"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Ein neuer australischer Premierminister

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«Laut Gesundheitsbehörden gibt es in der Schweiz ca. Zwei Millionen Raucherinnen und Raucher. Einige von ihnen werden komplett auf Tabak und Nikotin verzichten, was die beste Option ist. Viele werden aber weiterhin rauchen. Dies verdeutlicht, dass Entwöhnungsstrategien zwar effektiv, jedoch nicht ausreichend sind. Ergänzt man diese Maßnahmen um einen Ansatz zur Verminderung der Schäden durch Tabakkonsum, kann der Rückgang des Zigarettenrauchens beschleunigt werden.»
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10:47 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.05.2022 / 13:57

Dateizugriffe: 77

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 24.05.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
«Laut Gesundheitsbehörden gibt es in der Schweiz ca. Zwei Millionen Raucherinnen und Raucher. Einige von ihnen werden komplett auf Tabak und Nikotin verzichten, was die beste Option ist. Viele werden aber weiterhin rauchen. Dies verdeutlicht, dass Entwöhnungsstrategien zwar effektiv, jedoch nicht ausreichend sind. Ergänzt man diese Maßnahmen um einen Ansatz zur Verminderung der Schäden durch Tabakkonsum, kann der Rückgang des Zigarettenrauchens beschleunigt werden.» Dies schreibt im Rahmen einer ganzen Reihe von Anzeigen die Schweizer Tochter des weltgrößten Zigarettenherstellers, Philip Morris Switzerland. Weiter geht es: «Welches Prinzip steckt hinter der Verminderung der Schäden durch Tabakkonsum? Heute gibt es wissenschaftlich erforschte Alternativen, bei denen kein Tabak verbrannt wird, zum Beispiel E-Zigaretten oder Tabakerhitzer. Daher geben diese weniger und geringere durchschnittliche Mengen an schädlichen und potenziell schädlichen Bestandteilen im Vergleich zum Rauch ab, der beim Verbrennen von Tabak entsteht. Obwohl diese Produkte nicht risikofrei sind und dem Körper Nikotin zuführen, das abhängig macht, stellen sie im Vergleich zu Zigaretten eine bessere Alternative für Erwachsene dar, die sonst weiter rauchen würden. Deshalb haben wir bereits über 9 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung und Beurteilung innovativer, wissenschaftlich fundierter, rauchfreier Produkte investiert.»

Soweit, so schön. Das schlaue Buch des Fähnleins Fieselschweif meldet, dass Philip Morris International im September 2021 das britische Pharmaunternehmen Vectura gekauft habe im Rahmen einer neuen Strategie, ein Unternehmen für Gesundheit und Wellness zu werden. Die Spezialität von Vectura besteht, wie könnte es anders sei, in Inhalationsgeräten.

Ihr versteht, geschätzte Hörerinnen und Hörer, dass es angesichts solcher Realitäten immer schwieriger wird, sich über irgendetwas am Kapitalismus lustig zu machen. Es hilft auch nichts, wenn wir die Kampagne von Philip Morris in die Tradition stellen des schwedischen Forschers Ragnar Rylander, der in den 1990-er Jahren als Professor an der Universität Genf Studien erstellte und veröffentlichte, wonach Passivrauchen nicht gesundheitsschädlich sei. Die Studien waren selbstverständlich gefälscht, und zwar im Auftrag eben von Philip Morris International, die ihren Sitz im benachbarten Lausanne hatte beziehungsweise immer noch hat. Als die Affäre 2001 aufflog, erstattete Ragnar Rylander beziehungsweise im Hintergrund Philip Morris International Strafanzeige gegen die Autoren der Studie, welche das belegte, und Professor Rylander und seine Geldgeber zogen den Prozess bis vors schweizerische Bundesgericht, wo sie dann nach zweieinhalb Jahren doch den Kürzeren zogen. Philip Morris, Hüterin der wissenschaftlichen Wahrheit seit eh und je.

