Die einäugige Friedensbewegung und der Krieg

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Es herrscht Krieg nun auch in Europa und alles ist ganz anders gekommen als es sich die Friedensbewegung vorgestellt hat. Eigentlich ein Grund, am Rande der Ostermärsche auch einmal über die eigenen Gewissheiten nachzudenken auch wenn nicht alles falsch war.
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05:04 min, 12 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 07.04.2022 / 16:24

Dateizugriffe: 80

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Religion
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 07.04.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Kann es falsch sein, für den Frieden zu sein? Natürlich nicht. Aber falsch ist es, wenn man die Wirklichkeit nur durch die Brille unhinterfragter Sympathien und Ressentiments wahrnimmt und an politische Akteure zweierlei Maß anlegt. So hat die Friedensbewegung wesentlich dazu beigetragen, in Deutschland eine Stimmung zu schaffen, in der es fast unmöglich war, etwa nach der Annexion der Krim davor zu warnen, dass das eventuell nur der erste Schritt ist. So konnte sich Deutschland auch unbesorgt im Himmelbett seiner ökonomischen Interessen ausruhen, bis das böse Erwachen kam. Diese Kritik kann man der deutschen Friedensbewegung machen. Auf den Punkt hat es bereits Wolf Biermann gebracht:

„Ich ärgere mich natürlich, wenn die Heuchelei wie eine Syphilis in diese Friedensfront hineinkommt, weil nämlich zu viele Leute dabei sind, die im Grunde genommen nur für eine Abrüstung im Westen sind, […] aber der Meinung sind, dass die Waffen im Osten für den Frieden, die Menschheit, den Humanismus und die Rettung des Sozialismus sind.“
Von der Rettung des Sozialismus ist Putin natürlich noch weiter entfernt als es die Sowjetunion war, aber auch nach dem Ende der Sowjetunion sind die Liebe zum Osten und der Hass auf den Westen, insbesondere die USA geblieben.

Eine der herausragenden Figuren der Friedensbewegung war der vor zwei Jahren verstorbene SPD-Politiker Erhard Eppler. Eppler saß auch viele Jahre lang in der Grundwertekommission seiner Partei und war mehrmals Kirchentagspräsident. Eine seiner Schriften überschrieb er mit „Maßstäbe für eine humane Gesellschaft“. Doch für Russland ließ Eppler besondere Maßstäbe gelten. Im Jahr 2007 schrieb Eppler:

„Verglichen mit Stalins Säuberungen und Hitlers Rassenwahn ist Putins gelenkte Demokratie höchst human“.
SPD, Grundwerte Kommission, aha.

Wie die meisten in der Friedensbewegung hatte Eppler sehr viel Verständnis dafür als Putin die Krim annektierte, weil angeblich der Stützpunkt Sewastopol in Gefahr war. Im Juli 2015 fragte er dazu rhetorisch:
„Was wäre aus der Flotte geworden, wenn man in Kiew irgendwann doch einen Anlass für die Kündigung des Pachtvertrages gefunden hätte?“
Also nicht „Schwerter zu Pflugscharen“ und U-Boote zu Sardinendosen. Der Friedensfreund sorgt sich um den Erhalt eines Flottenstützpunktes. Dass der gar nicht gekündigt war und durchaus auch hätte verlegt werden können, ist kein Thema. Dass angeblich nur zum Erhalt eines militärischen Stützpunktes internationale Verträge gebrochen und Gebiete annektiert werden, für die Friedensbewegung eine Petitesse. Mal lobend zu erwähnen, dass die Ukraine ihre Atomwaffen abgerüstet hat, also das gemacht hat, was die Friedensbewegung ständig gefordert hat, fällt weder Eppler noch sonst jemandem in der Friedensbewegung ein. Bedroht ist immer nur Russland, das sicher niemand angreifen will, u. a. weil Putin nicht daran denkt seine Atomwaffen abzugeben.

Dass Russland dann gegen die Ukraine aufmarschierte, entging auch Teilen der Friedensbewegung nicht. Aber eine eindeutige Verurteilung war nicht drin. Stattdessen wurden der ziemlich bedrohliche Aufmarsch und die Reaktionen darauf, rasch in einen Topf geworfen. So äußerte das Netzwerk der Friedenskooperativen am 8. Februar 2022 Besorgnis „angesichts der fortlaufenden Provokationen durch Manöver und des stetigen Aufbaus von Drohkulissen durch Truppenverlegungen beider Seiten“. Der Tenor der Forderungen lautet: „gegenseitiges Vertrauen aufbauen“. Dass Misstrauen das Gebot der Stunde ist, wenn eine militärische Großmacht 150 000 Soldaten an der Grenze eines viel schwächeren Landes aufmarschieren lässt und der Präsident der Großmacht die Existenzberechtigung des Nachbarlandes in Frage stellt, will die deutsche Friedensbewegung nicht wahrhaben. Die sogenannte „Informationsstelle Militarisierung Tübingen“ schrieb noch bis kurz vor Kriegsbeginn, von der „Kriegshysterie“ des Westens, übrigens in seltsamem Gleichklang mit Putins Medien.

Nun hat Putin ein Nachbarland überfallen und diesmal lässt es sich nichtmehr ignorieren wie frühere militärische Gewaltaktionen in Tschetschenien, Georgien, Syrien und 2014 schon einmal in der Ukraine. Der Kreml droht auch mehr oder weniger offen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die Friedensbewegung hatte ja das richtige Anliegen, aber warum ist es dann so schiefgelaufen? Vielleicht findet sich ja am Rande der anstehenden Ostermärsche auch irgendwo ein Diskussionszirkel dazu.

Kommentare
13.04.2022 / 08:56 sabine und flo, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet im Mi-Mora
danke