"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Edmond Stoiber

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Wusstet Ihr, dass Edmund Stoiber Ehrenbürger der Gemeinde Forte dei Marmi in der italienischen Provinz Lucca ist? Ich auch nicht. Auch den Grund dafür konnte ich nicht in Erfahrung bringen bis auf die Angabe, dass er dort offenbar regelmäßig Ferien verbrachte, sozusagen als Gegenpol zur Toskana-Fraktion der Sozialdemokraten, und dass er in den ersten Jahren dieses Jahrtausends eine Piazza Isolde Kurz mit eingeweiht habe.
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10:45 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.04.2022 / 21:47

Dateizugriffe: 89

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.04.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wusstet Ihr, dass Edmund Stoiber Ehrenbürger der Gemeinde Forte dei Marmi in der italienischen Provinz Lucca ist? Ich auch nicht. Auch den Grund dafür konnte ich nicht in Erfahrung bringen bis auf die Angabe, dass er dort offenbar regelmäßig Ferien verbrachte, sozusagen als Gegenpol zur Toskana-Fraktion der Sozialdemokraten, und dass er in den ersten Jahren dieses Jahrtausends eine Piazza Isolde Kurz mit eingeweiht habe.
Ja, so viel Aktualität muss auch heute sein. Unter Edmund Stoiber als Parteivorsitzendem und Ministerpräsident Bayerns erreichte die CSU in Bayern im Jahr 2003 eine Zweidrittelsmehrheit im Bayrischen Landtag. Daneben bleiben von ihm seine stock-katholisch-konservative Haltung, eine Kanzlerkandidatur für die Koalition aus CDU/CSU und FDP gegen Gerd Schröder im Jahr 2002, die er um 6028 Stimmen vermasselte, schöne Projekte wie die Schwebebahn zwischen dem Flughafen München und dem Stadtzentrum sowie die Tatsache, dass er ein unerschöpflicher Quell von Versprechern und stotternden Stotterungen war. Dafür wird er auch heute noch im bayrischen Kabarett ausgeweidet, namentlich von Wolfgang Krebs, der ihn regelmässig in verschiedenen Formaten persifliert, was unterdessen auch etwas erstaunt, 15 Jahre nach seinem Rückzug aus der Politik, und zwar aus einer Politik, die er eigentlich nie wirklich geprägt hat. Er war auch keine Saftwurzel wie Franz Josef Strauß, den der ebenfalls bayrische Kabarettist Helmut Schleich in seiner Sendung Schleich Fernsehen jeweils auferstehen und über die aktuelle Lage im Freistaat herum poltern lässt. Franz Josef Strauß, unter dem Edmond Stoiber CSU-Generalsekretär war, ist vor 34 Jahren gestorben. Von ihm kursieren Witze wie jener, den ich in der «Bild-Zeitung» gefunden habe: Franz Josef kommt in den Himmel. Gottvater fragt ihn von seinem Thron herab: Mein Sohn, was hast du in deinem Leben Gutes getan? Strauß antwortet: Erstens bin ich nicht dein Sohn, und zweitens sitzt du auf meinem Thron. Strauß hat als Figur schon ein anderes Format als der Stotterer, einmal abgesehen von seiner politischen Karriere, und man kann es einem Kabarettisten nicht verdenken, dass er solch einen Standard nicht aus seinem Programm entfernen mag. Den Stotterer dagegen?

Aber das kümmert Euch Landratten beziehungsweise Bayern-Nachbarn wohl weniger, wo nicht überhaupt nicht, und ich selber komme auch nur darauf, weil mein Standard-Satiremagazin Titanic in der April-Ausgabe ein paar Zeilen an das bayrische Kabarett verschwendet, namentlich an ein Buch, das Frau Monika Gruber verfasst hat, über welche ich vor zwei Jahren in diesem Radio anlässlich einer Einordnung der Kampagne gegen Lisa Eckart gesagt habe, dass sie im bayrischen Kabarett seit ein paar Jahren den Heimatgeist, das heißt die Ausländerfeindlichkeit zu bedienen begonnen hat und dafür sicher schöne Zinsen in der Form von Kartenverkäufen einfahre. Ich kann an dieser Stelle noch nachtragen, dass auch der Kabarett-Veteran Helmut Schleich im gleichen Jahr 2020 sich nicht entblödete, Karl Marx einen Rassisten zu nennen. So weit geht Monika Gruber natürlich nicht, denn für sie wäre das wohl eher ein Kompliment. Ihr Buch heißt «Und erlöse uns von den Blöden», der Titel der Besprechung in der Titanic-Humorkritik «Wenn doch bald wieder früher wäre!», inhaltlich moniert Humorkritiker Hans Mentz, dass es sich um ein Konvolut von Witzen über all die dummen einfachen Leute handelt, welche zum Beispiel bei Aldi jedes Mal mit dem Einkaufswagen mit Vollgas einem in die Hacken fahren, um schnellstmöglich ihre Ware aufs Band werfen zu können, kriminelle Clans, Drogendealer, über Leute, die Sozialdienstleistungen erschleichen, String-Bikinis und Arsch-Tattoos und Influencerinnen, und das Urteil lautet: Erlöse uns von der Gruberin und ihrem Mitautor. Da bin ich grad ein bisschen dankbar, dass der oberste Humorrichter im Land ebenfalls entdeckt hat, wo die Kabarett-Szene in Bayern unterdessen gelandet ist.