Praktisch vor unserer Haustür befindet sich ein Beton-Mischwerk. Seit einiger Zeit prangt daran ein Riesen-Plakat, auf dem steht: «Beton. Betont nachhaltig. Bindet CO2 aus der Umwelt.» Mit einem neuen Verfahren sollen in jedem Kubikmeter Beton rund 10 Kilogramm CO2 dauerhaft gebunden werden, steht auf einer dazu gehörigen Webseite. Nun wiegt ein Kubikmeter Beton etwas über 2 Tonnen; davon entfällt ein Viertel auf Zement. Laut der Deutschen Emissionshandelsstelle beläuft sich der CO2-Ausstoß pro Tonne Zement auf 590 Kilo. Für einen Viertel Kubikmeter, also eine halbe Tonne wären das 295 Kilo, alle anderen CO2-Ausstoß-Elemente bei der Beton-Herstellung noch nicht berücksichtigt. Mit anderen Worten: Die große PR-Kampagne des Unternehmens brüstet sich mit der Neutralisierung von 10 Kilo CO2 mit der neuen Methode, während weiterhin 300 Kilo CO2 produziert werden. Das ist ein schönes Verhältnis. Auch eine schöne Lüge, selbstverständlich. Aber wie will man sich da noch ärgern oder darüber lustig machen?

In Indien verdorrt das Erntegetreide, die Eiskappe am Nordpol schmilzt ab, in der Antarktis ist es zwar immer noch minus 15 Grad, aber damit doch 40 Grad wärmer als sonst – die Klimaerwärmung ist ein Fakt, und dass sie menschengemacht ist, ist unbestritten, und zwar vor allem durch den Verbrauch von fossilen Brennstoffen für Heizung und Automobilismus – was geschieht? Nichts. Die Erdölkonzerne und die Automobilindustrie heizen ein, als wäre nichts gewesen, verkünden aber auf ihren Webseiten grossmäulig den Wechsel auf Elektromobilität bei den Automobilherstellern, die Verwandlung des Erdöls in ein CO2 absorbierendes Konsumgut, wie es verschiedene Stiftungen von BP und Exxon und so weiter schon länger wissenschaftlich bewiesen haben. Was soll man da machen? Na, nichts, beziehungsweise doch: Es bleibt der durchschnittlich intelligenten Erdenbe­wohnerin nur übrig, ihre persönlichen Systeme zum Umgang mit Informationen und Tatsachen anzupassen, damit sie nicht als Person kollabiert. Ganz abgesehen von den verschiedenen Mög­lichkeiten des Engagements bei Greenpeace und anderen, vielleicht etwas radikaleren Gruppen; der Glaube an die Möglichkeiten der Politik und damit vielleicht am Rande der politischen Bewegung der Grünen wurde spätestens dann zu Grabe getragen, als Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg Ministerpräsident wurde als Aushängeschild des Automobilproduzenten Mercedes-Benz. Das war vor 11 Jahren. Es geht nicht. Das Politische geht nicht.

Lachen hilft vielleicht ein bisschen beim Verdauen des Unverdaubaren. Ansonsten ist der Gegenwart nur mit einer gewissen Portion Fatalismus zu begegnen. Dazu kommt der Glaube oder die Hoffnung oder beide, nämlich die Hoffnung auf Wissenschaft und Vernunft, die sich mindestens in Generationen von Generationen durchsetze werden. Kleine Anzeichen der Vernunft tauchen hie und da am Himmel auf, zum Beispiel das 9-Euro-Bahnbillett, wozu ich der Deutschen Bahn ausdrücklich gratuliere; ich weiß einfach nicht, wie sie die ganzen theoretisch willigen neuen Bahnkunden auf das von CSU-Verkehrsministern jahrelang zusammengebombte Bahnnetz in von CSU-Verkehrsministern jahrelang zusammengebombten Fahrzeugbeständen bringen wollen, aber irgendwo muss man ja anfangen. Wer ist jetzt der neue Verkehrsminister? Volker Wissing von der FDP? Der hat das Projekt ja ganz offensichtlich unterstützt. Das ist mal ein positiver Anfang. Vielleicht gibt es in der Politik doch noch Spuren des Möglichen? Vielleicht bei der FDP?

