1. Juni: Weltmilchtag – fragwürdiges Marketing für ein umweltschädliches Produkt

ID 115860
 
AnhörenDownload
Es gibt für nahezu alles einen Gedenk- oder Feiertag im Kalender, da kann ein Weltmilchtag nicht fehlen. Er ist auf den 01. Juni festgesetzt und wird seit 1957 begangen. Damals initiierte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Internationalen Milchwirtschaftsverband den Lobbytag. Das passte in die Zeit, denn die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren die Hochzeit der Milchabsatzförderung. Politisch und medial wurde alles getan, den Milchabsatz nach dem Zweiten Weltkrieg den deutlich gestiegenen Produktionsmöglichkeiten anzupassen.
Heute braucht es aus Sicht der Milchwirtschaft dieses Marketing mehr denn je - während Umwelt, Tiere und Ernährungssicherheit sich über deutlich weniger Milchkonsum freuen würden.
Audio
09:41 min, 9334 kB, mp3
mp3, 131 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.06.2022 / 11:13

Dateizugriffe: 890

Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Umwelt, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Mel
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 01.06.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es gibt für nahezu alles einen Gedenk- oder Feiertag im Kalender, da kann ein Weltmilchtag nicht fehlen. Er ist auf den 01. Juni festgesetzt und wird seit 1957 begangen. Damals initiierte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Internationalen Milchwirtschaftsverband den Lobbytag. Das passte in die Zeit, denn die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren die Hochzeit der Milchabsatzförderung. Politisch und medial wurde alles getan, den Milchabsatz nach dem Zweiten Weltkrieg den deutlich gestiegenen Produktionsmöglichkeiten anzupassen. Schulmilchprogramme und staatliche wie privatwirtschaftliche Werbekampagnen sollten den Absatz der MilchbäuerInnen ankurbeln. Die Milchwirtschaft war und ist in vielen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich oder den BeNeLux-Staaten einer der wichtigsten Landwirtschaftszweige und erfreute sich jahrzehntelanger staatlicher Förderung und ausuferndem Agrarlobbyismus, wovon der Global Milk Day nur ein skurriler Ausdruck ist.
Ein hoher Milchkonsum in der Bevölkerung ist nämlich bei genauer Betrachtung keineswegs naturgegeben. Fangen wir beim Stichwort Natur an: wie viele von euch aus dem Biologieunterricht noch erinnern, ist der erwachsene Mensch eigentlich nicht in der Lage, die Säuglingsnahrung einer anderen Tierart zu verzehren. Es fehlt das Enzym Lactase, das den in der Milch enthaltenen Milchzucker spaltet, was zu unangenehmen Blähungen führt. Erst eine Genmutation, die wohl im Rahmen der frühen Viehhaltung vor rund 8000 Jahren entstanden ist, ermöglicht dem erwachsenen Menschen den Milchkonsum. Allerdings profitieren nur rund 1/3 der Menschheit, mehrheitlich Europäide Menschen und Menschen in Nordasien von dieser Genmutation. Für die Mehrheit auf diesem Planeten ist die Kälbernahrung unbekömmlich.
Hinzu kommt, dass Milch den meisten Menschen von Natur aus nicht besonders schmeckt.
Bekanntlich sind solche Hürden überwindbar. Auch Alkohol schmeckt nahezu niemanden bei den ersten Trinkversuchen. Aber Werbung, sozialer Druck, Gewohnheit und Image lassen die meisten Menschen doch früher oder später zu AlkoholkonsumentInnen werden. Ganz ähnlich funktionieren die Strategien der Milchindustrie und ihrer staatlichen Förderer – von Kindesbeinen an werden die Konsum-Gewohnheiten aufgebaut.
Große Kampagen, die Älteren erinnern sich vielleicht noch die reichlich stumpfsinnigen Werbeslogans wie ‚Die Milch macht‘s’ und ‚Milch mach müde Männer munter‘, sollen den Absatz ankurbeln. Die Gesundheitsbehörden empfehlen bis heute absurde Milchmengen. In den USA raten beispielsweise die ExpertInnen etwa ½ Liter pro Tag zu trinken und für die alternde Gesellschaften der Industrieländer lautet der Gesundheits-Claim: ‚gesunde Knochen dank Milch‘. Letzteres ist erwiesenermaßen Blödsinn, hält sich aber immer noch in mancher Apotheker-Journailie.
Trotz aller Marketinganstrengungen, die breite Vermarktung klappt im 21. Jahrhundert immer schlechter. Entsprechend hektisch wird die Werbetrommel gerührt, denn der Milchkonsum sinkt seit Jahrzehnten kontinuierlich und hat sich im letzten halben Jahrhundert etwa halbiert. Die Kurve geht die letzten Jahre immer steiler nach unten, weil Milchersatzdrinks aus Soja, Hafer oder Reis der Säuglingsnahrung erfolgreich Konkurrenz machen.
Bei genauer Betrachtung spricht auch sehr viel gegen den breit angelegten Milchkonsum:
Die Viehwirtschaft ist sehr klimaschädlich und für rund 15 Prozent der weltweiten Klimagase verantwortlich.
Bei der Nutzviehhaltung kommen zu dem klassischen Treibhausgas CO2 noch die typischen Methangase hinzu, die wesentlich schädlicher als CO2 sind und daher die Klimabilanz vom Milchprodukten nochmals erheblich verschlechtern. Da solche Fragestellungen in den Kaufentscheidungen gerade junger KonsumentInnen einen erheblichen Einfluss gewonnen haben, ist mittlerweile ein regelrechter Lobbykrieg entbrannt. Die Milchindustrie und ihrer vielfältigen Organe werden nicht müde, die Klimaschädlichkeit ihres Produktes herunterzureden und ähneln in ihrer abwiegelnden und mit Fake-News operierenden Argumentation stark den Kohle- oder Atomlobbyisten.
Der englische Bauernverband lieferte sich unlängst mit dem britischen Hafermilchhersteller Oatly, der auch hierzulande einen erheblichen Marktanteil mit hippen Milchersatzprodukten erobert hat, eine regelrechte mediale Schlammschlacht. Oatly hatte in Annoncen ihrer Werbekampagne den Klimakiller Milch dem weniger klimaschädlichen Haferprodukt gegenübergestellt, natürlich nicht aus Gutmenschentum, sondern um die eigenen Produkte unters Volk zu bringen.
Die Milchindustrie hat inzwischen erkannt, dass sie hier eine sehr offene Flanke aufweist und Gefahr läuft, zusammen mit Kohle und Verbrenner-Autos als klimaschädlich und unzeitgemäß in der Versenkung zu verschwinden. Entsprechend breit und offensiv erfolgt die mediale Gegenwehr.
Allerdings kann an der Realität bei nüchterner Betrachtung nicht viel herumgedeutelt werden. Die 3.9 Millionen Milchkühe in Deutschland verursachen nicht nur massiv Klimagase, ihre Gülle bewirkt zudem durch den übermäßigen Nitrateintrag in den Boden eine Verseuchung des Trinkwassers, das mittlerweile sogar die lokalen und überörtlichen Behörden bis hin zur EU auf den Plan gerufen hat.
Weiterhin blockiert das bei der dominierenden Stallhaltung notwendige Futtermittel im Rahmen seiner Erzeugung wichtige Agrarflächen, die besser anders genutzt werden könnten. Immense 60 Prozent der deutschen Agrarfläche wird zur Futtermittelherstellung verwendet, wovon allerdings die Hälfte Grasflächen sind, für die wahrscheinlich wenig andere Nutzungsmöglichkeit besteht. Dennoch bleibt der Umstand, dass die Futtermittelherstellung die Erzeugung anderer Nahrungsmittel verhindert und so, vor allem global betrachtet, erheblich zum Hunger in der Welt beiträgt.
Ebenso eindeutig sowie jahrzehntelang bekannt und kritisiert ist der Umstand, dass die milchgebenden Kühe mehrheitlich unter grausamen Bedingung gehalten werden, die mit ethischen Ansätzen und Tierwohl so gar nicht in Übereinklang zu bringen sind.