Nun gut, es ist nicht die ganze Szene, es finden sich nach wie vor vernünftige oder mindestens lustige Menschen auf der Bühne und sogar politische wie zum Beispiel Christian Sprunger vom «Schlachthof». Insgesamt aber merkt man dem Kabarett, und zwar nicht nur jenem in Bayern, an, dass es in die Jahre gekommen ist respektive dass es offenbar unmöglich ist, über den gleichen Sachverhalt zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre lang immer wieder neue, originelle Sprüche zu reißen. Auch die politische Korrektheit, welche jeweils im Format «Die Anstalt» zelebriert wird, lässt mich unterdessen einen weiten Bogen schlagen um diese Form der vermeintlichen Aufklärung oder der Anklage all der verbrecherischen Vorgänge in eurer Bundesrepublik, auch wenn es durchaus am Platze wäre, die entsprechenden Inhalte an die große Glocke zu hängen. Aber in der «Anstalt» ist es eben nicht die große, sondern eine sehr kleine und vom Format her bereits misstönende Glocke, das ist das Problem. So bleibt mir fast nichts anderes übrig als zu fragen: Was treibt eigentlich Julia Klöckner?

Ein Besuch auf ihrer Webseite lohnt sich, nicht etwa, weil da richtige Brüller für eine Kabarettistin drauf zu finden wären, sondern vielmehr Unikate aus dem Schaffen einer Werbeagentur für Populistinnen. «Stimme für dein HeimatHerz», lautet ihr Slogan, wobei Heimat und Herz zusammengeschrieben stehen, aber mit einem Binnen-Versal bei Herz. Heimat Herz. Heimat Herz. HeimatHerz. Stimme für dein HeimatHerz. Sogar ein Erdmännchen, vielleicht ist es im Fall von Julia Klöckner sogar ein Erdweibchen, und eine Miniatur-Bulldogge mit einem roten Pappeherz als Halskrause stimmen für Julia Klöckners HeimatHerz, ebenso wie ein Löwe und eine Maus. Daneben empfiehlt sie Dinge wie den Stromspar-Check für Geringverdiener, mit welchem Hartz-IV-Bezügerinnen bis zu 200 Euro im Jahr an Stromkosten einsparen können, oder andere Dinge aus dem Themenspektrum «Maß und Mitte» und gesunder Menschenverstand, eben, zusammengefasst im Slogan «stimme für dein HeimatHerz».

Der Besuch lohnt sich, sage ich, weil wir hier die Erscheinungsform einer in allen Bereichen unauffälligen Politikerin sehen, welche der Zufall für ein paar Jahre lang ins Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gespült hat, also in einen Bereich, unter dessen Oberfläche sich nicht nur in Deutschland, sondern auf dem ganzen Kontinent die gewaltigsten Subventionsflüsse finden, welche das Kriegsbudget bei weitem übersteigen. «Stimme für dein HeimatHerz» ist der Zuckerguss über diesem Sektor, den man mit Fug und Recht ebenfalls eine Kriegszone nennen kann, wo die Konflikte hin und wieder in den Schlachtbetrieben ausbrechen, hin und wieder bei den Pestiziden, manchmal beim Wasserverbrauch, in der Regel aber hauptsächlich im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union. Dazu komme ich an anderer Stelle.