In Australien ist der Lobbyist von Wetter- oder Klimakatastrophen, der Kohle- und Erdölfetischist Scott Morrison abgewählt worden. Seinem sozialdemokratischen Nachfolger Anthony Albanese werfen viele parteiinterne Kritiker:innen vor, er hätte sich politisch viel zu weit nach rechts entwickelt nach seinen viel versprechenden Anfängen in der linken Jugendbewegung der Labor-Partei. Den Vorwurf kann ich nicht beurteilen, ich kenne Anthony Albanese in keiner Art und Weise. Was ich aber weiß, ist, dass es keine Mehrheiten gibt für die absolut korrekte und richtige, also selbstverständlich die radikal linke Position. Das haben wir schon verschiedentlich in England beobachtet, zuletzt und am Schluss auf eher jämmerliche Art mit Jeremy Corbin, welcher den Spagat zwischen linken und korrekten Positionen einerseits, der Regierungsbildung anderseits nicht geschafft hat, schlicht und einfach aus dem Grund, weil der nicht zu schaffen ist. An die Macht kommen unter aktuellen Umständen immer gemäßigte Sozialdemokrat:innen, egal, welcher Partei sie angehören; und so wird es sich auch mit Anthony Albanese verhalten. In Australien liegt der Unterschied vielleicht – vielleicht! – darin, dass Herr Albanese versucht, die Grundlagen für eine klimafreundlichere Politik zu legen. Eine klimafreundlichere Politik als solche liegt im Moment wohl noch nicht drin, dazu hängen zu viel nationalökonomische Interessen am Kohlebergbau, aber man könnte ja mal beginnen, wenigstens ein paar Solaranlagen zu bauen. Oder so.

Und wenn es dann damit klappt, klappt es vielleicht auch mal damit, die Menschen auf dem ganzen Planeten mit einem anständigen Einkommen auszustatten, wobei man darauf achten sollte, dass die Menschen auf dem ganzen Planeten dieses Einkommen nicht unbedingt auf den Erwerb von mit Verbrennungsmotoren betriebenen Fahrzeugen verausgaben sollten. Was wiederum heißt, dass die Infrastrukturen weltweit so ausgebaut oder eingerichtet werden müssen, dass öffentliche Verkehrsmittel in anständiger Qualität und Frequenz die wichtigsten Transportbewegungen der Menschen auf dem ganzen Planeten bewältigen können.

Soweit, so gut, soweit auch nichts Neues. Im Moment ist es einer der verblüffendsten Sach­ver­halte, dass viele Menschen eine echte Einsicht haben in die Problemlage, unter anderem eben im Klimabereich, und gleichzeitig ihren echten und authentischen und individuellen Bedürfnissen des Massentourismus Folge leisten und drei Mal pro Jahr nach Malle jetten. Das verstehe ich nicht, habe ich noch nie verstanden und werde ich nie verstehen.
Man braucht ja nicht immer zuhause zu bleiben, es gibt wunderbare Reiseziele im Norden und im Süden und im Westen, im Osten im Moment vielleicht etwas weniger, aber trotzdem, Reiseziele, die man bequem im Zug erreicht, wobei die Reiseplanung vielleicht mal einen Zwischenhalt /aufnehmen muss, wenn es keine Nachtzug-Verbindungen gibt. Nehmen wir mal als Beispiel die Strecke Erfurt–Verona, auf der man eigentlich nur ein Mal umsteigen muss, in München, nehme ich an, denn wissen tue ich es nicht, weil die Server der Deutschen Bahn im Moment derart überlastet sind, dass sie eine einfache Fahrplan- und Tarifanfrage nicht schaffen, nachdem die CSU-Finanzminister die Finanzierung der elektronischen Infrastruktur jahrelang zusammengebombt haben.

Was mich zur Frage bringt: Was macht eigentlich Andi Scheuer gerade so? Laut Angaben auf seiner Webseite konzentriert er sich auf seinen Lebensmittelpunkt, nämlich Passau. «Von Passau den Sprung in die Welt wagen», heißt es über einem Artikel, in dem beschrieben wird, wie das Bundestagsmitglied Andi Scheuer sich eineinhalb Stunden Zeit nahm, um die Firma Regiothek zu besichtigen, welche sich zum Beispiel mit folgenden Fragen beschäftigt: «Wann schmeckt der Apfel nun am besten? San d' Erdäpfe zeidig?» Im Text heißt es, dass dies Fragen seien, die für eine perfekte Vermarktung in der Lebensmittelbranche von größter Bedeutung seien. Im vergangenen Jahr hätte dieses Start-up im Passauer Gründerzentrum vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, also damals von der anderen ehemaligen Bundesministerin, der CDU-Frau Julia Klöckner, mehr als 180'000 Euro Förderung erhalten. Der ganze Name des geförderten Projektes heißt übrigens «Transparente Qualität in der regionalen Lebensmittelkette durch künstliche Intelligenz». Ich habe die Vermutung, dass der Nachfolger von Julia Klöckner, ein Grüner namens Cem Özdemir, diese Förderung in diesem Jahr nicht neu auflegen wird, obwohl die Grünen nicht nur Mercedes fahren, sondern eindeutig auch regional und biologisch einkaufen.

Kommentare
24.05.2022 / 18:09 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 24.5.. Vielen Dank !