Die Schäden der überzogenen Milchproduktion für Ernährungssicherheit, Tierwohl und Umwelt sind um so bedenklicher, als der Nutzen von Trinkmilch inzwischen ernährungswissenschaftlich recht kritisch gesehen wird. Die früher und teilweise noch heute von der Milchindustrie angeführten Gesundheits-Claims sind alle widerlegt. Niemand braucht Trinkmilch für seine Gesundheit! Wie erwähnt vertragen die meisten Menschen auf der Welt sie nicht einmal. Inzwischen gibt es im Gegenteil zahlreiche Hinweise auf die Gesundheitsschädlichkeit von Trinkmilch. Allergien, Entzündungsprozesse, Hautkrankheiten, Prostatakrebs – die Liste von Gesundheitsstörungen, die auf hohen Milchkonsum zurückgeführt werden, ist lang. Die jahrzehntelange Marketing-Offensive der Milchindustrie hat die Trinkmilch dennoch nicht von den Ernährungspyramiden verschwinden lassen, welche Schulbücher und Biologietafeln zieren. Marketinganlässe wie der Weltmilchtag werden weiter genutzt, den sinkenden Konsum anzukurbeln.
Dabei gibt es, wie dargestellt, zahlreiche gute Gründe, auf Trinkmilch zu verzichten. So wenig wir uns von einer Atomlobby, Erdöllobby, Tabaklobby oder Waffenlobby verdummen lassen sollten, so wenig sollten wir auf die fadenscheinige Argumentation und Promotion der Milchindustrie hereinfallen.
Der Weltmilchtag sollte entsprechend ein guter Anlass sein, den eigenen Milchkonsum zu überdenken.
Rund 20 Prozent der Rohmilch werden zu Trink- und Kondensmilch verarbeitet. Wenn wir darauf verzichten, leisten wir einen guten Beitrag zum Klimaschutz und zur eigenen Gesundheit. Die Kühe, die das Glück haben, auf einer Weide stehen zu dürfen, müssen deshalb sicher nicht verschwinden, denn die Käseproduktion, auf deren Produkten Viele nicht verzichten wollen, nutzt rund 40 Prozent der erzeugten Rohmilch. Milchviehhaltung muss also keinesfalls aufgegeben werden – jedoch würde eine Halbierung des Bestands der Umwelt, den Tieren und den Menschen sehr gut tun – nutzen wir also den Weltmilchtag als Anlass und Denkanstoß zur Transformation!

Kommentare
01.06.2022 / 19:02 Fabian LORA, LORA München
Danke
Lief im LORA Magazin am 01.06.22 leicht gekürzt