nicht gewinnen können. Lasst doch die Ukraine die Ukraine sein in irgendeiner demilitarisierten Form, der wirtschaftliche und soziale Austausch findet dann sowieso auf die eine oder andere Weise statt. Einfach sollte man die militärischen Interessen Russlands nicht um jeden Preis lächerlich machen wollen. Das ist ja wirklich einfach.

Wenn die Russen von einem Verzicht auf jede Ost-Erweiterung der Nato sprechen, meinen die ganz selbstverständlich die Ukraine und nicht etwa Schweden, gegenüber denen die Russen wohl keine besonderen Ansprüche haben, die über die Lieferung von Holz für Ikea hinaus gehen. Was die Finninnen und Finnen tun, ist ihre Sache, und ob sich am Schluss auch noch Montenegro heldenhaft zum Beitritt zur Nato entschließt oder ihn, wer weiß, wer weiß, schon vollzogen hat, das ändert auch nicht besonders viel am globalen Gleichgewicht der Mächte.

Verschiedene Regierungen versuchen im Moment, ihre Beliebtheitswerte im Inland durch die Lieferung von Waffen und Munition oder auch mal durch Kopfbedeckungen für Militärsoldaten in der Ukraine aufzupolieren. Auch das geht mir auf den Keks, weil mir sowieso jede Form von Populismus auf den Keks geht, weil der Populismus als solcher nämlich nichts anderes bedeutet als die Delegitimierung des Populus, will sagen: Populismus ist nur dort möglich, wo das Volk, respektive erneut in der thermodynamischen Begrifflichkeit von der Einheit der Gegensätze im Volk gesprochen, wo also die Einheit der Gegensätze im Volk so aussieht, dass eine starke Menge in diesem Volk komplett bescheuert ist, null Durchblick hat und sich von jedem daher gelaufenen Clown in die eigenen Unterhosen scheißen lässt. Ich selber bin anständig erzogen worden, ich lasse mir nicht von Typen wie Boris Johnson oder Sven Höcke in meine Hosen scheißen, und umgekehrt habe ich auch keinerlei Bock, anderen Menschen in die ihrigen zu kotzen. Immerhin bin ich so auf eine neue Definition gestoßen, die nicht nur heißt: «Populismus ist scheiße», sondern «Populismus ist Scheiße anderer Menschen in meinen Unterhosen», und jetzt habe ich selber genug von solchen Fäkalexkursen.

Zurück zu Russland mit seinen militärischen Interessen, die ich mindestens so lange für legitim halte, wie es jene der Vereinigten Staaten von Amerika sind, und das dürfte noch eine ganze Weile vorhalten. Aber Russland besteht ja nicht nur aus seiner Armee, und jenseits des Militärs stellen sich doch nach wie vor verschiedene Fragen, eigentlich immer die gleichen Fragen: Wie entwickeln sich in Russland Gesellschaft und Wirtschaft, wie steht es mit der Einheit der Gegensätze in Russland? Von den Journalistinnen will ich hier ganz und gar schweigen; auch den Nawalny, von dem ich nach wie vor nicht verstehe, was er sich von seiner Selbstinhaftierung versprochen hat, will ich nicht anführen. Die Frage ist, funktionieren die Institutionen? Haben die Menschen genug zu essen und zu trinken? Haben sie Perspektiven in ihrem Leben? Führt auch Russland bald einmal das Metaverse ein? – Und auf einer zweiten Ebene kommen die Fragen nach den politischen Freiheiten und selbstverständlich nach dem Populismus, und auf dieser Ebene erhält Wladimir Wladimi­rowitsch von mir ausgesprochen schlechte Zensuren. Dass er die Deutsche Welle aus dem Land wirft, wenn Russia Today keine Fernsehlizenz in Deutschland erhält, das verstehen wir alle, dieses Spiel «Ich nicht, du auch» lernen wir schon im Kindergarten. Aber die sich über Regeln und Anstand hinweg setzenden Willkürakte, von der Privilegierung, was heißt da Privilegierung: von der hundertprozentig rechtswidrigen Zuteilung von Titeln und Geldern an Putins Freundeskreis, einschließlich der Benutzung des Rechtsapparates zur Ausschaltung der Konkurrenten dieser Freunde, und zwar vom einfachen Betrug im Gericht bis hin zu unmotivierten Inhaftierungen und der Ermordung von vermeintlichen oder tatsächlichen Mitbewerbern, bis hin zur flächendeckenden Anwendung von Rechtsverstößen gegen alles, was nach Opposition riecht – das passt nun einfach nicht in mein Weltbild. Beziehungsweise wirft es die Frage auf: Ist das System Putin denn tatsächlich so schwach? Ist die dieses System konstituierende Einheit der Gegensätze eventuell noch nicht einmal zur Einheit gediehen? Ist vielleicht das einzige, was in Russland einigermaßen funktioniert, das Militär? Wenn dem so ist, dann befindet sich nicht nur Russland, sondern befinden auch wir uns an einem anderen historischen Punkt, als ich es bisher angenommen hatte.

