Da ist kein einfacher Hebel, den wir von Krieg auf Frieden stellen könnten

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Putins Eroberungskrieg ist eine Realität auf die wir nicht nur mit einer Diskussion um Waffenlieferungen antworten sollten. Zunächst wäre zu fragen, was schiefgelaufen ist, dass wir das Ezeignis nicht haben kommen sehen. Sodann gilt es von der Hoffnung Abschied zu nehmen, wir könnten das Furchtbare einfach rasch wieder abstellen und alles würde dann gut sein.
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10:23 min, 9737 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 26.05.2022 / 16:23

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 26.05.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wen man auch fragt, alle sind für den Frieden, die meisten auch sicher ehrlich. Allerdings meinen nicht alle jederzeit das gleiche damit. Da wären z. B. die Mahnwachen für den Frieden zu nennen. Die Anfänge sind rasch erzählt: Am 27. Februar 2014 dringen mit Panzerfäusten bewaffnete grüne Männchen ins Parlament der Krim ein. Die gewaltsame Okkupation der Krim hat begonnen. Zwei Tage später, am 1. März holt sich der russische Präsident vom Föderalrat die Erlaubnis für einen Militäreinsatz in der Ukraine. Die Ukraine versetzt die Armee in Alarmbereitschaft und das Parlament fordert den Rückzug der russischen Truppen. Just in dieser Situation meldet am 17. März, Lars Mährholz die erste Montagsmahnwache für den Frieden an. Etwa hundert Leute kommen mit Fackeln am Brandenburger Tor zusammen, was nicht gerade geschichtssensibel ist. Das Motto der Mahnwache lautet: „Für Frieden in Europa, auf der Welt, für eine ehrliche Presse und gegen die tödliche Politik der Federal Reserve“. Was die US-Zentralbank damit zu tun hat, dass Putins Truppen die Krim besetzt und damit Putin das erste Mal das von Russland selbst garantierte Memorandum von Budapest gebrochen hat, weiß der verschwörungstheoretisch gebildete vermutlich sofort.
Mit Verschwörungstheorien gespickt und immer wieder antisemitisch angereichert ging es dann auf den Mahnwachen für den Frieden bei Rednern wie Jürgen Elsässer weiter. Nicht die ganze Friedensbewegung ist so wie die Montagsmahnwachen. Es gab auch deutliche Distanzierungen, insbesondere Jürgen Elsässer war vielen zu weit rechts. Im politischen Ergebnis waren die Unterschiede nicht so groß. Es gab viele, die die Besetzung der Krim weiter rechtfertigten, entschuldigten oder einfach kleinredeten wie der SPD-Politiker und mehrfache Kirchentagspräsident Erhard Eppler. Andere verwiesen immerhin auf einen Bruch des Völkerrechts, doch irgendeine Protestaktion aus dem Kreis der Friedensbewegung, die sich gegen den tatsächlichen Aggressor gerichtet hätte, ist dem Autor nicht bekannt geworden.
Rasch war man wie auch Eppler wieder bei einer Warnung vor einer „Verteufelung von Wladimir Putin“. Kaum benennt man den Friedensbrecher, ist das schon zu viel und es folgt die Schuldumkehr.
Da wundert es kaum noch, dass dann einige Symbole der Friedensbewegung auch bei Corona-Leugner-Demos auftauchten, obwohl es beim Maskentragen und Impfen nun wahrlich nicht um Krieg und Militär ging. Die arme Taube und das Wort Frieden waren längst zu Symbolen der Ablehnung einer mit dem Westen, wenn nicht – Gott behüte! – mit den USA assoziierten Kultur geworden. Außerdem garantiert das Eintreten für den Frieden, ja die absolute moralische Überlegenheit. Das garantiert dann auch, dass echte Diskussionen nicht mehr möglich sind. Auch hier gilt, nicht alle haben einen so verstellten Friedensbegriff, aber die Unterschiede in der praktischen Politik sind am Ende nicht groß.

