Werner Pfennig VVN-BdA Rede in Stuttgart

ID 11567
 
Rede von Werner Pfennig, Bundesvorsitzender der VVN-BdA, bei der Gegenkundgebung zum Neonaziaufmarsch am 28.1.05 in Stuttgart.
Audio
16:12 min, 7593 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 17.02.2006 / 16:31

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Tuefunk
Entstehung

AutorInnen: Andreas Linder
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 03.02.2006
keine Linzenz
Skript
Das war die Anmoderation bzw. der Kommentar davor:
Zu den Gegenaktivitäten gegen die Neonazidemo in Stuttgart am 28.1. - gute Redebeiträge, fragwürdige antifaschistische Demonstrationskultur

Der 27.Januar ist der alljährliche Gedenktag zur Befreiung des KZ Auschwitz. Nicht zufällig nutzen auch Neofaschisten diesen Gedenktag, um auf sich und ihre geschichtsverfälschende und verfassungsfeindliche Ideologie aufmerksam zu machen. In Baden-Württemberg wollten die sogenannten freien Kameradschaften am 28.Januar eine Demonstration in Karlsruhe durchführen. Diese wurde aber von der Stadt Karlsruhe verboten. Daraufhin wurde ein zweiter Versuch in Stuttgart gestartet. Das Thema der Neonazidemonstration lautete: "Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen - § 130 abschaffen". Das bedeutet: Die Neonazis fordern, ihre verfassungsfeindliche Gesinnung frei äußern zu dürfen und darüber hinaus fordern sie die Abschaffung des Volksverhetzungsparagrafen aus dem Strafgesetzbuch. Das passt wie die Faust aufs Auge. Auch die Stadt Stuttgart verhängte ein Demonstrationsverbot, das Verwaltungsgericht hob dieses Verbot allerdings auf.
Gegen diesen nun genehmigten Neonaziaufmarsch mobilisierte der Landesverband der VVN-BdA zu einer Gegenkundgebung und Demonstration. Laut Polizeibericht kamen etwa 2000 Menschen, um gegen den Neonaziaufmarsch zu protestieren. Bei der Auftaktkundgebung in der Lautenschlagerstraße beim Hauptbahnhof wurden engagierte Reden gehalten, unter anderem von Beate Klarsfeld, der DGB-Vorsitzenden Leni Breimaier und vom VVN-Vorsitzenden Werner Pfennig, die im Anschluß zu hören sein wird. Die Veranstalter kritisierten die Aufhebung des Demonstrationsverbots für die Neofaschisten, vor allem weil diese in ihrem Aufruf eine offen terroristische Gesinnung zum Ausdruck brachten. Faschismus sei keine Meinung, so die Kundgebungsveranstalter, sondern ein Verbrechen, und dabei bleibe es. Nach der Kundgebung setzte sich ein Demonstrationszug in Gang, der am Schlossplatz offiziell aufgelöst wurde. Die Neonazis hielten ihre Auftaktkundgebung im Stuttgarter Westen, am Schöttleplatz ab. Dorthin bewegten sich dann die zahlreichen Gegendemonstranten ungeordnet und in einzelnen Gruppen. Es gelang den Gegendemonstranten, rund um den Marienplatz die Straßen und Plätze zu verstopfen. Der Demonstrationszug des kläglichen Haufens von rund 200 Neonazis setzte sich zwar in Bewegung, kam aber keine 300 Meter und wurde zwischen dem Schöttle- und dem Marienplatz gestoppt.
Die Polizei unterließ es, die blockadeähnlichen Ansammlungen der Gegendemonstranten aufzulösen oder den Neofaschisten mit Gewalt den Demonstrationsweg freizuprügeln. So weit so gut. Die Gegendemonstration konnte als erfolgreich angesehen werden, auch wenn der Erfolg ein wenig geschenkt war. Als problematisch ist allerdings anzusehen, dass diese Gegenaktivitäten völlig unkoordiniert waren. Während ein Großteil der Demonstranten darauf aus war, die Neonazidemo durch ihre schlichte Anwesenheit zu blockieren, waren andere auf Scharmützel mit der Polizei aus, warfen Flaschen, Holzstöcke und bengalische Feuer. So war die Situation sehr undiszipliniert und damit auch unübersichtlich. Wer in welcher Situation wie handeln würde, war kaum einzuschätzen.
Noch problematischer war allerdings die auch an diesem Tag wieder festzustellende pubertäre Neigung von einigen überwiegend männlichen Antifaschisten, die Neonazis verprügeln zu wollen. Ob bei der Anreise im Zug, im Bahnhofsklo oder auf der Straße der Demo: Das erklärte Ziel etlicher Antifa war Körperverletzung. Dabei wurden auch in Anführungszeichen Erfolge erzielt. Ein paar Neonazis wurden in einer Toilette auf dem Anmarsch zur Demo erwischt, ein sogenannter Anti-Antifa-Fotograf, der sich unter die Demo mischte, wurde erheblich verletzt. Letzten Endes verhinderte die Polizei durch ihre Anwesenheit, dass es zu direkten körperlichen Auseinandersetzungen mit einer großen Anzahl von Schwerverletzten kam. So verständlich es sein kann, dass man undemokratische, menschenverachtende Schwachköpfe wie die Neonazis am liebsten mit Faust und Stock erziehen möchte, so unpolitisch und kontraproduktiv ist es gleichzeitig. Gewalt scheint bei vielen Antifas, aber auch bei unorganisierten Jugendlichen, nicht das letzte Mittel zu sein, sondern das einzige Mittel. Die Bereitschaft zur schweren Körperverletzung politisch Andersdenkender, sobald sich die Gelegenheit bietet, macht die eigenen politischen Prinzipien nur schwer von denen des verhassten Gegners unterscheidbar. Vor allem ist eine solche Attitüde und konkrete Gewaltbereitschaft für die Neonazis ein willkommenes und gar nötiges Feindbild, mit dem sich die Neonazis immer wieder in Szene setzen und selbst legitimieren können. Leider sind beim Versuch, Neonaziaufmärsche zu verhindern, politische Klugheit und kreative und gut vorbereitete Aktionen häufig Mangelware. Vor allem aber fehlt es an der glaubwürdigen Unterscheidbarkeit der Mittel gegenüber dem politischen Gegner und es fehlt an einem eindeutigen Gewaltverzicht.

Wenn man politisch die besseren Argumente hat, reicht es, dann zuzuschlagen, wenn man selbst angegriffen wird, aber sonst nicht. Das würde dann vielleicht auch zu einer anderen Medienberichterstattung führen. Ein Blick in die Massenmedien auch nach diesem Event zeigt, dass am liebsten über Straßenschlachten, Schlägereien, Verletzte und Polizeieinsätze berichtet wird. Unterschiede zwischen links und rechts werden da kaum gemacht. In keinem einzigen Zeitungsbericht nach dieser Stuttgarter Aktion wurde aus den antifaschistischen Kundgebungsbeiträgen zitiert, obwohl es diese wirklich verdient hätten. Das vermittelt das Bild, als sei man lediglich Teilnehmer einer Schlägerei gewesen und nicht einer politischen Aktion. So richtig und wichtig es ist, dass Neofaschisten mit Entschlossenheit und gut organisiert auch auf der Straße entgegengetreten wird, so wichtig ist es auch, eine politische Kultur zu entwickeln, die sich unmissverständlich von den Neonazis positiv unterscheidet. Vielleicht kann die Losung "Antifa heißt Angriff" nur unter solchen Voraussetzungen erfolgreich werden.

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