Nun gut, despotische Züge kennen wir auch aus China, dem globalen Musterland der Demokratie, wo die erwähnten Beschwörungen der Heilung und Versöhnung der staatlichen Politik zugrunde liegen, nämlich draufhauen und mundtot machen. Immerhin halte ich den Chineserer:innen zugute, dass sie sich nach wie vor in einer gewissen Phase ihrer Aufholjagd, also im Rennen an die absolute Weltspitze befinden; und ich räume auch ein, dass der Umgang mit der Opposition nicht ein absolutes Maß darstellt, solange nämlich nicht erhärtet ist, wofür diese Opposition denn steht; nur zur Erinnerung, in den Vereinigten Staaten gibt es im Moment auch eine Opposition, welche sich die republikanische Partei nennt, in der Praxis kaum zu unterscheiden ist von der Mehrheit der Demokrat:innen und nur in Sachen Populismus eine dicke Scheibe von Haargel in den Augen hat. In China ärgert mich weniger der Umgang mit der Opposition, zum Beispiel in Hongkong, dessen Einverleibung in den chinesischen Mutterkörper, sozusagen als negative Geburt, genau jenen Verlauf nimmt, den man bei der Übergabe der Stadtschlüssel von den Briten an die Chineserer:innen erwartet hat, als vielmehr der Versuch, mehr oder weniger die gesamte ethnische Gruppe der Uiguren zu knebeln und zur Not in die selben Umerziehungslager zu stecken, die man dunnemals schon für die Großeltern der eigenen Politikerkaste gebaut hat. Das halte ich einerseits für kriminell und anderseits für dumm, und Dummheit ist ein Rohstoff, von dem man höchstens zwischendurch mal nippen sollte und ihn nicht in derart großen Mengen genießen und aussondern sollte, wie ihn der Chineserer mit der zweiten umwerfenden Dummheit, nämlich dem Weißbuch Demokratie, über das ich mich bereits bei seinem Erscheinen lustig gemacht habe, nun tut. Falls das Sendesignal bis nach Peking durchdringt, nimm dieses, China: China ist keine Demokratie, weder eine liberale noch eine sozialistische. – Damit will ich gleichzeitig nichts gesagt haben gegen das Rätesystem, das China bis auf die tiefste Gemeinde-Ebene hinunter aufgebaut hat und welches das Kernstück des Selbstlobes im Weißbuch darstellt; dieses Rätesystem halte ich für eine gute Sache, wobei ich die Kompetenzenordnung noch nicht zu Gesicht bekommen habe, aber wie auch immer. Das Problem ist nicht das Rätesystem, sondern das Problem ist die Alleinherrschaft der Partei. Zum besseren Verständnis muss ich auch hier nachschieben, dass die Partei ihrerseits eine Einheit von Gegensätzen und Widersprüchen darstellt; aber diese Gegensätze und Widersprüche sind alle einseitig gepolt, nicht nach einer Weltanschauung, sondern nach der Macht der Führungsspitze. Und auch hier muss noch ergänzt werden: Es handelt sich um eine Führungsspitze, die immerhin intelligent genug ist, das Land mit einer historisch absolut beispiellosen Strategie zu den führenden Nationen des Globus herangeholt zu haben. Aber mit Demokratie hat dies nichts zu tun, also weg mit diesem Weißbuch.

In Russland wären wir froh, wir sähen ähnliche Entwicklungen in Wirtschaft und Bevölkerung wie in China. Aber hier ist die Führungsspitze eben nicht intelligent genug. Das ist schon alles. Es reicht gerade mal zu einer wichtigen militärischen Rolle, während man alle anderen Optionen ungenutzt lässt. Schade drum; auch wenn man anerkennt, dass dieses Verhalten zu schönen Teilen eine Reaktion auf das Verhalten des Westens in den letzten dreißig Jahren ist, könnte man sich eine andere, bessere Zukunft vorstellen. So leid es mir tut, ich muss annehmen, dass euer ehemaliger Bundeskanzler Gerd Schröder genau dafür steht, für den Willen zur Kooperation statt zur Konfrontation. Aber solange die russische Regierung selber nur noch auf Konfrontation macht, sieht dann halt auch euer Schrödergerd genau so alt aus, wie er ist.