Der deutsche Pazifismus gilt als die Antwort auf die Erfahrung zweier Weltkriege. Der Antwort liegt aber eine historische Verkürzung zu grunde. Eine starke pazifistische Bewegung in Deutschland und andere Denkmuster in der vom Kaiser bestimmt Machtelite hätten den 1. Weltkrieg verhindern können.
Völlig anders war die Situation vor und während des 2. Weltkrieges. Nachdem sich eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland dem Nationalsozialismus zugewandt hatte, war eine pazifistische Opposition in Deutschland kaum noch möglich. Es waren die anderen Länder, die nach dem blanken Horror des 1. Weltkrieges versuchten, eine militärische Konfrontation zu vermeiden. Bekanntermaßen hat dieses Zögern nichts besser gemacht. Der Einfluss des Pazifismus war aber nicht der einzige Grund für das Zögern und letztlich hat Stalin Hitler mit der Aufteilung Polens den Weg in den Krieg geebnet. Dass der CDU-Politiker Heiner Geißler dem Pazifismus so etwas wie eine Mitschuld an den Verbrechen des 2. Weltkrieges gegeben hat, war eine groteske Polemik. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass das Nazi-Regime nur mit militärischen Mitteln abgeschafft werden konnte. Ein Argument für einen fundamentalen Pazifismus lässt sich aus der Geschichte des 2. Weltkrieges gerade nicht ableiten.
Aber ist die heutige Friedensbewegung wirklich so pazifistisch? Die Antwort lautet: teils, teils. Pazifist*innen sollten wie alle politisch denkenden Menschen natürlich besonders sensibel sein, wenn es um die Fehler der eigenen Regierung geht. Abgesehen davon aber sollten sie beim Militär keine großen Unterschiede machen. Die Friedensbewegung zeigt aber sehr unterschiedliche Reaktionen, wenn es um Russland geht. Siehe zum Beispiel der erwähnte Fall der Besetzung der Krim. Auch protzig durch Moskau gefahrene Atomraketen, scheinen bei niemanden ein Gefühl des Widerwillens auszulösen. Obwohl es die Drohung mit der brutalsten Gewalt ist.
Man kann eine Massenbewegung wie die Friedensbewegung auf die Kautsch legen und über versteckten Nationalismus, der sich an den USA als Feindbild abarbeitet spekulieren und über auf Russland projizierte Sehnsüchte nach Weltgeltung. Aber sicher tut man damit auch vielen Unrecht. Vor allem kommt man mit solchen Spekulationen nie bei einem rationalen politischen Diskurs an.
Es gibt aber auch einen quasi systematischen Grund für den blinden Fleck im Auge der Friedensbewegung. So jemand wie ein aggressiver Putin sprengt die Argumentationsmuster der Friedensbewegung. Also darf es ihn nicht geben. Aber auch abgesehen von Putin kann es immer wieder Politiker geben, die es für eine gute Idee halten, einen Nachbarn militärisch zu überfallen. Das mag in unserer vielfach verwobenen Welt nicht mehr so weit verbreitet sein wie etwa zu Zeiten des europäischen Imperialismus, trotzdem ist so ein Politiker gerade der gefährliche Ernstfall und da funktioniert ein Geflecht aus vertrauensbildenden Maßnahmen nicht mehr. Das schlimmste ist, wenn so ein Politiker dann auch noch Erfolg hat. Wenn man ihm zum Beispiel einen guten Teil seiner Beute überlässt.
An dieser Stelle ist für mich auch die gegenwärtige Haltung der Friedensbewegung zum Krieg gegen die Ukraine logisch nichtmehr nachzuvollziehen. Einerseits ist man gegen Waffenlieferungen und für eine Rückkehr zu einer diplomatischen Lösung. Das kann aber nur bedeuten, dass Putin einen großen Teil der Ukraine behalten kann, eventuell sogar das ganze Land. Andererseits wird vehement eine gerichtliche Bestrafung des Aggressors gefordert. Wie das praktisch gleichzeitig möglich sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Man kann den Verzicht auf die praktische Verteidigung der internationalen Rechtsordnung nicht dadurch kaschieren, dass man gleichzeitig für eine Stärkung internationaler Rechtsinstitutionen wirbt, so sehr letzteres an sich auch begrüßenswert wäre. Anstatt begleitet von seiner Anwältin in Den Haag zu erscheinen dürfte der Übeltäter eher darüber nachdenken, welches Land er als nächstes überfällt.
Die Friedensbewegung hat das gesellschaftliche Klima in Deutschland enorm geprägt. Trotzdem kann man sie nicht alleine dafür verantwortlich machen, dass Alarmsignale in naiver Weise ignoriert und Warnungen unserer östlichen Nachbarn abgetan wurden. Da gab es auch das ökonomische Interesse an günstiger Energie aus Russland, an gegenüber anderen Energieträgern als weniger problematisch angesehenem Gas. Die Entscheidungsträger*innen waren auch nicht einfach der verlängerte Arm der Friedensbewegung. Die Zurückdrängung militaristischer Werte ist auch ein bleibendes Verdienst der Friedensbewegung. Trotzdem, das Kind ist in den Brunnen gefallen, der Überfall auf die Ukraine hat die Schwächen des politischen Verständnisses der Friedensbewegung gezeigt. Die Friedensbewegung sollte sich nun der Diskussion stellen anstatt Kritik als „Kriegslogik“ abzutun und sich damit selbst für sakrosankt zu erklären.

Eines kann man aus der Geschichte jedenfalls lernen, es gibt nicht diesen Hebel, den wir nur runterdrücken müssen und endlich hört dieser schreckliche Krieg auf, endlich hört unsere Angst vor einem Atomschlag auf. Auch wenn wir dies oder jenes nicht tun, wenn wir die Ukraine durch Zurückfahren der Unterstützung dazu zwingen würden Putin diese oder jene Landstriche samt Bevölkerung zu überlassen, beschönigend ausgedrückt heißt das „diplomatische Lösung“, der Albtraum wird nicht weggehen. Das Ergebnis wird so viel wert sein, wie das Stück Papier mit der Unterschrift eines Diktators, das Neville Chamberlain nach seiner Rückkehr von München am 30. September 1938 stolz durch die Luft schwenkte, in dem Glauben, nun habe er den Frieden in Europa gerettet und könne sich endlich wieder der Innenpolitik zuwenden. So lange man an einen solchen Hebel glaubt ist man der Gefangene der Situation.

Kommentare
30.05.2022 / 17:47 Redaktion Quergelesen / Querfunk, Querfunk, Karlsruhe
Danke!
Findet in der morgigen Ausgabe von Quergelesen Verwendung.