An dieser Stelle der obligatorische Abstecher zum Krieg in der Ukraine: Unterschwellig klingt in der Berichterstattung jeweils mit, dass die ukrainischen Streitkräfte vielleicht den russischen Streitkräften ebenbürtig oder gar überlegen seien, nicht zuletzt, nachdem die Ukraine irgend einen russischen Kreuzer auf dem schwarzen Meer versenkt hat. Das dünkt mich seltsam, aber selbstverständlich ist sowohl am Krieg als auch an der Berichterstattung darüber sowieso alles seltsam. Die Vorstellung, dass eine kleine Armee allein mit dem Treibstoff ihres soeben neu entwickelten Nationalbewusstseins eine deutlich größere Armee, welche zum Teil über echte Kriegserfahrung verfügt, in Grund und Boden besiegen sollte, erscheint mir absurd. Im Moment habe ich nur die Vermutung, dass die in Weißrussland zusammengezogenen russischen Kräfte zu Beginn der Invasion keineswegs so hochgerüstet und fit waren wie zum Beispiel damals die Wehrmacht zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, sondern dass alle dachten, dass sie sich auf einen Sonntagsspaziergang machen täten, dessen Zweck, nämlich die Beendigung aller Nato-Gelüste der ukrainischen Führung, in wenigen Tagen erreicht sein würde, nicht zuletzt deshalb, weil die russische Seite in der Ukraine ja ihrerseits milliardenfache Interessen hat, die man wohl nicht aufs Spiel setzen wollte. Nur so erscheint der stockende Vormarsch beziehungsweise der unterdessen erfolgte Rückzug logisch. In dieser Logik geht es dann aber um die Fortsetzung, und die wird wohl mit anderen Truppenteilen, anderer Motivation und anderen Strategien erfolgen. Denn dass Russland im gegenwärtigen Zustand die Ukraine einfach ziehen lassen wird, das übersteigt im Moment meinen Horizont.

Nicht dass es unmöglich wäre! Aber damit wäre ein derart massiver Verlust an Prestige und damit an indirekter militärisch-politischer Schlagkraft verbunden, dass die Auswirkungen im Kaukasus und in den östlichen südlichen Nachbarländern Russlands gewaltig wären. Dazu kommen die innenpolitischen Verwerfungen. Dazu kann ich mich nicht belegbar äußern, da mir mein eigener Geheimdienst keine entsprechenden Informationen liefert, und mich einfach auf die PR-Botschaften der US-Amerikaner zu verlassen, kommt mir nicht in den Sinn. Dass Wladimir Wladimirowitsch über eine solche, theoretische und für mich praktisch undenkbare, Niederlage stürzen könnte, das erscheint sehr wohl möglich. Was danach käme, ist völlig offen und bietet Raum für alle Spekulationen. Abgesehen von Tschetschenien dürfte das russische Reich als solches erhalten bleiben, aber in eine Phase von Turbulenzen eintreten, die sich gewaschen haben, zumal sowohl die USA als auch China nichts unversucht lassen würden, um die Krise politisch auszunutzen; hier haben die Chines:innen selbstverständlich deutlich bessere Karten. Damit hätten wir endlich wieder erreicht, was seit ihrer Gründung den Horizont der Nato-Chefstrategen ausmacht: eine Welt mit zwei wirtschaftlich-politischen Polen, zusätzlich zu den geografischen Polen. Das ganze Spiel kann von vorne beginnen, womit die bayrischen Kabarettist:innen plötzlich wieder an der Spitze des Fortschrittes stünden und die Kabarettisten aus der Anstalt halt Konrad Adenauer wiederbeleben müssten.

Die Ukrainer:innen bewundern wir unterdessen für ihre Widerstandskraft; unsere Sympathien gelten selbstverständlich dem scheinbar Unterlegenen, wenn er sich gegen die Übermacht des Angreifers durchzusetzen vermag. Vielleicht geht das Kalkül des ukrainischen Generalstabs sogar soweit, dass er auf einen tatsächliches Eingreifen von Nato-Truppen hofft, wenn sich die russische Armee als so furchtbar schwach erweist, wie sie zum Teil dargestellt wird. Alle Politik hat auch ihre militärische Seite, zweifellos.

Ich glaube nicht daran. Ich denke, dass der Ukraine-Krieg demnächst zum zweiten Mal losgeht. Die Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung sind im Moment jedenfalls nicht besonders groß.

Kommentare
21.04.2022 / 18:11 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 21.04.. Vielen Dank ! - Die Narren waren einst die einzigen, welche die Wahrheit dem König sagen durften. Diese Rolle hat heute das Kabarett inne. Daher sehe ich nicht so schwarz.
 
30.08.2022 / 14:36 John, Radio F.R.E.I., Erfurt
Auszug verwendet im kleinen feinen großen FRN-Quiz 2022
Danke. Hier geht's zum Beitrag: https://www.freie-radios.net/117215